Evelinn Trouble: «Zürich ist für mich abgestandener Kaffee, Basel noch ein leeres Blatt»

Früher fluchte sie über Basel. Heute lebt Evelinn Trouble hier. Im Interview erklärt die frisch gekürte Schweizer Musikpreisträgerin, warum die Basler Szene sie inspiriert und Kunstpreise selbst für Punks das einzige Mittel gegen kommerzielle Verblödung sind.

Neubaslerin vor ihrem ersten Heimspiel: Am Freitag tritt Evelinn Trouble im Rossstall der Kaserne auf.

Evelinn Trouble, Sie sind in Zürich aufgewachsen. In den vergangenen Jahren lebten Sie in London und Berlin, im September zogen Sie für die Produktion Ihres neuen Albums nach Basel. Warum?

Ich hatte das Konzept Grossstadt bis oben satt und wollte zurück an einen überschaubaren Ort. In Zürich war es unmöglich, etwas Zahlbares zu finden. Hier in Basel fand ich dann nach einem halben Jahr Sofaleben endlich einen Ort, wo ich mein Zeug deponieren und die Tür hinter mir zumachen konnte.

Der Wechsel nach Basel ist doch überraschend. Bei einem Konzert vor Jahren im Hirscheneck fluchten Sie deftig über Stadt und Publikum.

Oh, diese weltfernen Teenager, die vor der Bühne nur mit sich und ihren Handys beschäftigt waren. Ja, aber Entschuldigung, das waren Vollidioten, was haben die bitte an einem Trouble-Konzert verloren, wenn sie keinen Bock haben auf Musik und menschliche Interaktion?

Und wie haben Sie die Stadt nun kennengelernt?

Mir ist es wohl hier. Ich bin viel am Spazieren und mit dem Velo unterwegs. Ich schätze den Blick in die Weite, nach Deutschland oder Frankreich. Zürich liegt dagegen in einem Tal. Und ich kenne dort jede Ecke. Da ist es schwierig, sich und die Umgebung neu wahrzunehmen. Selbst wenn es eine extrem lebhafte Stadt ist, schmeckt Zürich für mich wie abgestandener Kaffee. Basel ist noch ein leeres Blatt.

Die Flucht aus der kreativen Enge einer Kleinstadt in die Metropolen kennt man. Was sucht man in der umgekehrten Richtung?

Es ist eine Frage der Ressourcen. Als Musikerin brauche ich Leute, die mit mir kollaborieren, die mir helfen, Musik zu machen, wie ich sie höre. Hier kann ich für eine Beat-Idee drei Schlagzeuger anrufen und alle sind dabei. In Berlin geht das vielleicht noch knapp, in London kannst du das vergessen. Da sind alle finanziell so am Kämpfen, dass sie keine Zeit für Experimente haben.

Nach vier Alben und etlichen weiteren Veröffentlichungen erhielt Evelinn Trouble, 29, Mitte September den Schweizer Musikpreis – «als Musikerin mit Ausnahmestimme und Sprengkraft, die ihre komplexen Songs mit elementarer Wucht und dabei brachial und zärtlich zugleich inszeniert. Zu radikal für den Mainstream, sprengt sie die Grenzen der kleinen Schweizer Popwelt.»

Dann haben Sie hier also schon ein Netzwerk aufgebaut?

Mein neuer Schlagzeuger ist tatsächlich aus Basel: J.J. Löw von Serafyn. In meinem Umfeld freuen sich viele Leute, dass ich wieder in der Schweiz bin. Ich war zwar nie komplett weg, habe immer wieder Monate hier verbracht, um mit Theaterprojekten und so Geld zu verdienen. Dadurch habe ich auch ein Netzwerk aufgebaut, auf das ich zurückgreifen kann. Das habe ich allerdings erst in letzter Zeit schätzen gelernt.

Sie haben seit dem Album «Hope Music» auch ein Basler Management.

Durch die Zusammenarbeit mit Radicalis war ich sicher öfter in der Stadt. Ich kann aber noch nicht behaupten, dass ich die Musikszene hier schon richtig ausgecheckt habe. Aber die Bands von hier sind schon recht bei der Sache. Das finde ich cool.

Wie meinen Sie das?

Ich finde die Popszene hier sehr fokussiert. In Zürich empfinde ich das Zusammenspiel machnchmal als chaotisch, das Publikum ist steif und die Bands sind etwas zu cool, um die Show-Situation zu meistern. Drum bin ich dort lieber in der Impro-Szene unterwegs, während ich in Basel Popkonzerte besuche, an denen ich wieder einmal sehen kann, wie das so ist, wenn Songs von Anfang bis Ende durcharrangiert sind. (lacht)

Das klingt, als wäre hier alles besser. Warum sind Sie denn damals nach London gezogen?

Damals musste ich einfach weg von wo ich war. Das Gras ist ja immer grüner auf der anderen Seite. Ich fühlte mich in Zürich extrem eingeengt und hatte so die Vorstellung: Geil, in London trifft man dann so Musiker und macht geiles Zeug. Eine Freundin von mir hatte in London grad eine Garage besetzt. Es reizte mich, dort einzuziehen.

Und wie war die Realität?

Es war ziemlich hart, die Wohnsituation konnten wir nicht halten. Das hat an der Energie gezehrt. Aber das Weggehen aus Zürich war gut. Es hat meinen persönlichen Fokus komplett verändert. Dein ganzes soziales Umfeld fällt weg. Du bist deine Insel und definierst neu, was wichtig ist. Ich schrieb damals das Konzeptalbum «Arrowhead». Für die ausschweifenden Song-Trips bin ich kompositorisch über mich hinausgewachsen, habe mich sozusagen überdehnt. So, wie wenn man etwas von einem ein hohen Regal will und dafür Bewegungen machen muss, die man noch nie gemacht hat. Es tut zwar weh, aber es kommt was dabei raus.

«In London sind die guten Musiker entweder ausgebucht oder haben wegen ihren drei Nebenjobs keine Zeit zu spielen.»

Und warum der Wechsel nach Berlin?

Das war die impulsive Entscheidung eines Sommers, in dem ich eigentlich konstant bekifft war und sowas wie einem inneren Flow gefolgt bin. London hatte ich langsam satt, weil ich immer wieder in dieselben Wände lief. Die guten Musiker sind entweder ausgebucht oder haben wegen ihren drei Nebenjobs keine Zeit zu spielen. Jede armselige Stunde in einem Proberaum am noch so fernen Stadtrand kostet Geld. So konnte ich kein Netzwerk aufbauen. Dann war ich für eine Woche in Berlin und fand über Leute, die ich bereits kannte, schnell Anschluss und auch gleich ein Zimmer. Zwei Wochen später zog ich um.

In London lernten Sie sich selber kennen, was entdeckten Sie in Berlin?

Auf die Anfangseuphorie folgte erst eine Art Schwarzes Loch. Da habe ich ziemlich hart über meine eigene Vergangenheit bilanziert und fand eine Weile keine positive Betrachtungsweise dafür. Aber danach entwickelte sich ein Prozess, der zu «Hope Music» führte. Ich lernte nochmals eine neue Seite von mir kennen, eine Art Stärke, etwas, das ich nicht mehr aufgeben will.

War Aufgeben eine Option?

Es stand eine Weile lang im Raum, ja. Das hat auch auf den Körper geschlagen, meine Stimme war schwach. Aber dann nahm ich Unterricht bei einer Gesangslehrerin, und es hat sich alles gebessert. Meine Musik ist kraftvoll und fordert dem Körper einiges ab. Ich hatte jahrelang Probleme mit der Stimme, jetzt habe ich das in den Griff bekommen. Sie hat mir die Angst genommen, dass ständig etwas kaputtgehen könnte. Das ist wahrscheinlich die grösste Befreiung, die ich jemals miterleben durfte. Und die verdanke ich Berlin.

Und ein neuer Sound: Mit der aktuellen EP «Hope Music» betraten Sie gefällige Pop-Gefilde.

«Hope Music» war der Versuch einer Annäherung: Wie nahe kann ich an das Geschliffene, ohne dass es mir unangenehm wird oder ästhetisch nicht mehr gefällt.

Nach dem Aufbegehren gegen die Konventionen anderer wollten Sie die eigenen Grenzen kitzeln? Die Rebellion gegen eigene Regeln als ultimativer Aufstand?

Ja, ungefähr so. Aber ich musste es am Ende trotzdem noch berührend finden und dahinter stehen können. Aber klar kamen von meinen Ur-Fans kontroverse Kommentare.

«Ich will nicht das machen, was alle anderen machen. Es gibt ja schon genug Pegasuse.»

Sicher auch wegen der Zusammenarbeit mit dem Rapper Stress. Rein monetär verstehen das alle, aber riskierten Sie da nicht die Street Credibility als unangepasste Künstlerin?

Mir hat das mega Spass gemacht. Stress wollte mich unbedingt und wir sind für sein Video zehn Tage auf Fuerteventura gehangen. Das war in diesem Kiffersommer. (lacht) Der benebelte Zustand hat meine Schmerzgrenze wohl ziemlich nach oben verschoben. Ob ich damit Credibility verloren habe, ist mir egal. Ich mag Stress als Menschen sehr und habe von ihm viel über Kommerzmechanismen und anderes gelernt. Das hatte sicher Einfluss auf das eigene Schreiben. Ich lernte, wie man sich selber zensiert, und was man dafür im Gegenzug bekommt.

Was heisst das konkret?

Pro Song nicht vier, sondern nur drei Strophen singen und nicht dauernd neue harmonische Welten aufstossen. Resultat davon ist die aktuelle Single «Goodbye», mit der ich sehr happy bin. Ohne die Eigenbeschränkung wäre es mir nicht gelungen. Aber nun ist genug ausprobiert. Beim neuen Album ist mir gerade glasklar, wohin es geht.

Evelinn Trouble spielt mit Band, ist aber der klare Mastermind: «Es braucht in der Band schon Musiker, die deinen Sound mittragen wollen. Aber wenn sie ihre eigenen Egos hineinbringen wollen, sind sie bei mir nicht richtig. Wenn ich einen Song schreibe, habe ich für alle Instrumente eine Vision und selten Fragezeichen. Es ist eine Prinzipfrage: Entweder man ist eine Band und nennt sich The Flying Cups. Bei mir heisst es nun mal Evelinn Trouble.»

Und das wäre?

Ein Hybrid aus dem Besten, das ich bisher gemacht habe.

Ihre neuen Projekte wirkten bisher eher wie Trotzreaktionen auf das Vergangene. Konstruktive Kontinuität ist definitiv ein neuer Ansatz.

Ja. Jaja. Die Trotzhaltung war wohl aus dem Anspruch: Ich will nicht bedienen. Ich will nicht das machen, was alle anderen machen. Es gibt ja schon genug Pegasuse.

Wegen der kommerziellen Verweigerung oder dieser künstlerischen Kompromisslosigkeit gelten Sie als überaus talentierter Kritikerliebling, der aber nur wenig Publikum und Klicks generiert.

Das mag zu einem Teil stimmen, zum anderen hatte ich im Business bisher schlicht Pech. Als Künstlerin brauchst du Leute an deiner Seite, die mindestens so motiviert, kompromisslos und risikobereit sind und gleich fest an dich glauben wie du selbst. Diesen Gegenpart hatte ich lange nicht. Dazu sind die Möglichkeiten in der Schweiz schon eingeschränkt, da die grossen Plattformen verstopft sind von Bligg und so. Alternative Musiker müssen sich halt einen kleineren Kuchen teilen.

«Ich muss nicht von Schoggi singen, damit mich die Leute hören wollen.»

Ist das typisch Schweizerisch? Wie ist es in England, wo die Popmusik schon früh Welterfolge feierte und viel mehr zum Stolz und zur kulturellen DNA des Landes gehört?

Man spürt schon, dass man dort in der Nation ist, die nebst den USA lange den Ton in der Popkultur angegeben hat. Das hatte mich anfangs auch am meisten geflasht. Dort rennen sie nicht Trends hinterher: Sie setzen sie, weltweit. Innovative Musik erhält in den Medien viel mehr Gewicht. Gerade bei der BBC. Da müssen sich die Öffentlich-Rechtlichen in der Schweiz schon anstrengen. Die geben die besten Plätze immer den internationalen Waschmittel-Acts. Das ist wenig selbstbewusst.

Sie könnten als Künstlerin auf möglichst Schweiz-typische Themen setzen. Tradition ist der Langzeittrend. Damit findet man Gehör.

Ich muss nicht von Schoggi singen, damit mich die Leute hören wollen. Ich habe das Gefühl, hier hat sich was verändert. Es hat sich ein Selbstbewusstsein entwickelt. Auch beim Publikum. Das Schöne ist, dass die gängigen Mainstream-Plattformen ständig an Macht verlieren. Dank Social Media gibt es einen neuen Ort, der selbstständig funktioniert. Klar ist das ein kleiner Raum. Aber ich glaube, die hiesigen Künstler sind selbstbewusster geworden, und heute interessieren sich mehr Menschen für innovative Schweizer Musik als vor zehn Jahren. Es gehen nicht mehr alle Kids zu Lo und Leduc ans Konzert.

Und wie hat sich das Umfeld verändert?

Heute gibt es mehr Leute in der Musikszene, die mit einer selbstverständlichen Ernsthaftigkeit auf hohem Level etwas reissen. Früher musste ich noch mit Leuten arbeiten, für die das Geschäften mehr wie ein Spiel schien. Oder mir die Frage anhören: «Und was machst du neben Musik noch in deinem Leben, wie verdienst du dein Geld?» So, als ob die Musik nichts Rechtes sei. Das passiert mir heute sehr selten.

«Mir erscheint es logisch, dass man als Gesellschaft Musik fördert, so wie man in den öffentlichen Verkehr investiert.»

Hilft eine Auszeichnung wie der Schweizer Musikpreis, den Sie kürzlich verliehen bekamen, auch für professionelle Anerkennung?

Ja. Als ich letztes Jahr den Kulturpreis des Kantons Zürich bekam, begriff ich zum allerersten Mal seit ich das mache: Aha, ich komme vorwärts. Bei Booking oder Label waren die letzten zehn Jahre so harzig. Da hatte ich nicht das Gefühl, dass etwas wächst. Das war ein Treten an Ort. So ein Preis ist dann eine Anerkennung, dank der ich merkte: Das Werk hat sich kumuliert und steht für sich. Nun kam der Schweizer Musikpreis, der ist gefühlt noch eine Nummer grösser, die Resonanz ist riesig. Jetzt ist sogar meine Oma stolz.

Beim Schweizer Musikpreis werden Künstlerinnen ganz spartenunabhängig ausgezeichnet, von Jazz, Klassik und Ländler bis Elektronik und Pop.

Das finde ich gut. Die versuchen die ganze Musikszene zu einen und das innovative Schaffen als Kulturgut zu verankern. Da geht es nicht mehr um diese altmodische Unterscheidung zwischen E-Musik und U-Musik.

Für Musiker aus Rock und Pop waren Preise, wie sie Künstler anderer Gattungen bekommen, lange verpönt. Da definierte sich Erfolg über Publikum und Verkäufe. Darf man als Pop- oder Punkmusikerin Kunstpreise holen?

Ja. Klar wünschte ich mir, dass ich besser von meinen Auftritten leben könnte. Aber in der kleinräumigen Schweiz kommt dann die Frage, ob du den Kompromiss eingehen willst und über Schoggi singst. Mir erscheint es logisch, dass man als Gesellschaft Musik fördert, so wie man in den öffentlichen Verkehr investiert, auch wenn der nicht nur rentiert. Musik ist Kultur, sie ist wichtig für den Erhalt der Zivilisation. Damit Menschen Auslauf für ihre Gefühle finden und sich nicht an die Kehle springen.

Evelinn Trouble spielt am Freitag 26. Oktober mit dem dänischen Frauen-Trio Velvet Volume im Rossstall der Kaserne, Doors 21 Uhr.

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