Man kennt ihn als Filmbösewicht, sei es in «Star Wars», James Bond oder «Lord Of The Rings»: In Locarno aber zeigte Sir Christopher Lee (91) seine sanfte Seite. Der Kultschauspieler blickte zurück auf seine grosse Karriere.
Locarno hat es mit den alten Männern. Und das ist alles andere als abschätzig gemeint: Im letzten Jahr reiste der charismatische Harry Belafonte, Sänger und Menschenrechtsaktivist, an und betörte mit seiner schieren Präsenz. Heuer war es der britische Schauspieler Christopher Lee. Vier Jahre, nachdem ihn Prince Charles im Buckingham Palast zum Ritter geschlagen hatte, durfte er auf der Piazza Grande einen «Excellence Award» für sein Schaffen entgegennehmen.
Und das beläuft sich mittlerweile auf stattliche 300 Filmrollen. Vielen Leuten ist der Brite primär als Bösewicht in Erinnerung: Sei es als Dracula, als Bond-Gegenspieler Scaramanga oder als Count Dooku (in «Star Wars»). «Der Kampf mit Yoda: Den habe ich geführt – und nicht etwa ein Double!», betont der 91-jährige stolz und schelmisch bei der Preisverleihung, im Wissen, dass ihm auf der Piazza Grande zahlreiche «Star Wars»-Jünger zujubeln.
Keine Frage: eine Licht(schwert)gestalt, dieser Mann, der sich zwar auf einem Stock abstützen muss, aber noch immer wahre Grösse zeigt – und einen wachen Geist. So überrascht er das Piazza-Publikum mit einer Ansprache in lupenreinem Italienisch (ein Zweig seiner Familie enstammt dem alten Adelsgeschlecht der Carandini).
Tags darauf singt Lee, der Mann mit der tiefen Stimme, gar Passagen aus Verdis «Don Carlos». Er tut dies im Rahmen einer öffentlichen Masterclass (siehe Video am Ende dieses Artikels). Wie sehr er aufgrund seiner Filmografie selbst zu einer Kultfigur geworden ist, verdeutlicht der Andrang. Hunderte sind erschienen – und einige von ihnen stürmen am Ende regelrecht die Bühne, weil sie ein Autogramm haben wollen.
Zuvor hat Lee die charmelose Turnhallenatmosphäre vergessen gemacht und Anekdoten aus seinem langen Leben als Schauspieler erzählt. Vom besten Film, an dem er beteiligt war («The Wicker Man», 1973) über seine wichtigste Rolle (als pakistanischer Staatsgründer Muhammed Ali «Jinnah») bis zu seinem grossen Comeback: «Ende der 90er-Jahre erhielt ich einen Anruf meines Agenten. Peter Jackson sei in der Stadt, also in London, und würde mich gerne für einen Film casten. In einer Kirche. Ich ging hin und erhielt zwei Seiten, die ich vorlesen sollte. Es war Gandalf. Mein Traum! Ich hatte ‹Lord Of The Rings› schon 1955 gelesen und mir damals gewünscht, dass diese Geschichten verfilmt würde. Also versetzte ich mich in Gandalf und las Peter Jackson vor, obschon ich ahnte, dass ich für diese Rolle zu alt wäre.» Einige Tage später habe er einen Anruf erhalten – und Jackson bot ihm die Rolle von Saruman an. «Ich dachte: Oh. Fantastisch! Eine grossartige Rolle in einem genialen Film!»
«Ich erhielt zwei Seiten, die ich vorlesen sollte. Es war Gandalf. Mein Traum!»
Lee erinnerte sich aber auch an seine Anfänge zurück, an die Zeit, als er mit Leuten wie Boris Karloff zusammenspielte (der als Frankensteins Monster unsterblich wurde). Wie Karloff habe auch er sich bemüht, nicht für den Rest seines Lebens in die Horror-Schublade gesteckt zu werden. «Wir waren befreundet, Nachbarn in London, liebten beide Comedy.» Nur ein weiterer Kollege, Bela Lugosi, habe leider nicht mehr rausgefunden aus dem Genre. «Ich jedoch zog eine Zeit lang einen Schlussstrich unter Horrorfilme, um nicht in dieser Nische stecken zu bleiben.»
Regisseur Billy Wilder half ihm bei der Flucht aus der Nische. «Er sagte mir, dass ich das Publikum überraschen müsse – und versprach, mir dabei zu helfen, mein Erscheinungsbild zu ändern. Was ihm mit ‹The Private Life of Sherlock Holmes› 1970 gelang. Er lockte mich auch in die USA, wo ich in den 70er-Jahren hinzog. Dort konnte ich meine Liebe fürs Komödiantische ein bisschen stärker ausleben.»
Kompliment von John Belushi
Comedy habe ihn immer besonders gereizt – gerade weil es das schwierigste Genre für einen Schauspieler sei – zumindest im Film. «Im Theater hat man immerhin die Reaktion des Publikums, auf einem Filmset hingegen spielt man ins Blaue hinaus – ohne diese Rückversicherung, ob und was ankommt.»
Lee bedauert bis heute, dass ihm die Filmstudios kaum komödiantische Rollen angeboten haben. Dabei, sagt er ganz unbescheiden, sei er dafür am talentiertesten gewesen. In den späten 70er-Jahren etwa erhielt er eine Carte Blanche in der amerikanischen Kultsendung «Saturday Night Live», bei der zu dieser Zeit auch Bill Murray und die späteren Blues Brothers angestellt waren. «Man animierte mich, zu improvisieren. Nach dem Auftritt sagte mir der Produzent, dass 35 Millionen Amerikaner eingeschaltet hätten. Und ein Mitglied des Cast schenkte mir eine Widmung, worauf stand: ‹You are the best in the biz!› Signiert von: John Belushi, 2nd best.»
Heavy Metal und Giuseppe Verdi
Das Publikum überraschte Lee auch am Ende der Masterclass. Er erzählte, dass ihm in Schweden mal eine Opernausbildung angeboten worden sei: Von Jussi Björling, dem «Caruso des Nordens». «Er traf mich in Stockholm, war beeindruckt von meiner Stimme und wollte aus mir einen Sänger machen. Aber ich hätte alles dafür aufgeben müssen. Also lehnte ich ab.»
Dennoch hat Lee einige Musikalben veröffentlicht, zuletzt – Überraschung! – im Heavy-Metal-Bereich. Einige unveröffentlichte Aufnahmen liegen bis heute bei Lee zu Hause. Darunter eine Interpretation von Giuseppe Verdis «Don Carlos», «den ich auswendig kann». Sagts – und gibt zum Schluss gleich eine Kostprobe als singender Inquisitor (siehe Video). Sagenhaft, dieser alte Mann.
PS: Das 66. Internationale Film Festival in Locarno wird mit dem Besuch eines weiteren grossen Mannes zu Ende gehen: Werner Herzog. Der 70-jährige deutsche Filmemacher wird mit einem Ehrenleopard ausgezeichnet.