Vor viereinhalb Jahren ist Barbara Schneider aus der Basler Regierung zurückgetreten. Heute schaut sie nur ungern auf ihre turbulente Amtszeit zurück.
Seit 2009 ist Barbara Schneider nicht mehr Regierungsrätin, doch ihr Name ist noch allgegenwärtig in dieser Stadt. In ihrer Ära wurden einige heftig umstrittene Bauprojekte vorbereitet oder fertiggestellt, darunter die Nordtangente, das gescheiterte Geothermie-Projekt oder das Erlenmatt-Quartier. Aufsehen erregte auch ihr Verbot von Plastikstühlen.
Schneider stand als erste Frau im Baudepartement immer wieder in der Kritik. Sie war während ihrer Amtszeit auch nicht gerade für besondere Umgänglichkeit bekannt. Anders präsentiert sich die Situation ein paar Jahre später: Die 60-Jährige scheint milder geworden zu sein, wirkt entspannt und lacht viel. Über die Vergangenheit redet sie nicht gerne. Wir versuchen es trotzdem.
Frau Schneider, wie geht es Ihnen viereinhalb Jahre nach Ihrem Rücktritt?
Es geht mir ausgezeichnet. Danke der Nachfrage.
Inwiefern hat sich Ihr Leben seither verändert?
Die Dynamik hat abgenommen. Wenn man aus einem arbeitsintensiven und hektischen Regierungsamt kommt, dann ist ein selbstgestaltetes Berufsleben ganz anders. Als Regierungsrätin musste ich sehr viel in kurzer Zeit bewältigen. Heute habe ich mehr Ruhe und Zeit für meine Arbeit. Das schätze ich sehr, auch wenn ich gerne Regierungsrätin war.
Ein bisschen langweilig wurde es Ihnen aber offenbar doch …
Mir war und ist es nie langweilig. Langeweile kenne ich gar nicht.
Und weshalb sind Sie denn seit dem Frühling Ersatzrichterin am Appellationsgericht?
Es hat mich als Juristin interessiert, mich wieder mal mit konkreten juristischen Fragen auseinanderzusetzen. Mit Langeweile hat dies nichts zu tun. Das Richteramt ist ja auch nur ein Mandat, das etwa drei bis vier halbe Tage im Monat beansprucht.
Mehr Zeit beansprucht wohl das Mandat als Präsidentin der Stiftung Sinfonieorchester.
Es ist dies sicher die Aufgabe, die mich am meisten in Anspruch nimmt. Es macht mir grosse Freude, hinter die Kulissen des Sinfonieorchesters zu schauen und mitverantwortlich zu sein, es als Leitinstitution im Musikleben zu sichern sowie künstlerische Perspektiven zu entwickeln.
Das Basler Stadt-Casino soll für 77,5 Millionen Franken nach den Plänen von Herzog & de Meuron erneuert und erweitert werden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Projekt?
Ich bin froh, dass es nun endlich wieder eine Perspektive für das Stadt-Casino gibt. Die jetzige Situation ist alles andere als befriedigend. Das Projekt von Herzog & de Meuron, das eine Erweiterung des Foyers vorsieht, ist interessant und sehr gut – wenn auch kein grosser Wurf nach der verlorenen Abstimmung von 2007. Mir wäre das Projekt von Zaha Hadid lieber gewesen.
Als Präsidentin des Sinfonieorchesters haben Sie hin und wieder mit der Regierung zu tun. Eine spezielle Situation?
Das ist es. Zumal ich weiss, was es bedeutet, auf der anderen Seite zu stehen.
«Mir war und ist es nie langweilig. Langeweile kenne ich gar nicht.»
Und es ist bestimmt von Vorteil, wenn man weiss, wie die Regierung tickt?
Ich glaube, deshalb bin ich auch damals für dieses Mandat angefragt worden. Jeder kennt seine Rolle und weiss, was zu tun ist. Ich habe seit meinem Rücktritt ein paar Mandate – aber keines im Bereich Bauen und Planen.
Weil Sie die Nase voll hatten?
Nein (lacht). Im Gegenteil. Der Grund ist simpel: Ich will diese Aufgaben meinem Nachfolger im Bau- und Verkehrsdepartement überlassen.
Eine enge Freundschaft pflegen Sie offenbar zu Ralph Lewin. Sie sind beide gleich alt, fingen beide gleichzeitig in der Regierung an, hörten gleichzeitig auf – und arbeiten nun auch noch in derselben Bürogemeinschaft. Reden Sie dort oft über die Zeit in der Regierung?
Hin und wieder müssen wir schon über gewisse Sachen schmunzeln. Aber wir reden eigentlich nie über diese Zeit, wir sind beide intensiv mit neuen Aufgaben beschäftigt.
Sie haben die Stadt sehr geprägt und legten viel Wert auf Ästhetik und Gestaltung. Ist Basel dank Ihnen schöner geworden?
Ich schaue die Sachen nicht aus dieser Perspektive an. Aber ich freue mich schon, wenn ich nach jahrelanger Umgestaltung sehe, wie beispielsweise der Münsterplatz nun aussieht. Sehr schön ist er geworden!
Wenn Sie heute durch die Stadt gehen und die Projekte sehen, in die Sie involviert waren: Worauf sind Sie speziell stolz?
Stolz ist übertrieben. Mir machen aber all jene Projekte Freude, die die Menschen in Besitz genommen haben – beispielsweise die Claramatte oder die Elisabethenanlage. Oder das St. Johann nach dem Bau der Nordtangente. Es hat sich sehr viel bewegt in diesem Quartier. Es leben wieder Menschen dort – es geht etwas.
Es gibt aber auch kritische Stimmen gegen die sogenannte Aufwertung im St. Johann.
Das ist normal und immer so. Ich hatte in den zwölf Jahren kein einziges Projekt, das nicht umstritten war.
An welchen Projekten haben Sie heute weniger Freude, wenn Sie es sehen?
Das könnte ich Ihnen gar nicht sagen. Das ist alles schon so weit weg. Ich mache keine solche Liste.
«Mir machen aber all jene Projekte Freude, die die Menschen in Besitz genommen haben – beispielsweise die Claramatte oder die Elisabethenanlage.»
Wie sieht es denn mit dem Messeneubau aus?
Ich war zunächst skeptisch, was die Grösse des Messezentrums anbelangt. Aber der Neubau hat meine Erwartungen übertroffen. Ich bin überrascht über die grosszügige City Lounge.
Was immer wieder kritisiert wird, ist die Entwicklung im Erlenmatt-Quartier. Ihr Nachfolger Hans-Peter Wessels meinte, es wäre besser gewesen, der Kanton hätte den Boden damals gekauft, um auf die Geschehnisse Einfluss nehmen zu können. Sehen Sie dies rückblickend auch so?
Ich weiss nicht, ob dies richtig gewesen wäre. Fakt ist, dass das Areal uns damals nicht zur Verfügung stand. Der Eigentümer wollte uns den Boden nicht verkaufen.
Das Erlenmatt-Quartier gemäss Ihren Plänen ist eigentlich gescheitert.
Das sehe ich nicht so. Natürlich wünscht man sich, dass alles schneller vorwärtsgeht. Aber die Entwicklung des Areals ist auf gutem Weg. Es hat sich an den Plänen einiges geändert, was auch begrüssenswert ist. Es macht keinen Sinn, einen Plan über die Jahre hinaus zu entwickeln und stur einhalten zu wollen. Es ist gut, dass es mit der Zeit und den Jahren auch Veränderungen geben kann. Beispielsweise finde ich das Engagement der Stiftung Habitat auf dem Erlenmatt-Areal grossartig. Früher wäre das kaum denkbar gewesen.
Wie stehen Sie zum Projekt Central Park?
Ich werde am 22. September Nein stimmen.
Wieso?
Weil die SBB als Grundeigentümerin das Projekt nicht wollen. Ich finde es ein bisschen unstatthaft, über ein Projekt abzustimmen, das nicht umsetzbar ist. Denn der Eigentümer des Areals ist gegen das Projekt – und der Kanton kann die SBB nicht enteignen. Meiner Meinung ist das Projekt eher Augenwischerei.
Was auch zur Abstimmung gelangt, ist das Wohnraumfördergesetz der Regierung, das Wohnungen «für alle» schaffen möchte. Das von Ihnen mitinitiierte Projekt Logis Bâle war ja eher auf Reiche und Investoren ausgelegt.
Das sind Schlagwörter. Das Wort Investor ist kein Schimpfwort für mich. Es braucht nun mal Investoren. Fakt ist, dass die Leute damals aufs Land zogen. Wir hatten in der Stadt mit einem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen und wollten mit dem Projekt zeigen, dass man auch in Basel grosse Wohnungen für Familien finden kann. Logis Bâle hat ein Thema aufgebracht, das auch heute noch sehr aktuell ist – nämlich das Wohnen in der Stadt. Insofern war es ein gutes Projekt. Heutzutage haben wir eine andere Entwicklung: Die Leute kehren zurück in die Stadt. Wohnstrategien sollten immer wieder angepasst werden. Ich finde es gut, dass die Genossenschaften nun eine Energiespritze und mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Wieso wurden sie nicht bereits in Ihrer Zeit gefördert?
Wir stellten fest, dass es keine Bewegung bei den Genossenschaften gab. Als die Genossenschafter aber das Gespräch mit uns suchten und ihre Strukturen erneuerten, kam wieder ein wenig Bewegung in die Sache.
Ein Thema, das immer wieder beschäftigt, sind Zwischennutzungen und Besetzungen. Was ist Ihre Haltung?
Das ist ein Thema, das immer wieder kommt. Ich hatte mit der Villa Rosenau zu tun. Ich glaube, wenn der Staat Raum für Zwischennutzungen zur Verfügung stellt, ist das der falsche Ansatz.
Wie dies etwa am Hafen der Fall ist?
Das Projekt kenne ich zu wenig. Ich meine es allgemein: Eine gesteuerte oder designte Zwischennutzung finde ich systemfremd. Die Nutzer wollen selber bestimmen, wo sie zwischennutzen wollen. Sie verlangen nicht, dass ihnen die Verwaltung ein Areal auf dem Tablett serviert.
Sie hatten turbulente Zeiten als Regierungsrätin. In der BaZ sprachen Sie im letzten Amtsjahr sogar von «Hetze» gegen Ihre Person …
Habe ich das wirklich?
Ja.
Rückblickend sehe ich das zumindest nicht mehr so. Aber in diesem Moment habe ich das offenbar so empfunden.
Wieso?
In einem öffentlichen Amt steht man auch mal unter Druck, sitzt im Glashaus, ist immer unter Kontrolle. Da gibt es hin und wieder eine Wahrnehmung von Bedrängung und Atemlosigkeit. Das kann man überall beobachten.
Sie standen immer wieder in der Kritik. Traf Sie das?
Natürlich. Das ist aber auch normal, wenn man Kritik ernst nehmen will. Ich glaube, ich wurde wie viele andere in einem solchen Amt mit den Jahren auch dünnhäutiger und habe die Berichte gegen meine Person manchmal als ungerechtfertigt empfunden. Ich musste lernen, mir eine Strategie entwickeln, damit klarzukommen – etwa, indem ich das Gespräch mit Vertrauten suchte. Hin und wieder musste ich mir auch selber sagen: Leg das weg, reagier jetzt nicht so! Wenn ich heute zurückschaue, gibt es aber keinen Menschen, mit dem ich mich nicht nochmals an einen Tisch setzen würde.
«In einem öffentlichen Amt hat man hin und wieder eine Wahrnehmung von Bedrängung und Atemlosigkeit.»
Sie hatten auch Riesenkrach mit Ihrer Partei. Die Distanz zu Partei und Fraktion wurde immer grösser. Litten Sie darunter?
Ich habe mir von Anfang an keine Illusionen gemacht. Ich wusste, dass es in einem Exekutivamt nicht immer nur einfach sein wird mit meiner Fraktion. Man hat als Regierungsrätin eine andere Rolle als die Fraktion. In meiner heutigen Wahrnehmung haben die Erfahrungen aber keine Wunde hinterlassen. Wenn es einmal heftiger wurde, dann ist dies eher meinem Temperament zuzuschreiben als der anderen Person.
An SP-Versammlungen sieht man Sie heute aber praktisch nie.
Das ist so. Es interessiert mich sehr, was meine Partei macht. Ich bin aber keine Parteigängerin mehr.
Sie stammen aus einem liberalen Milieu. Weshalb traten Sie mit diesem Hintergrund der SP bei?
Jesses! Wissen Sie, wann das war? 1976. Ich glaube, da waren Sie noch nicht einmal auf der Welt (lacht).
Stimmt. Aber: Weshalb die SP?
Ich komme nicht aus einem gewerkschaftlichen oder sozialdemokratischen Elternhaus. Meine Eltern waren in der FDP, ich habe einen gutbürgerlichen Hintergrund. An der Uni interessierten mich dann Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die Probleme der Dritten Welt und Umweltfragen. Und ich fand mit 23, dass diese Themen bei der SP am besten aufgehoben sind.
Auch heute noch? Fühlen Sie sich immer noch in der SP zu Hause?
Ja, natürlich. Die Wertvorstellungen stimmen auch heute noch. Ich bin bei der SP am richtigen Ort. Ich bin Mitglied und bleibe es! Ich muss aber nicht mehr aktiv sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Rückblickend würden Sie alles nochmals gleich machen.
Ich sage nicht, dass ich alles richtig gemacht hätte. Aber ich stelle mir die Frage heute nicht. Sie beschäftigt mich nicht wirklich. Ich stehe heute woanders und bin fünf Jahre weiter. Wir beide reden sehr viel über alte Zeiten, vielleicht schon zu viel.
Nerve ich Sie?
Nein! Sie machen nur Ihren Job. Aber ich habe die Zeit in der Regierung bewusst abgeschlossen. Ich lebe sehr gerne in der Gegenwart, da gehört Zurückblicken nicht so dazu.
Aber es ist doch spannend zu wissen, wie Sie die Dinge heute sehen.
Da bin in mir nicht so sicher. Zurückschauen entspricht nicht meinem Lebensgefühl. Deshalb bin ich auch nicht nachtragend gegenüber Personen, mit denen ich in dieser Zeit mal Krach hatte. Dass Leute nur zurückblicken, erlebe ich immer wieder. Etwa, wenn ich ehemalige Kollegen an der Alt-Baudirektoren-Konferenz treffe. Alle reden nur von früher. Das kann schon interessant sein, aber abendfüllend ist es nicht. Mich würde es eher interessieren, was diese Menschen mit ihren Erfahrungen von damals gemacht haben.
Mich interessiert, was Sie an Ihrem neuen Leben besonders schätzen.
Die Vielseitigkeit meiner Aufgaben und die Menschen, mit denen ich zusammenkomme. Das ist ein völlig anderer Kreis als in einem öffentlichen Amt. Es macht mir grosse Freude zu sehen, was es alles zu entdecken gibt. Menschen, die Angst vor der Pensionierung haben, kann ich nur sagen: Es ist fast nicht vorstellbar, was es alles zu entdecken gibt!
Sie tönen sehr zufrieden.
Es gibt keinen Grund für mich, es nicht zu sein.
Barbara Schneider
Barbara Schneider wurde 1996 für die SP in die Regierung gewählt. Sie war die erste Frau, die das Baudepartement im Stadtkanton führte. 2009 trat sie aus der Exekutive zurück. Schneider studierte an der Uni Basel Jus. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst für Neustart, eine Beratungsstelle für Strafentlassene, wechselte als Adjunktin in die damalige Abteilung Kultur des Basler Erziehungsdepartements und war anschliessend bei der Christoph Merian Stiftung tätig. Von 1980 bis 1988 war sie Mitglied des Grossen Rates. Seit Sommer 2009 ist Schneider Präsidentin des Basler Sinfonieorchester, seit Frühling 2013 Ersatzrichterin am Appellationsgericht. Zudem fungiert die 60-Jährige als Co-Präsidentin des Unterstützungskomitees der Fusionsinitiativen beider Basel und sie präsidiert die Stiftungen des Filmverleihs Trigon-Film, die Basler Ballett-Gilde und des Museums Kleines Klingental. Schneider wohnt mit ihrem Lebenspartner im Wettstein-Quartier.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 30.08.13