Die BaZ benutzte Sibel Arslan als Munition, um Isaac Reber abzuschiessen. Unter Druck liess der Regierungsrat sie fallen. Nun spricht Arslan erstmals über die Ereignisse.
Nichts deutet bei Sibel Arslan darauf hin, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hat. Gut gelaunt und strahlend erscheint die 34-jährige Grossrätin der BastA! zum Gespräch im Stadthauscafé. Es ist das erste Mal, dass Arslan sich öffentlich zum Trubel um ihre Person vom vergangenen Dezember äussert.
Unmittelbar nachdem der grüne Regierungsrat Isaac Reber ihre Anstellung als Leiterin des Baselbieter Straf- und Massnahmenvollzugs rückgängig gemacht hatte, durfte sie auf Wunsch seiner Direktion nicht darüber sprechen. Arslan scheint das Ganze gut verdaut zu haben. «Ich komme jedes Mal gestärkt aus solchen Geschichten heraus», sagt sie. Ein Gespräch über die turbulente Phase, das Clubsterben, linke Politik und ihre Biografie zwischen verschiedenen Kulturen.
Sibel Arslan, im Dezember entschied der Baselbieter Sicherheitsdirektor Isaac Reber nach Berichten der «Basler Zeitung» über Ihre finanziellen Verhältnisse, dass Sie die Stelle als Leiterin des Straf- und Massnahmenvollzugs nicht antreten dürfen. Wie geht es Ihnen drei Monate danach?
Es geht mir sehr gut. Die ganze Geschichte hat mich jedoch sehr verletzt und mitgenommen.
Was besonders?
Die unsägliche und unfaire Kampagne der BaZ selber war mir am Anfang relativ egal, weil ich wusste, dass politische Motive dahinterstecken und ich mir nichts vorwerfen muss. Ich liess mich nicht aus dem Gleichgewicht bringen – obwohl sich immer wieder Leute bei mir meldeten, weil der betreffende BaZ-Journalist wild in meinem Umfeld herumtelefonierte, um ein negatives Statement über mich zu erhalten. Meine Gefühlslage änderte sich jedoch, als Isaac Reber den Entscheid, mich anzustellen, rückgängig machte. Es hat mich sehr mitgenommen, erleben zu müssen, dass die BaZ mit ihrer Kampagne Erfolg hatte.
Und dass Sie die Stelle nicht antreten konnten?
Das bedaure ich sehr, zumal ich ein normales Bewerbungsverfahren durchlaufen und als Bestqualifizierte abgeschnitten habe. Dass dies nicht genug war, weil der öffentliche Druck auf Isaac Reber zu gross wurde, hat sehr an mir gezehrt. Ich hätte diese Stelle sehr gerne angetreten.
Stattdessen müssen Sie sich nun mit einer befristeten Ersatzstelle in Rebers Generalsekretariat zufrieden geben. War es für Sie eine Option, auf diese Stelle zu verzichten?
Das habe ich mir überlegt. Konsequenterweise hätte ich arbeitsrechtliche Ansprüche geltend machen müssen. Das wollte ich nicht, weil ich damit mir und allen Beteiligten geschadet hätte. Zudem wollte ich einfach arbeiten und die Geschichte abhaken.
«Wenn ich die Stelle als Leiterin des Straf- und Massnahmenvollzugs angetreten hätte, dann hätte man mich nicht in Ruhe meine Arbeit machen lassen.»
Fühlt es sich für Sie komisch an, nun trotzdem in Rebers Departement zu arbeiten?
Die Zeit vor dem Stellenantritt war nicht leicht für mich. Ich musste mich mental darauf vorbereiten. Ich wurde allerdings sehr gut aufgenommen und die Arbeit ist spannend. Dass ich mich erfolgreich für eine ganz andere Stelle beworben hatte, bleibt natürlich im Hinterkopf. Trotzdem bin ich zufrieden.
Und wie ist der Umgang mit Isaac Reber?
Angenehm freundlich.
Sie sind nicht sauer auf ihn?
Selbstverständlich war ich verletzt und konnte den Entscheid nur schwer nachvollziehen. Auch wenn ich verstehe, dass er vor den Wahlen die Situation anders eingeschätzt hat. In einem Punkt hatte er wahrscheinlich recht: Wenn ich die Stelle als Leiterin des Straf- und Massnahmenvollzugs angetreten hätte, dann hätte man mich nicht in Ruhe meine Arbeit machen lassen. Man hätte weiterhin versucht, Stimmung zu machen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Ihre finanzielle Situation öffentlich diskutiert wird. Schon bei Ihrer Kandidatur als Bürgerrätin vor zwei Jahren war das ein Thema. Wie belastend ist das für Sie?
Ich habe studiert, politisiert und gearbeitet. Ich habe also nichts Falsches gemacht, sondern nur finanzielle Schwierigkeiten gehabt, weil mir der reiche Onkel fehlt. Die Schulden sind inzwischen alle beglichen. Wollen Sie einen legal beschafften Betreibungsregisterauszug sehen? (lacht) Wenn man die ganze Situation nüchtern betrachtet: Ich hatte nun mal Betreibungen, weil ich ein unternehmerisches Risiko eingegangen bin und nach einem Unfall die Rechnungen nicht pünktlich bezahlen konnte.
Sie kandidieren für den Nationalrat. Mussten Sie nach der ganzen Geschichte mit sich ringen, ob Sie sich aufstellen lassen?
Ich musste stark abwägen, ja. Aber für mich war schliesslich klar: Das ist der Weg, den ich seit Jahren verfolge und weiterhin gehen möchte. Ich musste mir vieles erkämpfen, und zwar seit ich mit elf Jahren in die Schweiz gekommen bin. Sei es in der Schule, an der Uni, im Beruf oder in der Politik. Ich lasse mich von dieser Geschichte nicht entmutigen. Das ist nicht meine Art und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Das kostet viel Kraft.
Extrem. Aber aufgeben wäre zu einfach. Ich lasse mich nicht unterkriegen, weil ich überzeugt bin von dem, was ich mache. Ich weiss auch nicht, wie ich das immer wieder schaffe: Aber ich komme jedes Mal gestärkt aus diesen Geschichten heraus. So ist es jetzt, so war es 2013 bei der Bürgergemeinderatswahl und so war es vor sieben Jahren, als ich fichiert wurde. Es stören sich anscheinend gewisse Personen daran, dass Bürgerinnen wie ich Politik machen und mitgestalten wollen. Sie sollen sich weiter daran stören. Nach der BaZ-Kampagne habe ich viele Briefe und Blumen erhalten. Das hat mich ermutigt. All diese Reaktionen hatten einen Inhalt: nicht aufgeben.
«Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Diese Realität sollte sich auch im Nationalrat widerspiegeln.»
Was reizt Sie an Bern?
Ich will bei den Gesetzesentwicklungen mitwirken können. Auf kantonaler Ebene sind die Möglichkeiten beschränkt, weil einfach vieles vom Bund vorgeben wird. Auf kantonaler Ebene kann ich mich nicht für die Achtung der Grundrechte, welche immer wieder angetastet werden, einsetzen. Ich möchte mich auch mit nationalen und aussenpolitischen Themen beschäftigen. Ich möchte dort, wo Entscheidungen getroffen werden und die Betroffenen keine Mitsprachemöglichkeit haben, Einsitz nehmen. Weil Chancengleichheit immer noch ein Thema ist. Zudem hat ein Drittel der Schweizer Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Diese Realität sollte sich auch im Nationalrat widerspiegeln.
Sie politisieren am äusseren linken Flügel im Grossen Rat. Wie zufrieden sind Sie mit der rot-grün dominierten Regierung?
In der Regierung ist die linke Politik leider schon lange nicht mehr so vorhanden, wie es sich viele im linken Lager wünschen würden. Der Regierung fehlt es leider hin und wieder an Mut.
Wie meinen Sie das?
Eine linke Politik ist zurzeit im Grossen Rat nicht mehrheitsfähig. Die bürgerliche Mehrheit im Grossen Rat lässt sich von den guten Lösungen nicht überzeugen. Es braucht Widerstandsfähigkeit und Mut für eine klare profilierte linke Politik. Zu oft wollen die rot-grünen Regierungsräte es allen recht machen. Das führt leider dazu, dass sie ihre eigene Wählerinnen und Wähler enttäuschen. Bestes Beispiel ist das Sparpaket des Regierungsrates: am meisten gespart wurde bei den sozial Schwachen, bei den Behinderten und bei Staatsangestellten.
Gehen Sie eigentlich oft aus?
Im Moment nicht mehr so oft wie auch schon. Das kommt aber sicher wieder, wenn das Wetter mitmacht. Ich freue mich auf die spontanen Parties im Sommer.
Ein grosses Thema ist momentan das Clubsterben. In nächster Zeit gehen einige Clubs zu – etwa der Nordstern am Voltaplatz, der Hinterhof im Dreispitz oder die Lady-Bar an der Feldbergstrasse.
Das bedaure ich sehr. Aber ich finde es falsch, von Clubsterben zu reden. In den letzten fünf Jahren wurden in Basel mehrere Clubs geschlossen, aber noch mehr wurden neu eröffnet, zum Beispiel Kaschemme, Balz oder Baltazar. Es ist sicher ein Problem, dass bürokratische Hürden es für Kreative sehr schwierig machen, ihre Ideen niederschwellig umzusetzen. Es gibt zum Beispiel zu viele baurechtliche Massnahmen, die erfüllt werden müssen, damit eine Zwischennutzung möglich ist. Diese Hürden müssen abgebaut werden. Es liegt es in der Natur der Zwischennutzungen, dass sie einmal zu Ende gehen. Dafür werden andere entstehen, die uns ans Herz wachsen.
«Es wäre falsch, ein Monopol aufzubauen, welche die Zwischennutzung koordinieren und verwalten soll.»
Sie finden es also richtig, dass manche Projekte von beschränkter Dauer sind?
Ja, das ist richtig so. Es wäre wichtig, dass Zwischennutzungen nicht zu einer «Ersitzung» werden. Neben den staatlichen Zwischennutzungsmöglichkeiten gibt es viele Private, welche Räume für Zwischennutzungen zur Verfügung stellen. Sowohl diejenigen, welche Zwischennutzungen ermöglichen, als auch jene, die sie in Anspruch nehmen, sollten einvernehmliche Lösungen suchen, ohne dass sich die Öffentlichkeit zu sehr einmischt. Falsch wäre meines Erachtens auch ein Monopol aufzubauen, welches die Zwischennutzung koordinieren und verwalten soll. Genau dies wollen viele kreative Leute nicht.
Im Grossen Rat wären Sie ja an der richtigen Stelle, um bürokratische Hürden für Kreative abzubauen.
Es sind einige Vorstösse hängig. Nur was die Regierung damit macht, ist offen. Es geht nicht vorwärts.
Sie leben in der Schweiz, seit Sie elf waren. Fühlen Sie sich mehr als Kurdin oder Schweizerin?
Ich glaube, als Schweizerin fühle ich mich nicht, weil ich nicht von Geburt an Deutsch gesprochen habe. Zu oft werde ich auch darauf hingewiesen, indem ich immer wieder gefragt werde, von wo ich komme. Manchmal ist das anstrengend. Ich fühle mich aber absolut als Schweizer Bürgerin. Ich funktioniere auch sehr schweizerisch. Das finden jedenfalls viele meiner Landsleute. Es ist sehr spannend, in drei Kulturen zu leben – und manchmal auch herausfordernd.
Inwiefern?
Weil alle drei Kulturen an einem zerren. Man fühlt sich hin und her gerissen. Alle haben Ansprüche, wie man sich verhalten soll. Aber man kann es umkehren, denn eigentlich ist es eine Bereicherung, wenn es einem gelingt, zu dieser kulturellen Vielfalt zu stehen, das Gute aus allen herauszunehmen und schliesslich den eigenen Weg zu gehen.
Waren die Betreibungen auch eine Folge davon, dass Sie sich Ihrer kurdischen Community verpflichtet gefühlt haben, beispielsweise mit Bürgschaften?
Verpflichtet nicht, aber es ist etwas, was ich kulturell geerbt habe. Sowohl in der türkischen als auch in der kurdischen Gemeinschaft gehört es dazu, dass wir helfen, wenn jemand in Schwierigkeiten steckt. Nicht das Individuum, sondern das Kollektiv steht im Vordergrund. Diese Überzeugung verfolge ich nicht nur in der Politik, wenn ich mich für sozial Benachteiligte einsetze, sondern ich lebe sie auch.
Und was verlangt die Schweiz von Ihnen?
Dass Rechnungen immer pünktlich bezahlt werden (lacht). Denn wenn man sie nicht pünktlich bezahlen kann und zudem auch noch einen Migrationshintergrund hat oder linke Politik macht oder eine Frau ist, kann dies fatale Folgen haben. Im «Fall Arslan» haben sich diese Attribute kumuliert. (lacht).
Die 34-jährige Sibel Arslan sitzt seit 2005 für das Grüne Bündnis (BastA!) im Grossen Rat. Sie studierte an der Uni Basel Jus und arbeitet seit März 2015 als Juristin im Generalsekretariat der Baselbieter Sicherheitsdirektion. Zuvor war sie Berufsbeiständin im Amt für Beistandschaften und Erwachsenenschutz Basel-Stadt. Arslan kam mit elf Jahren von der Türkei in die Schweiz. Mit 24 wurde sie eingebürgert – unmittelbar danach kandidierte sie für das Basler Parlament. Arslan lebt im Gundeldinger Quartier.