«Ich sehe mich nicht als Impresario»

Heute Abend beginnt das «Stimmen»-Festival mit einem Auftritt des Carleen Anderson Trio. Es ist die erste Ausgabe des Festivals unter der alleinigen Leitung von Markus Muffler. Im grossen Interview erklärt er, wie er das Musikfestival in die Zukunft führen möchte.

Raus aus den vier Wänden: Im Juli beginnt das «Stimmen»- Festival unter der Leitung von Markus Muffler. (Bild: Stefan Bohrer)

Markus Muffler steht vor seinem ersten Auftritt als alleiniger «Stimmen»-Chef. Und erklärt im grossen Interview, wie er das Musikfestival in die Zukunft führen möchte.

Der Sommer kommt, mit ihm die Festivals – alles beim Alten also, ist man versucht zu sagen. Nicht ganz: In Montreux steht mit Mathieu Jaton ein neuer Name an der Festivalspitze. Und auch das «Stimmen»-Festival trägt eine neue Handschrift: Markus Muffler hat nach 20 Jahren den Stab von Festivalgründer Helmut Bürgel übernommen – und er hat sich vorgenommen, dem grössten Open-Air-Anlass im Dreiländer­eck einen frischen Anstrich zu verleihen.

Man sieht es dem Programm 2013 an, das erstaunlich anglophil geprägt ist. Kein Wunder: Muffler arbeitete in seinem früheren Arbeitsleben in London als Banker. Die Krawatte hat er abgelegt und jongliert heute lieber im Musikgeschäft mit Zahlen. Als wir ihn in seinem Büro im Lörracher Burghof treffen, ist seine Gemütslage wie das Wetter: aufgelockert, ja sogar heiter.

Herr Muffler, wie schlafen Sie dieser Tage?

Ich schlafe sehr gut. Der Sommer ist endlich da. Und ich habe vor meinem ersten «Stimmen-Festival» ein ziemlich gutes Gefühl.

Heisst das auch, dass der ­Vorverkauf zufriedenstellend verläuft?

Ganz okay, ja, wir bewegen uns insgesamt auf dem gleichen Level wie letztes Jahr. Aber wir haben mit ­Elton John und Mark Knopfler natürlich auch zwei ganz dicke Bretter am Start. Ihre Konzerte werden ausverkauft sein, das Gleiche vermute ich bei Bob Geldof, ebenfalls eine Ikone, der im Lörracher Rosenfels­park auftreten wird. Was die anderen grossen Konzerte betrifft, so müssen wir nicht immer 5000 Besucher auf dem Marktplatz haben, damit sie sich rechnen. Wir kalkulieren nicht immer mit der maximalen Kapazität.

Das klingt nicht nur euphorisch, was den Vorverkauf betrifft.

Nun ja, dieser litt lange unter dem schlechten Frühlingswetter. Denn seit es wärmer ist – und trockener –, ziehen die Kartenverkäufe für die Konzerte von Patricia Kaas, Skunk Anansie oder Maxïmo Park an.

Ein psychologisches Phänomen: Erst wenn der Sommer spürbar ist, besorgen sich manche Open-Air-Besucher ihre Karten?

Offenbar, ja. Hinzu kommt, dass wir bis im Juni zugewartet haben, um in Sachen Werbung aus allen Rohren zu schiessen. Jetzt ist das Festival überall sichtbar.

Elton John trat 2006 in Basel auf, an der AVO Session, dank der Unterstützung eines Gönnervereins. Es hiess, Elton John streiche für zwei Konzerte vor 3000 Zuschauern eine Millionengage ein. Wie tief müssen Sie für sein Konzert vor 5000 Zuschauern in die Tasche greifen?

Nun, wir sind ja weniger stark ein Sponsorenfestival wie die AVO Session … aber die Gagen sind ganz allgemein hoch, und ein Elton John teurer als Maxïmo Park, das ist klar. Zahlen werde ich aus vertraglichen Gründen keine nennen. Was ich aber sagen kann: Wir arbeiten seit Langem mit dem Agenten Dieter Bös zusammen. Er ist seit fast 40 Jahren im Geschäft und hat erstklassige Kontakte zu Künstlern und ihren Managern, wovon wir beide profitieren. Denn wir sind gemeinschaftlich an den Marktplatz-Konzerten beteiligt, haben also ein Interesse, dass wir für einen Künstler nicht zu viel bezahlen müssen.

Von Absagen, die zum Festivalgeschäft gehören, wurden Sie bisher verschont.

Ja, wir hatten bislang Glück. Dafür hat uns ein anderes Problem beschäftigt: Dass gar nicht so viele grosse Acts verfügbar waren in diesem Sommer. Das merkten wir, als wir zu den Marktplatz-Konzerten von Maxïmo Park und Skunk Anansie noch je einen zweiten gleichwertigen Act hinzubuchen wollten. Das erwies sich als schwierig. Was nicht heisst, dass wir mit den Support Acts nicht zufrieden wären.

2013 stehen Sie erstmals alleine an der Spitze des «Stimmen»-Festivals. Ist der Führungswechsel reibungslos verlaufen?

Ja. Das Team ist sehr motiviert und arbeitet sensationell. Ich bin seit eineinhalb Jahren hier, habe die Organisationsstruktur umgebaut und meinen engsten Mitarbeitern mehr Entscheidungsbefugnisse eingeräumt. Ich halte das für eine wichtige Art zu arbeiten, auch wenn man sich diese im Kulturbereich nicht ganz gewohnt ist. Viele Festivals sind ja aus der Initiative eines einzelnen Veranstalters hervorgegangen. Ich sehe mich selbst nicht als Künstler oder Impresario.

Festival-Gründer Helmut Bürgel hielt gerne alle Fäden in der Hand. Sie haben also den Führungsstil gewechselt?

Ja. Helmut war aber auch in einer völlig anderen Situation: Als der Burghof gebaut wurde, bedurfte es einer Person, die dieses Teil total verkörperte gegen aussen. Er musste sich auch auf dem politischen Parkett durchsetzen und dafür kämpfen, dass der Burghof wie auch das Festival die Unterstützung in Lörrach geniessen konnten, die sie brauchten. Wie er entscheide auch ich ultimativ. Aber ich habe ein junges Team um mich, dem ich grosse Verantwortungen zumute. Dadurch entsteht in der Aufgabenverteilung eine grosse Motivation.

«Die Festivallandschaft ist dichter und komplexer geworden.»

Was ist in Lörrach schwieriger: Unterm Jahr einen Saal wie den Burghof erfolgreich zu bespielen – trotz der Konkurrenz durch die Kulturstadt Basel – oder mit «Stimmen» im europäischen Festivalmarkt zu bestehen?

Eine sehr gute, knifflige Frage. Ich glaube, das Festival ist die grössere Herausforderung. Denn die Dichte ist bekanntlich sehr gross, die Festivallandschaft komplexer geworden. Ich war im Frühling an der International Live Music Conference in London und habe festgestellt, dass sich auch ganz grosse Player wie etwa das dänische Roskilde Festival beklagt haben, dass es an Headlinern, also an grossen, zugkräftigen Namen mangelt. Diesen Mangel kriegen – wie bereits angedeutet – auch wir zu spüren. Bei neuen, jüngeren Stars wie Jake Bugg oder Alt-J ist es ex­trem schwer zu sagen, ob sie einem Veranstalter genügend Leute bescheren – und ob es uns schaden würde, wenn diese zuvor auch in Luzern oder in Montreux auftreten würden. Doch die Agenten kümmert diese Sorge oft nicht, sie denken nicht mehr länderspezifisch, sondern gesamteuropäisch, und dabei spielt das Geld beim Booking eine immer grössere Rolle, gerade auch weil Künstler rückläufige CD-Verkäufe durch hohe Gagen zu kompensieren versuchen.

Und wo auf dem Kulturmarkt positionieren Sie den Burghof?

Ich sehe uns weniger als Konkurrenz zu Basler Veranstaltern, sondern als Teil des Grosskulturraums Südwesten. Wir machen Dinge, die Leute aus der Schweiz anlocken, andererseits gehen viele Leute über die Grenze, um eine Show in der Kaserne zu sehen. In manchen Nischen anerkennen wir die Zentrumsrolle von Basel, etwa im Schauspiel oder in der Kunst. Da möchte ich daher keine Energie reinstecken. Aber in anderen Segmenten, etwa in der ­Barockmusik oder im Kabarett, machen wir ein verdammt gutes Programm, das so in Basel nicht zu hören ist.

Wo liegen denn Ihre Vorlieben?

Ich bin ein Fan von Jazz, Rock und Soulmusik. In diesen Genres kenne ich mich sehr gut aus und möchte auch im Burghof mehr Wind machen.

Das hat man bereits gespürt: Sie haben zu Beginn ­dieses Jahres Ihr Festival «Between The Beats» nach Lörrach überführt.

Genau. Das war Klasse, es lief erfreulich gut. Auch aus der Schweiz sind viele Indiefans angereist. Was mich darin bestärkt, in der neuen Popmusik ein Vakuum zu füllen.

Lörrach ist so gross wie Luzern, wie Ihr Vorgänger immer betonte. Denken Sie, dass das rock­affine Publikum in Ihrer Stadt zu wenig bedient wurde?

Ja, aber ich denke dabei nicht nur an Lörrach. Denn wenn man die Stadt isoliert betrachten würde, dann könnte der Burghof nicht überleben. Für mich ist es ganz wichtig, daran zu denken, dass wir mit der Nordwestschweiz zusammen existieren. Wir haben eine Million Einwohner zwischen Freiburg und Basel. Die Verkehrsverbindungen sind sensationell. Und die Einwohner nicht die ärmsten. Das heisst, hier schlummert ein Potenzial, das wir noch stärker ausschöpfen möchten.

Auch, was das «Stimmen»-Festival angeht? Immerhin fällt auf, dass Sie ein rockigeres Programm präsentieren, mit vielen britischen Acts.

Richtig. Wir versuchen, «Stimmen» inhaltlich deutlicher zu strukturieren. Das Festival hat zwei Schwerpunkte. Da ist die klassische Musik, die wir heuer vor allem in Augusta Raurica und im Burghof veranstalten. Und da ist der Bereich Rock, Jazz und Soul, zu dem eine Sängerin wie Lianne La Havas oder ein Star wie Elton John gehören.

Jetzt haben Sie das dritte grosse Standbein nicht erwähnt: die Weltmusik.

Weil ich den Begriff Weltmusik nicht mag. Ich spreche lieber von Rootsmusik. Denn mir geht es um die Wurzeln kultureller Sozialisierungen, was man heute aber nicht mehr isoliert betrachten kann. Ein junger Musiker wie der Brasilianer Lucas Santtana spielt keinen Bossa, sondern bewegt sich im Indiebereich, er kombiniert also das, was er vom Bossa weiss, mit jener Musik, die er via Youtube entdeckt.

«Den Begriff Weltmusik mag ich nicht – lieber spreche ich von Rootsmusik.»

Heisst das auch, dass Sie stärker auf Folk als Folklore setzen, was Musik aus aller Welt betrifft?

Kann man so sagen, ja. Rootsmusik soll sich nicht vor der Gegenwart verschliessen, ich interessiere mich für junge Singer-Songwriter, habe diesbezüglich eine Affinität für Musik aus Afrika oder Lateinamerika, weniger aber für den arabischen Raum als mein Vorgänger.

Was auch auffällt: Sie haben Spezialproduktionen wie den «Höhenweg der Stimmen» abgeschafft.

Abgeschafft kann man nicht sagen. Wir lassen das dieses Jahr einfach einmal weg.

Weil Sie Kosten sparen müssen?

Nein. Weil ich schnörkellos starten will. Wir diskutieren intern viele Ideen. Was aber Eigenproduktionen angeht, so sehe ich da einen sehr grossen Aufwand, den ich mir zum Neubeginn ersparen wollte. Wir führen aber auch Neues ein: die Aftershow-Bühne im Burghof.

Dafür verzichten Sie auf die RFV-/BScene-Bühne, die vor den Marktplatzkonzerten mit lokalen Acts lockte, aber nur wenig Publikum erreichte.

Genau. Statt vor den Marktplatzkonzerten wollen wir jetzt erst danach etwas bieten. Denn mir ist wichtig, dass man in Lörrach spürt, dass ein Festival stattfindet.

Ist Lörrach zu bescheiden?

Ich weiss es nicht. Ich bin früher oft nach Montreux gefahren. Da sah man in der ganzen Stadt, dass das Festival stattfand: Die Schaufenster waren geschmückt, die Strassen beflaggt.

In Montreux liegt die Festival­atmosphäre in der Luft.

Richtig. In Basel spürte man ja auch in der ganzen Stadt, dass die Art stattfindet. In Lörrach fehlt das noch ein wenig. Ich wünschte mir, dass «Stimmen» als das sommerliche Spitzenereignis der Region wahrgenommen und entsprechend ausstrahlen würde. Dass Lörrach, ja die Region ein paar Tage lang «Stimmen» mitfeiert. Wir fragen uns, wie wir das Festival näher zu den Leuten bringen können – und wälzen dafür auch einige Ideen.

«Ich wünschte mir, dass ‹Stimmen› als das sommerliche Spitzenereignis wahrgenommen würde.»

«Stimmen» hat Bühnen in Augst, in Riehen: Denken Sie auch darüber nach, mal wieder die Stadt Basel zu bespielen?

Natürlich denken wir darüber nach. Aber es ist klar, dass das nur mit finanzieller Beteiligung möglich wäre.

Von wem?

Von der Stadt Basel. In Augusta Raurica zählen wir ja seit Jahren auf die Unterstützung vom Kanton Baselland, arbeiten eng mit Niggi Ullrich zusammen. In Basel müssten sich ebenfalls die Kulturabteilung oder der Lotteriefonds beteiligen. Anders lässt sich eine weitere Bühne nicht finanzieren. Für mich ist Basel ein Ort, der ein urbanes Feeling vermittelt, etwa auf dem Dreispitz. Weshalb ich mir überlege, ob sich Videokunst und Musik zusammenführen liessen.

So wie das Shift Festival?

Ja, aber das ist jetzt laut gedacht. Ich mache mir solche Überlegungen lieber ein Jahr länger, als gleich etwas aus dem Boden zu stampfen.

Sie haben als Banker zehn Jahre lang in England gearbeitet. Das merkt man dem Festivalprogramm an: Sie eröffnen mit Carleen Anderson, der grossen Stimme des britischen Talking-Loud-Labels. Programmatisch.

Ja, denn ich will offen sein: Ich bin kein ausgesprochener Fan von deutscher Popmusik. Sie hat meiner Meinung nach leider zu oft etwas Schlagerhaftes, auch wenn ich weiss, dass es in unserem Sprachraum gute Sachen gibt, die allerdings häufig ein Nischendasein fristen. Meine Freude liegt im anglo-amerikanischen Bereich, die Musik dort inspiriert mich mehr. Seien es James Blake oder The XX aus England oder Jack White in den USA: Ich könnte Tausende Künstler aufzählen, die originell und äusserst kreativ sind. In Deutschland haben wir zwar Stärken, etwa eine grosse Tradition im Elektronik- und Techno-Bereich. Aber die Kreativität von britischen – wie auch skandinavischen – Musikern spricht mich stärker an.

Man liest immer wieder, dass Sie ein Jazzfreund seien. Das kaschieren Sie recht gut im Festival-Programm.

(lacht) Na, dass ich riesiger Jazzfan bin, stimmt so nicht. Vor allen Dingen nicht ein Anhänger des traditionellen Jazz. Der Stilbegriff steht in meinen Augen für eine grosse Bandbreite und vor allem für Kreativität und Improvisationsfreude. Ein innovativer Electro-Act, der mit Motown-Grooves arbeitet, gehört für mich ebenso zum Jazz wie mein alter Held Frank Zappa oder Radiohead – eine meiner absoluten Lieblingsbands, deren Konzerte für mich einem Gesamtkunstwerk gleichkommen. Als Al Di Meola im Burghof spielte, hat er mir gesagt, dass die meisten Jazzmusiker vergessen hätten, dass sie fürs Publikum spielen sollten. Das empfinde ich gleich. Der klassische Jazz steckt in einer schwierigen Situation.

Das alte Kloster von Guebwiller, Les Dominicains, dient nur noch marginal als Austragungsort. Dabei ist die Location fantastisch, gerne erinnern wir uns ans Konzert von Morcheeba.

Oft blieb der Zuschaueraufmarsch in Guebwiller allerdings unter den Erwartungen. Der Ort ist zu weit entfernt vom Dreiländereck. Zudem haben wir das französische Publikum vermisst. Ich würde gerne weiterhin einen Ort im Elsass bespielen, aber vielleicht näher an der Grenze.

Wenn Sie an den Marktplatzkonzerten ein Aftershow-Programm lancieren: Wird es für Basler auch einen Shuttlebus geben, der sie nachts heimbringt?

Haben wir uns überlegt, wollen es aber nicht von vornherein anbieten. Wir möchten zuerst mal schauen, wie die Idee ankommt, ehe wir zusätzliche Kosten produzieren.

Angesichts Ihrer Vergangenheit als Investment-Banker scheinen Sie recht risikobewusst, ja, vernünftig zu agieren.

Eben, weil ich weiss, was es heisst, wenn man nicht daran denkt (lacht). Ich möchte Veränderungen schrittweise machen, statt alle auf einmal. Wenn wir uns aber für eine Richtung entscheiden, dann ziehen wir diese auch durch.

Markus Muffler

Als Jugendlicher lernte er Querflöte und Saxofon, als Erwachsener spielte er auf der Klaviatur des Börsenmarktes: Markus Muffler (Jahrgang 1963) arbeitete bis 2003 als ­Banker in Frankfurt und London, ehe er sich selbstständig machte und seine Leidenschaft für die Musik im Projekt «Between The Beats» auslebte. Seit eineinhalb Jahren ist er CEO des Lörracher Kulturzentrums Burghof und des «Stimmen»-Festivals

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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