«Die Medien dürfen gerne etwas kritischer sein»

Zum Saisonstart kommt Davide Callà auf dem Platz kaum zum Einsatz. Ein Gespräch über Leadertypen, seine Rolle in der Kabine und auf dem Balkon, peinliche Fotos und spannende Journalistenfragen. 

Davide Callà erlebt beim FC Basel einen schweren Saisonstart. (Bild: Dirk Wetzel)

Davide Callà, Sie hatten während der Nationalmannschaftspause drei Tage frei. Was haben Sie gemacht?

Ich habe einfach mal das Wochenende genossen. Am liebsten verbringe ich Zeit mit der Familie, wir haben Freunde besucht, die wir lange nicht gesehen haben. Und dann schauen meine Frau und ich auch mal eine Serie.

Was schauen Sie?

«Game of Thrones» ist es nicht. «Breaking Bad» haben wir gesehen oder «Narcos» auf Netflix. Aber wenn ich wählen kann, lese ich lieber Bücher. Meistens auf Italienisch.

Und dann natürlich nur Klassiker.

Romane und Thriller. Es gibt diesen Autor, Donato Carrisi. Den lese ich gerne, er hat eine sehr direkte Art zu schreiben. Das gefällt mir.

Ausserdem kochen Sie gerne, wie man hört. Haben Sie darüber nachgedacht, einen Blog zu führen wie Ihr ehemaliger Teamkollege Yann Sommer?

Nein, nein! Ich bin generell nicht einer, der sein Leben in die Öffentlichkeit rausträgt. Ich habe keine Accounts in sozialen Medien, ich habe keinen Blog. Das heisst aber nicht, dass ich verschlossen wäre.

Viele Ihrer Teamkollegen sind da aktiver. Bekommen Sie mit, was die so posten?

Ja, die zeigen mir das schon ab und zu. Und manchmal greifen die Medien das ja auch auf, wenn zum Beispiel Trump twittert oder einer von der AfD wieder etwas Provokatives gepostet hat.

Wenn zum Beispiel Mohamed Elyounoussi in der Kabine ein Foto macht, wollen Sie das dann sehen, bevor das online geht?

Eigentlich ist mir das egal. Es kommt selten vor, dass in der Kabine fotografiert wird, und wenn wir mal ein Selfie machen, dann sehe ich das ohnehin nicht. Aber jetzt, wo Sie es sagen: Michael Lang hat mir kürzlich ein Foto von mir geschickt (sucht auf dem Handy). Eine Szene aus dem Freundschaftsspiel gegen Wohlen, in der ich schrecklich aussehe. Sie kennen doch bestimmt das Bild von Fellaini (Spieler bei Manchester United, Anm. d. Red.), so einen Schnappschuss beim Kopfball gibts jetzt auch von mir. Man muss dreimal hinsehen, um zu erkennen, dass ich das bin. Es ist sehr lustig. Das wäre ein Bild gewesen, das ich gerne gepostet hätte, wenn ich soziale Medien nutzen würde.

Callà macht den Fellaini: Michael Lang schickte seinem Teamkollegen das Bild aus dem Testspiel gegen Wohlen per whatsapp.

Für so was sind Sie also nicht zu eitel?

Nein, ich bin der Erste, der so etwas weiterleitet. Es ist krass, was so ein Bild mit einem anrichten kann, wie so eine Momentaufnahme die Realität verzerrt. Ein wenig passt das zur heutigen Welt, man darf nicht immer alles zu ernst nehmen und sich vom Drang zur Perfektion beeinflussen lassen. Eine Momentaufnahme spiegelt eben nicht die ganze Wirklichkeit.

Verkleinern die sozialen Medien den Graben zwischen den Fans und den Stars – oder vergrössern sie ihn, weil sich die Sportler damit noch wirkungsvoller inszenieren können?

Manchmal ist man als öffentliche Person schon sehr glattgestrichen. Ein Bild zu posten, auf dem man nicht sehr vorteilhaft abgebildet ist, gilt da bereits als mutig. Aber als Spieler darf man das mit Humor nehmen, so ein Bild kann doch auch sympathisch wirken. Klar, einige Promis nutzen die sozialen Medien, um in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild abzugeben. Auch dort stimmen Bild und Wirklichkeit nicht immer überein.

«Wenn wir mal ein Selfie machen, dann sehe ich das ja ohnehin nicht.»

Machen Sie sich viele Gedanken über die Wirkungsmacht von Bildern?

Beim Durchblättern von Magazinen fällt mir manchmal auf: Die erfinden da einfach irgendeine Geschichte. Da sieht man beispielsweise ein Paar, das Foto suggeriert einen Streit. Und dann heisst es: «Riesen Krise, hält die Beziehung?» Oder: «Die Ehe geht in die Brüche!» Zu diesem Schluss kommen die Journalisten nur aufgrund dieser Bilder, dabei enstand vielleicht das Foto nur in einem dummen Moment. Das finde ich fragwürdig.

Verfolgen Sie die Nachrichten?

Auf jeden Fall, das ist das Leben! Wir leben eigentlich in einer Traumwelt. Der Fussball ist mittlerweile auf einer Stufe angelangt, die mit den Massstäben der realen Welt fast nicht mehr messbar ist. Natürlich kriege ich mit, was in Houston passiert ist und wie viele Leute durch den Hurrikan ihr Hab und Gut verloren haben. Das bringt mich zum Nachdenken, denn das kann uns auch hier in der Schweiz passieren, wie wir im Bündnerland gesehen haben. Es gibt also Dinge, die wichtiger sind als Fussball.

Diskutieren Sie das auch in der Kabine? 

Wenig. Nur wenn es jemanden von uns wirklich direkt betrifft. Mich hat zum Beispiel im letzten Jahr das Erdbeben in Italien sehr beschäftigt oder die Krise in Griechenland, denn meine Frau ist Griechin. Das ist jetzt überhaupt kein Thema mehr in den Medien. Eine Zeitlang ist aber jeden Tag über Hilfspakete und Rettungsmassnahmen diskutiert worden, das interessiert mich sehr.

Sie haben vorher vom Leben in einer Traumwelt gesprochen.

Das ist manchmal krass. Wir diskutieren über Taktik und System und Champions League und den nächsten Gegner. Klar, für uns und die Fans und euch Journalisten ist das wichtig. Aber eben: Es gibt Wichtigeres.

Wird dem Fussball zu viel Bedeutung beigemessen?

Nein. Man sagt das zwar oft so daher, aber es stimmt doch: Fussball verbindet. Heute läuft so vieles in digitalen Räumen, über Handys, im Fernsehen. Ich finde es cool, dass wir hier so ein grosses Stadion haben und damit so vielen Leuten die Möglichkeit geben, an die frische Luft zu kommen und unterhalten zu werden. Das sehe ich als absolut positive Seite unseres Sports. Klar gibt es gewisse Entwicklungen, die auch mich zum Nachdenken anregen. Ich meine, was jetzt wieder an Transfersummen ausgegeben worden ist. Ich frage mich auch, wo das hinführt.

«Es ist nicht einfach, ich komme weniger zum ‹Tschutten› als auch schon.»

Beim FC Basel war es im Sommer 2017 erstaunlich ruhig.

Es stimmt: Wir sind zwar im Umbruch, aber viele Transfers wurden nicht getätigt. Mit der neuen Philosophie, verstärkt junge Spieler ins Team zu integrieren, war das allerdings zu erwarten. Die wenigen Abgänge haben wir mit Ricky van Wolfswinkel und Dimitri Oberlin kompensiert. Ich finde es absolut okay, wie die Transferperiode für den FCB gelaufen ist.

Wie sehen Sie Ihre eigene aktuelle sportliche Situation beim FCB?

Es ist nicht einfach, ich komme weniger zum «Tschutten» als auch schon und darum ist meine sportliche Situation sicher eine andere als noch vor ein paar Monaten. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, das sei mir egal. Nichtsdestotrotz habe ich deswegen keine schlechte Laune, ich bin da recht gefestigt und ich weiss, dass nicht nur der Fussball zählt im Leben. Ich weiss aber auch, dass jetzt die heisse Phase beginnt mit der Champions League und den englischen Wochen. Wir werden viele Spiele bestreiten müssen. Ich bin überzeugt, dass es alle brauchen wird.

Nach sechs Runden hatten Sie in der vergangenen Saison drei ganze Matches und zwei Teileinsätze in den Beinen. Aktuell sind es in der Liga sechs Minuten Spielzeit gegen Sion.

Sehen Sie, ich trainiere, ich mache meinen Job, ich bin parat, wenn es mich braucht. Und – das sind jetzt keine Abschiedsgedanken oder so – ich hatte eine wunderbare Karriere bislang. Das wird sich nicht mehr grossartig verändern, auch wenn ich jetzt noch 100 Spiele mehr mache für den FCB. Das ist dann einfach eine Zahl. Ich glaube, seit ich hier bin, habe ich gezeigt, dass ich auf dem Niveau spielen kann. Und ich habe auch meinen Teil zu den Erfolgen der letzen Jahre beigetragen. Darüber bin ich glücklich.

«Wenn ich jetzt noch 100 Spiele bestreite für den FCB, dann ist das einfach eine Zahl.»

Worin liegt die Stärke des neuen Spielsystems?

Ich würde das nicht auf ein einzelnes System reduzieren, in dieser Hinsicht sind wir variabel. Mit Urs Fischer spielten wir ein 4-2-3-1, das haben wir intus, das können wir. Wenn wir die neue Variante weiter perfektionieren – wobei das je nach Interpretation ein  3-4-1-2, ein 3-5-2 oder ein 3-4-3 sein kann –, dann wird das sicher auch eine Waffe sein. Diese Variabilität macht uns unberechenbarer. Ja, es funktioniert noch nicht alles perfekt, die Vorbereitung war kurz und wir sind noch im Umbruch. Aber man muss auch während eines Umbruchs Erfolg haben beim FC Basel.

Mit Wickys bevorzugtem System und einer Dreierabwehrkette fallen auf den Aussenbahnen zwei Positionen weg. Ihre zum Beispiel. 

Ja, so gesehen hätte ich mit einem 4-2-3-1 mit zwei Aussenverteidigern und zwei Flügeln vielleicht eher die Chance, eingewechselt zu werden. Aber wir haben auch unter Paulo Sousa sehr variabel gespielt, mit Dreier- oder Viererabwehrkette. Da hatte ich teilweise die Position des rechten Aussenverteidigers und des rechten Flügels, je nach Spielsituation. Ich bin vielseitig einsetzbar. Dem System will ich die Situation also sicher nicht anlasten.

Manche monieren, dem FCB fehle nach Delgados Abgang ein Leadertyp. Was ist das eigentlich, ein Leadertyp?

Das ist ein sehr dehnbarer und vielseitig interpretierbarer Begriff. Es gibt den stillen Leader, der die entscheidenden Aktionen provoziert, Tore schiesst, Assists gibt. Dann gibt es den Leader, der nie scort, aber immer gut steht, der defensiv für Stabilität sorgt, Lücken schliesst und mal die Grätsche auspackt, wenn es notwendig ist. Einer, der mal ein Zeichen setzt und viel redet. Das Anforderungsprofil lautet nicht XY, sondern das geht von A bis Z (Davide Callà fasst sich an die Wade, ein kleiner Krampf.) Das Training war doch noch intensiv heute. Aber es geht schon wieder.

«Ich bin kein Zauberfuss, aber ich bin einer mit einer positiven Mentalität.»

Wo zwischen A und Z stehen Sie in der Leadertypologie?

Ich bin sicher ein kommunikativer Leadertyp. Einer, der hilfsbereit ist, der null Probleme hat, sein Ego in den Hintergrund zu stellen, einer der alles gibt. Ich bin kein Delgado, der die Zauberpässe spielt, aber ich bin einer mit einer positiven Mentalität.

Über Walter Samuel hiess es zuletzt: Der ist vor allem für die Kabine ein wertvoller Mann. Würden Sie sich mit dieser Rolle zufrieden geben: Davide Callà – einer für die Kabine?

Noch mal: Ich will spielen. Aber ich bin durchaus auch einer für die Kabine, fragen Sie mal herum. Ohne mich würde es huere langweilig werden in der Kabine. Da würden keine Sprüche mehr fallen und da wäre keiner mehr, der provoziert und zündet. Ich glaube schon, dass mich die Jungs vermissen würden, wenn ich nicht mehr da wäre.

Auf dem Balkon über dem Barfi sind Sie auch schon als Leader aufgefallen. Bereiten Sie so etwas vor?

Nein, das hat sich einfach so ergeben. Wir waren endlich auf dem Balkon und dann hat niemand die Initiative ergriffen, wir standen da wie bestellt und nicht abgeholt. Dann habe ich halt entschieden: Hey, jetzt muss was gehen. Und seither mache ich das eben, aber diesen Lead gebe ich gerne wieder ab, wenn jemand die Rolle übernehmen will.

«Diese Rolle gebe ich gern wieder ab»: Davide Callà (rechts) mit Mikrofon auf dem Balkon des Stadtcasinos.

Die Fans fanden es gut. Kriegen Sie eigentlich auch Support, wenn Sie wenig spielen wie jetzt? Gibt es so was wie Fanpost überhaupt noch?

Das gibt es schon noch. Ich bekomme immer wieder mal einen Brief oder eine E-Mail, und das freut mich. Ich merke, dass ich bei den Fans sehr akzeptiert bin.

Für «Telebasel» haben Sie während einer Meisterfeier Manuel Akanji interviewt. Das war eigentlich eine Parodie auf die Sportjournalisten oder?

Ich mache tatsächlich gerne Leute nach und ich kann das auch nicht schlecht. Trotzdem habe ich den allergrössten Respekt vor allen, auch vor den Medienleuten. Falls es mich nach dem Ende meiner Fussball-Karriere mal braucht, könnt ihr mich anrufen.

«Natürlich nervt es die Spieler und Trainer, unangenehme Fragen zu beantworten, aber das ist Part of the Job.»

In der Interview-Zone würden Sie dann auf der anderen Seite stehen. Gehen Ihnen die immergleichen Fragen manchmal auf die Nerven?

Nein, das gehört einfach dazu. Manchmal würde ich mir vielleicht mehr Mut wünschen, die Medien dürfen gerne etwas kritischer sein. Das ist kein Problem, im Fall.

Bitte was?

Ich verfolge viele Sportsendungen aus Italien oder aus der Bundesliga. Was sich die Journlisten dort getrauen – nicht erlauben, sondern getrauen ist das richtige Wort –, das finde ich interessant. So lange der nötige Respekt da ist und die Kritik auf die Sache zielt – dann finde ich das spannender. Natürlich nervt es die Spieler und Trainer, unangenehme Fragen zu beantworten, aber das ist Part of the Job. Man lässt sich ja auch feiern, wenn es gut läuft.

Sind die Sportjournalisten in Basel zu zahm?

Das habe ich nicht gesagt. Vielleicht ist das auch nicht einfach, weil man als Journalist das Gefühl hat, wenn ich einem zu sehr auf die Füsse stehe, dann gibt der mir beim nächsten mal kein Interview mehr. Aber ehrlich gesagt: Das wäre ja Kindergarten.

Haben Sie eine festgeschriebene Anzahl Einsätze im Vertrag?

Nein. Sonst müsste ich das Raphael Wicky vielleicht mal sagen (lacht). Nein, ich habe meinen Lohn und die Boni und Prämien, mehr nicht.

Warum tragen Sie die Nummer 39?

Bei Aarau hatte ich die 33, aber die war in Basel durch Elneny besetzt. Ich finde die 3 einfach eine tolle Zahl und dachte mir, dann nehme ich halt die 39. Die ist schwungvoll, ein bisschen wie mein Nachnahme mit dem C und den beiden AAs und LLs. Das passt doch.

Sie werden Anfang Oktober 34. Wie denken Sie über die Zukunft?

Stand jetzt würd ich gerne im Fussball bleiben. Trainer oder so, das würde mir gefallen. Ich habe eine fantastische Familie, das zählt vor allem im Leben. Alles andere ist auch schön, im Old Trafford spielen zum Beispiel, das wäre sicher toll.

«Meine Zeit wird kommen.» Davide Callà bleibt zuversichtlich. 

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