«Einen Cortège ohne Stau wird es nie geben»

Für Obmann Christoph Bürgin ist das Basler Fasnachts-Comité kein mysteriöser Geheimbund – Geheimnisse rund ums Geld will er trotzdem nicht lüften.

Für Obmann Christoph Bürgin ist das Basler Fasnachts-Comité kein mysteriöser Geheimbund – Geheimnisse rund ums Geld will er trotzdem nicht lüften.

Als «Ober-Fasnächtler» wird er nicht gerne bezeichnet, obwohl der «Titel» stimmt: Christoph ­Bürgin (56) ist seit zwei Jahren Obmann des Basler Fasnachts-Comités – und somit höchster Fasnächtler. In dieser Funktion hat er weniger zu sagen, als viele glauben: Einziges Sanktionsmittel des Comités ist das Geld. Und darüber spricht Christoph Bürgin kaum. Eine Tradition, die er – wie viele Traditionen – von seinen Vorgängern übernommen hat. Möglicherweise rührt das Image des Comités, konservativ zu sein, von solchen Traditionen und anderen ungeschriebenen Gesetzen her.

Herr Bürgin, als Comité-Obmaa werden Sie am Cortège zigmal den Hut lupfen müssen. Warum tun Sie sich das an?

Diese Frage habe ich mir gestellt, als ich vor 13 Jahren entscheiden musste, ob ich ins Comité will. Inzwischen weiss ich, was der Reiz daran ist: Man hat so mehr von der Sujet-Fasnacht, als wenn man selber am Cortège teilnimmt. Ausserdem sind Comité-Mantel und -Hut ja auch eine Art Kostüm.

Viele betrachten das Comité als «Fasnachtspolizei». Wann greifen Sie effektiv ein?

Wir können nicht eingreifen, das darf und kann nur die richtige Polizei. Wir können bloss Subventionen kürzen. Beim Cortège, für den das Comité verantwortlich ist, müssen sich die knapp 500 Einheiten und 12 000 Teilnehmenden jedoch an gewisse Regeln halten, damit es nicht zum Chaos kommt.

Was sind das für Regeln?

Das Comité teilt in enger Zusammenarbeit mit der Verkehrskommission den Cliquen im Vorfeld mit, an welchem Ort und zu welcher Zeit sie starten müssen, damit der Cortège möglichst reibungslos über die Bühne gehen kann.

Und wenn sich einzelne Gruppierungen nicht dran halten, bekommen sie dann weniger Geld?

Zuerst suchen wir natürlich das Gespräch. Wenn auch das nichts nützt, kann eine Subventionskürzung die Folge sein. Das passiert aber selten.

Das Geld, Ihr einziges «Strafmittel», ist gleichzeitig das grösste Geheimnis der Fasnacht. Ver­suchen wir es trotzdem: Herr ­Bürgin, wie viele Fasnachts­plaketten haben Ihre Verkäufer seit Anfang Jahr bereits unter die Leute gebracht?

Das hat noch niemand herausgefunden (lacht). Es ist wirklich so: Die ­Finanzen des Comités sind eines der letzten Geheimnisse der Stadt. Ich sag jetzt einfach mal: Zahl X – es läuft gut.

Warum macht das Comité eine ­solche geheime Staatsaffäre um seine ­Finanzen?

Es würde nichts bringen, das Geheimnis zu lüften. Wer hätte etwas davon?

Alle Fasnächtler, die neugierig sind und wissen wollen, warum wer wie viel Geld erhält. Also viele.

Man kann das System mit den Direktzahlungen an die Bauern vergleichen: 30 Prozent der Plaketteneinnahmen fliessen direkt an die Cliquen, die die Plaketten verkaufen. Mit den an­deren 70 Prozent zahlen wir die Miete für das Comité-Büro, den Lohn für das Sekretariat (die 13 Comité-Mitglieder arbeiten ehrenamtlich, Red.), die Unkosten für die Comité-Standorte an der Fasnacht und für die Laternen- und Wagenausstellung – und alle anderen Rechnungen, die anfallen. Alles, was am Ende übrigbleibt, geht an die Cliquen als Subvention.

Das klingt so, als kämen Sie gut durch mit dem Plakettenverkauf.

Den Hauptteil verdienen wir mit diesen Einnahmen. Doch wir nehmen zusätzlich noch Geld mit den Inseraten im Fasnachtsführer «Rädäbäng» ein.

Wenn Sie die Einnahmen gleichmässig an die Cliquen verteilen würden, würde sich niemand ­aufregen – und Sie könnten über Geld reden.

Drei Viertel der Subventionen werden pro Kopf verteilt. Nur noch ein Viertel wird nach einer internen Wertung ausgeschüttet. Früher war es mehr.

Wie garantieren Sie, dass alle ­Cliquen fair behandelt werden?

Beim Comité gibt es Verantwortliche für die verschiedenen Einheiten. Nach der Fasnacht erhält jeder eine entsprechende CD mit Bildern seiner Einheit, die er bewerten muss. Nach der Einzelbewertung treffen sich die Verantwortlichen und besprechen alles in der Gruppe. Die definitive Subventionierung erfolgt durch das Gesamtcomité. Selbstverständlich darf man seine eigene Clique nicht bewerten.

Genau über dieses Verfahren ­machen sich manche aktive ­Fasnächtler lustig.

Ich weiss. Aber wir arbeiten hier Hunderte Stunden ehrenamtlich und nehmen es sehr ernst. Darum glaube ich, dass trotz Sprüchen eine Akzeptanz für unser Vorgehen vorhanden ist.

Das Comité gilt als konservativ und schafft es auch mit der jüngeren und zunehmend weiblichen Besetzung nicht, dieses Image ­abzuschütteln. Ist das ein ­Klischee – oder ist das Comité ­tatsächlich ein konservatives Grüppchen?

Vor 35 Jahren bestand das Comité aus der Sicht von Jungen wirklich aus alten Männern, jetzt gar nicht mehr. Ich frage mich: Was ist der Unterschied zwischen konservativ und traditionell? Es gibt vielleicht Leute, die den Cortège unnötig finden und für eine freie Fasnacht plädieren. Das wäre aber wahrscheinlich das Ende der Sujetfasnacht.

Vor zwei Jahren hatte ein Comité-Mitglied die Idee, den Cortége durch einen «Umzug von A nach B» zu ersetzen. Als Statthalter sprachen Sie damals von einer «unrealistischen Idee». Sie haben den Vorschlag heftig kritisiert.

Ja, das habe ich. Und auch von den meisten anderen Aktiven kamen nur negative Reaktionen. Ein solcher Umzug an der Fasnacht wäre undenkbar.

Trotzdem: Das Fasnachtsmotto lautet nicht nur wegen der dar­benden Wirtschaftslage «s glemmt», sondern auch, weil es teilweise beim Einfädeln der Cliquen Pro­bleme gibt und so ein Cortège mit Lücken und Staus ­entsteht. Die Fasnachts-Verkehrskommission hat nun ein Rezept parat, um das zu verhindern. ­Verraten Sie es uns?

Im Buch zum 75-Jahr-Jubiläum des Comités steht sinngemäss, dass es nie gelingen wird, einen Cortège ohne Staus und Lücken durchzuführen. Aber es stimmt, wir probieren erstmals etwas Neues aus: Ein vierter ­Comité-Standort soll die Cliquen besser verteilen. Bisher hatten wir bei den Standorten Steinenberg, Clarastrasse und Wettsteinbrücke Staus, weil alle Gruppierungen beim Einstieg in den Cortège dort vorbeikommen wollten. Jetzt hoffen wir, mit dem ­neuen Comité-Standort an der Schifflände beim Brückenkopf Stau verhindern oder zumindest vermindern zu können. Auf diese Art wollen wir das Ganze entflechten. Ausserdem haben wir ausgerechnet, wie viele Meter Platz jede Gruppe beim Start braucht. Das war eine stundenlange Arbeit.

Das mag ja auf dem Papier klappen — aber in der Wirklichkeit?

Am Fasnachtsmontag nach dem ersten Cortège-Nachmittag wissen wir, ob es auch an der Fasnacht klappt.

Mit einem weiteren Comité-­Standort im Grossbasel steigern Sie die Attraktivität des Gross­basels ­am Cortège auf Kosten des Kleinbasels, das bei den Zuschauern ohnehin nicht so beliebt ist.

Das stimmt nur bedingt. Bei der Tribüne an der Riehenstrasse ist je nach Wetter nicht sehr viel los. Die Clarastrasse hingegen ist immer voll, genauso der Bereich bei der Mittleren Brücke. Kritisch ist daher eigentlich nur die Gegend zwischen der Messe und dem Wettsteinplatz.

Was tun Sie dagegen?

Wir führen diese Diskussionen seit Jahren. Wir wollten auch schon die Route ändern, das ging aber wegen der langen Wagen nicht. Zudem wollen wir möglichst viel Contre-Marsch (in beide Richtungen, Red.) – und auch das wäre nicht überall möglich.

Nochmals zurück zur Arbeit des Comités: Auch die Art, Ihre Mitglieder zu wählen, hat etwas ­Geheimnistuerisches und ist ­absolut undemokratisch.

Es ist undemokratisch, das stimmt. Wir wollen Leute, die in das Gremium passen und eine grosse Affinität zur Fasnacht haben …

… und selber aktiv sind?

Nein, wir hatten auch schon passive Mitglieder. Und neulich haben wir eine junge Frau berufen, mit der die wenigsten gerechnet hätten, weil ihr Name vorher nicht im Spiel war. Wir haben sie auch darum ausgesucht, weil Sie als Medienschaffende eine grosse Ahnung von Öffentlichkeitsarbeit hat.

Und weil sie eine moderne, junge Frau ist, die sagt, was sie denkt.

Das waren natürlich auch Gründe für die Wahl von Annicken Gravino.

Wie viel Zeit investieren Sie in die freiwillige Arbeit, die beim ­Comité anfällt?

Schätzungsweise 300 bis 400 Stunden über das ganze Jahr gerechnet.

Sie müssen ziemlich angefressen sein.

Wichtig ist auch die Akzeptanz seitens der ­Familie – vor allem von meiner Frau (lacht). Ich habe das Glück, dass sowohl meine beiden Kinder wie auch meine Frau selber Fasnacht machen.

Fast so wichtig wie die drei schönsten Tage selber sind inzwischen die Vorfasnachtsveranstaltungen. Gilt das Drummeli, das diese Woche Premiere feiert, als wichtigste Vorfasnachtsveran­staltung, weil es vom Comité organisiert wird? Oder weil es grösser und wirklich besser ist als die ­anderen Veranstaltungen?

Das Drummeli ist nach dem Zofingerkonzärtli die älteste Vorfasnachtsveranstaltung und die einzige, die von den Cliquen bestritten wird. Es ist eine gigantische Veranstaltung mit tausend Aktiven, wovon 99 Prozent Laien sind. Ausserdem ist das Drummeli ein Non-Profit-Unternehmen. Das ist schon alles sehr speziell.

Können Sie nach der Drummeli-Première beurteilen, ob es einen guten Fasnachtsjahrgang gibt?

Da gibt es keinen direkten Zusammenhang.

Wann ist eine Fasnacht gelungen?

Aus Comité-Sicht ist eine Fasnacht ­gelungen, wenn es keine Unfälle gab. Auch das Wetter ist wichtig. Stürme oder sonstige extreme Wettersituationen sind nicht gerade förderlich. Im Jahr 2006, als es so viel Schnee gab, fuhr ich mit Langlaufskiern am Sonntag an die erste Krisensitzung der Stadtreinigung. Das war zwar abenteuerlich, aber auch etwas ungewöhnlich.

Können Ihnen einzelne Cliquen die Fasnacht verderben – etwa durch mangelndes Fingerspitzzengefühl?

Nein. Natürlich sind nicht alle Cliquen gleich gut. Aber so weit, dass es des­wegen eine schlechte Fasnacht gäbe, geht es nicht.

Was ist besser: möglichst viele verschiedene Sujets oder möglichst wenige, dafür in zahlreichen anderen Umsetzungen?

Es kann beides gut sein. Im vergangenen Jahr hatten sieben Stammvereine die Ölkatastrophe als Sujet und alle setzten das Thema anders um. Das war interessant. Was wir nicht so ­originell finden, sind Jubiläumszüge.

Und was tun Sie, wenn eine Clique zum Beispiel antisemitische oder rassistische Sprüche macht?

Das gab es schon und ist strafrechtlich relevant. Doch wir greifen da nicht ein, es handelt sich um Offizialdelikte, die von Staates wegen verfolgt werden müssen. Wenn wir ein Sujet oder die Umsetzung davon aber jenseitig finden, dann kürzen wir die Subvention.

Vor wenigen Tagen trat SVP-Stratege Christoph Blocher am Charivari auf – was viele Fasnächtler weniger lustig fanden.

Jede Vorfasnachtsveranstaltung, so auch das Charivari, hat ihre eigenen Gesetze und Eigenheiten. Im Übrigen tritt Christoph Blocher auch im Drummeli auf – und zwar als Herzog Stöffel von Herrliberg. Und im Charivari kam ja nicht nur er auf die Bühne. Es gehörte zum Konzept des Chari­varis, Politiker einzuladen. Ich habe die Aufführung mit Ständerat Claude ­Janiak gesehen – und finde, er hat es sehr gut gemacht.

Es gibt kaum etwas Wichtigeres an der Fasnacht als die Larve – und doch verkommt die Fasnacht vor allem an den Vorfasnachts­veranstaltungen immer mehr zur Personality-Show. Was halten Sie davon?

Ich befürworte diese Entwicklung gar nicht. Es gibt tatsächlich immer mehr Leute, die diese Plattform für sich selber nutzen.

Aber dagegen ­unternehmen Sie nichts.

Nein. Jeder kann seine Anlässe organisieren, wie er will. Vielleicht haben diese Entwicklung und dieser Wandel mit unserer Zeit zu tun. Nicht das ­Comité fördert oder behindert diesen Wandel, sondern die Menschen, die Fasnacht machen. Als die Clique «Alti Stainlemer» vor einigen Jahren erstmals eine Performance zeigte, statt zu pfeifen und zu trommeln, war das für viele Leute sehr ungewöhnlich und kam nicht bei allen gut an. Heute erwartet man von den «Stainlemern», dass sie aus dem Rahmen fallen. Aber es ist schon so. Es gibt Leute, die sich an der Fasnacht etwas zu sehr profilieren.

Diese TagesWoche erscheint just an dem Tag, an dem die Sujet-­Hitparade bekanntgegeben wird. Können Sie schon vorab etwas verraten?

Das wäre unfair gegenüber den an­deren Medien.

Drehen wir es um: Welche Themen sind nicht Sujet Nummer 1?

Also: Nicht auf Platz eins sind die BaZ, der FCB und Berlusconi.

Dann sprechen wir noch ein wenig über Sie. Was ist jeweils Ihr persönlicher Fasnachtshöhepunkt?

Diese Frage kann ich Ihnen erst nach der Fasnacht beantworten, da es jedes Jahr einen anderen Höhepunkt gibt. Das kann eine Begegnung sein, eine Szene innerhalb der Clique – oder, wie beispielsweise im vergangenen Jahr, ein Geburtstagsfest. Wir feierten den Geburtstag meiner Tochter am Nadelberg an einer «Aussen-Stubete». Das war sehr speziell und unvergesslich.

Wie sind Sie eigentlich selber zur Fasnacht gekommen? Wurden Sie als Fasnächtler geboren?

Genau – und erst noch an einem Fasnachtsmittwoch. Meine Mutter war zwei Tage zuvor mit mir im Bauch am Morgenstraich. Mein erstes Piccolo habe ich aber erst zur Matur geschenkt bekommen. Doch seither bin ich aktiv – und an jeder Fasnacht dabei.

 

Christoph Bürgin

Baslerischer geht es kaum. Christoph Bürgin (56) ist am Rheinknie auf die Welt gekommen, hier aufgewachsen und lebt heute auf dem Bruderholz. Auch all die Jahre zwischen ­Geburt und ­Gegenwart hat er in Basel verbracht: Im da­ma­ligen Realgymnasium absolvierte er die ­Matur, an der hiesigen Universität studierte er Jura und er ­doktorierte hier auch in diesem Fach. 1982 kam Bürgin als Jurist zur Basler Staatsanwaltschaft, wo er zum Leiter der Jugendanwaltschaft aufstieg. Vor acht Jahren wechselte er die Seite und ist nun Präsident des Jugendgerichts. Christoph Bürgin ist verheiratet und Vater von zwei ­inzwischen erwachsenen Kindern. In seiner Freizeit spielt er Tennis, joggt und fährt Velo. ­Seine grösste Leidenschaft ist aber die Fasnacht. Christoph Bürgin pfeift in der Alten Garde des Central Club Basel (CCB).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.02.12

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