Gewerbedirektor Barell: «In dieser Krise müssen wir zusammenstehen»

Weniger Gebühren, mehr Parkplätze: Das Basler Gewerbe fordert Entlastungen vom Kanton. Dabei pocht Gewerbedirektor Gabriel Barell auf Solidarität – und sieht in der Strasseninitiative eine massive Bedrohung fürs hiesige Gewerbe.

«Widerstand wird es sicher gegen unsere Forderung geben, dass die Stadt besser erreichbar werden muss»: Der Basler Gewerbedirektor Gabriel Barell vertritt das «Entfesselungspaket» des Gewerbeverbands. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Weniger Gebühren, mehr Parkplätze: Das Basler Gewerbe fordert Entlastungen vom Kanton. Dabei pocht Gewerbedirektor Gabriel Barell auf Solidarität – und sieht in der Strasseninitiative eine massive Bedrohung fürs hiesige Gewerbe.

Herr Barell, nach der anstehenden Schliessung des Schuhladens Botty und weiterer Läden heisst es: Schuld ist das Verkehrskonzept, schuld ist die Tramverlängerung nach Weil, schuld sind auch die Frankenstärke und die Parkplatzsituation in der Innenstadt. Aber der Gewerbetreibende scheint nie selber schuld zu sein: Gehört Jammern einfach zum Gewerbe?

Nein, natürlich nicht. Aber sehen Sie: In schwierigen Zeiten wie diesen wird andauernd der Ruf nach mehr Effizienz, Innovation und Serviceorientierung laut. Jedes Unternehmen ist bestrebt, diese Eigenschaften zu perfektionieren. Wenn die Rahmenbedingungen jedoch gar nicht mehr stimmen, ist irgendeinmal Schluss. Hinzu kommt: Die Stadt Basel steht seit Jahren in härtester Konkurrenz. 

Sie meinen damit das Ausland?

Auch. Aber ich meine damit zuerst einmal die inländische Konkurrenz: Diese ist in urbanen Regionen mit ihren Einkaufszentren naturgemäss grösser. Im Vergleich zu einer Gemeinde oder Kleinstadt – zum Beispiel in der Innerschweiz – bedeutet dieser Faktor im Detailhandel eine massive Konkurrenzsituation. Durch diesen Wettbewerb sind unsere Unternehmen aber auch überdurchschnittlich fit.

Und dann fiel der Eurokurs.

Genau. Und vor allem: Das Problem haben wir nicht erst seit dem Nationalbankentscheid im Januar. Die Ökonomen sagen nach wie vor, dass sich die sogenannte Kaufkraftparität erst bei einem Kurs von um 1.35 Franken einstellt. Schon mit Euromindestkurs von 1.20 Franken lebten wir mit einem grossen Nachteil – der sich dann nochmals verstärkte, als der Kurs im Januar auf rund einen Franken fiel. Und ausgerechnet dann wird gleichzeitig das Verkehrskonzept Innerstadt umgesetzt und die verlängerte Tramlinie 8 nach Weil nahm den Betrieb auf. Das waren alles weitere Restriktionen, und die kamen alle gleichzeitig.

Also schlicht zu viel auf einmal?

Ja. Denn unser Gewerbe gab vorher schon alles, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wenn ich durchs Land fahre und einen Quervergleich ziehe, dann erlebe ich teilweise ganz andere Situationen als in Basel. Da sieht man: Das Gewerbe steht oft nicht unter ähnlich starkem Druck, wie wir ihn hier kennen. Klar wünschte ich mir teils etwas mehr Aufmerksamkeit in unseren Läden, und ja, ich wurde auch schon schlecht bedient. Aber ich betone nochmals: Unser Gewerbe ist zu grössten Teilen fit. Ich kann auf niemandem hier den Vorwurf sitzen lassen, dass die Gewerbetreibenden an der Situation selber schuld seien.

Gewerbe ist aber nicht nur Detailhandel. Die Läden sind lediglich ein Teil Ihres Dossiers als Dachverband. Betroffen sind ja auch andere: Lieferanten, Maler, Gipser, auch der Ingenieur. Lassen die sich alle über denselben Restriktionskamm scheren?

Mitnichten. Sie haben recht: Der Detailhandel ist nur ein Teilbereich des Gewerbeverbands. Sie bilden aber genau den Bereich, welcher derzeit besonders leidet. Dem Bau- und Baunebengewerbe geht es momentan recht gut, auch dank einer hohen Bautätigkeit in Basel und Umgebung. Aber Vorsicht damit: Das ist nur eine Momentaufnahme! Denn wenn es den einen Gewerbetreibenden schlecht geht, löst das eine Kettenreaktion aus. Wenn etwa die Läden nicht mehr investieren, kann es auch so weit kommen, dass der einzelne Mitarbeitende verunsichert ist und zu Hause auch nicht mehr investiert. Beides trifft zum Beispiel auch das Baugewerbe. Zum Glück ist das jedoch noch nicht der Fall.

Also noch alles halb so schlimm?

Nein. Wir müssen aufpassen: Je länger wir diese Differenz des Wechselkurses erdulden müssen, desto grösser werden die Verlockungen, das ausländische Gewerbe zu bevorzugen. So weicht zum Beispiel eben auch der, der seine Küche sanieren will, in den grenznahen Raum aus. Ich glaube deshalb, dass es in einer zweiten Welle – wenn jetzt nichts passiert – auch das Baunebengewerbe trifft. Ich hoffe es nicht, aber da müssen wir leider realistisch bleiben.

Die Menschen kann man ja nicht in der Stadt eingittern und darauf hoffen, dass sie aus volkswirtschaftlicher Vernunft in der teuren Schweiz einkaufen, wenn der tiefe Euro lockt. Wie kontert der einzelne Gewerbetreibende den Einkaufstourismus?

Er kann sich darum bemühen, noch besser und noch freundlicher zu sein, sich noch stärker zu spezialisieren und entsprechende Produkte anzubieten. Aber wie gesagt: Dieses Potenzial war vor dem Januar schon beträchtlich ausgeschöpft, noch mehr individuell optimieren geht kaum. Und dann kommt der Punkt, wo der Einzelne auf die Solidarität seines Umfelds angewiesen ist. Denken Sie allein an die Konsequenzen für die Ausbildung: Wer seinem Kind in Basel eine Berufsausbildung ermöglichen will, sollte auch darum besorgt sein, dass es hier Gewerbe gibt, das Lehrstellen anbietet.

Und die Gewerbler selbst?

Diese Solidarität ist auch für die Gewerbetreibenden wichtig. Wir sehen durchaus die Gefahr, dass diejenigen Gewerbetreibenden, die wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen, nun auch beginnen, im Ausland einzukaufen. Gerade deshalb ist die Solidarität unter den Gewerbetreibenden besonders wichtig. Aber nehmen wir die Exportindustrie: Die kann derzeit kaum überleben, wenn sie nicht auch beginnt, im Ausland einzukaufen. Da beginnt eine Spirale. Das sind ganz, ganz gefährliche Entwicklungen.

Dem Einkaufstourismus entgegenwirken und Selbstzerfleischung stoppen ist die eine Seite. Die andere Seite allerdings ist der Vorwurf des gewerblichen Heimatschutzes. Wie positionieren Sie sich in dieser Gratwanderung?

In den vergangenen Jahren hatten wir jedes politische Geschäft im Sinne des durch und durch liberalen Geistes vertreten. Nehmen wir die Tramlinie 8: Wir unterstützen das Vorhaben der Verlängerung. Was wir aber nicht in Ordnung finden ist, dass hier der rote Teppich ausgelegt wurde …

… also zusätzliche Kurse durch die Basler Verkehrsbetriebe angeboten werden, wie Sie bereits kritisiert hatten …

… genau! 

Oder dass in der Agglomeration deswegen die Signalisation abgeschraubt und nach Weil gebracht wurde. Oder dass man ausgerechnet ausschliesslich auf dieser Linie das neuste, attraktivste Rollmaterial einsetzt. Das kann so nicht angehen. Es gilt aber auch zu beachten, dass wir zum Beispiel gegen die Erstellung eines Erlenmatt-Trams waren: Natürlich kann man sagen, das gebe dem Gewerbe Aufträge, aber wieso sollten wir für 60 Millionen eine Tramlinie bauen, wenn es die Buslinie für zwei Millionen gibt? Da nahmen wir bislang immer den grösseren Blickwinkel ein. Natürlich steht der Vorwurf des Heimatschutzes immer im Raum, aber ich bin überzeugt, wir können jederzeit belegen, dass dem genau nicht so ist. Wir sind im Grundsatz immer und ganz klar für einen liberalen Markt.




«Wo der Markt versagt, muss manchmal eben eingegriffen werden, also reguliert werden.»

Dann sollte man diesen Markt ja gerade laufen lassen.

Nein, nicht so, wie sich der Markt im Moment präsentiert. Denn es gibt wesentliche Marktverzerrungen und damit das Versagen des Marktes. Genau das, was im Moment mit dem Wechselkurs läuft, ist für mich – wie für viele Ökonomen auch – eindeutig ein Marktversagen. Dort, wo so etwas Gravierendes passiert, muss etwas unternommen werden. Das ist genau das Wesen der Marktwirtschaft: Wo der Markt versagt, muss manchmal eben eingegriffen werden, also reguliert werden.

Und hier sorgt die Politik für ein Sammelsurium an möglichen Massnahmen, wie massive Abbauten vom Staat. Oder es wird – wie im Fall der SP – faktisch oder formell die Forderung nach der Wiedereinführung eines Mindestkurses erhoben. Brauchen wir einen Euro-Franken-Mindestkurs?

Das ist eine separate Debatte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Aber ich glaube, dass dieses gravierende Marktversagen, das hier stattfindet, auf die Dauer nicht mit einem Mindestkurs zu stoppen ist. Das Problem ist ja: Weltweit fliesst derzeit Geld in die Schweiz. Und wir haben bereits Leidensgenossen: Die dänische Krone etwa steigt derzeit stark. Es ist letztlich dieses Konstrukt eines Euro-Raums, in dem starke Nordländer gemeinsam mit weniger starken Südländern eine Währung tragen, das zum Problem wird. Diese Unruhen im Euro-Raum führen derzeit zu grossen Schwierigkeiten. Die Leidtragenden sind die starken Nationen ausserhalb des Euros – also wir. Die Finanzwelt, die Spiegel einer Realität sein soll, wurde zum Zerrspiegel – und damit schadet sie der Realität, was wir hier, direkt vor Ort, zu spüren bekommen.

Zurück ins Kleine: Sie fordern nun Massnahmen vom Kanton, der die Auswirkungen abfedern soll. Das sogenannte «Entfesselungspaket» fordert Gebührenreduktionen, aber auch eine kulantere Handhabe des Verkehrskonzepts Innerstadt und eine autofreundlichere Parkplatzsituation. Wo steht der Dialog mit der Regierung?

Wir hatten bereits erste interessante Gespräche und wir sind uns sehr bewusst: Das Paket ist ein grosses Mosaik mit vielen Steinen. Was zählt, ist die Summe aller Einzelteile. Und ja, teilweise formulieren wir auch Forderungen, die wir früher schon aufgestellt hatten. Denn eines muss man sehen: Statt damals diese Forderungen zu erfüllen, wurden uns weitere Hürden in den Weg gestellt. Jetzt, mit dem Euro, überläuft das Fass. Und es ist nun einmal so: Den Euro können wir nicht ändern. Also müssen wir an anderer Stelle ansetzen. Und immerhin: Im Punkt Service public hat die Regierung schon mal Entgegenkommen signalisiert.

Und wo gibt es Widerstand?

Widerstand wird es sicher gegen unsere Forderung geben, dass die Stadt besser erreichbar werden muss. Dabei verlangen wir als Sofortmassnahme ja nicht mal mehr Parkplätze. Aber wir verlangen, dass die bestehenden besser genutzt werden und nicht auch noch schleichend aufgelöst werden. Nehmen wir zum Beispiel die Dauerparkplätze – diese Staatsangestellten-Parkplätze –, die am Wochenende niemand braucht. Es wäre sicher nicht schwierig, dass wir diese unseren Gästen zur Verfügung stellen könnten, das kann zum Beispiel via Parkplatz-Apps oder wie auch immer geschehen. Aber ich befürchte, dass wir da Widerstand spüren werden.

Ein Kampf gegen Links-Grün also?

Eigentlich ist es kein Kampf, wir müssen einfach sagen: In dieser Krise stehen wir zusammen. Es braucht einen Schulterschluss! Und da wäre es nun wirklich angebracht, wenn auch die Grünen zum Beispiel mit einstehen würden. Schliesslich droht das nächste Unheil bereits: die Strasseninitiative des VCS. Die würde das Gewerbe der Stadt vernichtend treffen. Bricht das Gewerbe in der Stadt weg und müssen wir Waren und Dienstleistungen von ausserhalb beschaffen, kann das ja alleine wegen des Transportaufwands nicht mehr im Sinne des grünen Erfinders sein.




«Natürlich reizt es mich ab und zu, selber aufzustehen und im Grossen Rat die Stimme zu erheben.»

Sie stehen in Ihrem zweiten Jahr als Basler Gewerbedirektor, sind eine Person des öffentlichen Lebens, an der Schnittstelle zwischen Funktionär und Persönlichkeit. Wie haben Sie sich da eingefunden?

Gross einzufinden brauchte ich mich nicht. Ich war ja schon zuvor während zehn Jahren Chef der Bäckerei Sutter. Bereits damals war ich als Bäcker und Unternehmer an verschiedenen Anlässen präsent, hielt Reden und hatte auch in weiteren Funktionen viele Auftritte. Und ich war ja schon jahrelang im Vorstand des Gewerbeverbands. Für mich hat sich da nicht viel verändert.

Sie haben im Gegensatz zu Ihren Vorgängern bis jetzt noch kein politisches Mandat in Basel. Kommt das noch?

Ich bin derzeit sehr froh darum, kein politisches Mandat zu haben. Denn so kann ich frei sagen, was ich im Sinne der KMU sagen will und muss. Ich muss mit keinem einzigen Votum Rücksicht nehmen auf potenziellen Stimmenverlust. Und ich kann Ihnen sagen: Das ist mir heute immer genauso unheimlich viel wert, wie es das vor zwei Jahren war. Natürlich kann es sein, dass sich die Situation einmal ändert, aber bislang zeichnet sich eher das Gegenteil ab.

Dennoch: Sie schliessen ein künftiges Mandat nicht aus. Wenn, dann eher Grossrat oder gleich Nationalrat?

Ein Nationalratsmandat ist für mich noch viel weiter weg als ein Grossratsmandat. Wir haben hier in dieser Stadt derart wichtige Gewerbeanliegen, dass wir viel mehr Wert darauf legen, vor Ort zu sein und hier zu politisieren. Der Nationalrat ist also für mich kein Thema. Und zum Grossen Rat: Natürlich reizt es mich ab und zu, selber aufzustehen und im Ratssaal die Stimme zu erheben. Wir haben allerdings sehr gute Leute und Kontakte im Kantonalparlament. Und wir werden auf die Wahlen 2016 hin sehr stark daran arbeiten, dass das Gewerbe im Grossen Rat noch besser vertreten ist.

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