«Ein bisschen zündeln macht mir Spass»

Der scheidende Operndirektor Dietmar Schwarz über seine Zeit in Basel, Gewalt an der Oper – und das harte Theaterpflaster Berlins.

Dietmar Schwarz ist seit 2006 Operndirektor am Theater Basel. Ab Saison 2012/13 wird er die Intendanz der Deutschen Oper Berlin übernehmen. (Bild: Michael Würtenberg)

Der scheidende Operndirektor Dietmar Schwarz über seine Zeit in Basel, Gewalt an der Oper – und das harte Theaterpflaster Berlins.

Seit der Saison 2006/2007 leitet Dietmar Schwarz die Opernsparte des Theaters Basel. Wann immer man in diesen Jahren eine Oper besuchte, ­bestand eine reelle Chance, Herrn Schwarz irgendwo im Foyer zu sichten. Sein Engagement für «das Haus», wie er das Theater gerne nennt, war grenzenlos, seine Begeisterung für alle, die ihm begegneten, ansteckend. Und er hat den Ruf des Theaters Basel weit über die Grenzen hinaus erschallen lassen. Zweimal in seiner Amtszeit wurde Basel von der internationalen Kritikergemeinschaft zum «Opernhaus des Jahres» erkoren. Kein Wunder, wurden andere Opernhäuser auf ihn aufmerksam. Nun übernimmt er die Leitung des zweitgrössten Opernhauses in Deutschland, der Deutschen Oper Berlin.

Herr Schwarz, derzeit wird auf der Grossen Bühne Ihre letzte Produktion in Basel gegeben – die Händel-Oper «Ariodante».

Ich finde es spannend, dass wir auch in meiner letzten Produktion mit etwas Neuem aufwarten: mit dem Regisseur Stefan Pucher, der bisher noch nie Musiktheater gemacht hat. Das ist zwar wegen meiner derzeitigen Zweigleisigkeit zwischen Basel und Berlin arbeitstechnisch nicht eben günstig, aber es ist das, was mich am Musiktheater reizt. Aber es zeigt zugleich auch Kontinuität, indem sich «Ariodante» in unserer Serie von älterer Musik einfügt, die wir jeweils zusammen mit dem Barockorchester La Cetra Basel unter der Leitung von Andrea Marcon produziert haben.

Wie schwer fällt Ihnen ganz persönlich der Abschied von Basel?

Ich habe mich seit zweieinhalb Jahren an den Gedanken gewöhnen können, dass ich Basel verlassen werde. Trotzdem fällt es mir jetzt schwer. Gestern Abend war ich von einem theater­be­geisterten Arzt auf der St.-Alban-Fähre zum Spargelessen eingeladen – auch ein Abschied. Ich bin gerührt über die Zuneigung, die ich da spüre. Andererseits: Als Theaterschaffender muss man zuweilen den Ort wechseln.

Wie lange sollte man vernünftigerweise an einem Ort ausharren, um überhaupt etwas zu bewegen?

Für einen Intendanten sind zehn Jahre wohl angemessen. In meiner Posi­tion sind sechs Jahre akzeptabel, es könnten auch acht sein. In dieser Zeit kann man für das Theater in einer Stadt viel tun. Wenn man erfolgreich ist, besteht aber die Gefahr, dass man sich auf den Lorbeeren auszuruhen beginnt. Auch für die Stadt ist der Wechsel wichtig. Die Programmierung sollte sich nach sechs bis acht Jahren verändern.

Können Sie sich an Ihren ersten Tag in Basel erinnern?

An den ersten Tag nicht, aber an meine erste Pressekonferenz. Da kam ich nach anderthalb Jahren Vorarbeit, um meine Pläne zu präsentieren. Das tut man liebevoll, man gibt etwas von sich selber her. Die Reaktionen in der Zeitung am nächsten Tag waren für mich erschreckend.

Das waren sie jetzt in Berlin aber auch. «Kein Trumpf zum Auftakt» lautete eine Schlagzeile.

Auch in Basel wurde mir hauptsächlich vorgehalten, was alles in meinem Programm fehle. Diese Erfahrung ­hat mir nun in Berlin ziemlich geholfen. Es ist gar nicht so schlecht, wenn man am Anfang ein wenig unterschätzt wird.

In Berlin gibts drei Opernhäuser, die finanzielle Lage der Stadt ist angespannt. Warum tun Sie sich das an?

Weil es eine spannende Herausforderung ist. Karrieretechnisch ist es ein Sprung nach oben, auch wenn mich das nie besonders interessiert hat. Berlin hat sich just in der Zeit ergeben, als wir in Basel gerade ganz oben waren, als «Opernhaus des Jahres». ­Natürlich kann ich die Programmatik von Basel nicht in Berlin einfach fortsetzen. Das ist eine riesige Heraus­forderung, immerhin handelt es sich bei der Deutschen Oper Berlin um das zweitgrösste Opernhaus Deutschlands. Die Positionierung ist schwierig, zumal man in den letzten 20 Jahren sehr viel in die Entwicklung der Hauptstadt in Richtung Berlin Mitte investiert hat. Das ändert sich jetzt.

Können Sie die Häuser in Berlin und Basel jetzt schon vergleichen?

Ein Vergleich ist nicht leicht. Ich erlebe derzeit zwei Häuser mit ihren Vor- und Nachteilen zugleich. Zum Beispiel ist in Basel die Werkstatt viel stärker integriert als in Berlin. Dort hat die Zusammenlegung der Werkstätten in den Berliner Bühnenservice dazu geführt, dass der emotionale Bezug abgenommen hat; die Malerwerkstatt ist 13 Kilometer entfernt. Da kann man von den Mitarbeitern nicht verlangen, dass sie mal schnell nachschauen gehen, wie ihr Werk auf der Bühne aussieht. In Basel dauert das eine Minute.

Warum sind Sie 2006 überhaupt nach Basel gekommen? Basel war ja damals keine berühmte Opernstadt mehr. Das Schauspiel stand nach der Ära Michael Schindhelm/­Stefan Bachmann im Mittelpunkt.

Auch davor gab es Höhepunkte. Die gruppieren sich um Herbert Wernicke, besonders in der Kombination mit Albrecht Puhlmann. Nach dem Tod von Wernicke war es schwieriger. Meine Motivation war klar. Ich war damals in Mannheim Opernchef und bei drei mittelgrossen Stadttheatern als Intendant im Gespräch. In dieser Phase fragte mich der Basler Intendant Georges Delnon: Willst du Intendant werden, oder willst du mit mir Spass haben in Basel? Ich fand, dass ich in Basel – trotz der finanziellen Anspannung – von der Tradition des Hauses her bessere Möglichkeiten hatte, um Musiktheater in der Form zu machen, die ich mir vorstelle. Delnon kannte ich aus einer Zusammenarbeit in Frankfurt.

Und dann hatten Sie Ihren Spass. Das konventionelle Opernpublikum in Basel haben Sie jedenfalls mit Ihrer Programmation stark herausgefordert.

Das Basler Opernpublikum würde ich nicht als konventionell bezeichnen. Und schon gar nicht im Vergleich zu anderen Häusern.

Calixto Bieito als Regisseur von «Don Carlos» gleich in Ihrer ersten Saison in Basel, später auch Christoph Marthaler – das waren schon Provokationen. Haben Sie es bewusst darauf angelegt?

Ein bisschen zündeln macht mir manchmal Spass. Wichtiger ist aber, dass man immer ein Stück weiter geht. Wenn man dann mit dem richtigen Stück und den richtigen Interpreten eine Provokation bewirkt, ist das in Ordnung. Provokation um der Provokation willen finde ich aber falsch. Schon meine Vorgänger hatten ja so gewirkt, dass man das Basler Publikum nicht aufwecken muss. Jemand wie Bieito war für diese Stadt ein neuer Ansatz. Etliche Leute reagierten negativ, ohne die Produktion gesehen zu haben; das mobilisierte andere, die die Produktion toll gefunden hatten. Daraus entstand ein Gespräch über die Inhalte, die wir anbieten. Das ist das Beste, was einem Theater passieren kann. Bei Bieito habe ich immer die Emotionalität bewundert, die sich in seinen Arbeiten ausdrückt. Nach meiner ersten Bieito-Oper, der «Entführung aus dem Serail» an der Komischen Oper in Berlin, war ich so beeindruckt, dass ich die ersten zehn Minuten nach der Vorstellung nicht darüber reden konnte. Dass Musiktheater so etwas auslösen kann, finde ich grossartig.

Wie weit darf die Oper bei der ­Erforschung menschlicher ­Abgründe gehen?

Das ist eine schwierige Frage. Das ­Musiktheater sollte nur so weit gehen, wie es die Figuren des Stückes erlauben. Da gibt es für mich keine moralischen Grenzen. Solange es theatral ist. Wenn sich die Musik auf die Charaktere überträgt, kann man sogar weiter gehen, als es die Zuschauer goutieren. Die Erniedrigungen, die ja bei Bieito immer wieder ein Thema sind, aber auch in den Opern, ausgelöst durch die hierarchischen Verhältnisse – solche Erniedrigungen gibt es in unserer Welt in unvorstellbar extremer Weise; warum sollen wir das auf der Bühne verschweigen?

Wenn Sie auf Ihre sechs Saisons in Basel zurückschauen, auf welche Inszenierung sind Sie besonders stolz?

Das ist schwierig zu sagen. Da wir gerade über Bieito gesprochen haben: Ich bin stolz darauf, dass er nach dem «Don Carlos» noch fünf weitere Inszenierungen in Basel gemacht hat. Dass Künstler nicht nur einmal, sondern gerne wieder zu uns kommen. Bei Jan Bosse hat sich nach «Orfeo» und «La Calisto» keine dritte Möglichkeit mehr ergeben, weil er höchstens alle zwei Jahre eine Oper machen will. Aber dass man in diesem Bereich der alten Musik eine ganz neue Interpretation geschaffen hat, erfüllt mich mit Stolz.

Wie passen Tom Rysers Produk­tionen in Ihre Vorstellung von ­Musiktheater – von «Hair» über die «Sekretärinnen» bis «My Fair Lady»?

Tom Ryser war sehr wichtig für das Ankommen in der Stadt. Musicals sprechen andere Leute an als die Oper. Ob die Musical-Leute dann auch in die Oper gehen, weiss ich nicht. Das ist auch nicht entscheidend. Hauptsache, sie sind im Haus. Ausserdem haben wir mit Ryser auch Veranstaltungen im Partysektor gemacht; dafür ist so ein Haus mitten in der Stadt ideal. An der Party im Anschluss an «Hair» mischte sich das Publikum prächtig. In der Vorstellung war das Publikum vielleicht etwas älter. Aber die Youngsters haben mitbekommen, dass es da gute Musik gibt; im Laufe des Abends wurde das Publikum immer jünger.

Das Theater Basel ist zweimal als «Opernhaus des Jahres» ausgezeichnet worden. Waren Sie da jeweils überrascht? Und finden Sie, Sie haben das auch verdient?

Natürlich war es verdient. Meistens kriegt man mit, wer es sein wird. Ich bin zum Beispiel fast sicher, wer es das nächste Mal sein wird. Aber ich werde es Ihnen nicht verraten (lacht). Wir waren eher überrascht, als wir zunächst die Nummer zwei wurden; da haben wir gemerkt, dass wir Aufmerksamkeit erregt hatten. Als wir zum ersten Mal den Titel errangen, hatten wir es geahnt, aber wir waren nicht ­sicher. Beim zweiten Mal wussten wir es wirklich nicht. Nur schon deshalb, weil sie mich anfragten, ob ich die Laudatio für unsere Svetlana Ignatovich als «Nachwuchssängerin des Jahres» schreiben würde. Da dachte ich, dann können wir ja nicht auch noch «Opernhaus des Jahres» werden.

Die Wahl von Basel zum «Opernhaus des Jahres» wurde auch mit Ihrem Führungsstil begründet. Wie ist der – eher autoritär oder basisdemokratisch?

Autoritär sicher nicht. Das ginge an diesem Haus gar nicht. Und als Deutscher in der Schweiz sollte man sich ohnehin vor einem autoritären Führungsstil hüten. Ich würde mich eher als teamorientiert bezeichnen – aber immer im Wissen, dass ich manchmal auch eine Entscheidung treffen muss, die nicht allen gefällt. Entscheide können wehtun und sie können falsch sein. In Berlin werde ich etwas ganz anderes antreffen. Das Haus wurde bis vor zehn Jahren sehr autoritär geführt, und diese Struktur ist immer noch ein wenig da. Mein Führungsstil widerspricht diesen Strukturen zum Teil. Hier in Basel konnten wir den Mitarbeitern vermitteln, dass ihre Meinung gefragt und ihr Engagement erwünscht ist. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich in einer Generalprobe oder Premiere einen Techniker im ­Publikum sehe, der keinen Dienst hat. Wenn die gigantische Stimmung, die an einem Premierenabend herrscht, den Mitarbeitern völlig egal wäre, dann liefe etwas sehr schief.

Eine wichtige Neuerung in Ihrer Amtszeit ist «OperAvenir», um junge Künstler zu fördern. Haben Sie das erfunden, oder gab es ­etwas Ähnliches schon vorher?

Das gab es zuvor nicht. Der Titel ­«OperAvenir» kam von Georges Delnon, der ihn mit Thomas Preiswerk, damals Sponsoringverantwortlicher der Novartis, erfunden hatte. Delnon hatte in Mainz ein junges Team, und ich fand das für Basel wichtig. Das Format ist im Rückblick sehr erfolgreich.

Sie schmücken sich in diesem ­Bereich Jahr für Jahr mit sehr grossen Namen. Wie schwierig ist es, diese grossen Stars für die Meisterklasse zu bekommen?

Das ist eine Frage des Geldes. Die Stars lassen sich diese drei oder vier Tage sehr gut bezahlen. Das könnten wir gar nicht aufbringen, deshalb sind wir auch den Sponsoren dankbar. «Oper­Avenir»-Stars wie Ileana Cotru­baş, ­Mirella Freni, Teresa Berganza oder Dame Kiri Te Kanawa gewinnen zu können, ist auch für das Ansehen unseres Opernstudios in der Stadt wichtig.

Was geschieht mit den jungen Künstlern, die durch das Opernstudio gehen? Halten Sie den ­Kontakt mit ihnen aufrecht?

Wir bleiben praktisch mit allen in Kontakt. Die meisten Karrieren laufen sehr gut. Im ersten Studio hatten wir uns nur zwei Sänger leisten können, zwei Schweizer. Der eine singt jetzt im Ensemble des Theaters Koblenz Haupt­partien. Der andere aus diesem Jahrgang macht ­einen Fachwechsel zum Tenor. Wir empfehlen die Jungen auch ganz gezielt weiter. Ich mache andere Entscheidungsträger darauf aufmerksam, wenn wir auf eine interessante neue Stimme stossen. Das klappt gut. Unser derzeitiger Bariton geht nächstes Jahr ins Opernstudio nach Zürich und soll dann unter Andreas Homoki ins Ensemble aufgenommen werden. Wenn ich Leute aus Amerika hole, dann muss ich auch etwas für sie tun. Der Markt ist ja brutal genug.

Sie gehen jetzt nach Berlin. ­Werden wir dort gelegentlich eine Basler Produktion sehen?

Schon in der ersten Saison, aber nicht an meinem Haus, sondern an der Staatsoper: den «Fliegenden Holländer», Philipp Stölzls Basler Produktion.

Was wird Ihnen von Basel fehlen?

Der Rhein als Energieader der Stadt. Darin bin ich auch häufig geschwommen. Wenn wir im August mit den ersten Proben anfingen, gab es am Abend nichts Schöneres, als in den Rhein zu springen. Das wird mir fehlen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12

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