Der erfolgreichste Autor des Landes schreibt jedes Jahr ein Buch. Ein Lebemann ist Martin Suter trotzdem auch. Ein Gespräch über büromässiges Arbeiten und die Freude am Geldausgeben.
Das Haus des grössten europäischen Verlags für Belletristik findet man kaum. Unauffällig sitzt der Diogenes Verlag in einer Seitenstrasse von Zürich. Es ist ein schönes, altes Haus, aber auch etwas kleinräumig.
Über mehrere Treppen erreicht man das Büro einer Mitarbeiterin, in dem Martin Suter bereits an einem Konferenztisch sitzt. Gleich bei Betreten des Raumes spürt man den Groove, in dem sich Suter gerade befindet: Anlässlich seines neuen Romans «Montecristo» gibt er ein Interview nach dem anderen.
Warum macht er das nur? Er könnte sich ohne Weiteres rar machen, seine Bücher laufen eh von selbst. Vielleicht ist er zu höflich und sagt ungern Nein.
Sein Erfolg ist ihm auf jeden Fall nicht zu Kopfe gestiegen. Er hört zu und bedankt sich für das Gespräch. Und seine Art, die Dinge leise und langsam zu sagen, ist fast schon sprichwörtlich geworden.
Herr Suter, Sie lesen Ihre Interviews streng gegen. Warum?
Häufig fassen die Journalisten mehrere Antworten zu einer einzigen zusammen. Dann wirkt der Interviewte unglaublich geschwätzig, als könnte er kaum aufhören: «Dann wollte ich noch dies sagen. Und das noch.»
Und die Wahrheit ist?
Früher musste man mir die Würmer aus der Nase ziehen. Heute neige ich zur Geschwätzigkeit.
Ach so. Da trifft es sich schlecht, wenn man Ihre Antworten noch zusammenzieht.
Genau.
«Ich schreibe so, wie ich es selber gern lesen würde. Einen abstrakten Leser gibt es für mich nicht.» (Bild: Nils Fisch)
Für wen schreiben Sie Bücher?
Ich schreibe für mich. Also für den Leser Suter. Ich schreibe so, wie ich es selber gern lesen würde. Einen abstrakten Leser gibt es für mich nicht.
Wie entscheiden Sie, ob eine Passage taugt, die Sie gerade schreiben?
Langeweile. Ich bin ein schnell gelangweilter Leser und lege langweilige Bücher schnell weg.
Bleibt da Zeit für genaues Schreiben? Feilen Sie an Ihren Texten?
Ja. Ich schreibe relativ langsam. Und lange am Tag. Selten bleibt ein Satz so stehen, wie ich ihn ursprünglich geschrieben habe.
Ist Ihr Antrieb Disziplin?
«Ich arbeite büromässig. Ich halte mich an Arbeitszeiten.»
Nein, Neugierde. Im Grossen und Ganzen weiss ich es immer schon im Voraus, aber ich will wissen, wie die Geschichte im Detail weitergeht. Und die Ungeduld treibt mich an. Das Buch muss dann irgendwann mal fertig werden.
Sie schreiben pro Jahr ein Buch. Muss man Regeln haben, um so viel zu produzieren?
Ich arbeite büromässig. Ich halte mich an Arbeitszeiten. Und ich schreibe nur jedes zweite Jahr einen grösseren Roman. Die Bücher der Allmen-Reihe sind kleinere Abenteuer für zwischendurch.
In «Montecristo» geht es um geheime Machenschaften in der Finanzwelt. Weil ein Trader zu viel Geld verzockt, druckt seine Bank Falschgeld, um die Lücke zu decken. Die Frage ist, was mit der Welt passiert, wenn zu viel davon ans Licht kommt. Wie viel Wahrheit ist den Menschen zuträglich?
Es gibt Themen, bei denen ich für möglichst wenig Wahrheit plädiere, bei anderen für möglichst viel. Wie viel Schaden kann die Wahrheit anrichten? Im privaten Leben ist die Frage, wie viel Schonung wir brauchen. Manchmal ist eine Lüge besser.
«Es gibt nette, intelligente Leute in der Finanzszene. Auch dort.»
Die Finanziers in «Montecristo» stellen so Ungeheuerliches an, dass die Bankwelt kippen könnte. Was glauben Sie, steht uns in der Realität noch bevor?
Geboren in Zürich, würde am 29. Februar 67 Jahre alt, wenn Schaltjahr wäre.
Zusammen mit dem Basler Werber Robert Stalder gründete er in den 1980er-Jahren die erfolgreiche Werbeagentur Stalder & Suter. Daneben schrieb er Artikel und Drehbücher.
1991 begann er, Bücher zu schreiben. Mehrere davon wurden verfilmt, darunter «Small World» mit Gérard Depardieu und zuletzt «Der Koch» (2014). Nach langer Zeit auf Ibiza und in Guatemala lebt Suter mit seiner Frau wieder in Zürich.
Es stehen noch viele Überraschungen für uns bereit, glaube ich. Mit der Swissleaks-Affäre hat sich vor Kurzem etwas ereignet, was wir in der Form noch nicht hatten. Es scheint, dass die Genfer Filiale der HSBC nicht nur nicht vermied, Kunden zu haben, die mit Blutdiamanten handeln oder Waffen schieben, sondern geradezu nach solchen suchte. Aber ich muss sagen: Für mich muss eine fiktive Geschichte in sich stimmen. Sie muss nicht auf die Welt angewandt werden können. Das verstehen viele Leute falsch.
An der Danksagung am Ende des Buches sieht man, dass Sie eine ganze Reihe von Experten angefragt haben.
Ja, immer. Was stimmen kann im Buch, muss auch wirklich stimmen. Dinge, die man überprüfen kann, erfinde ich nicht. Wenn ich einen Vorgang auf einem Tradefloor in einer Bank beschreibe, dann will ich nicht, dass er naiv daherkommt. Denn wenn ich zum Beispiel bei einem amerikanischen Autor lese, dass er das Zürcher Grossmünster nach Genf verlegt, dann glaube ich den Rest der Geschichte auch nicht.
Bis 2004 haben Sie für die «Weltwoche», und danach bis 2007 für das «Magazin» des «Tagesanzeigers» die Kolumne «Business Class» geschrieben, die sich über Manager lustig macht. Sie haben auch in einschlägigen Kreisen Lesungen veranstaltet, bei denen sich die anwesenden Manager königlich amüsiert haben. Werden Sie aus «Montecristo» an einem Bankdinner lesen?
Ist nicht geplant! Aber lustig wäre es. Ich kenne einige Leute aus der Finanzszene. Es gibt nette, intelligente Leute. Auch dort.
Man wills nicht glauben?
Naja, heutzutage sind die Geldmenschen nicht automatisch auch sehr kultiviert. Bei vielen kommt der Reichtum sehr schnell, in Überdosen. Das ist nicht wie in Zeiten des Adels, als man durch den Privatlehrer noch ein wenig Kultur aufgeschnappt hat.
Ist es gefährlich, zu schnell zu viel Geld zu verdienen?
Geld korrumpiert sowieso. Wenn man die Verantwortung nicht kennengelernt hat, die Geld mit sich bringt – dann haben wir es oft mit Leuten zu tun, die mit Geld um sich werfen und keinen Anstand, keine Hemmungen kennen.
«Man muss sein Geld ausgeben, damit das Vakuum auf dem Konto es wieder ansaugt.»
Geld ist der neue Adel, der verpflichtet…
Adel, der nicht verpflichtet.
Sie mögen Geld aber sehr gern, nicht?
Ich gebe es sehr gern aus.
Wofür?
Für Reisen, schöne Hotels, für die Familie, für das Wohnen, für Kleider. Alles, wofür man Geld ausgeben kann.
Alles?
Kalaschnikows kaufe ich zum Beispiel nicht.
Ich bin auf einen schönen Satz von Ihnen gestossen. Sie sagten: «Ich habe mein Geld aus ideologischen Gründen immer unter die Leute gebracht.» Stimmt das noch?
Ja. Kommt dazu, dass man das Geld ausgeben muss, damit auf dem Konto ein Vakuum entsteht, das das Geld wieder ansaugt.
Ganz physikalisch. Geht die Rechnung auf?
Ja. Insofern, als mich das Vakuum anspornt, nicht allzu faul zu sein. Müsste ich kein Geld mehr verdienen, wäre eine meiner Motivationen nicht weg, aber weniger stark.
Sind Sie faul?
Ich habe es immer vermutet, aber ich konnte es nie ausprobieren.
Das Geld war immer rechtzeitig weg.
Ich komme von der Werbung. Damit konnte man damals relativ leicht und schnell Geld verdienen. Als ich dann angefangen habe zu schreiben, dachte ich mir: Ich arbeite zwei Monate in der Werbung und habe dann genug Geld, um den Rest des Jahres zu schreiben. Es hat nicht funktioniert. Das Geld, das ich als Werbetexter verdient habe, habe ich auch ausgegeben wie ein Werbetexter.
Was ist wichtig, was sich nicht mit Geld bezahlen lässt?
Da habe ich nur Antworten, die Sie gähnen machen.
Liebe und so weiter. Die Frage ist aber, wann Geld beglücken kann.
Hm, dafür habe ich zu wenig davon. Nach meiner Erfahrung ist das Beste, was man für Geld bekommt, die Unabhängigkeit, nicht jeden Tag daran denken zu müssen.
Gibt es einen Zusammenhang dazwischen, dass Sie einmal Werbetexter waren und seit Jahren der Autor mit der höchsten Auflage der Schweiz sind?
Das glaube ich nicht. Eher umgekehrt. Der Grund, aus dem ich als Werbetexter erfolgreich war, hat sicher zu tun mit einer Art zu denken und zu schreiben, die ich nicht gelernt habe. Für die Schriftstellerei habe ich von der Werbung kaum etwas gelernt. Höchstens die Technik, mich selber überzeugen zu wollen. Und vielleicht auch das Wissen, dass man die Leute dafür belohnen muss, dass sie mein Buch lesen. Mit belohnen meine ich, dass man sich Mühe gibt, anständig zu schreiben.
Ein wichtiges Thema in «Montecristo» ist Courage. Warum beschäftigt Sie dieses Thema?
Ich machte mal eine lange Reise durch Afrika, in einem Land Rover. Zu Beginn wurden wir überfallen und beschossen. Zuvor waren wir ohne Angst, ab dann aber und die ganze Reise über ängstlich. Als wir am Ziel waren, dachte ich, ich will die Reise noch einmal machen. Ohne Angst. Man sollte darauf achten, dass einem das am Ende des Lebens nicht passiert.
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«Montecristo», Diogenes, 320 Seiten.