«Eine Entschuldigung von Baschi Dürr würde viel entschärfen»

Der ehemalige Basler Regierungs- und Nationalrat Remo Gysin hat den Eindruck, dass die Polizei schneller eingreift als früher – erst recht, wenn wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Für die Gesellschaft sei es immer noch schwierig, mit der Reibungsfläche Freiraum umzugehen, sagt er.

Remo Gysin zeigt Dokumente aus der Zeit der «Alten Stadtgärtnerei»: «Ich traf dort aufgestellte, ernsthafte und ehrliche Leute, die mich sehr berührten.» (Bild: Stefan Bohrer)

Der ehemalige Basler Regierungs- und Nationalrat Remo Gysin hat den Eindruck, dass die Polizei schneller eingreift als früher – erst recht, wenn wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Für die Gesellschaft sei es immer noch schwierig, mit der Reibungsfläche Freiraum umzugehen, sagt er.

Vor sieben Jahren hat sich Remo Gysin aus dem Politikbetrieb zurückgezogen, trotzdem ist es seither nicht ruhig geworden um ihn. Immer wieder mischt sich der 69-jährige Sozialdemokrat in die politische Diskussion ein. Im Interview spricht er über seine turbulente Zeit in der Exekutive und kritisiert den Polizeidirektor Baschi Dürr.

Sie waren von 1984 bis 1992 Regierungsrat und von 1995 bis 2007 Nationalrat. Welches Amt gefiel Ihnen besser?

Eigentlich beide gleich gut. Die zwei Phasen haben sich gut ergänzt und kamen jeweils genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe beide Mandate mit grosser Freude ausgeführt und bin sehr dankbar, dass ich Regierungsrat und Nationalrat sein durfte.

Als Regierungsrat waren Sie ein Querläufer. Sie haben Ihre Kollegen im Gremium auf Trab gehalten, weil Sie immer etwas anderes wollten – so waren Sie etwa gegen die Nordtangente. Wie erlebten Sie diese Zeit im Kollegium?

Ganz so schlimm war es auch wieder nicht. Zu meiner Zeit setzte sich die Regierung aus fünf bürgerlichen Kollegen sowie zwei Sozialdemokraten, Mathias Feldges und mir, zusammen. Für mich bedeutet Kollegialität, dass man zusammensitzt und gemeinsam nach Lösungen sucht. Bei uns im Gremium war es jedoch öfters so, dass nach wenigen Minuten bereits abgestimmt wurde. Mit Abstimmungen ohne echte Suche nach Kompromissen kann man eine Minderheit einfach überfahren. In einigen wichtigen Bereichen konnte ich Entscheide auch nicht mittragen, weil sie meinen Grundprinzipien widersprachen.

Ein Beispiel?

Ich versprach im Wahlkampf, dass ich ein Spezialgefängnis für Drogenabhängige nicht unterstützen würde. Gleich nach Amtsantritt wurde mir jedoch nahegelegt, dieses Vorhaben mitzutragen. Das habe ich abgelehnt, weil ich vom Gegenteil überzeugt war. Es hätte mich für meine Wählerinnen und Wähler auch unglaubwürdig gemacht. Es gibt in einer Demokratie wichtigere Güter als das Konkordanzprinzip, zum Beispiel die Wahrung der Grund- und Menschenrechte.

«Es gibt in einer Demokratie wichtigere Güter als das Konkordanzprinzip.»

Entgegen der Regierungsmehrheit waren Sie 1988 auch gegen die Räumung des kulturellen Freiraums «Alte Stadtgärtnerei». Wieso?

Die «Alte Stadtgärtnerei» entwickelte sich mitten in der Stadt zu einem Freiraum, der von unterschiedlichsten Menschen gemeinsam kreativ genutzt wurde. So entstand, ohne irgendwelche kommerziellen Interessen, ausserordentlich Schönes – beispielsweise Gärten, ein kleines Hallenbad im ehemaligen Gewächshaus und Skulpturen. Aber auch Freundschaften und solidarisches Handeln wurden dort gepflegt. Ich wurde einmal als Regierungsrat zu einer Diskussion und einem einfachen Essen unter freiem Himmel eingeladen. Ich traf dort aufgestellte, ernsthafte und ehrliche Leute, die mich sehr berührten. Mein Regierungskollege Mathias Feldges und ich wollten in der Exekutive mit einem Kompromissvorschlag mindestens einen Teil der Idylle retten. Die Unterstützung in der Bevölkerung für unser Vorhaben war gross.  

Wenn Sie die heutige Jugendbewegung – etwa die Wagenplatz-Leute auf der Klybeckinsel – mit der 1980er-Jahre-Bewegung vergleichen: Gibt es Parallelen?

Zeit und Zusammenhang sind sehr verschieden. In den 1980er-Jahren hatten die Behörden wesentlich weniger Verständnis für den Wunsch nach urbanen Freiräumen als heute. Geblieben sind der berechtigte Drang der Jugend nach Freiraum und Selbstbestimmung. Und für die Gesellschaft ist es immer noch schwierig, mit der Reibungsfläche Freiraum umzugehen. Das Problem hat sich teilweise sogar verschärft.

Inwiefern?

Alles wird kommerzialisiert. Die freien Räume werden immer knapper. Ich habe zudem den Eindruck, dass die Polizei schneller eingreift als früher – erst recht, wenn wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Das haben wir zum Beispiel im Juni gesehen, als die Polizei während der Art auf dem Messeplatz eine harmlose Kunstaktion von Studenten der Schule für Gestaltung auflöste und 34 Personen mitnahm. Teilweise mussten sich Personen auf dem Posten ausziehen. Das ist eine Demütigung für die Betroffenen und eine Einschüchterung weiterer Kreise. Dieser Polizeieinsatz war unnötig und unverhältnismässig. Selbst polizeiliche Vorschriften wurden überschritten. Es braucht jetzt nicht nur juristische Schritte, sondern vor allem eine Entschuldigung der Verantwortlichen.

Das sieht der Polizeidirektor Baschi Dürr offensichtlich anders.

Eine Entschuldigung von Baschi Dürr würde viel entschärfen. Ich verstehe seine rigide Haltung in dieser Geschichte nicht.

Lesen Sie das ganze Interview mit Remo Gysin aus der Wochenausgabe vom 31. Juli.

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