«Hören Sie auf, mich in diese Ecke zu drängen!»

Eric Nussbaumer (SP) sagt, was er denkt. Darum kritisiert er die Baselbieter Regierung auch scharf. Lieber nicht reden will er dagegen über einen möglichen Regierungsrat Nussbaumer.

Redet Klartext: SP-Nationalrat Eric Nussbaumer.

Eric Nussbaumer (SP) sagt, was er denkt. Darum kritisiert er die Baselbieter Regierung auch scharf. Lieber nicht reden will er dagegen über einen möglichen Regierungsrat Nussbaumer.

Noch ist Eric Nussbaumer (51) Nationalrat. Und Bundesbern gefällt ihm sehr. Noch lieber wäre er aber Regierungsrat in Liestal. «Bei der nächsten Vakanz trete ich an», kündigte er vor Kurzem in der TagesWoche an.

Nach dem Sparflop der Regierung und ihrem bizarren Auftritt am Abstimmungssonntag gibt es inzwischen auch Rechtsbürgerliche, die hoffen, dass es möglichst bald eine Ersatzwahl gibt, auch wenn danach plötzlich Linksgrün die Mehrheit in der Regierung haben könnte – dank Nussbaumer.
Die Hoffnung auf eine neue Regierung äussern Bürgerliche allerdings nur im vertraulichen Gespräch. Alles andere käme parteiintern wohl schlecht an. Umso deutlicher wird ­Nationalrat Nussbaumer – solange er sich nicht die Regierungsecke gedrängt fühlt.

Herr Nussbaumer, was muss im Baselbiet nun passieren?

Die Regierung müsste eine nüchterne Auslegeordnung machen. Dann käme auch sie zum Schluss, dass sie im Allgemeinen und Finanzdirektor Adrian Ballmer im Speziellen mit dem überzogenen Entlastungspaket gescheitert ist. Gleichzeitig könnte sie auch positive Ansatzpunkte entdecken: Während der Kanton finanziell am Boden ist, stehen die grösseren Gemeinden finanziell gut da. Ein Ungleichgewicht, das sich mit einer neuen Ausgabenverteilung aus der Welt schaffen liesse. Leider geht die Entwicklung bis jetzt immer in eine ganz andere Richtung – Richtung Zentralisierung.

Wird sich die Regierung nun tatsächlich mit solchen Problemen auseinandersetzen?

Kaum. Wahrscheinlich wird sie sich zuerst einmal eine Verschnaufpause gönnen und sich danach ans Budget 2013 und den Finanzplan bis 2016 machen und dabei versuchen, da und dort einige Abstriche vorzunehmen.

Darum ist ja von Lohnkürzungen für Staatsangestellte oder der Streichung einzelner Schulstunden die Rede. Klingt nach weiteren Auseinandersetzungen.

Leider, ja. Solche Drohungen schaden nur. Darum wäre eine neue Auslegeordnung ja auch so wichtig: Was haben wir erreicht, was fehlt noch? Solange diese grundlegenden Fragen nicht geklärt sind, wird man nicht vernünftig über Sparmassnahmen reden können. Bis jetzt fehlt diese Transparenz völlig. Finanzdirektor Ballmer behauptete ja, mit den Sparvorlagen könnten Steuererhöhungen verhindert werden. Dabei waren die Sparmassnahmen zu einem grossen Teil verkappte Steuererhöhungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Alte und Kranke.

Trauen Sie der Regierung überhaupt noch zu, mit den Parteien und den Interessenvertretern eine vernünftige Debatte zu führen, so wie sie sich an der Pressekonferenz nach der Abstimmung aufgeführt hat? Sie haben den Auftritt als Zuschauer ja auch mitverfolgt.

Ich fands gut, dass die fünf Regierungsräte zusammen hingestanden sind. Weniger gut fand ich ihre Botschaft: Wir wissen, wie es geht, das Volk nicht. Wir sind solidarisch, das Volk nicht. Das ist eine schlechte Basis für eine gemeinsame Problemlösung, die unser Kanton so dringend nötig hätte.

Das heisst, dass Sie kein Vertrauen mehr in die Regierung haben.

Viele haben genug von den Belehrungen und Anschuldigungen. Wenn eine Regierung eine Abstimmung verliert, dann muss sie eben hinstehen und sagen: «Das Volk hat immer recht, wir akzeptieren die Niederlage und werden nun alles daransetzen, um den neuen Auftrag auszuführen, selbst wenn es nicht einfach wird.» Die Baselbieter Regierung macht genau das Gegenteil. Sie steht hin und sagt: «Wir haben alles richtig gemacht, nur habt ihr das leider nicht begriffen und darum falsch entschieden. Jetzt wissen wir halt auch nicht mehr weiter.» Das ist eine Bankrotterklärung. In einer Führungsposition dürfte sich eine solche Aussage eigentlich gar niemand erlauben.

Es bräuchte also einen personellen Wechsel in der Regierung.

(Lacht.) Jetzt wollen Sie wieder hören, dass Ballmer zurücktreten soll.

Ich will nichts Bestimmtes hören, hätte aber gerne eine möglichst konkrete Antwort.

Ich will nicht über andere den Stab brechen und kann höchstens über mich selbst reden. Wenn ich so ratlos wäre wie einzelne Regierungsräte, würde ich schon in die Reflexion gehen, auch über meine persönliche Zukunft. Sehr vielsagend war in dieser Hinsicht eine weitere Szene der Pressekonferenz vom Sonntag: Als ein Journalist die freche Frage stellte, ob keiner der fünf anwesenden Regierungsräte an Rücktritt denke, musste Regierungspräsident ­Peter Zwick ein Blatt hervorklauben, um von dort die vorgefertigte Antwort abzulesen. Unglaublich! Ein Regierungsrat, der auf einen Zettel angewiesen ist, um seine Stellung noch rechtfertigen zu können. Mit Leadership hat das gar nichts mehr zu tun.

Ballmer hat den Medien den Vorwurf gemacht, sie würden sich in eine Kampagne gegen die Regierung einspannen lassen. Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Die «Basellandschaftliche Zeitung» etwa oder die «Basler Zeitung» unterstützten in ihren Kommentaren ja ausdrücklich die Sparvorlagen. Gleichzeitig kam selbstverständlich auch in den Medien immer wieder Kritik auf, wobei häufig die Frage mitschwang, ob es bei Herrn Ballmer nicht langsam an der Zeit wäre, zurückzutreten. Und irgendwann haben die Journalisten dann auch noch gemerkt, dass auch andere Regierungsräte nicht unbedingt exzellent sind. Das deckt sich übrigens mit meiner Einschätzung: Von den fachlich-politischen Fähigkeiten her gehört Ballmer in dieser Regierung zu den Top drei. Sein Problem ist, dass er zu sehr ideologisch argumentiert.

Und wer sind die beiden anderen in den Top drei?

(Lacht.)

Eigentlich hätten Sie ja jetzt Ihren Parteikollegen Urs Wüthrich nennen sollen – und allenfalls noch den Grünen Isaac Reber.

Reber nehme ich noch nicht so richtig als Staatsmann wahr. Vor einem Jahr kam er mit dem Anspruch in die ­Regierung, aus dem Gremium wieder ein Team zu machen. Ob ihm das gelungen ist? In der Verwaltung wird er aber dennoch geschätzt, wie man hört.

Was ist mit Urs Wüthrich?

Er geht häufig geschickt vor. Gelegentlich wirken seine Auftritte aber etwas gar locker. Und er bewegt sich auch mal aus­serhalb des Regierungsteams.

Was halten Sie von Sabine Pegoraro?

In der Baudirektion scheint sie mir nach ihrem Wechsel vor einem Jahr noch nicht ganz angekommen zu sein.

Und von Peter Zwick?

Er hat in der Spitalplanung viele falsche Spuren gelegt, denen er dann auch noch viel zu lange gefolgt ist. Darum stehen wir in diesem Bereich – trotz jahrelanger Planung und Millionenausgaben – heute wieder am Anfang. So etwas könnte man sich in keinem KMU erlauben.

Mit der Unzufriedenheit über die Regierung lässt sich die überraschend deutliche Ablehnung der Sparvorlagen kaum erklären. Welche Gründe sehen Sie sonst noch?

Den gleichen wie bei der Ablehung der Unternehmenssteuern in Basel. Das Volk ärgert sich über den Widerspruch zwischen der Realität und dem, was die Unternehmen und viele Politiker immer behaupten. In Basel erzielen die grossen Unternehmen grosse Gewinne, sie zahlen den Chefs Millionensaläre, streichen aber gleichzeitig Stellen und tun so, als könnten sie die Steuern kaum mehr zahlen. Einen ähnlichen Widerspruch gabs im Baselbiet: Einerseits machte sich Finanzdirektor Adrian Ballmer an vorderster Front fürs Bausparen stark, von dem vor allem die ohnehin schon gut Situierten profitieren. Andererseits versuchte er bei den Alten, Kranken und den Schülern zu sparen. Mit einer solchen Politik macht man sich unglaubwürdig.

In dieser Beziehung ist aber ­ausgerechnet Ihre SP die Partei gewordene Schizophrenie – zumindest in Basel, wo SP-Finanz­- direktorin Eva Herzog für die ­Senkung der Unternehmenssteuer kämpfte und die SP-Basis dagegen.

Eine Volkspartei muss eine gewisse Breite haben. Aber selbstverständlich bietet die Basler SP ihren Gegnern so im Hinblick auf den Wahlkampf schon gewisse Angriffsflächen. Wobei: Allzu grosse Sorgen mache ich mir da auch wieder nicht. Weil eine Partei immer auch so stark ist, wie die Gegner es zulassen. Darum habe ich den Kolleginnen und Kollegen in der Stadt schon in den 90er-Jahren gesagt: Wenn die bürgerlichen Wahlkämpfe bei uns auf dem Land ebenfalls so schwach wären wie bei euch, hätten wir schon längst die Mehrheit.

In dem Fall müsste eine linke Mehrheit heute doch eigentlich möglich sein.

Mir geht es nicht um links oder rechts. Wir brauchen vor allem wieder massiv mehr Kompetenz in der Regierung. Figuren, wie wir sie früher hatten: Die beiden Freisinnigen Andreas Koellreuter und Hans Fünfschilling zum Beispiel oder auch unsere Vertreter Edi Belser und Peter Schmid. Natürlich waren sie auch nicht immer ein Herz und eine Seele. Aber sie schafften es, ihre Differenzen offen auszutragen und sich irgendwann auch auf mehrheitsfähige Lösung zu einigen.

Sehr nett, wie Sie sich über die früheren FDP-Regierungsräte ­äussern! Hängen die Probleme des Baselbiets Ihrer Ansicht nach auch mit der Krise des Freisinns zusammen?

Auch. Aber diese Partei ist ja nicht nur bei uns in der Krise, sondern generell.

Die FDP schaffe sich ab, wenn sie unter ihrem neuen Präsidenten Philipp Müller nun weiter versuche, mit einer populistischen Ausländerpolitik zu punkten, schrieb der «Sonntag». Sehen Sie das auch so?

Absolut. Die FDP war immer die Partei des Bildungsbürgertums, der Wirtschaft. Je weiter sie sich von ihren Wurzeln entfernt, desto mehr verliert sie ihre Daseinsberechtigung. Insofern geht Philipp Müller mit seiner populistischen Asylpolitik tatsächlich ein sehr hohes Risiko ein.

In dem Fall schafft sich aber auch die CVP ab, die die SVP und die FDP in der äusserst umstrittenen Asyldebatte unterstützt hat.

Die CVP hat meines Erachtens ein wesentlich kleineres Problem als die FDP, weil diese Partei noch immer viele ganz vernünftige Politiker mit einem sozialen Gewissen hat.

Die Baselbieter FDP hatte mit ­Michael Herrmann schon vor der Schweizer FDP einen Präsidenten, der seine Partei mit hemdsärmliger Politik wieder auf Erfolgskurs bringen wollte – und gescheitert ist. Was erwarten Sie von seiner Nachfolgerin Christine Pezzetta?

Sie ist offenbar mit dem Versprechen angetreten, den Dialog in ihrer Partei wieder zu fördern und den liberalen Flügel und die Wirtschaftskammer-Fraktion wieder näher zusammen­zubringen. Das ist zwar ein ehren­werter Vorsatz, aber etwas wenig, wenn sie kneift, sobald es heikel wird – wie im Gespräch mit den anderen Parteipräsidentinnen und der TagesWoche, als das Gespräch auf die ­Wiedervereinigung mit Basel-Stadt kam und sie sagte: So, jetzt gehe ich, weil ich noch keine Parteimeinung vertreten kann.

Ist nach der FDP auch die Wirtschaftskammer daran, ihre Macht im Baselbiet zu verlieren? An diesem Wochenende ist ihre Idee des Bausparens endgültig gescheitert; ihre Kampagne für die Sparvorlagen hat sich ebenfalls als Flop erwiesen. Und nun tritt auch noch Übervater Hans Rudolf Gysin ab.

Gysin wird nicht zu ersetzen sein. Denn er war ein unglaublicher Chrampfer und ein brillanter Netzwerker und hatte erst noch einen direkten Draht nach Bundesbern.

Die Wirtschaftskammer hat doch jetzt Daniela Schneeberger im ­Nationalrat.

(Lacht.) Das war jetzt Ihr Spruch. Im Ernst. Daniela Schneeberger ist Da­niela Schneeberger und niemand wird auf die Idee kommen, sie mit Gysin gleichzusetzen. Dieser war ein Vollblutpolitiker, ein Gestalter auch, der zwar immer eine grosse Freude hatte, wenn er wieder mal was mit einer ­seiner vielen Kampagnen durchgedrückt hat. Gleichzeitig hatte er aber auch einen Sinn für die Sozialpartnerschaft, für die Arbeitnehmer. In dieser Hinsicht war er sehr fair. Leider ­machte sich die Wirtschaftskammer aber auch immer wieder unglaub­würdig – so wie in diesem Abstimmungskampf, als sie so tat, als würden die Gegner des Sparpaketes nur ihre Pfründen verteidigen. Ein Vorwurf, den die Wirtschaftskammer eher sich selbst machen müsste. Oder um was ging es ihr denn hauptsächlich in den vergangenen Jahren? Ums Bausparen, um ihre Tunnels und die viel zu teure H2. Sind das nicht auch Pfründe?

Umgekehrt müssen auch Kritiker wie Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, ihnen gehe es nicht um die Sache, sondern um einen Job in der Regierung …

Also mir kann man sicherlich nicht den Vorwurf machen, ich würde mich vordrängen. Ich schreibe keine Leserbriefe, verfasse keine Pamphlete und gründe auch keine Komitees. Wenn ich – wie jetzt von Ihnen – um ein Gespräch gebeten werde, bin ich dazu aber bereit.

Adrian Ballmer beschwert sich zudem darüber, dass die Befürworter einer Wiedervereinigung mit Basel versuchen, die Regierung zu destabilisieren, damit die Fusion einfacher möglich wird. Was halten sie von dieser These?

Gar nichts.

Aber Sie sind ebenfalls ein ­Befürworter einer Wiedervereinigung?

Diesen Vorschlag muss man ernst-haft prüfen, losgelöst von der Geschichte und den alten Ressentiments. In ­Zukunft wird es um den Wett­bewerb der Regionen gehen, um Basel gegen Karlsruhe oder Basel gegen ­Zürich und nicht mehr um Basel gegen Liestal.

Wie wird sich das Baselbiet in den nächsten zehn, zwanzig Jahren weiterentwickeln?

In acht Jahren muss der Kanton finanziell wieder gesund sein. Weiter vorauszublicken ist schwierig.

Und welchen Beitrag werden Sie zur Gesundung leisten?

Ich bleibe ein kritischer Zeitgenosse.

Und in welchem Amt?

Das hängt nicht nur von mir ab.

Sie würden sich aber schon zutrauen, ein guter Regierungsrat zu sein?

Hören Sie jetzt endlich auf, mich in diese Ecke zu drängen. Personell wird sich in diesem Kanton frühestens dann etwas tun, wenn nicht mehr alle davon reden …

In diesem Fall beenden wir nun das Gespräch. Vielen Dank.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12

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