«Die Punk-Kasper zu geben – davor grauste es mir immer»

Am 1. August spielen Tocotronic auf dem Kulturfloss. Sänger Dirk von Lowtzow erzählt im Gespräch von seiner innigen Beziehung zu Basel und blickt zurück in der Bandgeschichte.

Dirk von Lowtzow in Aktion. (Bild: Keystone)

Am 1. August spielen Tocotronic auf dem Kulturfloss. Sänger Dirk von Lowtzow erzählt im Gespräch von seiner innigen Beziehung zu Basel und blickt zurück in der Bandgeschichte.

Tocotronic spielen am 1. August auf dem Kulturfloss in Basel. Vor Jahren haben Sie auf der Bühne in der Kaserne gemeint, Basel wäre die Schweizer Stadt, in der ihr am meisten spielen würdet.

Ja, uns wurde gesagt, dass die Konzerte auf dem Rhein immer ganz angenehm wären. Daher freuen wir uns sehr darauf. Ich ganz besonders, denn ich pflege ja eine innige Beziehung zu Basel.

Konzert
Tocotronic im Fluss, Do, 1. August, 20.30 Uhr.

Wie kommt das?

Ich bin in Offenburg aufgewachsen, das liegt relativ nahe bei Basel. So kam ich mit 19, 20 oft hierher. Wir besuchten viele Konzerte in der Kaserne, aber auch im Keller des Hirscheneck. Dort habe ich übrigens mein erstes eigenes Konzert im Ausland gespielt, mit meiner damaligen Schülerband.

Euer Konzert findet am 1. August statt – dem Schweizer Nationalfeiertag.

Ja, dass der 1. August der Nationalfeiertag ist, weiss ich allerdings erst, als mir das ein Freund, der in der Schweiz lebt, letztens gesagt hat. Und klar – bei einer Band, die sich so anti-nationalistisch positioniert wie wir das tun, erkenne ich die gewisse Ironie in der Sache, dass wir genau an diesem Tag draussen und umsonst spielen. Beim deutschen Nationalfeiertag, oder dem Tag der Deutschen Einheit würden wir natürlich keinesfalls spielen. Wir traten ja auch immer wieder bei entsprechenden Gegenveranstaltungen auf.

«Mit fortschreitendem Alter haben wir uns intuitiv abgewendet vom dem Singen über persönliche Bewegungen.»

Man kann sagen, dass Tocotronic im Verlauf der gut 20-jährigen Bandgeschichte textlich eine immer stärkere politische Positionierung eingenommen haben.

Das ist richtig so. Wir haben uns aber im Grundsatz nicht verändert. Hinter unserem Schaffen gab es immer ideologische Züge. Auf den ersten Alben in den 90er Jahren waren wir einfach sehr jung, Anfang 20. Das ist ein sehr inspirierendes Alter; man blickt mit einem Auge zurück auf das Elternhaus, die Schule, und erkennt, wie man sozialisiert wurde. Es zeigen sich allmählich die daraus entstandenen Zwänge. Das hat uns bis «K.O.O.K.» künstlerisch beschäftigt und wir haben dies relativ direkt und mit einer grossen Portion Wut musikalisch kundgetan. Mit fortschreitendem Alter haben wir uns intuitiv abgewendet vom dem Singen über persönliche Bewegungen. Heute ist die Wut zwar noch die gleiche, jedoch sehr viel zielgerichteter. Die letzten drei, vier Alben die wir gemacht haben, sind viel politischer. Das Feindbild hat sich eben verändert.

Worauf zielt ihr?

Wenn wir von den Texten sprechen wollen, bilden sie in der Summe ein Gegenmodell zu einem herkömmlichen weiss-männlich-heterosexuellen Weltbild und zum Neoliberalismus. Zu unseren Anfängen gab es in der Gesellschaft diese Authentizitäts-Gehirnwäsche nicht. Mitte der 80er-, Anfang der 90er-Jahre herrschte in Deutschland noch die soziale Marktwirtschaft. Danach kamen mit der neoliberalen Ideologie diese Strömungen, in denen Arbeit Spass machen sollte, man jederzeit verfügbar sein müsste und die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit völlig aufgehoben wurde. Das Gefühl, dass man ja nur sich selber sein müsse, und dass dann alles gut kommen würde, geht ja analog zusammen mit der Vermarktung des eigenen Selbsts – dass man sich mit Haut und Haaren zu Markte trägt. Dagegen muss man ankämpfen. Doch wir ernten auch viel Kritik mit dieser Ideologie; bei manchen stossen wir gar auf totales Unverständnis. Wohl deshalb, weil Teil dieser gefährlichen Ideologie ist, dass die Leute gar nicht merken, dass das, was sie für authentisch halten, eben gerade der Feind ist, gegen den man ankämpfen sollte.

Zeugt davon neben der textlichen auch die allgemein ästhetische, stilistische Weiterentwicklung eurer Band?

Das mag sein. Wir entwickelten den Hang weg vom Gradlinigen, hin zum Verschwurbelten, Effeminierten. Allgemein veränderten wir uns insofern, dass die Musik mehr Raum erhielt und die Texte sich auch besser mit ihr verwoben. Ich mag es nicht, wenn die Musik ein blosses Vehikel darstellt, das nur den Text zu tragen hat. Es ging mir beim Schreiben der Texte auch immer stärker darum, dass Worte nicht nur eine Botschaft tragen, sondern in der Art, wie sie komponiert sind, etwas freisetzen beim Hörer.

«Wir entwickelten den Hang weg vom Gradlinigen, hin zum Verschwurbelten, Effeminierten.»

Ich habe schon kritische Stimmen gehört, die meinen, dass genau dieser Hang zum Künstlichen affektiert wirke.

Affektiert – ich weiss nicht genau. Man muss das, was wir machen, natürlich nicht mögen. Es kann sein, dass gewisse Leute, die uns von Anfang an gehört haben, unsere Entwicklung nicht hinnehmen, weil das teilweise Kryptische, ästhetisch Extravagante in den Texten eine gewisse Angst auslöst – weil man nicht auf anhin erfassen und einordnen kann. Muss man ja aber auch nicht! Und ja – würden wir noch das gleiche machen wie zu unseren Anfängen, wären wir heute nichts anderes als unser eigenes Plagiat. Die Punk-Kasper. Davor grauste es mir immer. Und die Kritiker, die uns nun affektiert oder elitär finden, hätten auch dann keine Freude, wenn wir heute einfach die Berufs-Trainingsjackenträger wären, wie die Toten Hosen beispielsweise die Berufs-Punks sind.

Sind Abgrenzung und Gegenentwurf Antrieb des tocotronischen Schaffens?

Bezogen auf die Zeit unserer «Veränderung», über die wir soeben gesprochen haben, schon. Das mag nun etwas vermessen klingen, aber damals in den späten 90er Jahren kamen einige deutsche Bands auf, etwa die Sportfreunde Stiller, die unseren Stil auf eine Weise imitiert, verflacht und in einen grösseren kommerziellen Kontext eingebettet hatten. Was bei uns aus totaler Obskurität geboren wurde, gespickt war mit Privat-Witzen und einer guten Portion Teenager-Schmäh, institutionalisierten solche Gruppen später zu einem bübischen Spassrock-Ding. Das führte dazu, dass wir uns einfach abgrenzen mussten.

«Man sollte eben aufpassen, dass man sich immer wieder selber überrascht.»

Das klingt auch nach Strategien, wie man als Band überleben kann.

Klar. Wir überlegen uns immer, bevor wir neue Sachen aufnehmen, wie wir das genau machen wollen, damit wir uns nicht wiederholen. Wir wollen uns nicht langweilen, deshalb legen wir uns jedes Mal ein paar neue Steine in den Weg. Unser neues Album «Wie wir leben wollen» haben wir mit einem 4-Spur-Aufnahmegerät im Studio mit dem Produzent und Freund Moses Schneider live aufgenommen, was eine sehr genaue Planung im Voraus erforderte. Dieses minimale Setting beschränkte uns in den technischen und postproduktiven Möglichkeiten sehr und wir mussten uns aufs Wesentliche konzentrieren.

In der Rockmusik-Welt gibt es Gruppen, die vor Jahrzehnten als «Avantgarde» galten und heute noch immer mit ihrem alten Material durch die Gegend touren. Haben Sie als Musiker Angst vor dem «Ende», oder dem Moment, bei dem sich der Aspekt der Nostalgie einschleicht?

Vor dem Altern habe ich per se keine Angst, das habe ich eigentlich immer als interessant empfunden. Respekt vor der Situation, die auch entsteht, wenn etwa Deep Purple heute Konzerte geben, hat man natürlich, gerade wenn es deine eigene Band seit 20 Jahren gibt. Rockmusik hat immer auch mit Aktualität zu tun. Aber ich mach mir da keine grossen Sorgen. Man sollte eben aufpassen, dass man sich immer wieder selber überrascht, die Zuhörer überrascht, und auch immer noch ein bisschen was zu sagen hat.

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