Heiko Vogel: «Ich weiss genau, was ich will»

Ein Interview mit Heiko Vogel, das es nicht rechtzeitig vor seiner Freistellung beim FC Basel in die Öffentlichkeit geschafft hat. Darin verteidigt der Trainer den Fussball seiner Mannschaft, setzt sich kritisch mit ihr auseinander, wehrt sich dagegen, dass er die Spiele dieser Saison zu gut verkauft habe – und er setzte seine Hoffnung auf die Winterpause.

«Es gibt keinen Zaubertrank, sondern nur akribische Arbeit: Heiko Vogel als Cheftrainer des FC Basel. (Bild: foto-net / Alexander Wagner)

Ein Interview mit Heiko Vogel, das es nicht rechtzeitig vor seiner Freistellung beim FC Basel in die Öffentlichkeit geschafft hat. Darin verteidigt der Trainer den Fussball seiner Mannschaft, setzt sich kritisch mit ihr auseinander, wehrt sich dagegen, dass er die Spiele dieser Saison zu gut verkauft habe – und er setzte seine Hoffnung auf die Winterpause.

Am Donnerstag vergangener Woche hat sich die TagesWoche mit Heiko Vogel getroffen. Zu einem ausführlichen Gespräch über seine Erfahrungen nach einem Jahr als Cheftrainer des FC Basel, über den Fussball seiner Mannschaft, die sich in dieser Saison nicht wie gewünscht entfalten konnte, und über den Fussball überhaupt.

Das Interview hat es am Wochenende nicht durch die üblichen Autorisierung geschafft. Am Montagnachmittag um 14.00 Uhr war klar, warum: Der FC Basel gab die – völlig überraschende – Trennung von Heiko Vogel bekannt.

Davon hat der Autor, der das Gespräch führte, nichts geahnt, und auch Heiko Vogel selbst wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts von dieser Zuspitzung. Im Gegenteil: Er sprach am Donnerstag noch von der Rückendeckung, die er von der Clubleitung bei aller kritischer Auseinandersetzung mit der Entwicklung spüre.

Wir haben beschlossen, das Interview zu veröffentlichen, auch wenn Vogel nicht mehr der Cheftrainer des FC Basel ist. Seine Einschätzungen und Ansichten haben über den Tag des Gesprächs Bestand, es ist ein letztes Dokument seiner Arbeit in Basel.

Heiko Vogel, wie interpretieren Sie diese sogenannten Heatmaps, die den Ballbesitz zweier Mannschaften zeigen?

(Bild: ESPN)


Das ist Mittelfeldgeplänkel.

Und welches Bild würden Sie gerne von Ihrer Mannschaft sehen?
Eher so, wie die linke Darstellung es abbildet: es sieht kontrollierter aus.

Weil es wie im Schach ist: Wer das Zentrum besetzt, beherrscht das Spiel?
Zinedine Zidane hat das auch mal über den Fussball gesagt. Ist ja auch logisch.

Okay, die Mannschaft links ist der FCB.
Gegen wen haben wir gespielt? Servette?

Nein, es ist FC Barcelona gegen Real Madrid im jüngsten Clasico.
Hm. So spielt eben Barcelona Fussball. Wenn man in diesem Bereich viel Ballbesitz hat, bist du sehr weit in der gegnerischen Hälfte. Real spielt weiter zurückgezogen und macht punktuell etwas. Und die roten Bereiche im Strafraum sagen ja auch was aus. Wenn Real gegen andere Mannschaften spielt, sieht die Ballbesitzverteilung auch wieder anders aus.

Wenn die Heatmap Ihrer Mannschaft so aussehen würde wie die von Barcelona, wären Sie zufrieden?
Ja, klar. Aber bei Barcelona reden wir über die aussergewöhnlichste Mannschaft, die ich je habe spielen sehen. Da ist so vieles fast schon perfektioniert. Normalerweise verschiebt sich die Ballbesitzzone von Barcelona noch weiter nach vorne, aber Real hat das in der ersten Halbzeit sehr gut gemacht.

Sie haben an dem Abend nach dem knappen Sieg Ihrer Mannschaft gegen Servette also noch die Lust und den Nerv gehabt für TV-Fussball?
Ich wollte guten Fussball sehen.

Weil Sie diesen von Ihrer Mannschaft nicht präsentiert bekommen haben?
Nicht so, wie ich mir das vorstelle.

Am 13. Oktober hat sich das Datum gejährt, als Sie beim FC Basel vom Assistenten zum Cheftrainer geworden sind. Welche Erfahrungen, gute und schlechte, haben Sie in den zwölf Monaten gemacht?
Ich habe fast schon alle Facetten kennenlernen dürfen: aussergewöhnlichen Erfolg und Phasen, in denen es gemessen an den Ansprüchen nicht so läuft. Daran sieht man, dass Fussball ein unglaublich schnelllebiges Geschäft ist. Und wer sich darin bewegt und reflektiert, der erkennt: Der Fussball lehrt dich Demut. Weil du dir von den Erfolgen der vergangenen Saison nichts kaufen kannst. Du stehst immer aufs Neue auf dem Prüfstand.

Was hat der Erfolg, die Champions League und der Double-Gewinn, mit Ihnen angestellt?
Ich glaube nicht, dass ich der Typ bin, der dazu neigt abzuheben. Aber das müssen immer andere beurteilen.

«Mir war bewusst,
dass Zeiten kommen,
die steiniger werden.»

In den ersten Monaten, als alles fast wie von selbst lief, hat man Sie als jungen, selbstbewussten, humorvollen Trainer kennengelernt. Diese Demut mussten Sie also erst lernen?
Man nimmt weitere Erfolge anders wahr. Demut wird durch das Spiel gelehrt.

Durch Niederlagen?
Nein, wenn man sieht, wie eng innerhalb eines Spiels alles miteinander zusammenhängt, dann heisst Demut für mich, dass man nichts überbewerten sollte: weder Siege, noch Niederlagen. Mir war doch bewusst, dass Zeiten kommen würden, die steiniger werden, wo man Widerständen ausgesetzt sein wird, die man aus dem Weg räumen muss. Aber ich glaube, dessen sind sich nicht alle bewusst.

Was sind die Anforderungen an Sie in dieser Phase?
Wenn man eine Mannschaft hat, die noch nicht so eingespielt ist, dann ist es Arbeit. Man muss lernen zu dosieren, nicht im physischen Bereich, sondern bei der Frage, was die Mannschaft überfordern könnte, mental, intellektuell oder kognitiv. Manchmal ist man als Trainer gezwungen, einen Schritt zurück zu gehen, weil man merkt, dass man zu viel will. Und dann muss man als Trainer zusammen mit der Mannschaft mit Rückschlägen fertig werden. Ergebnisse beeinflussen nun einmal das Selbstbewusstsein, sie bestätigen oder bestätigen eben nicht. Und mit jedem Spiel, das nicht gelingt, manifestiert sich ein Zweifel.

Auch bei Ihnen?
Ich weiss haargenau, was ich will. Eher bei den Spielern, und das ist menschlich.

Haben Sie Ihre Mannschaft überfordert?
Gute Frage. Die Resultate haben zum grössten Teil nicht unseren Aufwand belohnt. Von den nackten Zahlen her war aber alles gar nicht so schlecht. Die Ergebnisse entsprechen nicht den Erwartungen, aber das wird den Leistungen der Mannschaft nicht gerecht.

Das ist nach Aussen hin schwer vermittelbar. Die Zuschauer sehen – ähnlich wie Sie – gegen Servette spielerisch keine so tolle Partie des FCB. Es grummelt auf der Tribüne, und wenn Sie hinterher sagen: Es war nicht alles schlecht, dann heisst es: Der Trainer redet die Vorstellung seiner Mannschaft schön. Was sagen Sie dann?
Gar nichts. Ich muss mich doch nicht immer in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Die Zuschauer im Stadion zahlen und wollen Leistung sehen. Dazu dürfen sie ihre Meinung haben, und wenn das Urteil schlecht ausfällt, dann ist das ihr gutes Recht. Aber ich muss nicht den Zuschauern gerecht werden, sondern meinen Spielern. Und die investieren alles, keiner macht absichtlich Fehler.

«Für den Integrationsprozess
gibt es keinen Katalysator –
ausser Erfolg.»

Woran liegt es dann, dass es nicht so läuft, wie sich das alle, auch Sie, eigentlich vorstellen?
Ob der Erfolge der letzten drei Jahre ist ein Stück Pomadigkeit, ein Stück Sättigung dabei. Dann macht man vielleicht nicht mehr so viel, was ja auch völlig menschlich ist. Und der Ansporn der anderen Vereine, es uns zu zeigen, ist noch einmal grösser geworden. Auch das ist Business.

Und jetzt?
Wir haben eine schwierige Situation. Ich hätte mir die Integration der neuen Spieler auch viel schneller gewünscht, aber in unserem Rhythmus mit den sechs Qualifikationsspielen waren wir gezwungen, immer wieder zu rotieren. Und gezwungen, nicht zu trainieren, sondern zu regenerieren und zu spielen. Nun dauert dieser Prozess eben länger, aber ich verliere deshalb nicht die Ruhe, weil ich an die Qualität glaube. Automatismen müssen sich einschleifen, und das braucht Zeit. Ich gönne der Mannschaft die Ruhe und Gelassenheit, weil ich um diese Dinge weiss. Aber ich kann nur für mich und das engste Umfeld der Mannschaft sprechen. Nicht für andere.

Ist ein Spieler wie Mohamed Salah derzeit überfordert von dem, was ihm hier – neben seinen Stärken – abverlangt wird: der Kulturwechsel, die neue Mannschaft, die neue Liga?
Das gilt für jeden Neuzugang. Auch Marcelo Diaz ist als gefeierter Star zu uns gekommen und hier noch einmal auf die Welt gekommen, wenn man das so sagen kann: anderer Rhythmus, alles geht ein bisschen schneller, es ist taktisch besser organisiert als im chilenischen Fussball – alles Dinge, die Zeit benötigen, um sich zu adaptieren. Wohlwissend, dass es immer heisst: Im Fussball hat man keine Zeit. Aber ich kann es nicht ändern. Es gibt keinen Katalysator für diesen Prozess – ausser Erfolg.

Wie sehen Sie den anderen neuen Spieler aus Südamerika, Gastón Sauro?
Defensiv macht er es absolut gut. Aber es gibt Luft nach oben bei ihm, zum Beispiel beim Spielaufbau.

Sie haben Diaz ein paar Mal zu Hause gelassen. Weil er müde ist?
Diesen Eindruck macht er auf mich. Er hat in diesem Jahr 48 Pflichtspiele ohne Pause hinter sich. Das ist ein enormes Pensum verbunden mit halben Weltreisen, wenn er mit der Nationalmannschaft unterwegs ist.

Wie lange wird es denn dauern, bis Diaz und Salah in Basel zur vollen Blüte kommen?
Ich bin kein Hellseher. Kaum hatte ich Salah kennengelernt, ist er abgedüst zu Olympia. Das war natürlich ganz toll für uns. Und Diaz kam eine Woche vor Saisonstart. Was erwartet man da? Wenn ich eine Vorbereitung mit der kompletten Mannschaft habe, sprich im Januar, kann taktisch gearbeitet werden. Inwiefern sie dann ihren Impact ausüben können, hängt von vielen Faktoren ab. Ich will nicht in der Vergangenheit wühlen, aber wir waren vergangene Saison brutal stark als Mannschaft. Wir haben Spieler verloren, weil wir gut waren, und bisher konnten wir das noch nicht kompensieren.

Durch Yapis Verletzungspause ging dem FCB zudem ein Spieler-Element im zentralen Mittelfeld ab.
Dadurch fehlen uns Optionen. Aber seine Rückkehr ist absehbar und deshalb sehe ich das künftig sehr positiv.

«Ein Trainer kann nicht
jede Aufstellung und
Auswechslung erklären.»


Nach Friede, Freude und Eierkuchen der vergangenen Saison mussten Sie mit öffentlicher Kritik umgehen lernen. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie morgens in die Zeitung blicken – oder ins Internet?
Man muss Mechanismen für sich finden. Wenn jemand was über mich schreibt, den ich in meinem Leben noch nie getroffen, geschweige denn gesprochen habe, dann kann ich das nicht ernst nehmen. Aber ich stehe in der Öffentlichkeit, und wenn es aus der Sicht der Medien nicht gut genug läuft beim FC Basel, dann ist doch nach drei Meisterschaften klar, dass sie sich freuen, wenn die Keule heraus geholt werden kann. Kein Thema – aber wenn es persönlich wird, wie nach dem Cluj-Spiel, dann finde ich das enttäuschend und fragwürdig.

Geht man dennoch in sich und hinterfragt sich?
Natürlich mache ich das. Alles andere wäre unklug. Aber man differenziert bei der Kritik, die geäussert wird.

Verändert man sich?
Man verändert sich immer und wächst mit der Erfahrung.

Wird man vorsichtiger?
Absolut. Selbstschutzmechanismen liegen in der Natur des Menschen. Man will keinen Fehler machen und sich nicht aufs Glatteis führen lassen.

Ist der Trainer kein Mülleimer, wie Stuttgart-Trainer Bruno Labbadia jüngst beanstandet hat?
Ich glaube, ihn stört die Machtlosigkeit. Weil die Medien ein gewisses Bild provozieren. Aber ein Trainer kann nicht jede Aufstellung und jede Auswechslung erklären. Da spielen Interna eine Rolle, aber damit muss man als Trainer leben und das wird sich nicht ändern. Marcelo Diaz hat zwei Tage vor dem Genk-Spiel das Training mit Wadenproblemen abgebrochen. Dann waren wir 1:2 hinten, und ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte ihn hemmt. Deshalb habe ich ihn ausgewechselt, und nicht aufgrund seiner Leistung. Aber das kann ich der Öffentlichkeit nicht kundtun. Als Trainer muss ich akzeptieren, dass es die unterschiedlichsten Perspektiven gibt. Ich habe meine, bin am nächsten dran, und der zahlende Zuschauer hat seine eigene.

Wieviel muss ein Trainer an öffentlicher Kritik aushalten können?
Was heisst aushalten? Ich habe einen ganz wunderbaren Job, in dem ich jeden Tag belohnt werde, weil ich mit meiner Mannschaft zusammenarbeiten kann. Und entlohnt wird es finanziell auch nicht so schlecht. Fussballtrainer dürfen sich nicht beklagen. Aber es muss alles im Rahmen bleiben.

«Ich würde Geld nie
als Motivationshilfe
thematisieren.»

Mit der verpassten Champions-League-Teilnahme mussten Sie einen ersten grossen Rückschlag verdauen. Denkt man eigentlich an das schöne Geld, was einem an Bonus flöten geht?
Ganz ehrlich: nein.

Spielt Geld nie ein Thema in der Kabine? Immerhin haben Profis heutzutage sehr leistungsbezogene Verträge, auch beim FC Basel. Da geht einem durch das Verpassen der Champions League doch ordentlich was ab.
Wir reden nie über Geld. Es liegen ja keine Geldscheine auf dem Spielfeld, da hat man es mit Gegenspielern zu tun. Ich würde Geld nie als Motivationshilfe in der Spielvorbereitung thematisieren.

Sie sagen nie: Jungs, heute geht es auch um eine fette Prämie?
Nein, der Ruhm ist doch viel höher zu beurteilen, als das Geld. Wir wären das dritte Mal in der Champions League dabei gewesen, das steht doch hinterher in den Geschichtsbüchern und niemals, wer wieviel Kohle bekommen hat. Die Leistung wird festgehalten, das Gehalt nicht. Ich glaube, alle werden gut bezahlt, auch wenn die Champions League verpasst wird – und wir Europa League spielen müssen. Wobei ich immer noch sage: dürfen.

Was bedeuten die nachdrängenden, neureichen Clubs aus dem Osten Europas für die Stellung des FC Basel im Wettbewerb?
Es erfordert erst einmal eine Änderung der Wahrnehmung. Gegen Cluj hiess es: «Die muss man doch schlagen!» Gar nichts muss man! Man muss mal sehen, was da investiert wurde in den vergangenen Jahren. Die Ergebnisse kommen nicht von ungefähr. In Molde, das Stuttgart geschlagen hat, ist der drittreichste Mann Norwegens Präsident. Dieser Club ist in jeglicher Hinsicht professionell. In Aserbaidschan pumpt ein Ölmagnat Geld in den FK Baku und will bis 2017 Champions League spielen. Durch das Mäzenatentum gewinnen solche Clubs mehr und mehr an Qualität dazu. Deshalb wird es immer schwieriger werden und die sportliche Qualifikation zur Champions League für einen Schweizer Club künftig noch höher zu bewerten sein als bisher.

Über die Reinvestitionen des FC Basel in diesem Sommer können Sie sich nicht beklagen.
Man kann sich immer beklagen als Trainer, oder? Am liebsten hat man eine Mannschaft, mit der man nahtlos weitermachen kann. Wir arbeiten finanziell in einem absolut gesunden und vernünftigen finanziellen Rahmen. Aber es ist eine Gratwanderung. Vergangene Saison haben wir sportlich ein sehr gutes Jahr hingelegt, dazu kommen zwei Transfers, die einzigartig sind – was will man also mehr? Die Frage ist, was investiere ich?

Sie hätten also noch andere Wünsche gehabt?
Es gibt einige Dinge, die ich gerne verändern würde, auch infrastrukturell. Aber da sind uns als Verein die Hände gebunden. Aber ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, der das, was erreicht wurde, im Minimum nochmals erreichen oder sogar zu toppen will. Aber das ist diese Saison nicht möglich.

«Es herrscht Unruhe.
Und intern wird
kritisch hinterfragt.» 

Die Zuschauer murren zuweilen. Wie nennen Sie die Stimmung rund um den Verein.
Unruhe.

Aber Sie geniessen grossen Rückhalt von der Clubleitung?
Das ist so. Es wird allerdings intern kritisch hinterfragt. Es gab ein grosses Ziel neben der nationalen Meisterschaft, das Erreichen der Champions League, und das haben wir verpasst. Und dann muss man, wie Alex Frei so schön formuliert hat, über die Bücher gehen. Wir fragen uns schon, woran das liegt?

Nämlich?
Es ist von vielem etwas. Der Verlust von Automatismen, von Selbstvertrauen, weil die Mannschaft sich verändert hat. Es ist auch ein Stück weit fehlende Galligkeit von Spielern, die bereits Erfolge mitgefeiert haben. Zwei, drei Prozent weniger reicht eben nicht.

Müssen Sie härter mit Ihren Spielern umgehen?
Wer sagt denn, dass ich nicht hart mit ihnen umgehe?

Das heisst, es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was sie auf dem Podium der Medienkonferenz sagen und dem, wie sie mit ihrer Mannschaft reden?
Richtig. Es gibt eine Intimsphäre, die nur mich als Trainer, den Staff und die Mannschaft betrifft. Und wie das Wort besagt, geht das niemand anderen etwas an. Ich werde nie einen Spieler öffentlich attackieren oder bloss stellen. Niemals. Das hat was mit Würde, mit Anstand und Respekt zu tun, und darf nicht mit Füssen getreten werden. Aber natürlich kann ich in der Öffentlichkeit ansprechen, was besser gemacht werden muss. Genauso kann ich öffentlich weniger loben, auch wenn die Zuschauer von dem oder jenem ein super Spiel gesehen haben. Aber intern gibt es dann vielleicht ein Extralob. Ich habe eben eine ganz andere Sicht und Beziehung zur Mannschaft als die Zuschauer oder die Medien. Und diese Privatsphäre schütze ich.

«Was heisst schon
zu gut verkauft?»

Bekommen Sie eigentlich Rückmeldung, wenn Sie die eine oder andere Partie oder Halbzeit Ihrer Mannschaft zu gut verkauft haben?
Das interessiert mich nicht. Was heisst schon zu gut verkauft? Das möchte ich gerne mit mir selbst ausmachen. Zuschauer sind nun mal resultatorientiert. Ausser die Muttenzerkurve, die ist Weltklasse. Bewusst ist mir das noch mal geworden in den Spielen, in denen es nicht so gut lief. Diese Fans sind für die Mannschaft da.

Obwohl die Ultra-Kultur eigentlich nicht interessiert, ob der Trainer Vogel oder Müller oder Maier heisst und im Sturm Streller und Frei oder irgend jemand anders spielt.
Meine Wahrnehmung ist eine andere. Ich sehe sie nicht als Ultras, sondern als Fans. Ich bekomme schon mit, wenn gegen Manchester 36’000 im Stadion sind und gegen Genk nur 14’000. Erfolg verkauft sich eben, aber es gibt auch eine Zuschauerkultur: Fans, die den Fussball und den FC Basel lieben – und es gibt Trittbrettfahrer.

Die Champions League ausgeklammert haben Sie in der Super League seit Ihrer Amtsübernahme genau ein relevantes Spiel verloren…
…in St. Gallen. Aber wir haben viel zu oft unentschieden gespielt. Da bin ich wieder beim Punkt Demut. Man kann sich nicht aussuchen, wie man verliert. Aber man kann Einfluss darauf nehmen, wie man zurückkommt. Das 0:7 in München habe ich mir nicht ausgesucht, das war niederschmetternd. Wie wir anschliessend durchgezogen haben, mit maximalem Erfolg, das war fantastisch. Diese Mentalität erwarte ich auch jetzt.

Und wie bekommen Sie diese Pomadigkeit und diese Sättigung raus aus Ihren Spielern?
In dem man dem Spiel wieder die grösste Bedeutung gibt. Und das heisst auch, dass es einem etwas ausmacht, wenn man nicht gewinnt. Dass wir nicht oft verloren haben, spricht für Qualität, aber nicht für die Mentalität der Mannschaft. Es wird viel investiert, um nicht zu verlieren, aber zu wenig, um zu gewinnen.

Wie löst man das fussballspezifisch auf?
Dafür gibt es keinen Zaubertrank, sondern nur akribische Arbeit. Im Training muss man immer wieder unterbrechen und den Spielern auf die Nerven gehen. Was mich stört, sind Gegentore aus unterschiedlichsten Gründen. Die Sättigung offenbart sich, in dem man versucht, alles spielerisch zu lösen. Manchmal ist eben die nicht-spielerische Variante die beste: den Ball mal weghauen, im Zweikampf mal einen über die Klinge springen lassen und zeigen: Du kommst nicht an mir vorbei, koste es, was es wolle und sei es eine Gelbe Karte. Dieses Investment erwarte ich.

«Ballbesitzfussball ist
langfristig gesehen
das erfolgeichste Konzept»

An der Philosophie des am Ballbesitz orientierten Spiels wollen Sie sowieso nicht rütteln?
Nein, das ist das einzige, was schon einigermassen funktioniert. Die Daten zu Ballbesitz und den gespielten Pässen sind nicht so schlecht, egal gegen welchen Gegner. Gegen Genk hatten wir in der zweiten Halbzeit 69 Prozent Ballbesitz.

Jetzt gibt es Leute, die sagen: pfeif auf den Ballbesitz.
Aber mit diesem Ballbesitzfussball haben wir ja noch zwei Tore geschossen – und keines mehr bekommen. Ich bin überzeugt, dass das langfristig gesehen und bei der grossen Anzahl Spiele einer Saison das erfolgreichste Konzept ist. Es ist ökonomischer als Zweikampf hier und Zweikampf da. Wenn man den Ball hat, kann man die Kugel laufen lassen. Das macht dem Gegner Stress, und nur der Ballbesitzende kann auch ein Tor erzielen. Wir haben immer noch den besten Angriff der Liga, oder?

Aber eben auch fast doppelt so viele Gegentore wie die Teams an der Spitze.
In letzter Konsequenz lässt sich Fussball auf den Zweikampf reduzieren, und da entscheiden die zwei Prozent zwischen 98 und 100, ob man da einen Tick schneller am Ball ist, hier die Flanke noch schlagen kann oder dort mit Vehemenz den Ball attackiert. Das sind die Dinge. Das eine ist die Sättigung, das andere die fehlenden Automatismen, wenn man zu viele denken muss auf dem Platz.

Überlegen Sie tatsächlich etwas umzustellen in der Spielsystematik? Sie haben mit einem Abwehr-Dreierblock experimentiert.
Ich befasse mich permanent damit, was im Fussball alles möglich ist, mit interessanten Systemen und welche Konsequenz die hätten. Aber noch mal: Es kommt darauf an, was die Mannschaft verträgt, und ich glaube, im Moment muss sie, was taktische Veränderungen angeht, ein bisschen in Ruhe gelassen werden. Da wird höchstens an Nuancen gearbeitet.

Bekommen Sie die Degen-Zwillinge hin?
Die Entwicklung ist relativ plausibel erklärbar: David kommt zum FCB zurück, hat sich sehr gut eingefunden, hat einen sehr hohen Erwartungsdruck, auch er an sich selbst, ist dem zunächst gerecht geworden, hat einen super Start gehabt und wichtige Tore gemacht. Und dennoch zweifelt er an sich, so dass ich ihm sagen muss: Junge, bleib doch mal ruhig. Bei Philipp geht es einzig und allein darum, das Ganze physisch zum Halten zu bringen. Ich glaube, wir sind bei beiden auf sehr gutem Weg.

Fabian Frei macht, wenn Diaz und Yapi im Zentrum nicht dabei sind, immer wieder gescheite Sachen.
Schon, aber ich erwarte noch viel mehr von ihm. Fabian hat tolle Anlagen, schafft es aber noch nicht, sein Potential regelmässig abzurufen. Gegen Servette zum Beispiel hat er in der zweiten Halbzeit gezeigt, was Sache ist.

«Tore schiessen ist wie
Autofahren – das
verlernt man nicht»

Und Alex Frei? Der hat jüngst von seinem möglicherweise letzten Vertragsjahr gesprochen. Trägt da einer einen Rucksack mit sich herum und trifft deshalb nicht?
Nein, ich glaube nicht, dass ihn das bedrückt. Er weiss doch, dass die Vertragsgespräche kommen. Er ist Vater geworden, er war in der Vorbereitung vielleicht nicht mit dem mentalen Engagement bei der Sache, als er wegen der bevorstehenden Geburt auf glühenden Kohlen sass und in jedem Training das Handy dabei war. Aber Tore schiessen ist wie Autofahren – das verlernt man nicht.

Ein Drittel der Meisterschaft ist absolviert, und vorne halten sich mit den Grasshoppers und Aufsteiger FC St. Gallen zwei Überraschungsteams schon ziemlich lange. Mit welchem muss man auch weiterhin rechnen?
Die Punkte haben die beiden nicht gestohlen, die Tabelle lügt nicht, und die Grasshoppers halte ich für einen ganz klaren Titelaspiranten.

Auf einmal?
Wieso? Ich habe nie etwas anderes gesagt.

Haben Sie nicht davon gesprochen, dass Sie am Ende eher Sion und YB mit dem FCB vorne warten?
Das hat sich auf St. Gallen bezogen, und mit Verlaub: Die leben von ihrer Euphorie, und da kommt sicher mal eine Phase, in der sie weniger Punkte holen werden. Aber es ist toll zu sehen, was aus einer Gruppe herauszuholen ist, die als Mannschaft auftritt. Sich als Aufsteiger so lange oben zu halten, da kann ich nur meinen Hut ziehen.

Können die Grasshoppers – nur dank des Xamax-Konkurses oben geblieben und damit fast auch so etwas wie ein Aufsteiger – eine Eigendynamik entfalten, wie 1998 der 1. FC Kaiserslautern? Als Aufsteiger waren die ab dem vierten Spieltag Tabellenerster und haben diese Führung nie mehr abgegeben.
Ich erinnere mich gut. Wobei ich immer glühender Fan eines anderen Vereins war.

Von Bayern München. Und das als Pfälzer.
Genau, aber als Teeanger war ich auch auf dem Betzenberg, auch in der Fankurve.

Und dann haben die roten Teufel mit Trainer Otto Rehhagel Ihre heiss verehrten Bayern nicht mehr vorbeigelassen und sie konnten sich als Pfälzer nicht mal darüber freuen.
Themawechsel.

Okay, zurück zu den Grasshoppers.
Man kann das nicht vergleichen. Kaiserslautern war damals eine gewachsene Mannschaft, und GC hat sich toll verstärkt. Mit Grichting und Vilotic haben sie ein harmonierendes Innenverteidigerpaar, Salatic in zentraler Position und vorne Ben Khalifa – das haben sie sehr gut gemacht. Und die Talente drum herum beurteile ich gar nicht mehr als Talente. Steven Zuber ist inzwischen ein toller Super-League-Spieler, der den Unterschied ausmachen kann. Das ist eine ganz gefährliche Mannschaft, die sehr viel Qualität besitzt.

Und Ihre Mannschaft?
Wir müssten auch mal wieder einen Lauf bekommen. Aber wir sind nicht der FC Basel der vergangenen Saison.

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