Herausgefordert im 2013: Renata Gäumann, Asylkoordinatorin des Kantons Basel-Stadt, über ein turbulentes Jahr: über die Panne mit dem Asylschiff, über gemachte Fehler und wie es beim Thema Asyl weitergeht, weitergehen sollte.
Frau Gäumann, das Thema der Asylunterkünfte hat dieses Jahr schweizweit, aber auch in Basel, die Öffentlichkeit bewegt. Wie haben Sie es erlebt, aufreibender als in anderen Jahren?
Ich würde sagen aufwendiger – und aufreibender. Die Diskussionen sind emotionsgeladener geworden als in früheren Jahren und der Wind, der Flüchtlingen entgegen bläst, ist kälter als auch schon; die Akzeptanz in der Bevölkerung hat abgenommen. Diese klimatische Abkühlung ist national feststellbar, nicht nur in Basel.
Was denken Sie, weshalb?
Eine gute Frage, die ich mir und anderen auch immer wieder stelle. Eine wesentliche Rolle spielt sicherlich ein zusehends angeschlagenes, nationales Selbstverständnis. Die Schweiz, mitten in der EU und doch ausserhalb, ist konfrontiert mit bröckelndem Bankgeheimnis und ungewohnt scharfer Kritik aus dem Ausland, mit unsicherer Wirtschaftslage inmitten globalisierter Märkte und nicht steuerbaren Migrationsbewegungen. Das verunsichert, macht Angst: vor Überfremdung und Identitätsverlust, vor Wohlstands- oder Sicherheitsverlust. Das Reizwort «Asyl» kann viele Emotionen auslösen, die oft wenig mit der Sache selber, aber viel mit den eben beschriebenen Ängsten zu tun haben. Kommt hinzu, dass in der letzten Zeit der Flüchtlingsbegriff unschärfer geworden ist.
Wie meinen Sie das?
Ein Flüchtling ist nicht mehr einfach ein Flüchtling, wie das früher der Fall war. Ein Flüchtling kann «echt» sein und nachvollziehbar schutzbedürftig wie zum Beispiel Asylsuchende aus dem kriegszerrütteten Syrien. Oder aber er kann ein Wirtschaftsflüchtling ohne Zukunft in der Heimat sein, wie zum Beispiel die vielen jungen Männer aus Tunesien, die nichts mehr zu verlieren haben und sich zum Teil entsprechend unmöglich benehmen. Auch diese Unschärfe verunsichert und macht misstrauisch. Was wiederum zur Folge hat, dass Asylsuchende von vielen Leuten kollektiv unter Missbrauchsverdacht gestellt werden.
Das macht es aber auch einfacher, Ängste zu bewirtschaften.
Ganz klar. Und hier stellt sich grundsätzlich die Frage nach Verantwortung. Es geht doch darum, wie wir als eines der reichsten Länder der Welt auf die Tatsache globaler Migration reagieren können. Welchen Teil wir dazu beitragen können, Lösungen zu finden für die grossen Fragen und Probleme, die sich daraus ergeben. Und nicht darum, Ängste zu bewirtschaften, sei dies aus politischen oder wirtschaftlichen Machtinteressen. Mir ist aber auch wichtig zu betonen, dass sehr viele Menschen in unserm Land mit offenem Geist und konstruktiv mit Migrationsfragen umgehen. Auch in Basel.
Das Asylschiff, das im St. Johann hätte anlegen sollen, stellte sich als ziemlicher Flop heraus. Was ist schief gelaufen?
Das Asylschiff ist wahrlich eine leidige Geschichte. Auch wenn es niemand glauben will: mit Verschleierungs- oder Wahlkampf oder sonstiger Taktik hat das Ganze nichts zu tun. Die Sache ist ziemlich banal: Das Asylschiff war von Anfang an ein zeitlich befristetes Projekt, das Schiff hätte nur bis maximal Ende November 2013 am St. Johann-Steg bleiben können. Ab Dezember 2013 wird dort gebaut. Gleichzeitig war klar, dass das Schiff mindestens ein Jahr bespielt werden muss, um wirtschaftlich zu sein. Eine kürzere Phase wäre zu teuer geworden. Eigentlich sollte das Schiff ja eine rasche und unkomplizierte Übergangslösung sein. Das vielschichtige Bewilligungsverfahren brauchte aber seine Zeit.
Ist denn das vorgesehene Schiff nicht vorher auf seinen Zustand überprüft worden?
Soweit das möglich war, schon. Anfangs Oktober waren alle juristischen, logistischen, politischen Hürden genommen, der Dialog mit den AnwohnerInnen war auf gutem Weg und der Schiffseigner legte das Schiff auf Trockendock. Bis Ende Oktober schien alles in Ordnung. Erst am 1. November erfuhren wir, dass am Schiff technische Schäden festgestellt worden waren, deren Behebung mindestens 10 Wochen gedauert hätten. Aber es gab keinen zeitlichen Spielraum mehr. Und das vom Schiffseigner angebotene Ersatzschiff war ungeeignet. Diese Meldung bedeutete das Aus. Ich bedaure sehr, dass das Projekt so kurz vor der Umsetzung gescheitert ist.
Die neuste Kritik gibt’s wegen dem Hinterhaus an der Mittleren Strasse, das demnächst als Asylunterkunft genutzt wird. Vor allem weil die Anwohner es aus den Medien erfuhren.
Ja, und wir nehmen diese Kritik auch ernst. Aber auch hier ist wichtig, die Verhältnismässigkeit im Auge zu behalten: Die Anwohner, die sich beklagt und die Medien aktiviert haben, kann man an zwei Händen abzählen. Alle anderen rundherum scheint die Sache entweder nicht zu interessieren, oder aber sie haben keine Einwände oder werden diese vielleicht an der Informationsveranstaltung Mitte Januar anbringen. Die Sozialhilfe hat eine entsprechende Einladung in alle Briefkästen der näheren Nachbarschaft verteilen lassen (siehe Hintergrund des Artikels).
Weshalb informiert man denn die direkte Nachbarschaft nicht früher? Sie fühlte sich ernst genommen, und es wäre nicht so einfach, Überfremdungsängste zu schüren?
Die Frage ist berechtigt. In der Regel ist es auch so, dass wir zuerst die Anwohner informieren und erst danach die Öffentlichkeit. In diesem Fall lief es wirklich unglücklich. Als das WSU (red. Anmerkung: Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt) bekannt gegeben hat, dass auf das Asylschiff verzichtet werden muss, war auch die Information über die Folgelösung unumgänglich. Es ging alles sehr rasch. Und eigentlich war es ein Glücksfall, dass nur kurze Zeit vor der Schiffsabsage eine Liegenschaft aufgetaucht ist. Aber wir haben unsere Lehren aus diesem Fall gezogen und werden künftig anders vorgehen.
Die Betreuungsfirma ORS geriet in letzter Zeit ebenfalls in Kritik, hauptsächlich wegen ungenügender und unprofessioneller Betreuung, überlegen Sie sich andere Lösungen?
Ich kann diesen Vorwurf der ungenügenden und unprofessionellen Betreuung nicht stützen, die Zusammenarbeit mit der ORS in der Zivilschutzanlage – und nur dort ist sie im Einsatz in Basel-Stadt – ist sehr professionell. In den anderen rund 25 Asyl-Liegenschaften ist die Sozialhilfe zuständig. Das Unterbringungs- und Betreuungskonzept der Sozialhilfe bewährt sich gut. Wichtig dabei ist, was ein Asylsuchender kann und braucht. Die einen brauchen mehr Betreuung, andere mehr Kontrolle, wieder andere können ihren Alltag selbstständig meistern.
Die Schweiz hat viel zu wenige Unterkünfte, der Bund plant grosse Zentren, was bedeutet das für Basel?
Es wäre verfrüht, jetzt dazu etwas zu sagen. Am 21. Januar 2013 wird in Bern die grosse Asylkonferenz stattfinden, zu welcher Bundesrätin Sommaruga Vertretungen der Kantonsregierungen, der Städte und Gemeinden eingeladen hat. Die Konferenz wird richtungsweisend sein, was die Neustrukturierung des Asylbereichs betrifft. Man kann wohl davon ausgehen, dass das bisherige Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundes bleiben wird, aber für Basel-Stadt keine tiefgreifenden Veränderungen zu erwarten sind. Basel-Stadt mit EVZ und Ausschaffungsgefängnis leistet seinen Beitrag. Sollte das EVZ weiter ausgebaut werden, dann müssten regionale Lösungen mit Nachbarkantonen gesucht werden. So wie dies aktuell bereits mit Basel-Landschaft der Fall ist: In Allschwil stehen dem Bund schon bald weitere 150 EVZ-Plätze zur Verfügung.
Und was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?
Die Welt hört nicht an der Landesgrenze auf, die Schweiz gehört dazu zu dieser Welt. Ich hoffe, dass diese Tatsache in immer mehr Köpfen immer mehr Raum einnehmen kann. Denn wie bereits gesagt, die Schweiz ist reich und privilegiert, und ihre Bevölkerung ist aufgerufen, diese Ausgangslage verantwortungsvoll und solidarisch zu nutzen. Und dann wünsche ich mir, dass man vermehrt wieder ins Zentrum der Diskussion rund um Asyl rücken kann, dass es hier nicht um funktionale Abläufe, Fristen und Kosten rund um eine austauschbare Ware geht, sondern um Menschen. Menschen wie Sie und ich, denen Respekt gebührt.