«Ich bin kein Softie»

Die Amtszeit von Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass endet. Nun lässt er seine sieben Jahre im Regierungsrat Revue passieren und seine gewohnte Zurückhaltung fallen.

Gass’ Fazit nach sieben Jahren: «Seriosität und Geradlinigkeit sind weniger gefragt als Schlagzeilen und Skandale.» (Bild: Keystone/Patrick Straub )

Die Amtszeit von Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass endet. Nun lässt er seine sieben Jahre im Regierungsrat Revue passieren und seine gewohnte Zurückhaltung fallen.

In seiner Amtszeit zeichnete sich Hanspeter Gass als sachbezogener und ruhiger Justiz- und Sicherheitsdirektor aus. Gass mied markige Auftritte, er blieb auch still, als ihn die Kritik etwa nach den Ausschreitungen auf dem Voltaplatz 2011 voll traf. Am Ende seiner Laufbahn – Gass hört demnächst auf und wird im ­August Verwaltungsrat des Theaters Basel – schlägt er einen neuen Ton an.

Herr Gass, Ende Januar geht Ihre politische Karriere zu Ende. Was werden Sie vermissen?

Gescheite Journalisten-Fragen und die vielen lehrreichen, sachlichen Diskussionen, die ich in den ver­gangenen knapp sieben Jahren ­führen durfte.

Und was wird Ihnen nicht ­fehlen?

Krampfhaft originelle oder langsam ziemlich angestaubte Fragen von Journalisten …

Gut, wir haben verstanden: Sie sind nicht gut auf die Medien zu sprechen. Ihre Regierungszeit war ja auch von Beginn an von Kritik begleitet. Erst traute man Ihnen den Job nicht zu, dann warf Ihnen das rechtsbürgerliche Lager vor, nicht genügend durchzugreifen und präsent zu sein. Hat Sie diese Kritik beeinflusst oder getroffen?

Mir sind die Rückmeldungen aus der Bevölkerung immer sehr wichtig gewesen. Mich interessiert, wo die Leute der Schuh drückt und wie wir als Departement mit einer sehr ­grossen und vielfältigen Aufgabenpalette da Abhilfe schaffen können. Darauf verwende ich gern Zeit und Energie. Wenn es dagegen um ­faktisch nicht gestützte plumpe ­politische Rhetorik geht, lasse ich mich in meinem Handeln nicht beeinflussen.

Sie mussten sich immer rechtfertigen. Das war bestimmt sehr anstrengend.

Jeder Politiker muss sein Handeln erklären, nicht zuletzt ein Regierungsrat. Dass ein Justiz- und ­Sicherheitsdirektor in einem be­sonders grossen Schaufenster sitzt, gehört zum Amt. Viel Anstrengung oder besser viel Geduld braucht es, Sachlichkeit in hoch emotionalisierte­ Diskussionen zu bringen.

Fühlten Sie sich dabei oft missverstanden und ungerecht ­be­handelt?

Wenn ich als Sicherheitspolitiker und als Person beispielsweise ­verantwortlich gemacht werde für in­dividuelle Fehlleistungen von Straftätern, jugendlichen Vandalen mit offensichtlich schlechter Kinder­stube oder gar negative Auswirkungen gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, dann ist das tatsächlich manchmal dicke Post. Mit ihr um­zugehen ist jedoch mein tägliches Brot. Dies teile ich mit allen meinen Amtskolleginnen und -kollegen in der Schweiz und anderswo.

«Ich bin ein Politiker und kein Zauberkünstler in einem Tingeltangel.»

Erschwerend kam für Sie aber hinzu, dass man Sie oft unterschätzt hat.

Hat «man» das? Und wer ist «man»? Lassen wir einmal die vergangenen fast sieben Jahre Revue passieren: Ich habe alle kantonalen Volksabstimmungen gewonnen, die Themen aus meinem Departement betroffen haben, und die meisten politischen Geschäfte in der von mir intendierten Form durch die Regierung und das Parlament gebracht. Aber es ist auch richtig: Ich mag kein Stammtischgeheule oder lautstark ver­kündete Versprechen, die sich nicht einhalten lassen. Ich bin ein Politiker mit Exekutivverantwortung und kein Zauberkünstler in einem Tingeltangel.

Wir glauben Ihnen nicht, dass es schon immer Ihr Plan war, mit 57 in den Ruhestand zu treten. Sie hatten gespürt, dass Sie im Wahlkampf unter Beschuss geraten würden und wollten sich das nicht antun.

Zu Glaubensfragen mag ich mich hier nicht äussern. Ich weiss, was ich weiss, und der Rest scheint lediglich Ihr Problem zu sein.

Dann kommen wir auf Ihre Probleme zu sprechen: Welche Fehler haben Sie in Ihrer siebenjährigen Amtszeit gemacht?

Ich habe manchmal unterschätzt, dass Werte wie Seriosität, Objekti­vität und Geradlinigkeit weniger gefragt sind als Schlagzeilen, Skandale und Sensationen. Und dass man selbst heute noch den Volkszorn ­sowohl parteipolitisch als auch im medialen Wettbewerb bestens bewirtschaften kann. Mein Bestreben ist und war es immer, Politik mit Anstand, Respekt und Toleranz zu machen. Es versteht sich von selbst, dass auch mir als scheidender ­Justiz- und Sicherheitsdirektor die zunehmende Kriminalität Sorge ­bereitet. Ich habe gehandelt: Die Auf­stockung des Polizeikorps verbuche ich auf «meinem» Erfolgskonto!

Welche Erfolge rechnen Sie sich sonst noch an?

Da gibt es in einem grossen und ­heterogenen Departement viele – politische, organisatorische, per­sonelle, gesetzgeberische, ereignisbezogene, projektbezogene und infrastrukturelle – Erfolge, deren Aufzählung den Rahmen des Interviews sprengen würde. Und was heisst schon ­Erfolg? Ich habe gelernt, dass «Erfolg» etwas Fragiles ist. Ich politisiere in einer Weise, die mir erlaubt, jeden Tag mit gutem ­Gewissen in ­den Spiegel zu schauen.

Haben Sie in der Regierung den Rückhalt immer gespürt?

Ja. Wir sind ein Kollegium – auch wenn das Aussenstehende nicht ­immer wahrhaben wollen.

Und wie war es in Ihrer Partei?

Die Partei hat ihre eigene Rolle und die muss nicht zwingend mit der­jenigen ihres Regierungsrates identisch sein. Trotzdem kann ich – mit Ausnahme weniger Sachgeschäfte wie der Videoüberwachung – diese Frage grundsätzlich mit Ja beantworten.

Sie werden also auch nach Ihrem Rücktritt aktiv in der FDP sein?

Ich werde mich «aktiv» im Hintergrund halten. Wie es sich für einen ehemaligen Amtsträger ziemt.

Wer von der FDP steht Ihnen am nächsten?

Viele Mitglieder, die mich in meiner vergangenen fast 13-jährigen Politikkarriere vom Präsidenten eines FDP-Quartiervereins bis hin zum Regierungsrat unterstützt haben.

Muss ein Polizeidirektor ein ­harter Typ sein, muss er durchgreifen, die Konfrontation ­suchen, um akzeptiert zu ­werden? Sie haben das Image ­eines Softies.

Konsequentes Handeln ist zweifellos eine empfehlenswerte Eigenschaft für einen Polizeidirektor, aber auch Umsicht und Sinn für das Machbare sind ratsam. Schauen Sie: Ich führe seit bald sieben Jahren eines der ­anspruchvollsten Departemente ­unseres Kantons mit rund 2000 Mitarbeitenden. Damit dürfte die von Ihnen kolportierte Meinung, dass ich als Softie gelte, wohl berichtigt sein.

Hat es Sie geärgert, immer mit Ihrem Vorgänger Jörg Schild verglichen zu werden?

… oder an Pensioniertentreffen mit Karli Schnyder? Nein, gewiss nicht. Ich bin ich, und kopiert werden in meinem Departement sinnvoller­weise nur Akten und andere Papiere.

Ein zentraler Konflikt Ihrer Amtszeit war das Ringen um die Kommunikationshoheit mit der Staatsanwaltschaft. Ist dieser beigelegt?


Pardon, aber diese Frage irritiert mich. Ich blicke auf beinahe sieben Jahre im Amt zurück und habe in dieser Zeit einige Sträusse ausgefochten. Dass die Staatsanwaltschaft in der fallbezogenen Kommunikation absolut unabhängig sein muss, ist für mich nie in Frage gestanden und ist im Übrigen so auch in der Strafprozessordnung vermerkt. Diskussionen hatten wir, als ich die Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) vor den Medien breiter gestalten wollte: mit der Beteiligung von mir für ein erstes sicherheitspolitisches Fazit und des Polizeikommandanten mit ersten sicherheitspolizeilichen Schlussfolgerungen. Dies ist in anderen Kantonen seit jeher gang und gäbe und bringt namentlich den Journalistinnen und Journalisten einen Mehrwert. Diese Diskussion ist geführt und eine erste gemeinsame Medienkonferenz mit klaren Zuständigkeiten für die Inhalte hat im vergangenen Jahr für alle Seiten zufriedenstellend stattgefunden. Von einem «zentralen Konflikt» meiner Amtszeit kann keine Rede sein.


Sind Sie nach wie vor der Meinung, dass die Kommunikationshoheit nicht bei der Staatsanwaltschaft liegen sollte? 


Die fallbezogene Kommunikation muss in der alleinigen Verantwortung der Staatsanwaltschaft liegen. Sie erhält dabei keine Vorgaben, weder von mir noch von einer anderen Stelle. Die Sicherheitspolitik und Aussagen dazu wiederum sind in meiner Verantwortung.

Mit Alberto Fabbri hatten Sie von Anfang an einen schweren Start. Hat er gegen Sie gearbeitet – etwa, indem er via Medien mehr Stellen forderte?

Alberto Fabbri ist Erster Staatsanwalt der mir administrativ unterstellten Staatsanwaltschaft. Wir haben unterschiedliche Rollen und deshalb zuweilen auch unterschiedliche Ansichten. Wir klären das intern und – was die personellen Ressourcen angeht – im Rahmen der vom Regierungsrat beauftragten Organisationsüberprüfung und Geschäftslastenanalyse.

«Aus Zeitgründen im Unruhe-Stand werde ich mich entscheiden müssen, welche Medien ich künftig noch konsumieren mag.»

Hat die Stawa Ihrer Ansicht nach versucht, im Wahlkampf Einfluss zu nehmen? Nach dem Wahlkampf haben die Mitteilungen ja abgenommen… 


Nach dem bisher Gesagten erübrigt sich diese Frage.

Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, das Departement zu wechseln?

Nein. Das Justiz- und Sicherheits­departement ist und bleibt ein faszinierendes Departement.

Nun werden Sie VR-Präsident des Theaters. Warum nehmen Sie sich keine Auszeit?


Meine Amtszeit als vom Regierungsrat ernannter Verwaltungsrat der Theatergenossenschaft Basel beginnt erst im August. Statutengemäss hat sich der Verwaltungsrat noch selber zu konstituieren. Mich in Ihrer Frage als «Präsidenten» zu bezeichnen, ist bewusst oder unbewusst zwar freundlich, aber falsch.


Was wird Ihre grösste Herausforderung 2013?


Aus Zeitgründen im «Unruhe»-Stand werde ich mich entscheiden müssen, welche Medien ich künftig noch konsumieren mag. Das «Feuilleton» ist freilich für den künftigen Verwaltungsrat der Theatergenossenschaft wieder ein «must» …


Inwiefern haben Sie sich in den 6 Jahren persönlich verändert? 


Das würde ich auch gern wissen.


Würden Sie nochmals Regierungsrat werden, wenn Sie wählen könnten? 


Ja, ich möchte diese Zeit auch nicht missen.


Weshalb scheint es besonders in Basel schwierig, Sicherheitspolitik zu machen? Wo liegen die Probleme?


Es sind die gleichen Schwierigkeiten und Probleme wie in anderen Städten und urbanen Zentren auch. Vielleicht ist die öffentliche Wahrnehmung in Basel etwas anders akzentuiert, weil wir – im Gegensatz etwa zu Zürich – keine Wohnungsnot oder keine gröberen, den Alltag belastende Verkehrsprobleme haben. Vielleicht gibt es in Basel zudem das eine oder andere gedruckte oder ausstrahlende Medium, dass die «(Un-)Sicherheit» im Sinne eines Stellvertreter-Themas für weltanschauliche Positionierungen pflegt. So oder so vertraue ich darauf, dass Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft die gesellschaftlichen Entwicklungen und Problemstellungen unserer globalisierten und multikulturellen Welt aktiv mitverfolgen und damit in der Lage sind, das Thema Sicherheit mit all seinen Facetten, in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Wie in vielen Politikbereichen leiden wir in der Schweiz bekanntlich auf hohem Niveau. So ist am 21. Dezember die Welt nicht wie angekündigt untergegangen – auch nicht in Basel!


Empfinden Sie die Politik nun als verlogen? 


Warum sollte ich? Auch wenn ich Ihre Frage nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten mag. Die «Politik» in unserem Land – das sind Sie und ich, wir alle. Es gibt kaum einen anderen Staat, in dem die Bürgerinnen und Bürger einen so grossen politischen Gestaltungsraum haben wie bei uns. Unser Staatswesen gründet auf politischer Mitwirkung und der damit verbundenen Verantwortung. Ich habe versucht, meinen Teil beizutragen, auch wenn ich mir nicht einbilde, die Welt auf unseren bescheidenen 37 Quadratkilometern wesentlich verändert zu haben und damit in die Basler Geschichte einzugehen.

Was soll von Ihrer Regierungszeit in Erinnerung bleiben?

Dass sich sicherheitspolitische ­Diskussionen trotz ihrer hohen Emotionalität differenziert und sachlich führen lassen – und dass die Stimmberechtigten dies in ­Urnengängen auch honorieren. ­Exemplarisch dafür die Sicherheitsinitiative, die ich mit 55 Prozent ­gewonnen habe. Ein klares Volks­verdikt, ob man es wahrhaben will oder nicht!

Freuen Sie sich darauf, die Amtszeit von­ Baschi Dürr zu ­beobachten?

Ich freue mich darauf, gelegentlich bei einer Flugreise das Wolkenspiel von oben zu beobachten. Mein Nachfolger Baschi Dürr wird genügend andere Beobachter haben – da braucht er mich nicht auch noch.

Hanspeter Gass
Hanspeter Gass wurde am 19. März 2006 in die Basler Regierung gewählt. Zwei Jahre später musste er in den zweiten Wahlgang. Im November 2011 gab er über­raschend seinen Rücktritt bekannt. Von 1986 bis zu seinem Amtsantritt war Hanspeter Gass Geschäfts­führer der Vorsorge-Stiftung der Theatergenossenschaft Basel, von 2001 bis 2006 Grossrat und Vizepräsident der FDP. Gass kehrt auch nach seiner Regierungszeit zum Theater Basel zurück: Die Regierung wählte ihn letzten November in den Verwaltungsrat. Der 57-Jährige lebt mit seiner Frau in der Nähe der Universität Basel und hat einen erwachsenen Sohn.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13

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