Einen Sportverein nur für Homosexuelle? Braucht es leider immer noch

Auf der grossen Bühne des Sports wird gerne das beliebte Stück von Integration und Toleranz inszeniert. Doch Homosexuelle sind dabei meist nur Statisten. Zum 25-Jahre-Jubiläum von Lesbian & Gay Sport Regio Basel haben wir uns mit den Vorstandsmitgliedern Walter Bartolotta und Katrin Ginggen über Geschlechterrollen im Sport, Verständnishürden und Cristiano Ronaldo unterhalten.

(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Auf der grossen Bühne des Sports wird gerne das beliebte Stück von Integration und Toleranz inszeniert. Doch Homosexuelle sind dabei meist nur Statisten. Zum 25-Jahre-Jubiläum von Lesbian & Gay Sport Regio Basel haben wir uns mit den Vorstandsmitgliedern Walter Bartolotta und Katrin Ginggen über Geschlechterrollen im Sport, Verständnishürden und Cristiano Ronaldo unterhalten.

Lesbian & Gay Sport Regio Basel gibt es seit 1990. Seither hat sich die Gesellschaft verändert. Braucht es im Jahr 2015 noch einen Lesbian & Gay Sport Verein (L&G)?

Walter Bartolotta: Darf ich fragen, ob Sie in einem Sportverein sind? 

Nein, sind wir nicht.

Bartolotta: Glauben Sie mir, wenn Sie in einem wären, würden Sie dort vermutlich auf wenige Schwule und Lesben stossen. Es stimmt, es hat sich vieles verändert bezüglich der Akzeptanz von Homosexuellen. Von einer Selbstverständlichkeit sind wir aber noch weit entfernt. Aber ich weiss auch gar nicht: Wünschten wir uns das denn, dass es uns nicht mehr braucht?

Katrin Ginggen: Ich wünschte mir schon, dass es uns nicht mehr braucht. Das würde bedeuten, dass es nicht nur eine Toleranz, sondern auch eine Akzeptanz von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft gibt. Aber ich bin trotzdem froh, dass es uns gibt, weil wir ja nicht einfach ein Auffangbecken sind, sondern auch ein wichtiges kulturelles Standbein für Lesben und Schwule hier in Basel bieten. Die Möglichkeiten, sich in der Szene ausserhalb von Partys einfach an einem Ort zu treffen, haben enorm abgenommen, seit es das Internet gibt.

Wie sind Sie denn zum Verein gekommen?

Ginggen: Bereits vor meinem Coming-out habe ich viel Badminton gespielt, nach einer Pause und dem Umzug nach Basel hatte ich wieder Lust darauf. Bei L&G habe ich einen Verein gefunden, der die soziale und die sportliche Komponente abdeckt.

Was steht denn bei L&G eher im Vordergrund: Das gesellschaftliche Zusammensein oder der Sport?

Bartolotta: Primär geht es um den Sport, wobei die Vereinsgründung am Anfang auch einfach eine Voraussetzung war, um beispielsweise bei der Stadt eine Halle mieten zu können.

Ginggen: Einen Verein brauchte man auch für die Teilnahme an den internationalen Gay-Games, an denen 1990 das erste L&G-Volleyballteam teilnahm. Auch dort steht natürlich die Leistung im Fokus, da wird richtig gefightet. Auch wenn es keine Qualifikation gibt, wie es sonst üblich ist.

An diesen Wettkämpfen kommen Sie auch in Kontakt mit L&G-Vereinen anderer Nationen. Sprechen Sie da auch über die sportliche und gesellschaftliche Integration von Homosexuellen in anderen Ländern?

Bartolotta: Wir sind uns bewusst, dass es uns hier in der Schweiz viel besser geht als anderen Vereinen – aus Ungarn oder Russland etwa. Diese Teams versuchen wir jeweils zu unterstützen, wenn es um die Teilnahme an den Wettkämpfen geht. Und wenn wir können, versuchen wir als Verein auch eine politische Wirkung zu erreichen.

Auch in der Schweiz wird das Thema Homosexualität und Sport eher stiefmütterlich behandelt, Kampagnen wie diejenige der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Sportämter vom Januar 2014 bilden die Ausnahme. Fehlt Ihnen die Rückendeckung der grossen Sportverbände?

Bartolotta: Für unseren Alltag als Verein eigentlich nicht. Wir stossen nie auf Hürden, wenn es etwa darum geht, eine Halle zu mieten. Aber klar, wenn grosse Sportanlässe in offen homophoben Ländern stattfinden, dann wünschen wir uns natürlich ein deutliches Signal von den oberen Etagen der Sportverbände. Denn homosexuelle Sportlerinnen und Sportler können zwar in Sotschi starten, aber sie müssen einen Teil von sich verbergen. Dagegen muss man sich einsetzen.

Kommen die Mitglieder zu L&G Sport, weil sie in anderen Vereinen Anfeindungen erleben mussten?

Ginggen: Das kann sein, aber ich glaube eher, dass die Leute zu uns kommen, weil sie sich hier nicht erklären müssen. Diese Entspannung wird als positiv empfunden. Aber es ist ja nicht so, dass wir als Homosexuelle eine homogene Gruppe wären. Wir sind alle lesbisch oder schwul und machen Sport. Das ist der einzige gemeinsame Nenner. Alles andere ist sehr divers, da sind wir superbunt.

Inwiefern ist Inter- und Transsexualität im Verein ein Thema?

Ginggen: Ein sehr spannendes Thema. Ich habe mir auch schon überlegt, ob das L&G erweitert werden müsste aus dem Baukasten von LGBTIQA. Wir sind schon heute offen für jegliche Geschlechterrollen, sexuelle Orientierungen und so weiter. Nur im Namen kommt das bisher nicht zum Ausdruck.

Auf der offiziellen Sport-Bühne hat Geschlechterdiversität nach wie vor überhaupt keinen Platz.

Bartolotta: Das ist wirklich ein schwieriges Thema. Einige Sportarten leben nun mal von der Kraft. Wenn sich nun jemand als Frau identifiziert, aber einen Männerkörper hat – wo soll er oder sie dann starten? Bei den Frauen? Die anderen Athletinnen fänden das natürlich unfair.

Ginggen: Ein grosses Problem sind sicher die Geschlechtertests, die gemacht werden. Es ist absolut erniedrigend, wenn eine Person vor Wettkämpfen ihr Geschlecht beweisen muss.

Es gibt eine ganze Reihe von Sportarten, bei denen Kraft keine Rolle spielt. Curling oder Schach zum Beispiel. Doch dort wird ebenfalls an einer strikten Geschlechtertrennung festgehalten.

Bartolotta: Das macht tatsächlich keinen Sinn. Diese Sportarten zu öffnen könnte dabei helfen, trans- oder intersexuelle Sportlerinnen und Sportler zu integrieren.

Einen Sonderfall stellt der Fussball dar, der oft als Plattform für Homophobie missbraucht wird. Der Fall des schwulen deutschen Fussballers Thomas Hitzelsperger hat zwar viele Wellen geworfen, aber hat sich seither etwas geändert?

Bartolotta: Wir haben Hitzelsperger zu einem unserer Podien eingeladen, aber er hat leider keine Zeit. Das Verrückte ist, dass dieser Fall überhaupt so viel Wellen werfen konnte. Wenn sich sonst jemand outet, wird das nicht gross thematisiert. Aber plötzlich gibt es diesen einen Fussballer, der bis heute keine Nachahmer gefunden hat, schon gar nicht unter den aktiven Fussballern.

Ginggen: Fussball ist nun mal die meistbeachtete Sportart. Die enorme Aufmerksamkeit birgt ganz einfach grössere Risiken, sich zu outen, vor allem für Männer. Was würde ein Coming-out eines aktiven Profifussballers für seine männlichen Fans bedeuten? Wäre er weiterhin Idol und Vorbild? Würden sich seine Fans noch mit ihm identifizieren?

Ist es denn für Frauen weniger problematisch, sich im Sport zu outen?

Bartolotta: Im Frauenfussball gibt es das umgekehrte Klischee. Leistungssportlerinnen sehen sich oft von vornherein mit der Annahme konfrontiert, Lesben zu sein. Das führt dazu, dass Frauen ihre Heterosexualität aktiv kommunizieren oder sich abseits des Sports als «richtige Frauen» erkennbar machen müssen. Bei männlichen Sportlern würde nie jemand auf die Idee kommen, an ihrer Männlichkeit zu zweifeln.

Ginggen: Ich glaube zudem, dass die Dimension der Bühne eine Rolle spielt. Frauenfussball hat einfach nicht dieselbe Reichweite.

Der Fussball wäre doch eine ideale Plattform für eine Ent-Tabuisierung des Themas. Warum ist ausgerechnet die enorme Breitenwirkung ein Hindernis auf diesem Weg?

Ginggen: Fussball ist ein enorm männlich geprägter Sport. Und Schwulen wird häufig abgesprochen, dass sie tough und schnell sind, dass sie Kraft haben. Das vermischt sich dann mit Klischeevorstellungen und mündet in Floskeln wie der Rede vom schwulen Pass.

Bartolotta: Die ganze Gefühlsebene bekommt einen ganz anderen Touch, wenn ein homosexueller Mann dabei ist. Umarmungen sind plötzlich ein Problem, Emotionen zeigen auch. Natürlich nicht für alle, aber ich glaube, viele sehen Homosexuelle als eine Art Gefahr für diese männliche Szene. Ich bin sehr gespannt, was bei unseren Podiumsdiskussionen zu diesem Thema gesagt werden wird.

Homosexuelle gelten also als unmännlich. Gleichzeitig modeln Fussballidole in neckischen Posen für Unterwäschelabels oder Körperpflege-Produkte und niemand stört sich daran. Wie passt das zusammen?

Ginggen: Diese Spieler sind Superstars und bekanntermassen heterosexuell. Darum können sie es sich auch erlauben, mit diesen Geschlechterrollen zu spielen. Ihr Status wird dadurch nicht angezweifelt – im Gegenteil. Damit sind sie eben nicht nur Fussball-, sondern eben auch noch Pop-Stars. Fussball ist so männlich besetzt, dass sich Fussballer abseits des Platzes beinahe alles erlauben können, ohne dass ihre Sexualität infrage gestellt wird.



Weiche Züge werden auch Fussballern zugestanden – solange feststeht, dass sie heterosexuell sind.

Weiche Züge werden auch Fussballern zugestanden – solange feststeht, dass sie heterosexuell sind. (Bild: Collage: Hans-Jörg Walter)


Warum ist ein offener Umgang mit Sexualität gerade im Sport so schwierig?

Bartolotta: Vielleicht, weil im Sport die Körperlichkeit so sehr im Fokus steht. Im Sport kommt zum Ausdruck, was sonst auch noch in den Köpfen steckt. Als Mann gegen eine Frau zu verlieren kommt einer Höchststrafe gleich. Wir leben nach wie vor in einer patriarchalen Gesellschaft. Das lässt sich leicht in der Geschäftswelt, aber auch in den Familienstrukturen nachvollziehen.

Ginggen: Wir sind noch weit weg von einer Selbstverständlichkeit in Hinsicht auf gleichberechtigte Strukturen. Und solange das so ist, muss man die Selbstverständlichkeit einfordern, indem man darauf pocht und sie zum Thema macht.

Das tun Sie, indem Sie das 25-jährige Bestehen Ihres Vereins feiern.

Ginggen: Genau, wir wollen uns feiern und uns auch nach aussen zeigen, denn es sieht so aus, als würden diese Themen immer noch auf grosses Interesse stossen. Nicht nur bei Leuten, die es direkt betrifft, weil sie sich noch nicht geoutet haben oder aus anderen Gründen. Die Diskussion muss am Laufen gehalten werden, denn viele denken, dass doch bereits alles erreicht ist. Das denken wir aber nicht.

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Im Rahmen des 25-jährigen Jubiläums finden drei Podiumsveranstaltungen rund um das Thema Sexualität und Sport sowie eine Party statt. Eine ausführlichere Beschreibung sowie die Auflistung der Teilnehmenden finden sie unter diesem Link.

Homosexualität im Sport: Mittwoch, 23. September, 19.30 Uhr im Unternehmen Mitte, Salon 1.OG.

Homophobie und Sexismus rund um den Fussball: Montag, 28. September, 19.30 Uhr in der Fussballkulturbar didi:offensiv.

Wie viele Geschlechter kennt der Sport?: Freitag, 2. Oktober, 19.30 Uhr in der Fussballkulturbeiz didi:offensiv.

Jubiläumsparty: Samstag, 24. Oktober, 20.00 bis 3.00 Uhr in der Halle 7 an der Dornacherstrasse 192.

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