Am Freitag erscheint das neue Album der Lovebugs – nichts Aussergewöhnliches bei den «Elder Statesmen» der Basler Pop-Szene. Doch ihr 13. Album wäre fast als das unveröffentlichte Requiem in die Bandgeschichte eingegangen. Sänger Adrian Sieber und Gitarrist Thomas Rechberger erzählen offen von Querelen, Studio-Elend und stürmischen Wassern, die sie meistern mussten, bis die Lovebugs wieder Boden unter den Füssen hatten.
Die Lovebugs zogen nach Berlin ins Studio, doch lange hörte man von ihrer Arbeit keinen Ton. Dafür kamen einem immer wieder Gerüchte über den Zustand oder das Verschwinden von Basels erfolgreichster Pop-Band zu Ohren. Am Freitag, 7. Oktober, erscheinen nun die neuen Songs. Was die Gerüchte angeht, klären Sänger Adrian Sieber und Gitarrist Thomas Rechberger schon jetzt auf.
Ihr Album heisst «Land Ho!» – also Land in Sicht. Das klingt sehr bedeutungsschwanger, wenn – wie man hörte – die Band in einer Krise steckte.
Thomas Rechberger: Der Titel passt zur Entstehungsgeschichte. Ein Album reflektiert ja immer den Stand der Band. Kurz: Wir können eigentlich sehr froh sein, haben wir nun dieses Album.
Die Musik klingt aber nicht nach Krise, sondern sehr beschwingt.
Adrian Sieber: Die Krise kam und ging in Etappen. Aber wir haben nun so viel über die Krise geredet …
Nicht wirklich. Also was war da genau: fünf Männer in der Midlife Crisis?
Sieber: Ein Album ist jedesmal ein Prüfstein, für jede Band. Es geht um die Essenz, um die Musik. Stösst man da nicht an die Grenzen, hat man es nicht richtig gemacht.
Also sind Krisen gut, um kreativ zu werden?
Sieber: Man wünscht sich, es ginge ohne. Aber für Tiefgang muss man sich reiben. Schliesslich müssen wir zu fünft dann hinstehen und ein Leben lang mit dem Album leben. Darum gehen keine halben Sachen. Wir machen es nicht zum ersten Mal und haben schon die Erfahrung gemacht, was nicht geht.
In diesem Fall war das Studio in Berlin das Problem?
Sieber: Der erste Dämpfer kam schon davor. Ich musste realisieren, dass die Band nicht mehr dieselbe ist. Wir sind nicht mehr 18. Ich musste akzeptieren, dass man nicht mehr selbstverständlich 24 Stunden Zeit für die Musik hat. Man hat andere Interessen, hat Familie, Nachwuchs, der noch nicht selbstständig ist.
Ihr eigener Nachwuchs ist ja schon älter, die anderen in der Band sind da frischere Väter.
Rechberger: Bei mir sind es nun auch schon vier Jahre. Aber ja, bei der letzten Albumproduktion war ich noch nicht Vater.
Sieber: So lange nur einer frisch Vater wurde, war es kein Problem. Aber alle auf einmal … (lacht).
Rechberger: Früher war klar: Wir sehen uns viermal die Woche. Wir sind eine Band, das ist unser Beruf, unser Leben. Vor diesen Albumaufnahmen zückten erst mal alle ihre Agenda und merkten: Wir können froh sein, zwischendurch einen gemeinsamen Termin zu finden. Auch musikalisch lief es anders. Wenn du viermal die Woche spielst, kann man neues Songmaterial in die Kutsche werfen und es passiert was. Man merkt schnell: Das ist geil, das nicht. Macht man Musik wie eine Hobbyband, klingt es auch danach. Man kommt schwerer voran. Fragt sich dauernd: Groovt die Gitarre nun wirklich?
Mit Ihrer Routine kann man doch kaum auf Schülerband-Niveau fallen?
Rechberger: Wir machen das schon wahnsinnig lange und sind saumässig eingespielt. Über 20 Jahre mit mehr oder weniger denselben Leuten – da entsteht eine Art Magie. Doch machst du es nicht regelmässig, geht diese Magie verloren. Der Funke springt nicht – das Gefühl ist frustrierend.
Nun ist das Album hier: Wie haben Sie sich dennoch gefunden?
Sieber: Der eine wichtige Entscheid war, das Album anders anzugehen.
Und das wäre wie?
Sieber: Früher hatten wir die Tendenz, jede einzelne Note detailliert zu besprechen und zu proben, bevor wir den Schritt ins Studio wagten. Diesmal haben wir die Songs einfach mal angespielt und sind direkt ins Studio gegangen.
Sie haben einfach Ihren Arbeitsprozess umgekehrt.
Sieber: Das war bei vielen Songs ein Glücksfall. Vor allem, da das Funkhaus in Berlin mit seiner Geschichte eine sehr inspirierende Räumlichkeit ist. Leider hat das nicht bei allen Songs funktioniert. Das war der zweite Tiefpunkt.
Rechberger: Da beschliesst man neue Wege zu gehen, zieht erst eine Woche in die Berge, um intensiv Musik zu machen und danach mit der Überzeugung nach Berlin: Wir können das! Dann war es sehr unbefriedigend, ein demotivierendes Elend.
Sieber: Der Gesamtsound war unbefriedigend, vier Songs komplett unbrauchbar – das Geld ist aber aufgebraucht. Da wurde es sogar existenziell. Können wir den Proberaum noch zahlen? Thomi hatte sich zum Glück bereit erklärt, für die neuen Songs federführend zu sein, und wir haben die Songs ausgewechselt, die nicht passten.
Die wurden dann bei Ihnen in den Alterna Recording Studios aufgenommen?
Rechberger: Genau. Und die restlichen Songs haben wir überarbeitet. In Berlin kam Nico Schmid mit, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Als wir Szenen daraus gesehen haben, merkten wir, dass viele Songs gar nicht so schlecht klangen. Im Film hört man ja die Originalsounds aus der Regie. Also forderten wir die ungemischten, rohen Tonspuren und kontrollierten nochmals: Wie klingt das unbearbeitet und warum hat es uns nachher nicht mehr gefallen?
Was ist das eigentlich für ein Dok-Film von Nico Schmid?
Rechberger: Den gibt es eigentlich gar nicht. Bisher wurden aus dem Material einfach die Teaser-Clips zum Album geschnitten. Was mit dem restlichen Material passiert, ist noch unklar. Das muss Nico machen. Es ist sein Film.
Bandkrise in Berlin – klingt nach dem «Some Kind of Monster» von den Lovebugs?
Rechberger: Einfach ohne den Psychiater (lacht). Die Metallica-Doku wurde meines Wissens über zwei Jahre gedreht und der Film ist das 60-minütige Destillat. Berlin war zwei Wochen mit Interviews und Studioszenen.
Jeder von Ihnen hat mittlerweile einen Job, ist nicht mehr allein von der Musik abhängig. War die Krise der Umdenkprozess, um sich als Band in der neuen Familien- und Jobsituation wiederzufinden?
Sieber: Ja, es brauchte einfach Zeit, dies zu akzeptieren und das Positive darin zu sehen und zu nutzen. Alles, was neben der Band läuft, befruchtet diese ja. Ich finde, wir stecken in einer sehr privilegierten Situation. Ganz abgesehen von der Familie: Eine Band zu haben und mit ihr unterwegs zu sein, bereichert mein Leben. Die Erfahrungen und Eindrücke möchte ich niemals missen. Ich fand es mit 18 Jahren genial und finde es heute noch dasselbe umwerfende Gefühl. Das muss nicht mehr ein halbes Jahr am Stück sein, punktuell aber unbedingt.
Wenn die Kohle für den Proberaum fehlt, dann ist es mit Kindern daheim wohl härter. Fühlt man diese finanzielle Verpflichtung beim Musizieren?
Sieber: Ganz klar. Wobei ich in Berlin schon einen befreiten Moment hatte. Nach zehn Jahren mit «Gadget» ist das unser erstes Album ohne Plattenfirma. Ich fand es genial zu wissen: Wir haben noch soundsoviel auf dem Konto, können darüber frei von der Leber entscheiden und sind nur uns Rechenschaft schuldig. Das fand ich extrem motivierend.
Die Freiheit, allein zu bestimmen, bedeutet aber auch mehr Verantwortung.
Sieber: Ja, so kannst du keinem mehr die Schuld zuschieben (lacht). Das ist eigentlich das Schlimmste daran: Man hat keinen Sündenbock mehr. Aber das ist ja auch richtig.
Ist das Album nun der erfolgreiche Abschluss Ihrer Selbstfindung?
Rechberger: Voll. Persönlich fand ich am wichtigsten, als wir eigentlich am Ziel waren: gemasterte CD, Cover, alles bereit zum Druck – dann merkten wir aber, das Ding ist noch nicht fertig und haben uns nochmals zusammengerauft. Das hat uns als Band gut getan, gemeinsam zu entscheiden: Nein, das wollen wir anders, besser und zwar so und so – ganz allein wie wir wollen.
Das wäre mit einer Plattenfirma nicht möglich gewesen?
Sieber: Da hätte es wahrscheinlich geheissen: das Budget ist aufgebraucht – was wollt ihr jetzt noch?
Rechberger: Und die erste Single muss morgen ins Radio.
Sieber: Aber als Band geht es uns nur um die Sache: um die Musik und die Leidenschaft – ohne die hätten wir schon lange aufgehört. Wie sollten wir etwas rausbringen, wovon wir nicht überzeugt sind?
Das geht ans künstlerische Ego.
Sieber: Ja, logisch. Stell dir vor, du bist eine Band, die hat einen Song, den nur einer von der Plattenfirma gut findet. Trotzdem wird das die Single – und sie floppt. Dann bist du verloren! Dann hast du alles verspielt. Lieber etwas rausbringen, das wir alle genial finden. Floppt es dann, ist es egal, weil wir als Band stolz darauf sind.
Das Gespür für den passenden Single-Song haben Sie über die Jahre entwickeln können. Hilft die Erfahrung auch beim Schreiben der Songs?
Sieber: Alles Wissen, alle Erfahrung nützt dir beim Songschreiben nicht viel. Da geht es darum, den Moment zu spüren.
Rechberger: Wir haben vor «Land Ho!» zwar zwölf Alben gemacht, aber nie die allgemein gültige Garantieformel für einen guten Song gefunden. Wir machen auch keine Genremusik, wo man weiss, welche Bausteine es braucht, und wo klar ist: So klingt das Schlagzeug, so die Gitarre. Bei uns kommt es auf den Mood des Songs an. Und das macht es jedesmal zu einer Suche.
Sieber: Das liegt wohl auch am Charakter. Zweimal dasselbe zu machen, würde mich langweilen. Darum probieren wir immer etwas Neues. Die Band geht nach Berlin, oder man macht mal mehr Gitarre oder Stefan hat einen neuen Synthie, der grad oft passt.
Die Tastenklänge sind auf «Land Ho!» sehr präsent.
Sieber: Das sagen Sie. Da hört jeder etwas anderes. Vielleicht ist dies der Grund, dass es uns noch gibt. Vielleicht ist es der Grund, warum wir nicht so berühmt sind wie … äh … egal.
Viele Schweizer Musik-Grössen mokieren sich gerade über die Pop-Förderpreise. Sie haben bis auf den Sprungbrett-Wettbewerb als Karrierestart und etwas an das Lovebugs-Buch nie Förderung erhalten, oder?
Sieber: Ich glaube, einmal haben wir noch 3000 Franken bekommen. Ich weiss aber nicht mehr wofür.
Gerade wenn man selbst existenziell knapp dran war: Was löst es aus, wenn man hört, jemand anderes hat 100’000 Franken erhalten?
Sieber: Wir haben uns wohl einfach nie genug um Förderung bemüht. Aber ich vertrete fest überzeugt die Meinung, dass Kultur gefördert werden muss. Viel Geniales entsteht nur im Freiraum, der durch finanzielle Förderung entsteht. Die Diskussionen um solche Preise sind ja meist polemisch. Viele wollen sich mit ihrer Meinung nur selber wieder irgendwo positionieren. Da habe ich kein Bedürfnis mitzumischen.
Sich politisch zu äussern, passt für Sie nicht zur Band?
Sieber: Ich äussere mich sehr stark zu politischen Themen. Das ist momentan auch wichtig.
Wozu denn?
Sieber: Flüchtlings- oder Bildungsfragen.
Aber eher privat als mit der Band?
Sieber: Ja.
Bislang sind mit dem Album nur Schweizer Konzerte gebucht. Sie waren schon in Asien unterwegs: Gibt es nochmals einen Anlauf, im Ausland Fuss zu fassen?
Sieber: Ich hoffe es. Wenn es passt, gehen wir auf jeden Fall. Mir schreiben wöchentlich Leute von irgendwo, ob wir wieder kommen.
Die asiatischen Fans kommentieren auch munter auf Ihrer Facebookseite.
Rechberger: Und es ist immer lustig, dies via Google zu übersetzen.
Der Fankontakt scheint Ihnen eh wichtig. Auf Ihren Fotos bei Facebook sind Sie mit persönlichem Profil markiert. Kommen da nicht dauernd Anfragen?
Sieber: Doch, aber das gehört dazu. Ausserdem sind auch die Fans meist mitgewachsen und keine 18 mehr. Die Zeiten sind vorbei, wo du nach Hause kommst und dort seit einem halben Tag Mädchen auf dich warten – und das finde ich so gar nicht so schlecht.
Aber es kann kaum Ihr Anspruch sein, mit dem neuen Album nur die alten Fans zu erfreuen?
Sieber: Das können wir nicht beeinflussen. Wir können nur ein Album machen, das uns zu 100 Prozent gefällt. Wen wir damit erreichen, wird sich zeigen. Aber ich denke, unsere Musik könnte recht vielen gefallen, die uns noch nicht gehört haben.
Zum Beispiel Ihren Kindern?
Rechberger: Also meine Kleine findet «Land Ho!» super.
Und wenn sie zwanzig wird, stehen Sie dann noch auf der Bühne?
Sieber: Das ist sicher das Ziel. Wir müssen einfach immer wieder eine Form finden, die uns passt.
Auch die Szene hat sich gewandelt. Vor zehn Jahren gab es neben Ihnen kaum andere grosse Bands in Basel. Nun spielen viele Musiker von hier international.
Sieber: Das finde ich unglaublich wichtig. Ich dachte schon früher: Da hat es doch mehr Bands, die Potenzial haben. Dass dies heute klappt, spricht dafür, dass auch das Umfeld gewachsen ist. Das gehört genauso zu einer gesunden Szene, die international etwas erreichen kann. Vor 20 Jahren hoffte man als Band auf einen Deal mit einer Plattenfirma. Hat das nach einem halben Jahr nicht geklappt, hat man sich aufgelöst. Heute glitzert die Welt der grossen Labels nicht mehr so verlockend, dafür blühen viele kleine auf.
Was bekommen Sie als «alte Überband» Basels für ein Feedback von der Szene?
Rechberger: Ich spüre vor allem Respekt für eine Band, die das seit zwanzig Jahren macht. Ich sehe das ja bei jungen Bands, die zu mir ins Studio kommen. Die realisieren dann erst, was es heisst über lange Zeit Musik zu machen. Mit 18 wollen sie alle von der Musik leben und alles für sie geben. Die Welt verändern, weil alle ausser ihnen scheisse sind. Doch kaum ist ihr Debüt draussen, brechen sie auseinander, weil einer auf Weltreise geht, das Studium beginnt, es lockt eine Stelle oder eine Freundin – alles ist plötzlich wichtiger als die Band. Die erste kleine Hürde im Leben und Schluss ist mit Musik. Ich fand das immer schade, gerade weil viele talentierte Leute dabei waren. Doch seit ein paar Jahren sind die Leute engagierter, professioneller und durchdachter. Früher entstanden alle Bandfotos entweder auf den Gleisen im Hafen oder auf dem NT-Areal. Heute weiss man, wie man auftreten will, und was alles nebst der Musik stimmen muss. Deshalb sind die Bands langlebiger als vor zehn Jahren.
Sie hätten mit dem filmenden Schlagzeuger Simon Ramseier, Ihrem Studio und den Beziehungen Ihrer langen Karriere eigentlich die besten Voraussetzungen für ein eigenes Label.
Rechberger: Wir haben uns ernsthaft überlegt, ein eigenes Label zu gründen. Ich hatte mit Anker Platten ja schon ein Label. Das Know-how ist das eine, es gut zu machen das andere. Wer telefoniert am Ende alles ab? Wir sind glücklich, nun bei Sony zu sein und fokussieren uns lieber auf die Musik.
Sieber: Dennoch machen wir heute selbstverständlich mehr selber als früher.
Bei der BScene im April war bei Ihnen vor dem Konzert eine Mischung von Nervosität und Freude zu spüren. Wie ist die Gemütslage nun auf die Plattentaufe im November hin?
Sieber: Vor der BScene hatten wir fast zwei Jahre nicht mehr gespielt. Da hatten wir relativ spontan zugesagt und plötzlich stand das Datum da. Da kam schon Nervosität auf. Nun proben wir schon länger und freuen uns auf die Konzerte mit dem neuen Album. Die Bühne ist für mich wie das Dessert zum Abschluss dieses Album-Projekts. Klar wird Basel auch wieder speziell, wenn man den Leuten hier die neuen Songs präsentiert. Wie kommen sie wohl an?
Nimmt man allfällige schlechte Reaktionen nach über zwanzig Jahren gelassener?
Sieber: Vor den Reaktionen kannst du dich nie schützen. Dazu kommt mein eigener Anspruch: Ich will auf die Bühne steigen und mein Bestes geben. Ich kann schlecht von zwanzig Jahren Erfahrung, Bandmagie und was weiss ich erzählen und dann bringen wir es nicht. Dann hätten wir voll verloren. Ich will einfach eine fucking geile Band sein. Darum geht es, und dafür geb ich alles.
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