«Ich musste mir eine unabhängige Stimme erkämpfen»

Am 28. Juli eröffnet Yasmine Hamdan die diesjährige Ausgabe von «Im Fluss». Im Interview erzählt die libanesische Sängerin, wie sie nach dem Bürgerkrieg zur Stimme des musikalischen Untergrunds von Beirut wurde.

«Wir forderten konservative Köpfe heraus»: Sängerin Yasmine Hamdan. 

(Bild: Nadim Asfar)

Am 28. Juli eröffnet Yasmine Hamdan die diesjährige Ausgabe von «Im Fluss». Im Interview erzählt die libanesische Sängerin, wie sie nach dem Bürgerkrieg zur Stimme des musikalischen Untergrunds von Beirut wurde und was sie heute antreibt.

Als sie nach einem Exil in Griechenland und Kuwait – zusammen mit ihrer Familie als Teenager nach dem Bürgerkrieg in den frühen Neunzigern – nach Beirut zurückkehrte, lag die Stadt in Trümmern. Yasmine Hamdan fand sich in der verheerten libanesischen Hauptstadt, die zwanzig Jahre zuvor wegen ihrer Weltoffenheit und ihres Wohlstands wahlweise als Schweiz oder Paris des Nahen Ostens gepriesen worden war, anfangs kaum zurecht – bis sie die Musik entdeckte. Mit dem Produzenten und Musiker Zeid Hamdan (keine Verwandtschaft) gründete sie das Duo Soap Kills, das elektronische Beats unter klassischen arabischen Gesang legte. Die Band stellte von 1997 bis 2005 zuerst die Blaupause und dann eine Referenzgrösse für den wachsenden Underground Beiruts dar.

Später veröffentlichte sie mit dem in der Schweiz geborenen Produzenten Mirwais Ahmadzaï das Album «Arabology». Träger ihrer neu ergründeten Identität als arabische Sängerin waren arabische Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Innovationen des Ägypters Muhammad Abdul Wahab, der Syrerin Asmahan und der libanesischen Ikone Fairuz. Für ihren expressiven, mit Konventionen der Tradition brechenden Gesang wurde die Sängerin früh verehrt wie auch kritisiert. Ihr Anspruch, Facetten arabischer Gegenwartskultur zu zeigen, die mit der von Krieg, Unruhen und Extremismus gezeichneten Rahmung der arabischen Welt brechen, macht sie zu einem beliebten Gesprächspartner westlicher Medien.

Hamdan verweigert jedoch die reduktive Rolle der politischen Kommentatorin und pocht im Interview darauf, primär als Musikerin und Texterin wahrgenommen zu werden. Diesem Anspruch dient ihr Kurzauftritt in Jim Jarmuschs Film «Only Lovers Left Alive» als Barsängerin. «Ihr Name ist Yasmine», sagt Hauptdarstellerin Tilda Swinton im Film, «sie wird bald berühmt sein.» Wahre Worte. 

Yasmine Hamdan, Sie leben in Paris, halten sich jedoch regelmässig in Beirut auf. Wie haben Ihre Pionierleistungen aus den Neunzigerjahren die heutige Musikszene der Stadt geformt?

Schwierig zu beantworten. Soap Kills war die erste alternative Band aus dem Underground, die spürbar wahrgenommen wurde. Ich weiss, dass man uns heute rückblickend als Türöffner bezeichnet – nicht nur musikalisch, sondern weil wir bestehende konservative Köpfe herausgefordert haben. Das hat dazu beigetragen, dass junge Menschen im Libanon ihre Identität oder ihre Meinungen selbst zu bestimmen begannen. Wir schnappten uns das Mikrofon und sagten, was wir zu sagen hatten.  

Und musikalisch? Beirut ist voll von eklektischer elektronischer Musik

Das ist so. Die Musik von Soap Kills war wahrscheinlich den damaligen Verhältnissen zu weit voraus. Nicht wegen der Musik an sich, die Dinge sind komplexer. Ich bin Teil einer Nachkriegsgeneration, und weil dieser Bürgerkrieg so lange dauerte, erlebte ich wie viele andere eine zerrüttete, zerfledderte Kindheit an wechselnden Orten. Das prägt. Die Identität meiner Generation ist vielfältiger, aber auch haltloser als jene unserer Eltern. Unsere Wurzeln liegen in verschiedenen Epochen und Kulturen, umso wichtiger ist die Gegenwart. Zudem bin ich eine Frau. Ich musste mir eine unabhängige, freie Stimme zusätzlich erkämpfen. Die Musik von Soap Kills wuchs aus der Begegnung mit dem damaligen Libanon, wie er sich nach 15 Jahren Krieg darbot. Vieles war verloren, was aber auch eine Chance für neue Experimente bot. 

Weil das Kriegsende eine Zäsur darstellte? Einen Nullpunkt?

Aus meiner persönlichen Erfahrung: Ja. Ich kam als Teenager zurück an einen Ort, der meine Heimat war, sich aber nicht als Heimat anfühlte. Ich fühlte mich fremd, wollte aber irgendwo dazugehören und einen Platz finden. Musik gab mir das. Und Beirut war damals, trotz aller Zerstörung, sehr inspirierend und hatte wenig mit der reichen, entwickelten Stadt von heute zu tun. Die Stadt erwachte, und eine Atmosphäre lag in der Luft, dass Neues möglich war. Andererseits war Beirut natürlich eine fragile, von Gewalt heimgesuchte Stadt. Unsere Generation, die aus dem Exil zurückgekehrt war, konnte nicht verstehen, woher diese Gewalt kam, und es gab niemanden, der uns antwortete. Aus dieser Verdrängung und Verweigerung heraus ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln, war sehr schwierig. Deswegen sprach mich die Musik aus den Zwanziger-, Dreissiger- und Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts so an – das war eine arabische Welt, die beweglicher und stabiler war, und zu der ich Bezüge knüpfen konnte.

Sänger wie Muhammad Abdul Wahab gelten als Erneuerer der arabischen Musik. Wie Sie heute. Fühlten Sie sich deshalb von dieser Musik angesprochen?

Muhammad Abdul Wahab ist mein Guru. Ein unglaublicher Musiker, Sänger und Komponist, der zu seiner Zeit die konservativen, dominierenden Strömungen aufs Schärfste herausforderte. Er war ein Entdecker, der verschiedenste Elemente integrierte – europäische klassische Musik, Gesang aus China und so weiter. Seine Lieder zu singen ist anspruchsvoll, er verarbeitete verschiedene Tonalitäten und Modulationen, gleichzeitig waren seine Lieder voller Melancholie. Seine Musik war für mich eine Form von Ausbildung. Wer eine Karriere machen will, braucht eine Ausbildung, nicht? 

Wie haben Sie sich unter den gegebenen Umständen ausgebildet? Wie stiessen Sie auf die Musik?

Das war Teil des Kitzels. Natürlich war sie nicht einfach so erhältlich, man konnte nicht einfach in einen Plattenladen spazieren…

«Die Musik verband mich mit einem Land, das ich nur von Geschichten kannte.»

…oder Youtube durchforsten.

Genau. Solche Archive gab es nicht. Ich habe die Stadt abgegrast nach Musikliebhabern und Sammlern. Ich fuhr manchmal nach Damaskus, wo mehr Händler waren. Und manchmal musste ich mit denen zwei Stunden Kaffee trinken und so um ihr Vertrauen werben, bevor sie mir diese Musik zeigten. Es war für mich eine Entdeckungsreise. Nicht nur ganz konkret, sondern auch kulturell – die Entdeckung des Libanons vor dem Krieg, bevor alles in Trümmern lag. Das Land meiner Grossväter. Die Musik verband mich mit diesem Land, das ich nur von Geschichten kenne. 

Deswegen das Lied «Beirut» von Omar al-Zenni, ein Stück, das dieser verlorenen Vergangenheit nachtrauert?

Nun, so strategisch gehe ich nicht vor. Aber ich wollte von Anfang an ein Lied über Beirut auf dem Album haben. Natürlich treibt mich mein Verhältnis zu dieser Stadt an. Al-Zennis Lieder hat mir einst mein Grossvater vorgesungen, aber nach dem Krieg war diese Musik praktisch unauffindbar. Selbst bei den Soap Kills sang ich seine Lieder, ohne die Originalversion je gehört zu haben – ich sang, woran ich mich erinnern konnte. Heute kennen nur noch alte Leute al-Zennis Lieder, und vielleicht sind die auch schon tot. Aber er hatte einen sehr persönlichen Stil, voller Humor, Zärtlichkeit und Melancholie, was meine eigenen Gefühle über den Libanon sehr präzise wiedergibt. Trotz seiner verschiedenen Schichten ist das Lied sehr poetisch und zugänglich, und vor allem Libanesen wie ich, die viel im Ausland gelebt haben, werden davon angesprochen. Es war das erste Stück, das ich für mein Album ausgewählt habe, und es hat die Pforten für den Rest geöffnet.

Sie sagen, Beirut ist heute eine fertige, entwickelte Stadt. Welche Rolle spielt sie noch für Sie?

Meine Familie lebt dort, ich reise oft hin. Aber als Musikerin kann ich das nicht beantworten. Man sammelt so viel an mit den Jahren, und die Gegenwart ist nicht weniger präsent als die Vergangenheit. Besonders im politischen Gehalt meiner Texte. 

Wie meinen Sie das? Sie vermeiden es in Ihren Texten explizit, politisch zu werden.

Ja natürlich, ich schreibe nicht über die Abendnachrichten. Aber ein politischer Gehalt ist natürlich da. Auch ich reflektiere, was in der arabischen Welt passiert. Als Künstler, gerade in dieser Umgebung, ist man engagiert, sobald man sich eine Stimme verschafft hat. Man trifft Entscheidungen, die als politische Haltungen verstanden werden, auch wenn man sich nicht politisch äussert. Was mich aber nicht umtreibt, ist, den Medien die arabische Welt zu erklären. 

«Als arabischer Künstler ist man engagiert, sobald man sich eine Stimme verschafft hat.»

«Arabology», das Album, das Sie 2009 mit Mirwais Ahmadzaï veröffentlicht haben, war in dieser Hinsicht deutlicher. Vorgestellt wurde die Platte mit dem Anspruch, eine Form arabischer Kultur vorzustellen alternativ zu jener, die man in den Medien findet. Sind Sie zurückhaltender geworden?

Ich weiss nicht, ob «Arabology» politischer war. Vielleicht wurde es so vermarktet, ja. Mir ging es darum, arabischen Gesang mit Elektropop zusammenzubringen – was eine neue Umgebung für arabische Musik ist. Es war kein einfaches Projekt, denn obwohl daraus Clubsongs entstanden, waren mir die Texte sehr wichtig. Ich wollte, dass sie Bedeutung haben und integrierte viele politische und gesellschaftliche Anspielungen. Mein Soloalbum ist davon nicht völlig verschieden, aber «Arabology» war direkter, angriffiger. 

Wie wurden diese Anspielungen aufgenommen? 

Wie immer, manche mochten es, andere nicht. Das Problem war eher, dass ich die Stimme von Soap Kills und damit totaler Underground war, die sich nun auf ein Projekt mit einem Produzenten einliess, der sonst für Universal Music arbeitet. – Ich verkaufte also meine Seele (lacht). Manche der Songs wurden Hits, die viel in Clubs liefen, wo die eher erotischen Anspielungen gut zur Geltung kamen. Natürlich wurde das Album in einigen arabischen Ländern zensuriert. Die Erfahrung war aber wichtig, weil ich mit diesem Sound meine «Comfort zone» verliess, anders texten und singen musste. Wissen Sie, in der arabischen Welt wird man gerade als Frau schnell mit einem Bild besetzt. «Arabology» erlaubte mir, das zu brechen und neue, humoristische und eben auch sexuell konnotierte Elemente zu verwenden. Und das Album brach mit dem mediatisierten Bild, das der Westen von arabischer Kultur hat. 

Was dazu geführt hat, dass Sie im Westen als Gesicht einer anderen, alternativen oder einfach dem Westen zugänglicheren arabischen Kultur gelten. 

Das kümmert mich nicht. Wenn Menschen deswegen an meine Konzerte kommen und danach neugierig sind, was sonst noch musikalisch im Nahen Osten läuft, ist das positiv. Glauben Sie mir, da gibt es viel zu entdecken.

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Yasmine Hamdan: Kulturfloss Basel, 28. Juli, 21 Uhr. Hier gehts zum diesjährigen Programm von «Im Fluss».

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