«Für viele Künstler war Bonnard ein Gott»

Über 60 Gemälde wird die Fondation Beyeler in ihrer Ausstellung «Pierre Bonnard» zeigen. Im Gespräch erzählt Kurator Ulf Küster, welche Aspekte am Werk des Franzosen ihn am meisten faszinieren.

Ulf Küster, Kurator bei der Fondation Beyeler. (Bild: Myriam Rüegsegger)

Über 60 Gemälde wird die Fondation Beyeler in ihrer Ausstellung «Pierre Bonnard» zeigen. Im Gespräch erzählt Kurator Ulf Küster, welche Aspekte am Werk des Franzosen ihn am meisten faszinieren.

Herr Küster, steht die Bonnard-Ausstellung in der Tradition der Impressionisten-Ausstellungen wie Monet oder Cézanne in der Fondation Beyeler?

Ulf Küster: Bonnard ist kein Impressionist mehr, hätte er gesagt. Er überwindet den Impressionismus, kommt von einem anderen Ansatz her. Dass einige seiner Bilder an die Impressionisten erinnern, ist richtig, aber er grenzt sich auch ab, weil er – und das ist ganz wichtig – nie in der Natur gemalt hat, sondern immer im Atelier. Ihn interessierte vor allem der Umgang mit Farbe. Das war bei den Impressionisten auch so, aber diese wollten eher die Atmosphäre einfangen. Bonnard tut dies zwar auch, aber er ist wirklich ein Farbkünstler, der versucht, dass alles, was er sieht, in Farbe darzustellen. Eine typische Beyeler-Ausstellung? Ja, insofern, dass man sagen kann, dass Ernst Beyeler ziemlich viele Bonnards verkauft hat und wir auch ein Werk in der Sammlung haben, ein kleines Stillleben.

Die Ausstellung ist als Retrospektive gedacht, die allerdings nicht chronologisch, sondern thematisch aufgebaut ist: Sie orientiert sich an Räumen. Weshalb?

Sie orientiert sich daran, dass Bonnard, der wirklich vom Malen besessen war, sehr viele seiner Sujets in seinem Haus gefunden hat. Das Haus war für ihn eine Art Bühne, in dem man Konstellationen und Situationen schaffen konnte, die man malen konnte. Ich war in zwei seiner Häuser, das eine in Südfrankreich ist noch sehr genau erhalten. Es ist erstaunlich, wie er dieses umgebaut hat, um eine Konstellation zu schaffen, in die er seine Frau oder ein Modell hinstellen konnte als Anregung, Bilder zu malen.

Das Badezimmer soll sich am hellsten Ort des Hauses befunden haben…

Es befindet sich tatsächlich am erstaunlichsten Ort. Ein Badezimmer würde man nicht unbedingt in die sonnigste Ecke bauen, aber genau das hat er getan. Es hat einen Ausgang auf einen Balkon, ein Fenster, einen Spiegel und darunter das Lavabo. Dann noch die Badewanne, das ganze Zimmer zudem eine Stufe erhöht. Er konnte praktisch vom Frühstücksraum aus seine Frau Marthe im Bad beobachten. Ich bin der Meinung, dass man nicht den meist männlichen Kunsthistorikern glauben sollte, die sagen, die Frau habe eine Hautkrankheit gehabt und sich deswegen so oft baden müssen. Doch Marthe war mit Bestimmtheit exzentrisch und eine schwierige Person. Sie liess Bonnard sehr lange im Unklaren darüber, woher sie kam. Er soll auch lange nicht gewusst haben, wie sie wirklich hiess. Eine seltsame Sache, aber dafür interessierte sich Bonnard auch nicht. Ihn interessierte anderes – er brauchte sie, damit er sie malen konnte. Und er brauchte sie vor allem im Badezimmer, weil er sie ja nackt malen wollte. Ein anderes Modell erzählte einst, dass Bonnard nicht wollte, dass sie stehenbleibe, sondern dass sie umherlaufe. Und er guckte dabei zu. Das hat etwas sehr Voyeuristisches.

Das unterstellt man ja den Badezimmerszenen überhaupt: dass man diese gebraucht hat, um Akte überhaupt darstellen zu können, sie nicht mehr in eine mythologische oder historische Szenerie einbinden musste. Denn im Bad ist man ja natürlicherweise nackt.

Bonnard sagte zudem, das Kunstwerk ist der Stillstand der Zeit. Das heisst aber vor allem, dass das Gegenteil des Stillstands die Bewegung ist. Alles soll auch zufällig sein, die Zufälligkeit der Bewegungen.

Also funktionieren das Baden oder das Duschen auch als Studie der Bewegung?

Ganz genau. Und so ein Blick in eine Badewanne mit einer Frau, mit einem Körper überhaupt, ist sehr spannend vom Aspekt her, wie der Hautton durch das Wasser scheint und wie man das dann darstellt. Diese Grau- bis Rosa- und Violetttöne, die man da ausprobieren kann, das ist hochinteressant. Bonnard hat seine Leinwände übrigens direkt an die Wand gepinnt, um die Farbe in mehreren Schichten richtiggehend hineinzureiben. Dadurch entsteht dann dieser flimmernde Charakter; es entstehen diese typischen Farbtöne, die man lange betrachten muss, um Bonnard auf die Schliche zu kommen, wie er das macht.

Bonnard hat sich öfters selber ins Bild gerückt, beispielsweise durch Spiegel. Ist das etwas Spezielles?

Das ist ganz komisch, man sieht ihn da im Spiegel sitzen, und man wird als Betrachter quasi zu ihm, zum Voyeur. Der Spiegel erweitert zudem den Bildraum. Der gesamte Raum wird bei Bonnard verunklärt – man weiss gar nicht, wo man ist, was Spiegel, was Raum ist usw. Das ist auch ein Stilmittel der Selbstbefragung. Picasso hat ihm vorgeworfen, er würde nie fertig werden: Wegen dieses Prinzips, dass er an diesem Stillstand der Zeit immer weiter arbeiten musste, dass er sich immer wieder selbst befragte, immer noch weitermachte. Er hat Bilder über 20 Jahre hin immer wieder hervorgeholt und weitergemalt. Louise Bourgeois erzählte, dass er auch immer mehrere Bilder auf einmal malte. Sie kannte ihn, weil sie als Teenager in Le Cannet in der Nachbarschaft wohnte. Er habe nie viel gesagt, hatte die Bilder immer an die Wand gepinnt und malte fünf Bilder aufs Mal.

Dazu brauchte er wohl viel Platz?

Das Atelier von Bonnard war relativ klein: Er musste die Bilder deshalb neben- und übereinander hängen, das heisst, er malte teilweise von oben oder von unten her. Das kann man anhand von Fotos sehr gut zeigen. Sein Haus war eine Art von Malmaschine. Marthe war sicher mehr als nur ein Teil dieser Maschine, aber manchmal denkt man, sie war nur dazu da, um die richtigen Konstellationen herzustellen. Natürlich gibt es auch eine erotische Beziehung. Aber auch diese geht über die Malerei.

Bonnard hat Marthe ja erst sehr spät, mit über 50 Jahren, geheiratet. Vorher lebten sie einfach zusammen?

Bonnard war antibürgerlich. Er kam zwar aus einem bürgerlichen Umfeld, aber das hat ihn nie interessiert. Er und Marthe lebten 30 Jahre lang zusammen, teilweise noch mit einer weiteren Frau. Doch Bonnard hat nichts anderes interessiert als zu malen. Auch in seinen Tagebüchern liest man nur: «Bedeckt» oder «Regnerisch» oder «Blau ins graue gehender Himmel».

Auch hier also das Interesse für Farbe und Licht…

Nur.

Warum sind die Perspektiven in seinen Bildern so seltsam?

Man guckt von oben und gleichzeitig von der Seite, alles wird in die Fläche gedreht.

Braucht man dann die Figur, um sie im Raum zu positionieren?

Auch, ja. Ebenso die Spiegeldarstellungen.

Bonnard galt lange als sehr harmloser Maler. Würden Sie dem widersprechen?

Ja, schon. Weil er überhaupt nicht harmlos ist, wenn es darum geht, wie man Farbe benutzt. Und in der Malerei geht es nun mal hauptsächlich um Farbe. Wenn man ihn nur von den Sujets her sieht, dann vielleicht. Es gibt kein «Guernica» von ihm. Es gibt keinen Kommentar zum ersten Weltkrieg, es gibt nur ein Bild zum Waffenstillstand – das ist das einzige Bild von ihm, das einen politischen Bezug hat. Alle Krisen des Jahrhunderts kommen bei ihm nicht vor. Aber es kommen Farben vor. Und es kommt die Arbeit mit Farbe vor. Und da ist es sehr aufregend, was man sehen kann. Nicht umsonst ist er für Peter Doig einer der wichtigsten Künstler, und Ellsworth Kelly hat uns im Stil von Bonnard gemalte Jugendwerke geschickt, nur um zu sagen, wie viel er Bonnard verdankt. Für viele Künstler ist Bonnard ein Gott.

Die Harmlosigkeit beschränkt sich also auf die Thematik?

Er hat harmlose Themen gemalt, ja. Er hat ja nur im Haus gemalt. Es gibt nicht sehr viele Themen ausserhalb. Die Strassenszenen etwa, aus seinem Frühwerk. Er hat als Plakatkünstler angefangen, wurde dann aber von Henri de Toulouse-Lautrec überflügelt – der sich jedoch an einem Entwurf von Bonnard orientiert hat. Bonnard zog sich dann in die Malerei zurück, Toulouse-Lautrec blieb in der Variété-Welt. Was man auch nicht weiss: Bonnard war ein leidenschaftlicher Autofahrer, er hatte schon lange vor dem ersten Weltkrieg einen Renault. Da Marthe wohl tatsächlich an Tuberkulose litt, mussten sie oft in Seebäder fahren. Und da Bonnard ja so lange an seinen Bildern malte, wurden die Bilder eingerollt, auf dem Dachgepäckträger transportiert, im Hotel ausgerollt und an die Wand gepinnt. Dann malte er weiter.

Er malte immer aus der Erinnerung?

Immer. Selten nutzte er Fotografien. Doch so um 1920 hörte er plötzlich auf mit dem Fotografieren, warum, weiss keiner. Er hatte so einen Kodakkasten, damit hat er die Verwandtschaft fotografiert, oder auch sich und Marthe nackt im Garten etwa. Später aber fotografierte gar nicht mehr.

Kann das mit seinem Interesse für Farbe zu tun haben, weil er nur Schwarz-weiss fotografieren konnte?

Kann sein, dass er dann gesagt hat, ich will mich jetzt ganz auf Farbe konzentrieren. Er war 1920 ja auch schon 53/52…

Was war eigentlich das Spezielle an seinem Umgang mit Farbe?

Er hat wirklich versucht, mit der ganzen Farbpalette alle möglichen Valeurs auszuprobieren, durchaus auch Stimmungen, viel mehr aber ging es ihm darum, mit diesen Kontrasten Räume darzustellen. Es geht ihm um die Reizung des Sehnervs. Die Raumausstattung wird bei ihm ganz abstrakt, er hebt den Unterschied zwischen Abstraktion und Figuration komplett auf, obwohl er immer figurativ bleibt und immer Hunde, Menschen, Katzen malt.

Ist es die Idee der Ausstellung, dies in den Vordergrund zu rücken?

Die Idee ist, eine Bonnard-Ausstellung zu machen. Das war schon lange in der Pipeline, schon als Ernst Beyeler noch unter uns war, haben wir darüber gesprochen. Weil 2006 aber die Ausstellung in Paris war, waren wir etwas gehemmt, gleich nachzuziehen..

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.01.12

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