«Es ist eben schon das Heidiland hier»

Charlotte «Lotti» Schwab (60), deutscher TV-Star, aufgewachsen in Basel, zurzeit in Zürich auf der Bühne. Sie möchte dereinst ganz in die Schweiz zurückkehren.

«Die Deutschen goutieren es nicht, dass es die Schweiz ermöglicht, Steuern zu hinterziehen...» (Bild: Désirée Good)

Charlotte «Lotti» Schwab (60), deutscher TV-Star, aufgewachsen in Basel, zurzeit in Zürich auf der Bühne. Sie möchte dereinst ganz in die Schweiz zurückkehren.

Von Starallüren keine Spur. Selbst, wenn der Kellner etwas harsch fragt, weshalb die Fotografin Frau Schwab ständig fotografiere, bleibt sie freundlich: «Ich bin Schauspielerin und gebe ein Interview.» Sie sagt es in perfektem Hochdeutsch, auch der Kellner spricht so.

Kein Mensch käme hier in der Schweiz auf die Idee, dass diese Frau Schweizerin sein könnte – schliesslich ist sie ein bekanntes Gesicht des deutschen Fernsehens. Jetzt, mit 60 Jahren, bekommt Charlotte Schwab langsam Heimweh nach ihrem Heimatland.

Hier in Zürich sind Deutsche besonders unbeliebt, wie den Medien zu entnehmen ist. Werden Sie auf der Strasse angefeindet?

Nein, das nicht. Mich wundert aber, dass ich hier so viele Sprachen höre. Das ist ein sehr gutes Zeichen.

Hamburg, wo Sie leben, ist doch auch eine internationale Stadt.

Schon, aber dort wird hauptsächlich Deutsch geredet auf der Strasse. Und wenn doch einmal jemand Englisch spricht, ist es oft ein Tourist oder ein Geschäftsmann auf der Durchreise.

Hamburg ist also deutscher, als Zürich schweizerisch ist. Wie empfinden Sie Ihre Heimatstadt Basel, die als Multikulti-Hochburg der Deutschscheiz gilt?

Ehrlich gesagt, bin ich selten in Basel. Wenn ich in der Schweiz bin, drehe ich meist in Zürich oder bin hier an einem Theater engagiert.

Wann waren Sie zuletzt in Basel?

Im April. Ich traf mich dort mit einem guten alten Freund. Und ich habe festgestellt, dass sich viel verändert hat, dass es etwa Orte meiner Jugend nicht mehr gibt. Ich denke da ans «Happy Night» beim Bahnhof, das war früher meine Stube.

Sie haben bestimmt viele gute alte Freunde in Basel.

Gar nicht, ich kenne praktisch niemanden mehr in Basel. Ich lebe seit bald vierzig Jahren in Deutschland, also länger, als ich insgesamt in der Schweiz gelebt habe. Mitte der Achtzigerjahre war ich für einige Jahre am Zürcher Schauspielhaus engagiert. Insofern kenne ich wirklich praktisch niemanden mehr in Basel. Und ich weiss nicht, was dort läuft.

Sie haben keinen Bezug mehr?

Eigentlich nicht, ausser natürlich den, dass ich dort aufgewachsen bin. Das heisst: Ich bin in Möhlin gross geworden, und als ich zehn Jahre alt war, sind wir in die Stadt gezogen.

Empfinden Sie Basel trotzdem noch als Ihre Heimat – oder ist es einfach eine Stadt von vielen?

Heimat ist für mich dort, wo mein Schreibtisch steht. Aber ja, je älter ich werde, umso mehr empfinde ich die Schweiz als ein Stück Heimat.

Werden Sie in der Schweiz als Deutsche wahrgenommen und entsprechend angesprochen?

Ja. Erstaunlicherweise werde ich oft angesprochen, meist sogar mit Namen. Andere Leute fragen mich: «Woher kennen wir uns?» Ich sage dann, dass wir uns nicht kennen, sie mich aber im Fernsehen sehen.

Ist Ihnen das unangenehm?

Schon, lustig wird es aber, wenn die Leute staunen, dass ich Ihnen auf Schweizerdeutsch antworte.

Es heisst immer, Schweizer seien zurückhaltend und gingen weniger rasch auf Prominente zu, als dies in Deutschland der Fall sei.

Das stimmt schon. Am extremsten ist es aber in Italien. Dort läuft «Alarm für Cobra 11» täglich und ist unglaublich beliebt beim Publikum.

Sagen die Italiener zu Ihnen: «Buon giorno, Signora Schwab»?

Nein, Sie fragen, ob ich die Frau mit dem Auto aus «Cobra undici» sei.

In den deutschen Medien heisst es höchstens, Sie seien «gebürtige Schweizerin». Mehr zum Thema liest man aber nie. Warum?

Die Deutschen interessieren sich diesbezüglich für zwei Dinge. Sie wollen wissen, wie es für eine Schweizerin ist, im Norden zu leben, und was ich am meisten vermisse.

Wie ist es im hohen Norden?

Faszinierend. Als ich in Düsseldorf lebte, war ich sicher, dass ich niemals weiter nach Norden ziehen werde. Doch dann landete ich in Bremen und später in Hamburg, wo mir das Raue und Karge gefällt.

Und was vermissen Sie?

Die Vielfalt der Schweizer Natur und den hohen Lebensstandard hier. Ich denke sogar daran, den Lebensabend in der Schweiz zu verbringen.

Das ist aber noch nicht aktuell?

Gedanklich schon, ich setzte mich ständig mit dem Altwerden und auch mit dem Sterben auseinander.

Wann kommen Sie zurück?

Das habe ich noch nicht entschieden. Ich denke aber, dass ich eher in Zürich leben werde als in Basel, weil ich hier meine Freunde habe und es auch mehr Arbeit für mich gibt.

Lebensabend bedeutet für Sie also nicht, sich zur Ruhe zu setzen? Ist es schwierig, in Ihrem Alter Rollen zu bekommen?

Das fängt schon früher an, da die Branche immer jugendorientierter wird. Das führt leider dazu, dass viele Kolleginnen Botox spritzen oder sonst etwas am Körper machen lassen.

Sie sind also eine Ausnahme.

Es ist schon so weit, dass ich Komplimente nicht mehr einfach annehmen kann, sondern gleich denke, dass diese Person meinen könnte, ich hätte mich operieren lassen.

Für Sie käme das nicht in Frage?

Nein. Und ich bin zuversichtlich, dass ich meine Meinung nicht ändern werde. Aber es ist schon ein Kampf. Ich schaue in den Spiegel, sehe Falten. Mit dem Alter wird gar nichts besser, wirklich nichts.

Sie spielen im Stück «Die Heimholung», das derzeit im Zürcher Theater Rigiblick aufgeführt wird, Friedrich Nietzsches ­Mutter. Sind solche Figuren ­typische Rollen, die Ihnen an­geboten werden?

Naja, eigentlich sollte ich bereits Grossmutterrollen angeboten bekommen (lacht). Mein älterer Sohn ist schliesslich schon 30 Jahre alt. Ich hab damit aber kein Problem.

Machen Sie das Stück, weil Sie sich für Philosophie interessieren – oder ist es umgekehrt?

Mich hat Philosophie schon vor diesem Stück interessiert.

Und wie ist es bei Ihren Kommissarinnen-Rollen, Sie werden sich kaum schon vorher …

… doch!

… brennend für Polizeiarbeit interessiert haben.

Seit meiner Jugend lese ich Krimis und parallel dazu Bücher über Psychologie. Das gehört für mich zusammen. Wie kommt ein Mensch dazu, kriminell zu werden? Wann ist die Grenze überschritten?

Können Sie diese Fragen bei den Dreharbeiten einbringen?

Ja, bei den Leseproben ist es sogar gefragt, die weibliche Intuition hervorzuheben. Daher gibt es auch vermehrt Kommissarinnen im Fernsehen.

Sie haben 24 Jahre Theater ­gemacht, bevor Sie 1997 mit dem Film «Die Konkurrentin» überall berühmt wurden. Wird Theater zu wenig gewürdigt?

Ja, das ist leider so. Es sind zwei verschiedene Berufe. Im Theater entwickelt man über Wochen eine Figur. Diese muss wenig mit einem selber zu tun haben. Nietzsches Mutter beispielsweise hat gar nichts mit mir zu tun, umso spannender ist es, die Rolle zu erarbeiten. Im Fernsehen hingegen muss man möglichst sein, wie man auch in Wirklichkeit ist. Ich würde beispielsweise kaum eine Rolle als türkische Putzfrau erhalten.

Werden Sie vom Publikum auch als Kommissarin betrachtet, wenn Sie privat unterwegs sind?

Ja. Mein verstorbener Kollege Klausjürgen Wussow von der «Schwarzwaldklinik» erhielt sogar privat Anfragen nach Diagnosen. Und «Derrick» wurde von Leuten gefragt, wie sie ihr Haus sichern sollen.

Sie spielten in «Die Konkurrentin» eine lesbische Frau. Galten sie danach als Lesbe?

Ich wurde nach dem Film oft gefragt, ob ich denn lesbisch sei. Auch im Internet stand viel darüber.

Inzwischen ist es schwierig, Privates über Sie zu finden. Hauptthema bei Ihren Fans ist die Frage, ob man Ihnen den Schweizer Akzent anhört. Die Fans sind sich einig: Man hört ihn nicht.

Basler haben Vorteile gegenüber Zürchern oder Bernern. Und bei mir hat das reine Hochdeutsch nebst der Ausbildung damit zu tun, dass ich schon so lange in Deutschland lebe. Ich denke inzwischen sogar deutsch.

Als gelernte Telefonistin der Post mussten Sie bestimmt auch oft Hochdeutsch reden.

Ja. Und die Väter meiner Söhne sowie die Söhne selber sprechen auch Hochdeutsch.

Wurden Sie wegen Ihrer tiefen Stimme Telefonistin?

Nein, es lag vielmehr am Geld. Die Ausbildung dauerte nicht lange und ich wurde gut bezahlt. Mir war aber klar: Ich mache das sicher nicht ewig. Meine Mutter war Garderobiere in der «Komödie», und da ich schon als Teenager gern ins Theater ging, war ich immer dort, wenn sie arbeitete. Das war der Grundstein für meine zweite Ausbildung – ausserdem war meine ­Mutter froh, zu wissen, wo ich bin.

Was hat Sie daran fasziniert?

Es war auch eine Art Flucht, ich hörte und sah alle möglichen Geschichten und konnte darin abtauchen.

Wovor flüchteten Sie?

Meine Schwester starb jung, meine Eltern liessen sich scheiden, und wir zogen vom Land in die Stadt. Das machte mich oriertierungslos. Insofern war das Theater eine Rettung.

Eine Rettung, aber auch ein ständiger Kampf, oder nicht?

Klar, Sicherheit gibt es nie in diesem Beruf. Wenn es hoch kommt, ist man zwei Jahre am Stück engagiert, wobei auch diese zwei Jahre nie gewährleistet sind. In dem Beruf muss man brennen – sonst geht es nicht.

Sind Sie auch aus finanziellen Gründen zum TV gegangen?

Theater ist wirklich sehr schlecht bezahlt, während man beim Fernsehen wahnsinnig viel Geld verdient. Das ist eine grosse Ungerechtigkeit in dem Job. Anderseits hat man beim Fernsehen Glück, wenn man drei Aufträge im Jahr bekommt. Einteilen muss man sich in beiden Fällen.

Sie sind mit den Serien privilegiert. «Das Duo» des ZDF sichert Ihnen regelmässige Jobs. Wann sieht man Sie im «Tatort»?

Ich habe dort schon oft mitgespielt, war aber im Gegensatz zum «Duo» nie feste Kommissarin. Klar, es kommt einem Ritterschlag gleich, «Tatort»-Kommissar zu sein, ich bin aber ganz zufrieden mit dem «Duo».

Unter uns gesagt: Der «Tatort» ist in letzter Zeit oft schlecht.

Es kann nicht jeder Film gleich gut sein, dennoch: «Tatort» ist Kult.

Ihre «Duo»-Partnerin Lisa Martinek schätzt an Ihnen besonders, dass Sie eine Geniesserin sind. Was geniessen Sie privat?

Essen und Trinken. Wichtig ist für mich, in Ruhe essen zu können. Ich koche täglich, meist Italienisch. Pasta könnte ich immer essen. Es ist das Einfache, das mir gefällt. Und das Spontane. Ein paar Leute sitzen zusammen, bekommen Hunger – und kochen etwas mit den Zutaten, die halt gerade im Kühlschrank liegen.

Was gibt es sonst Privates über Charlotte Schwab zu wissen?

Hm, ich rede lieber über meine Gedanken und über meine Arbeit. Privat bedeutet ja: Männergeschichten.

«So schön die Schauspielerei ist; es ist ein harter Job. Man öffnet sich ganz. Jeder darf über einen sagen, was er will. Man ist ausgesetzt.»

Ihr älterer Sohn ist auch Schauspieler, sind Sie froh darüber?

Im Gegenteil, wir waren anfangs unglücklich über seine Entscheidung. Mit «wir» meine ich seinen Vater, der ebenfalls Schauspieler ist und meinen zweiten Mann – auch er ist Schauspieler. Wir versuchten, dem Sohn zu vermitteln, dass es in diesem Beruf nicht üblich ist, ­erfolgreich zu sein. So schön die Schauspielerei ist – es ist ein harter Job. Man öffnet sich voll und ganz. Vom ersten Tag an stellt man sich permanent zur Verfügung, jeder darf über einen sagen, was er will. Man ist ausgesetzt.

Umso wichtiger ist es dann, sich Zeit zum Rückzug zu nehmen.

Ja. Ich bin sowieso ein Stubenhocker und halte mich gern zu Hause auf.

Wo Sie niemand anschaut?

Das ist mir oft gar nicht bewusst.

Spüren Sie die Blicke nicht, wenn Sie auf der Strasse gehen?

Doch, schon, aber ich gehe nicht mit dem Bewusstsein durch die Stras­sen, von allen erkannt zu werden.

Kommen wir nochmals auf Deutschland zu sprechen: Wie ist der Ruf der Schweiz derzeit?

Das Image ist im Moment schlecht. Die Deutschen goutieren es nicht, dass die Schweiz es ermöglicht, Steuern zu hinterziehen. Die Geschichte rund um Uli Hoeness hat zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.

Man hört nichts Gutes über uns?

Auch. Viele beneiden die Schweizer um die Lebensqualität und darum, dass das Land bisher weitgehend von der Krise verschont worden ist.

Wie erleben Sie die Krise?

Wir bezahlen immer mehr Steuern …

Da versteht man Hoeness ja fast.

Eigentlich schon, wobei es ja immer die Reichen sind, die sich so etwas überhaupt erlauben können. Leute, denen ein paar Millionen mehr oder weniger nichts ausmachen. Die Armen aber, die trifft es am härtesten: Sie werden zur Kasse gebeten, haben kaum einen Steuerberater zur Hand.

Geniessen Sie Ihre Zeit in der Schweiz ohne all die Sorgen?

Natürlich. Und ich denke immer: Es ist eben schon das Heidiland hier. Wobei es den Deutschen weit besser geht als etwa den Spaniern. Noch.

Sie befürchten, dass es mit der Krise noch schlimmer wird?

Es wird sicher nicht einfacher. Auf der Welt nicht – und in meiner Branche nicht. Die wird immer härter.

Sie haben etliche Rollen gespielt, Theater gemacht, Filme gedreht, Serien. Dennoch: Haben Sie noch einen unerfüllten Traum?

Aber ja! Ich würde zum Beispiel gern eine demente Frau spielen. Und zwar auch darum, weil mir auffällt, dass dieses Thema immer nur mit männlichen Schauspielern behandelt wird. Gern würde ich auch eine Sportpsychologin spielen, die sich mit schwulen Fussballern auseinandersetzt. Das sind Themen, die wahrscheinlich mehr Menschen betreffen, als gemeinhin angenommen wird.

  • Charlotte Schwab steht derzeit im Zürcher Theater Rigiblick im Stück «Die Heimholung» nach einer Erzählung von Ludger Lütkehaus auf der Bühne. Die Geschichte handelt von Friedrich Nietzsche, der nach seinem Zusammenbruch 1889 zurück zur Familie kehrt. Charlotte Schwab spielt Nietzsches Mutter.

Charlotte Schwab
Die Schauspielerin kam 1952 in Möhlin im Fricktal zur Welt. Bevor sie das Konservatorium für Musik und Schauspiel in Bern absolvierte, liess sich ­Charlotte Schwab bei der Basler Hauptpost zur ­Telefonistin ausbilden. 1974 erhielt sie ihr erstes Theaterengagement in Trier.
Danach stand sie mehr als 20 Jahre ­erfolgreich auf vielen Bühnen in der Schweiz und in Deutschland. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Jürgen Flimm, Claus Peymann, Peter Stein, Sven-Eric Bechtolf und Katharina ­Thalbach zusammen. Von 1997 bis 2008 stand sie für die RTL-Serie «Alarm für Cobra 11» vor der Kamera. Beim breiten Publikum wurde sie 1997 durch den Film «Die Konkurrentin» bekannt.
Seit 2002 spielt sie eine von zwei Hauptkommissarinnen in der ZDF-Krimireihe «Das Duo». Daneben steht sie immer wieder auf der Bühne, derzeit im Theater Rigiblick in Zürich, wo sie im Stück «Die Heimholung» von Ludger Lütkehaus Friedrich Nietzsches Mutter spielt. Charlotte Schwab hat zwei erwachsene Söhne. Sie lebt in Hamburg.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.06.13

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