Ein Interview-Quickie mit Schauspielerin Carla Juri

Die Tessinerin feiert in Locarno ein Heimspiel mit der Premiere von «Paula». Darin mimt sie die Kunstmalerin Paula Modersohn-Becker. Im Interview spricht die 31-Jährige über Frauengeschichte, Frauenrollen und Feuchtgebiete.

Carla Juri malt in «Paula» unter anderem den befreundeten Dichter Rilke.

Die Tessinerin feiert in Locarno ein Heimspiel mit der Premiere von «Paula». Darin mimt sie die Kunstmalerin Paula Modersohn-Becker. Im Interview spricht die 31-Jährige über Frauengeschichte, Frauenrollen und Feuchtgebiete.

Carla Juris Schauspielkarriere erhält einen Boost: In diesem Sommer steht sie für «Blade Runner 2» vor der Kamera, an der Seite von Harrison Ford, Ryan Gosling und Robin Wright. 

Trotz dieses Engagements hat die Tessinerin Zeit, in ihrer Heimatstadt Locarno der Premiere von «Paula» beizuwohnen. Darin spielt sie Paula Modersohn-Becker (1876-1907). Eine kompromisslose Kunstmalerin, der als erste überhaupt ein eigenes Museum gewidmet worden ist. Wie sich Juri in die Rolle hinein fühlte, erzählte sie bei einer kurzen Begegnung: 17 Fragen in 14 Minuten, featuring Fellini, Nietzsche, «Feuchtgebiete» und Max Frisch. 

Nach «Feuchtgebiete» sind Sie wieder in Locarno mit einem grossen Film. Gewöhnt man sich an solche Festivals?

Och, nein (lacht). So ein Festivalauftritt kommt ja immer ein Jahr später, das heisst, der Film war für mich eigentlich abgeschlossen. Nun muss ich mich wieder mit einem Stoff beschäftigen, den ich längst verdaut habe, das heisst mich wieder einleben. Dabei entdecke ich selber stets neue Aspekte in der eigenen Figur. So wars auch schon bei «Feuchtgebiete».

«Feuchtgebiete» wurde ja vom Boulevard skandalisiert. Wie reagierte ihr Tessiner Umfeld auf den Film?

Gespalten. Nicht jeder konnte damit umgehen.

Welches war die schrägste Reaktion für Sie, als «Feuchtgebiete» hier gezeigt wurde?

Keine.

Wie, es gab keine schrägste Reaktion?

Nein, viele Leute haben nichts gesagt, weil sie keine Position einnehmen wollten. Nicht dafür und nicht dagegen. Was auch eine Aussage war.

In beiden Filmen spielen Sie eine selbstbewusste, neugierige, junge Frau. Ist das Zufall oder entspricht das Ihrem Naturell?

Rückblickend findet man immer einen roten Faden in den Rollen. Aber in dem Moment, in dem ich mich für eine Figur entscheide, mache ich das unbewusst. Ich glaube, es war Max Frisch, der sagte, man müsse 70 Geschichten schreiben, bis man sehe, dass immer etwas gleich bleibe. So ist das auch, wenn man Rollen spielt.

Regisseur Christian Schwochow sagt, er habe nach London reisen müssen, um Sie zu überzeugen. Warum?

Mir war wichtig, wer der Regisseur ist. Ich wollte ihn kennenlernen.

Ihrem Zögern lagen also keine Zweifel am Script zugrunde …?

Doch, doch, die schon auch (lacht). Aber Paula war mir beim Lesen sofort vertraut. Ich hatte gleich das Gefühl, dass ich diese Person kennen würde. Aber den Regisseur kannte ich nicht. Und mir ist wichtig, mit wem ich den Film mache. Also wollte ich seine Paula sehen.

Und wie musste er das anstellen?

Indem wir über sie sprachen. So erkannte ich, wie er sie sieht. Beim Casting ging es gar nicht so um Paula, sondern um uns.

Eine starke junge Frau spielten Sie auch in «Feuchtgebiete». In «Paula» aber ist die Zeit eine ganz andere. Wie haben Sie sich in dieses historische Setting eingefühlt?

Durch Recherche. Ich ging vor wie eine Anthropologin.

Sie haben sich also nicht einfach ein paar Folgen «Downton Abbey» angeschaut?

Nein (lacht). Ich las Bücher, Briefe, informierte mich auch, wie eine bürgerliche Frau sozial gelebt hat in dieser Zeit, welche Einflüsse sie hatte. Literarisch etwa hatte Nietzsche grossen Einfluss auf sie, er stärkte sie darin, sich von konservativen Werten abzuwenden.

Was sehr mutig war für diese Zeit.

Absolut. Eine Frau hatte damals selbstlos und dem Mann hörig zu sein, alles andere war Egoismus. Nietzsche war der Erste, der das anzweifelte. Sie und ihre Generation wurden sehr stark davon beeinflusst. Auch in der Kunst entdeckte sie sehr früh Cézanne für sich, und Gauguin. Das zu verstehen, mich einfühlen zu können, war ein langer, aber sehr spannender Prozess. Ein Studium für mich selber. Dieser Zeitgeist hat mich wahnsinnig interessiert.

Wo spüren Sie heute noch, dass Sie als Frau ungleich behandelt werden?

Ich muss sagen, dass ich mich nicht beklagen kann. Aber klar: Regie, Drehbücher und Filmproduktion sind noch immer mehrheitlich in Männerhand. Deshalb gibt es Männerfilme – und ist es eine Frauengeschichte, wird es gleich zum Frauenfilm gemacht. Das finde ich schade. Ob Mann oder Frau, mir ist das ehrlich gesagt egal. Mir geht es um Menschen. Und heute gibt es dieses Verständnis dafür immer mehr.

Auch in Hollywood ist es ein grosses Thema, dass die Löhne für Frauen niedriger sind als jene der Männer.

Ja, das ist sicher eine Realität.

Reden Sie mit anderen über die Gagen?

Ja, das ist kein Tabu, wird nicht verheimlicht. Und die Männer sind da auch durchaus solidarisch. Ich stelle dafür ein gewisses Solidaritätsdefizit bei Frauen fest. 

Wie meinen Sie das?

Es gibt sehr viel Konkurrenz unter Frauen, ganz allgemein im Leben. Wir Frauen, wir Schwestern stehen uns manchmal selber im Weg. 

Sie präsentieren in Locarno «Paula», stehen aber bereits wieder vor der Kamera: Für die Fortsetzung von «Blade Runner», einem Hollywoodklassiker. Was sind die grossen Unterschiede zur europäischen Filmindustrie?

Kann ich gar nicht sagen, denn wir drehen in Ungarn und der Regisseur, Denis Villeneuve, ist Frankokanadier. Die Atmosphäre auf dem Set ist also ganz europäisch, man hört viele Akzente, obschon es ein amerikanischer Film ist.

Sie spielen Hauptrollen in grossen deutschsprachigen Filmen, Nebenrollen in Hollywoodproduktionen – und keine in Italien. Wieso nicht?

Ich glaube Italien hat gelitten, was den Film angeht. Was schade ist, denn ich würde gerne italienische Filme machen, bin ein grosser Fan von Fellini. Ich hoffe, dass das wieder kommt. Der italienische Film verkörpert eine andere Kultur, eine andere Wahrnehmung. Sehr schade, dass man dies nicht mehr spürt.   
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«Paula» kommt im Dezember 2016 in die Kinos.  

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