Beat Aeberhard gestaltet als neuer Kantonsbaumeister Basels Zukunft. «Wir dürfen das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren», sagt er im Interview.
Seit dem 1. April ist Beat Aeberhard Leiter Städtebau und Architektur im Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt und somit Nachfolger von Fritz Schumacher. Zuvor war er Stadtarchitekt in Zug. Dass er erst seit Kurzem in Basel lebt, merkt man ihm nicht an. Erstaunlich gut kennt sich Aeberhard hier schon aus. Der 46-Jährige ist seit seiner Ankunft viel herumspaziert in der Stadt. Seine Eindrücke, Pläne und Visionen für Basel.
Herr Aeberhard, Sie sind von Zug nach Basel gezogen. Für welches Quartier haben Sie sich entschieden?
Momentan leben wir im St. Johann.
Was war der ausschlaggebende Grund für das St. Johann?
Bei diesem angespannten Wohnungsmarkt ist es sicher auch Zufall, dass wir nun dort leben. Aber das St. Johann ist ein spannendes Quartier: Es ist sehr durchmischt, im Umbruch, und es herrscht eine gute Stimmung. Das mag ich. Wir werden jedoch nicht im St. Johann bleiben.
Wieso?
Die Dreizimmerwohnung ist eine Übergangslösung. Für eine vierköpfige Familie ist sie auf Dauer zu klein. Wir ziehen ins Neubad.
Sie mögen es also eher ruhig und idyllisch?
Nein. Das Neubad ist eine neue Situation für mich und meine Familie, wir werden uns umgewöhnen müssen. Bis anhin wohnten wir in der Zuger Altstadt, da wird es gerade im Sommer bis in alle Nacht recht lebhaft. Zuvor in Zürich und New York lebten wir ebenfalls in sehr urbanem Umfeld, es war alles andere als idyllisch. Letztlich hat sich das Neubad zufällig ergeben. Und für uns als Familie ist es sicher eine privilegierte Wohnlage.
Sie sind in den ersten Monaten viel herumspaziert in der Stadt. Wie würden Sie Basel städtebaulich beschreiben?
Basel ist eine heterogene Stadt. Hier prallen unterschiedliche Welten aufeinander. So gibt es einerseits eine sehr idyllische Altstadt. Auf der anderen Seite gibt es aussergewöhnlich dynamische Firmen-Areale, die alle einen eigenen Charakter haben und jeweils unterschiedlich in die Quartiere eingebettet sind. Es gibt spannende Quartiere aus der Gründerzeit wie das Matthäus oder das Gundeli und natürlich auch durchgrünte Nachbarschaften wie das Bruderholz. Das zeichnet Basel aus: die Unterschiedlichkeit und das Nebeneinander der verschiedenen Quartiere. Das finde ich an Basel faszinierend und erachte es als grosse Qualität der Stadt.
Was ist Ihnen bei Ihren Spaziergängen besonders aufgefallen?
In vielen Quartieren ist eine gewisse Aufbruchstimmung spürbar, nicht nur in den bekannten Entwicklungsgebieten im Dreispitz oder Basel Nord. Man sieht, dass dort etwas geschehen wird. Basel wächst. Zudem sind teilweise heftige Brüche innerhalb der Quartiere feststellbar.
Wie meinen Sie das?
Im Kleinbasel etwa stehen beachtliche Häuser aus der Gründerzeit direkt neben banalen Betonbauten aus den Sechzigerjahren. Das hat eine gewisse Härte.
Wo sehen Sie vor allem Handlungsbedarf?
Ich glaube, aus dem öffentlichen Raum könnte man mehr machen. Der Münsterplatz hier vor meinem Büro ist ja wunderbar, doch an anderen Orten gibt es tatsächlich Defizite. Aber das ist ja erkannt.
Sie meinen beispielsweise den Barfüsserplatz?
Ja. Dieser Platz wird seinem Potenzial in gestalterischer Hinsicht bei Weitem nicht gerecht. Der Barfüsserplatz könnte aufgrund seiner prominenten Lage als Visitenkarte der Stadt viel mehr leisten. Ich glaube, dass sich dies mit der Erweiterung des Stadtcasinos ändern wird. Die an einen Hinterhof erinnernde Situation wird bereinigt. Zudem wird auch die Anbindung zum Theaterplatz neu. Das ist städtebaulich eine grosse Chance.
Mehr könnte man auch aus dem Messeplatz machen, der nicht belebt ist.
Ist er nicht belebt? Ich habe da einen anderen Eindruck.
Auf dem Messeplatz ist nur während der Baselworld oder der Art Basel wirklich etwas los. Ansonsten kommt die Bevölkerung wenig mit diesem Platz in Berührung.
Das Beispiel Messeplatz zeigt exemplarisch, wie ein Platz funktioniert: Primär aufgrund seiner Nutzung oder seiner Anrainer. Die Messe hat eine gewisse Kadenz mit vielen Leuten. Während der Art beispielsweise geht auf diesem Platz die Post ab, momentan läuft nicht viel. Damit habe ich persönlich kein Problem, im Gegenteil: Ich finde das gut und spannend. Es ist richtig, dass sich ein öffentlicher Platz im Laufe des Jahres oder der Tageszeit wandelt. Auf einem Platz muss nicht immer irgendetwas passieren. Vor der Leere sollte man keine Angst haben. Über den Messeneubau ist im Vorfeld ja viel geredet worden. Wenn ich ehrlich bin; ich bin positiv überrascht von diesem Platz und seiner Funktionsweise.
Der Platz ist doch ein Loch.
Ich habe ihn mir dunkler vorgestellt. Als ich damals aus der Ferne zum ersten Mal vom Vorhaben, den Messeplatz zu überbauen, hörte, hatte ich doch gewisse Zweifel.
Inwiefern?
Ob es überhaupt möglich ist, einen öffentlichen Platz zu überbauen. Aber ich finde, dass dies auf eine sehr geschickte Art gemacht worden ist – mit der seitlichen, fast intimen Fassung des Raums und der Öffnung mit Bezug zum Himmel.
Worauf legen Sie als Kantonsbaumeister städtebaulich viel Wert?
Auf eine qualitativ hochwertige Entwicklung des lebenden Organismus Stadt.
Das hört sich sehr allgemein an. Was verstehen Sie darunter?
Unsere Aufgabe ist es, Lebens- und Gestaltungsraum für alle zu schaffen – und damit meine ich wirklich alle: Bewohner, Gäste, Arbeitnehmende, Unternehmungen, Alte, Junge, Schweizer, Ausländer. Für eine lebendige Stadt ist die Durchmischung von Nutzungsarten und Bevölkerungskreisen entscheidend. Wir steuern hier nicht nur, sondern sehen uns auch in der Rolle des Koordinators. Wir vermitteln zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern, Investoren und Politik. Die Stadt ist nie fertig gebaut.
Eine gute Stadtplanung ist also, wenn alle Interessen einigermassen berücksichtigt werden?
Man kann nie alle berücksichtigen. Es braucht eine Haltung und eine Vorstellung davon, was man will. Man muss wissen, was man macht und warum man es ausgerechnet so macht. Der demokratische Prozess ist zwar oft mühsam und nicht unbedingt Garant für grosse Architektur, aber das Reiben an Widerständen und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragen führen letztlich zu stabileren Lösungen. Dazu braucht es einen Konsens. Und Konsens ist nicht gleichzusetzen mit faulem Kompromiss.
Haben Sie eine städtebauliche Vision für Basel?
Ich will die Identität von Basel weiterstricken und stärken. Gewissermassen auf der DNA der Stadt aufbauen. So wie über Jahrhunderte der rote Sandstein stadtbildprägend war. Insofern bildet der qualifizierte Bestand eine wichtige Grundlage. Wir dürfen das grosse Ganze, das ich mal Stadtidee nenne, nicht aus den Augen verlieren. Diese Idee wollen wir mit Pragmatismus verfolgen. Mit einer Haltung, die mit den Unwägbarkeiten und sich ständig ändernden Gegebenheiten eines Planungsprozesses umgehen kann, ohne das einmal vereinbarte Ziel beim ersten Widerstand über den Haufen zu werfen. Das ist keine einfache Aufgabe, gerade weil Basel sehr heterogen ist und die Quartiere so unterschiedlich funktionieren. Zudem werden wir gefordert sein, gewisse Entwicklungen einzudämmen.
Was meinen Sie damit genau?
Spektakelarchitektur, die einfach verpufft.
Haben wir denn Spektakelarchitektur in der Stadt?
Wenige. Das vom Volk verworfene Stadtcasino würde ich im Rückblick dieser Kategorie zuordnen. Es ist einfach nicht nötig und passend, überall mit spektakulären Bauten zu operieren. Dass Basel über eine hohe Baukultur verfügt, darüber herrscht Konsens. Genauer betrachtet ist es ein differenziertes Bild, das sich uns bietet. Da sind die global agierenden Firmen, die sich vor allem Architekten von Weltrang leisten. Dann gibt es eine breite, äusserst begabte Gruppe von Architekten, die vorzügliche Einzelbauten vornehmlich für Institutionen und Private bauen. Diese beiden ersten Kategorien tragen das Image von Basel als Architekturstadt in die Welt hinaus. Leider gibt es aber auch die Unbedarften und die Frivolen. Sie produzieren Spekulationsarchitektur, die in ihrer kulturellen Gleichgültigkeit nach der Maxime des maximalen Volumenkonsums funktioniert. Und schliesslich gibt es eine ganze Generation von jüngeren, sehr talentierten Architektinnen und Architekten, die ebenfalls ihren Platz suchen. Sie zu fördern, ist Aufgabe der öffentlichen Hand.
Ihr Vorgänger Fritz Schumacher hatte Mühe mit dem Roche-Turm. Er meinte, der Bau sei überdimensioniert – aber im Gesamtinteresse der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt habe er ihm zugestimmt. Wie gefällt Ihnen der Bau?
Es ist unbestritten, dass der Roche-Turm einen Massstab-Sprung für diese Stadt darstellt. Er ist aber in erster Linie ein direktes Abbild unserer heutigen Gesellschaft und der wirtschaftlichen Prosperität. Vom städtebaulichen Kontext losgelöst, halte ich den Roche-Turm für ein gutes Bauwerk. Und er wird ganz klar dazugewinnen, wenn weitere Türme folgen. Diese werden auf der für das Roche-Areal entwickelten spezifischen Gebäudetypologie basieren und eine Ensemblewirkung entfalten.
Wie viele Hochhäuser erträgt die Stadt?
Da kann man keine Zahl nennen.
Hochhäuser scheinen in der Verwaltung eine Antwort auf die Wohnungsnot zu sein …
Sie sind lediglich eine von mehreren Möglichkeiten, neue Wohnungen oder Arbeitsplätze zu generieren.
Was gibt es sonst noch für Lösungen gegen die Wohnungsnot?
Es braucht mehr denn je innovative Vorstellungen davon, wie wir heute wohnen wollen. Die Vielfalt und die Durchmischung machen es aus. Ich glaube, die Zeit, in der man einfach Wohnungen ab der Stange baute, neigt sich langsam dem Ende zu. Zumal wir vor demografischen Herausforderungen stehen. Es braucht in Basel neue Modelle, neue Wohnformen. In Zürich ist man diesbezüglich schon weiter. Ich erhoffe mir beispielsweise einiges von der kürzlich gegründeten Genossenschaft «Wohnen und mehr», die andere Wohnmodelle erproben will. Meines Erachtens ist da auch der Kanton gefordert.
Eine verpasste Chance gegen die Wohnungsnot ist die Stadtrandentwicklung Ost. Im September 2014 lehnte die Bevölkerung den Zonenplan für eine neue Entwicklung beim Rankhof ab. Eine Nachanalyse ergab, dass 72 Prozent der Befragten jedoch der Meinung sind, dass die Verwaltung noch einmal über die Stadtrandentwicklung Ost nachdenken sollte. Haben Sie schon neue Pläne für das Gebiet?
Es wird dort nichts passieren. Den Volksentscheid gilt es zu respektieren.
Das Dossier bleibt also tatsächlich in der Schublade? Beim Präsidialdepartement hörte sich das anders an.
Ja. Wenn man den Volksentscheid ernst nimmt, muss man die Planungen ein paar Jahre ruhen lassen.
Schwierig sieht es auch für den Hafen aus. Der Widerstand ist riesig. Auf Sie wartet dort keine leichte Aufgabe.
Das ist so. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass man auf der Klybeckinsel eines Tages wohnen wird. Es ist normal, dass Veränderungen bei Menschen reflexartig Ängste auslösen. Einerseits wird das Quartier aufgewertet. Andererseits kann die Quartieraufwertung die Preise in die Höhe treiben. Das ist ein Interessenkonflikt. Dennoch bin ich überzeugt, dass alle von einer qualitativ hochstehenden Entwicklung am Hafen profitieren würden. Gerade die Schaffung von öffentlichem Freiraum am Rheinufer bietet ein grosses Potenzial. Ausserdem hat das Wort «Rheinhattan» zu Missverständnissen geführt. Es ist klar, dass es am Hafen nie so aussehen wird.
Wie wichtig ist Ihnen die Stadtbildkommission?
Sehr wichtig. Die Kommission macht einen sehr guten Job.
Sie gerät immer wieder heftig unter Beschuss.
Dass sie kritisiert wird, liegt in der Natur der Sache. Eine Kommission, die den Leuten «dreinredet», holt sich keine Kränze. Aber ihre Aufgabe ist es, die öffentlichen Interessen gegenüber den berechtigten Anliegen von Privaten zu wahren. Da gehören Auseinandersetzungen und Reibungen dazu. Am Ende profitieren jedoch alle von der Arbeit der Stadtbildkommission, weil letztlich niemandem das Stadtbild egal ist.
Hat das Gewerbe aus Ihrer Sicht genügend Platz in der Stadt?
Das müssen Sie das Gewerbe fragen! Klar ist aber, dass es in der Stadt Platz haben muss für das Gewerbe. Wir verlieren viel, wenn das Gewerbe aus der Stadt abwandert.
Geplante Entwicklungen auf dem Dreispitzareal oder auf dem Lysbüchel-Areal sprechen aber eine andere Sprache. Gerade auf dem Lysbüchel beim Bahnhof St. Johann fühlt sich das Gewerbe durch die Pläne der SBB und des Kantons verdrängt.
Auf dem Lysbüchel-Areal soll es künftig beides geben: Gewerbe und Wohnen. Die gewerblich nutzbaren Flächen sollen verdichtet werden, was die Zahl der Arbeitsplätze erhöht. Basel braucht aber auch Wohnungen zur Linderung des akuten Wohnungsmangels. Da Planungsprozesse langfristig ausgerichtet sind, unsere Welt im Gegenzug aber immer schnelllebiger wird, schlagen wir im Lysbüchel einen zweistufigen Bebauungsplan vor. Im ersten Schritt werden die übergeordneten Rahmenbedingungen gesetzt. In einem zweiten Schritt werden die genauen Bebauungsformen eruiert. Damit sichern wir die Vision, können aber im Detail auf neue Erkenntnisse und Bedürfnisse pragmatisch reagieren – was sicher auch im Sinne des Gewerbes ist.
Aber das laute Gewerbe ist schon nicht mehr so erwünscht.
Sehen Sie, Basel wächst. Dass Basel wächst, gehört zur Qualität der Stadt. Das Wirtschaftswachstum tut uns allen gut und erleichtert mir als Kantonsbaumeister und meinen Mitarbeitenden die Arbeit. Zum Wandel gehört, dass ehemalige Industriegebiete zu gemischten Wohn- und Arbeitsgebieten werden. Auch auf dem Lysbüchel, wo ein Teil künftig neuen Nutzungen zugeführt werden soll, während der nördliche Bereich in der Zone 7, also der Industrie- und Gewerbezone, verbleibt. Dort ist es selbstverständlich weiterhin laut. Im Übrigen ist der Kanton bestrebt, insgesamt genügend Wirtschaftsflächen zur Verfügung zu stellen.
Gibt es eigentlich etwas, das Sie an Basel bei Ihrer Ankunft überrascht hat?
Ja. Die Verkehrsthematik. Ich beobachte mit einer gewissen Irritation, dass das Thema motorisierter Individualverkehr hier sehr emotional diskutiert wird. Wenn man von aussen kommt und weiss, dass es in Zürich oder selbst im kleinen Zug morgens und abends kein Durchkommen mehr gibt, fragt man sich: Und wo genau liegt das Verkehrsproblem in Basel? In Basel scheint mir diesbezüglich die Situation vergleichsweise komfortabel. Klar ist aber, dass es auf der Autobahn anders aussieht. Hier muss mit dem Rheintunnel eine Entlastung geschaffen werden. Die Umsetzung dieses grossen Infrastrukturprojekts betrachte ich neben dem Herzstück der S-Bahn als massgebend für die Weiterentwicklung der Region.
Beat Aeberhard wurde von der Basler Regierung vor einem Jahr zum neuen Kantonsbaumeister ernannt. Der 46-Jährige ist in Zürich aufgewachsen und hat an der ETH Lausanne und Zürich Architektur studiert. An der Columbia University in New York schloss er ein Nachdiplomstudium mit einem Master of Science in Architecture and Urban Design ab. Von 2009 bis Anfang 2015 war er Stadtarchitekt von Zug. Aeberhard ist Vater zweier Kinder und lebt momentan im St. Johann.