«Ich höre nie auf, mir Feinde zu schaffen»

Im Interview mit der TagesWoche spricht der Preisüberwacher Stefan Meierhans über allzu rentable Bahnstrecken, Robin Hood und absurde Medikamentenpreise.

Stefan Meierhans, Preisüberwacher. (Bild: Marco Zanoni)

Der Preisüberwacher Stefan Meierhans über allzu rentable Bahnstrecken, Robin Hood und absurde Medikamentenpreise.

Erst nach zähem Ringen beschloss das Parlament vor Kurzem, den Preisüberwacher Stefan Meierhans bei den Billettpreisen nicht auszubooten. Doch zum Verschnaufen bleibt ihm keine Zeit: Jetzt muss er nicht nur vom SBB-Chef Andreas Meyer heftig Kritik einstecken, sondern auch von den Konsumentenschutzorganisationen.

Für dieses Interview löste ich ein Billett Basel–Bern, retour, Halbtax, für 38 Franken. Habe ich zu viel bezahlt?

Wir verhandeln mit den SBB über die Tarife im Fernverkehr. Ich kann mich deshalb jetzt nicht dazu äussern.

Dann frage ich anders: 38 Franken für diese Strecke scheint mir ein stolzer Preis zu sein.

Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich bekomme sehr viele Beschwerden aus der Bevölkerung wegen der Tarife im Fernverkehr. Deshalb lege ich auch mein Augenmerk darauf.

Der Fernverkehr der SBB rentiert, allen voran die Paradestrecke Bern–Zürich.

Nicht nur diese. Der Fernverkehr ist hochrentabel – von wenigen Ausnahmen abgesehen. In der Vergangenheit stellten wir schon mehrfach fest, dass die SBB im Fernverkehr einen dreistelligen Millionenbetrag als Gewinn einfahren – deshalb sind die Preise im Fernverkehr auch Gegenstand laufender Abklärungen.

Damit verärgern Sie aber die Bahn. SBB-Chef Andreas Meyer kritisiert Sie heftig: Als Preisüberwacher hätten Sie eine ganz einseitige Preisperspektive. Man müsse die Bahn als Ganzes sehen, die vor gewaltigen Herausforderungen und Investitionen stehe.

Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass keine überschüssige Monopolrente eingestrichen wird, wo auch immer Kunden nicht ausweichen können. Deshalb untersuchen wir gemäss unserem gesetzlichen Auftrag auch die Tarife im öffentlichen Verkehr. Quersubventionierungen sind immer problematisch, weil diese falsche Anreize setzen. Wer dank Quer-subventionen ein Loch stopfen kann, hat doch keinen Anreiz mehr, effizienter zu werden. Stünde er im Wettbewerb, könnte er sich dies gar nicht leisten.

Wieso nicht?

Nehmen Sie zwei Konkurrenten, zum Beispiel zwei Taxiunternehmen. Eines hat seine Pensionskassengelder schlecht angelegt, muss diese sanieren. Um das Loch zu stopfen, kann dieser Unternehmer nicht einfach seinen Preis erhöhen, weil dann keiner mehr einsteigen würde; man würde einfach das andere Taxi nehmen.

Derjenige mit dem Loch in der Pensionskasse wären die SBB?

(lacht) Ich mache nur ein Beispiel. Wenn ein Unternehmen einen Geld-Hahnen hat, aus dem nach Belieben Geld fliesst, fehlt der Anreiz, Probleme in den Griff zu bekommen.

Der SBB-Chef wirft Ihnen vor, Sie kümmerten sich nicht um das Wohl des Unternehmens, Ihnen sei egal, ob die SBB eine tragbare Verschuldung hätten oder nicht.

Wir haben den Auftrag dafür zu sorgen, dass Marktmacht nicht missbraucht wird. Ein Beispiel: Wenn ein marktmächtiges Unternehmen Managementfehler macht, können wir nicht grosszügig sein, um diesen Fehler zu kompensieren. Wir müssen dafür sorgen, dass Preise für Dienstleistungen, welche Konsumenten nicht frei wählen können, oder Preise sehr marktmächtiger Unternehmen volkswirtschaftlich erträglich sind.

Weshalb ist das so wichtig?

Die Schweiz steht in einem Wettbewerb, und zwar in einem globalen Standortwettbewerb. Da entscheidet neben anderen Faktoren auch das Kostenniveau, wie konkurrenzfähig wir als Standort bleiben. Bei uns sind die Kosten schon generell hoch, verschärft durch die Währungsproblematik. Deshalb müssen wir alles daran setzen, dass wir dort, wo wir können, die Kosten senken. Und deshalb haben wir tatsächlich keine betriebswirtschaftliche, sondern eine volkswirtschaftliche Optik: Uns interessiert primär das Wohl des Ganzen und nicht nur die Erfolgsrechnung der SBB AG.

Kann der Preisüberwacher eine Situation hinbekommen, als ob der Wettbewerb spielen würde?

Dort, wo ein echter Wettbewerb spielt, profitieren wir sicher alle davon. Aber es gibt auch viele Bereiche mit einem Pseudo-Wettbewerb.

Zum Beispiel bei der Post.

Ja. Bis 50 Gramm hat die Post noch immer das Monopol. Und auch bei den Privatkunden gibt es nicht wirklich einen Wettbewerb. Auch beim liberalisierten Telekom-Markt ist der Wettbewerb bescheiden. Im Vergleich zum Ausland bezahlen wir sehr hohe Handytarife. Lange Zeit war auch der Wettbewerb im Detailhandel nicht wirklich wirksam mit dem Duopol Migros und Coop. Dies haben jetzt die deutschen Harddiscounter Aldi und Lidl etwas aufgebrochen.

Trotzdem ist es volkswirtschaftlich häufig nicht sinnvoll zu liberalisieren. Beispiel Post: Es wird nicht günstiger, wenn statt einem Pöstler ein halbes Dutzend Post in unsere Briefkästen einwirft.

Liberalisieren ist hoch anspruchsvoll. Die Schweiz tendiert ja immer zum Kompromiss. Das brachte uns viele Vorteile und Stabilität. Eine halbbatzige Liberalisierung aber funktioniert nun mal nicht wirlich: Entweder man liberalisiert oder man lässt es bleiben. Das zeigt sich bei uns auch im Telekom-Markt: Der Marktanteil des Ex-Monopolisten Swisscom wächst noch immer stetig.

Ist die Schweiz zu klein, damit wir hier endlich genauso günstig telefonieren wie im übrigen Europa?

Nein. Österrreich ist vergleichbar, hat deutlich tiefere Tarife. Durch die späte Liberalisierung im Schweizer Handymarkt hatten die lukrativen Kunden längst beim damaligen Monopolisten ein Abonnement gelöst. Für die neuen Konkurrenten blieben, überspitzt formuliert, noch die Brosamen. Zudem hatte die Swisscom damals schon die besten Antennenstandorte ergattert. Die Konkurrenten mussten die ganze Infrastruktur erst noch aufbauen.

Die Post sorgt für Ärger mit massiven Aufschlägen für Vollmachten und Adressänderungen. Die Konsumentenschutzorganisationen werfen Ihnen vor, es sei Ihnen entgangen, wie lukrativ das Geschäft mit Adressänderungen sei.

Bei den Preiserhöhungen konnten wir keinen Missbrauch feststellen, da die Post ein Verlustgeschäft geltend machte. Aber natürlich habe ich auch keine Freude an diesen Erhöhungen, glaube aber, dass diese sich durchaus zu einem Eigengoal für die Post entwickeln könnten. Was die Adressänderungen angeht: Wie werden diesen Punkt in der laufenden Gesamtüberprüfung der Post unter die Lupe nehmen.

Was trifft Sie mehr: Die Vorwürfe des SBB-Chefs oder die Kritik der Konsumentenschützer?

Eine trickreiche Frage. Persönlich trifft mich solche Kritik nicht. Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte. Das gehört dazu. Was die Post angeht: Wir erhalten von der Post jeweils eine Vorlage mit Dutzenden von Preisänderungen und sind gezwungen, auszuwählen, welche wir genauer anschauen. Um dieses Riesenunternehmen zu kontrollieren, haben wir eine halbe Stelle zur Verfügung. Da muss man priorisieren. Sonst wird die Kontrolle zu teuer (lacht).

Reicht das oder will die Politik gar keinen Preisüberwacher, der vielen auf die Füsse steht?

Wir stehen relativ vielen auf die Füsse. Als Preisüberwacher höre ich von Amtes wegen nie auf, mir Feinde zu schaffen – denn in der Regel geht es darum, jemandem etwas wegzunehmen.

Sie bekommen jeden Tag Post von Menschen, die sich über zu hohe Preise beklagen. Viele werden mit dem von Ihnen Erreichten nicht zufrieden sein. Ein Traumjob?

Als ich die Stelle antratt, wusste ich, was auf mich zukommen wird. Und wenn ich daran denke, dass wir im Schnitt jährlich Preise senken oder Erhöhungen für Dutzende Millionen verhindern, so ist das Anreiz genug.

Bei Ihrem Amtsantritt vor vier Jahren gaben Sie als Hobby Skitouren an.Wie oft standen Sie diesen Winter auf den Skis?

Nur zwei Mal, auf der Piste. Neben meiner eineinhalb- und dreijährigen Tochter liegt einfach nicht mehr drin. Dass ich Vater von zwei Mädchen bin, wurde wohl so ausgewählt. Ich bin eher ein Mädchen-Papa.

Inwiefern?

Ich war schon als Kind im Bauen von Waldhütten nicht so gut.

Aber Sie sind doch sportlich, spielen Fussball, joggen regelmässig?

Ja, früher. Ich lief sogar Marathon, aber seit die Kinder da sind, ist das schwierig geworden. Über Mittag habe ich meist geschäftliche Termine. Jetzt gehe ich ab und zu ins Fitness-Center.

Das genügt Ihnen?

Klar hätte ich zuweilen gerne mehr Zeit für mich. Aber ich geniesse es auch, den grössten Teil meiner Freizeit mit der Familie, mit meinen Kindern zu verbringen.

Sind Sie ein guter Vater?

Schwierige Frage. Meine Kinder können Sie noch nicht fragen. Ich möchte ein guter Vater sein, aber auch ein guter Freund, Ehemann und Preisüberwacher. All das ist mir wichtig. Aber ich bin sehr gerne mit meinen Kindern zusammen. Soeben übernachtete ich auswärts und schon fehlen sie mir.

Ihre Frau ist politisch tätig?

Ja, wir lernten uns in der Partei, der CVP, kennen. Inzwischen ist sie Co-Fraktionschefin der BDP/CVP-Fraktion im Parlament der Stadt Bern. Ich betreue die Kinder mindestens an zwei Abenden, bin nicht nur der Ernährer der Familie. Das finde ich gut. Ich koche, wasche, wickle. Am liebsten erzähle ich Geschichten.

Und Wickeln machen Sie am wenigsten gern?

Ja, weil Windeln so teuer sind (lacht).

Vor einem Jahr statteten Sie Ihrem Ostschweizer Bürgerort einen Besuch ab. Suchen Sie dort einen Ausgleich zur täglichen Arbeit, mit welcher Sie sich oft auch unbeliebt machen?

Ich bin häufig in der Ostschweiz. Wenn ich es mir so überlege, fühle ich mich dort zuweilen tatsächlich etwas unbeschwerter.

Sie haben sich für den Fototermin extra umgezogen. Am Anfang mussten Sie wegen Ihrer Frisur Kritik einstecken. Haben Sie den Coiffeur inzwischen gewechselt?

Nein, nie. Ich gehe immer noch zur selben Coiffeuse, aber natürlich gebe ich der Verwaltung auch ein Gesicht. Deshalb versuche ich auch, das Amt respektvoll auszuüben, mich dementsprechend zu kleiden. Aber ich kann mich auch nicht verleugnen. Ich hätte mir nie einen Bürstenschnitt schneiden lassen, nur weil ich jetzt Preisüberwacher bin.

Als Preisüberwacher sind Sie auch Anwalt des «kleinen Mannes», das war bei Ihrem Job vorher, bei Micro­soft, anders.

Das hat mich besonders gereizt. Wenn Leute auf unser Amt anrufen, nehme ich auch gerne ab und zu selbst ein Telefon entgegen. Ich mache das gerne. Einmal rief ich einen Anrufer zurück, der im nächtlichen Rausch auf unserem Telefonbeantworter heftig geflucht hatte. Er war sehr verdutzt, als er mich am Draht hatte, entschuldigte sich für seinen Aussetzer, an welchen er sich nicht einmal mehr erinnerte, aber dann erzählte er mir, wo ihn überall der Schuh drückt.

Sind Sie harmoniebedürftig?

Ich bin ein typischer Überzeugungs­täter. Wenn ich überzeugt bin, dass ich für eine gerechte Sache kämpfe, ist es mir egal, wenn ich angefeindet werde. Bei den Medikamentenpreisen ist das so. Ich finde es ungerecht, wenn man einen Industriezweig gegenüber anderen bevorzugt behandelt. Dann macht es mir auch nichts aus, erst einmal wie Robin Hood zu kämpfen. Als Preisüberwacher muss man aber auch wissen, wann man es gut sein lässt.

In Deutschland versucht die Pharma­industrie die tatsächlich von Krankenkassen bezahlten Preise für Medikamente geheim zu halten, damit Länder wie die Schweiz beim Preisvergleich auf einen fiktiv hohen Listenpreis zurückgreifen müssen.

Das ist absurd. Wir nehmen nicht den tatsächlich bezahlten Preis von Deutschland. Umgekehrt heisst es bei uns, der Schweizer Preis sei mass­gebend für die ausländischen Preise. Das ist wie ein Pingpong-Spiel. Mit den entstandenen Kosten hat dies überhaupt nichts mehr zu tun.

Die Pharmabranche befürchtet erklärtermassen, dass tiefe deutsche Preise zu einer Kettenreaktion führen und auf die Preise in zahlreichen anderen Ländern durchschlagen könnten, weil viele beim Festlegen ihres Preises den deutschen Markt berücksichtigen.

Die Pharmabranche lobbyiert ausgezeichnet, selbst in Ländern wie Deutschland, in welchen diese Industrie keine Schlüsselposition innehat wie in der Schweiz. Selbst dort schafft sie es offenbar mit industriepolitischen Argumenten zulasten der Versicherten Politik zu betreiben. Das zeigt die Mächtigkeit der Pharma, macht deren Argumente aber nicht besser.

Wieso lobbyiert die Pharma­branche dermassen erfolgreich?

In der Schweiz ist diese Lobbyarbeit eingespielt. Die Pharmabranche ist es längst gewohnt, für ihre Anliegen zu lobbyieren. Vor Kurzem habe ich mit einer Logistikfirma eine einvernehmliche Regelung abgeschlossen. Da war spürbar, dass diese Unternehmung selten mit Regulierung zu tun hat. In den Verhandlungen begegneten wir uns offen, quasi «normal». Die Logistikfirma machte keine Winkelzüge.

Das ist bei der Pharma anders?

Es gibt kaum einen solch speziellen Markt wie den Gesundheitsmarkt. Man ist sich weltweit einig, dass Gesundheit ein spezielles Gut ist, selbst die OECD sagt, der Gesundheitsmarkt müsse reguliert werden. Ein Schwerkranker ist ja bereit, alles zu bezahlen, um wieder gesund zu werden. Ausserdem weiss der Käufer ja nicht, was genau er braucht – das weiss nur der Arzt. Damit ist der zahlende Patient den Verkäufern völlig ausgeliefert. Auf einem normalen Markt gehört es zwingend dazu, dass Käufer auch aussteigen oder verzichten, wenn für sie der Preis nicht stimmt. Das gibt es bei der Gesundheit nicht.

Eine hochprofessionelle Lobby­arbeit, mit viel Geld ausgestattet.

Ja, offenkundig. Ich war schon für Gespräche in Basel beim Branchen-verband Interpharma in Büros an bester Lage am Petersgraben. Dieser Verband ist kein kleiner Apparat. Er hat routinierte Vertreter, die wissen, wie man ein Anliegen durchsetzen kann.

Haben Sie manchmal auch genug davon, jeden Tag gegen die Hochpreisinsel anzukämpfen?

Ich bekam kürzlich einen Brief aus einem Pflegeheim. Die Tochter einer Bewohnerin bedankte sich bei mir, dass sie auch dank mir jetzt 18 000 Franken jährlich spare. Ich freute mich wahnsinnig über ihre Mitteilung. Als die Valora aus Muttenz die Vertriebsmargen für kleine unabhängige Kioske senken musste, bedankte sich eine Kioskbetreiberin aus Bern bei mir schriftlich für unser Engagement. Solche Briefe ebekommen wir jede Woche. Das spornt an.

Stefan Meierhans wurde 1968 in Altstätten im St. Galler Rheintal geboren. Er studierte Recht an den Universitäten von Basel, Oslo und Uppsala und schloss 1998 mit einem Doktortitel der Universität Basel ab. Anschlies­send arbeitete er im Bundesamt für Justiz und von 1998 bis 2003 im Generalsekretariat des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements im Stab der Bundes-räte Arnold Koller und Ruth Metzler. Zuletzt war Stefan Meierhans in der Privatwirtschaft bei Microsoft tätig. Er ist Mitglied der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), verheiratet und wohnt mit seiner Familie in Bern.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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