«Ich weiss, auf was ich mich eingelassen habe»

Die Zukunft von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf entscheidet sich am 14. Dezember. Sie redet aber lieber über andere Dinge.

Evelin Widmer-Schlumpf

(Bild: Mara Truog)

Die Zukunft von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf entscheidet sich am 14. Dezember. Sie redet aber lieber über andere Dinge.



Evelin Widmer-Schlumpf

Evelin Widmer-Schlumpf (Bild: Mara Truog)

Der Sonntag war ein guter Tag für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Die kleine BDP, ihr «Fanclub», wie es SP-Präsident Christian Levrat ausdrückt, geht gestärkt aus den Wahlen hervor. Bei der SP und den Grünen punktete sie mit der entscheidenden Stimme zum Atomausstieg, und CVP und Grünliberale machen keinen Hehl daraus, dass sie eher Johann Schneider-Ammann von der FDP als Widmer-Schlumpf abwählen möchten. Abschliessend lässt sich die Situation allerdings noch nicht beurteilen. In verschiedenen Kantonen stehen noch zweite Wahlgänge in den Ständerat an; erst danach werden die entscheidenden Gespräche stattfinden. Sicher ist: Auch nach dem Wahlsieg der BDP wird der Sitz von Widmer-Schlumpf weiter hart bedrängt. Rein rechnerisch hat die BDP mit ihren 5,4 Prozent Wähleranteil keinen Anspruch auf eine Vertretung in der Landesregierung. Sicher ist aber auch: Mit dem Wahlausgang vom Sonntag hat sich die Situation von Eveline Widmer-Schlumpf verbessert; die stärkere Mitte lässt sich durchaus als Signal für ihre Person werten. Entsprechend gelöst präsentiert sich die Finanzministerin am Montag nach den Wahlen in ihrem Büro im Bernerhof. Sie redet mit Verve über den Euro, die Steuerverhandlungen mit den USA, die neue Mitte und den Atomausstieg. Und lässt im Gespräch keinen Zweifel daran, dass sie im Bundesrat bleiben möchte.

Frau Widmer-Schlumpf, der Wahlsonntag muss für Sie ein ­guter Tag gewesen sein.

Es war ein guter Tag für die BDP. Natürlich sind wir zufrieden, natürlich sind die neun Sitze schön – auch wenn wir im Baselbiet und im Thurgau etwas Proporzpech hatten. Mit etwas Glück hätten wir also noch zwei Sitze mehr gemacht. Grundsätzlich gilt aber: Am Sonntag hat eine Konsolidierung in der Mitte stattgefunden. Das ist erfreulich.

Was wird die Verschiebung zur Mitte für Folgen haben?

Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass im neuen Parlament vermehrt Lösungen gefunden werden und sich die Kräfte nicht mehr gegenseitig neutralisieren. In verschiedenen wichtigen Geschäften haben die Pole in der Vergangenheit keinen Konsens zugelassen. Die Mitte versuchte dann jeweils, im Sinne der Sache einen Schritt vorwärts zu gehen. Das entspricht auch einem Bedürfnis der Leute. Die Menschen auf der Strasse möchten eine Politik, die sich nicht ständig bekämpft. Sie möchten eine Politik, die in den grossen Bereichen Lösungen präsentiert.

Für Befürworter des Atomausstiegs war es ein guter Wahltag: In der neuen Zusammensetzung des Parlaments scheint der Ausstiegsentscheid gefestigter als zuvor.

Im Grundsatz findet man sich rasch einmal. Schwierig wird es, wenn die Detailfragen geklärt werden müssen. Entscheidend wird sein, dass die Projekte, die mit dem Atomausstieg zusammenhängen, gut umgesetzt werden. Und hier wird die Mitte eine entscheidende Rolle spielen.

Wenn man Sie so hört, hat man das Gefühl, seit Sonntag sei alles viel einfacher geworden.

Das sieht man dann, wenn die ersten konkreten Fragen aktuell werden. Seit Sonntag gibt es im Parlament eine konsolidierte, stabile Mitte, die durchaus auch mal etwas entscheiden kann. Das ist wichtig.

Eine erste Bewährungsprobe für die neue Mitte wird Ihre Wiederwahl in den Bundesrat sein. Wie bewältigt man das Alltagsgeschäft, wenn die halbe Schweiz ­darüber redet, ob man nicht doch lieber den Job wechseln sollte?

Die halbe Schweiz redet schon seit vier Jahren über meinen Job. Ich habe mich stets bemüht, zwischen diesen Fragen und meiner Arbeit zu trennen. Ich denke, das ist mir gelungen – auch wenn es nicht immer einfach war. Wenn man von fast allen Journalisten – auch von Ihnen – zum Umgang mit dem eigenen Amt befragt wird, ist es oft schwierig, die eigenen Sachgeschäfte auf den Punkt zu bringen. Es wäre bedeutend einfacher, wenn man nicht praktisch jedes Interview mit der Legitimation der eigenen Person beginnen müsste. Aber ich wusste ja von Anfang an, auf welche Situation ich mich eingelassen hatte.

Empfinden Sie die guten Resultate von BDP und GLP auch als Legitimation Ihres Amtes?

Ganz grundsätzlich hat die Legitimation der Mitte zugenommen. Es besteht ein Wunsch in breiten Kreisen der ­Bevölkerung nach konstruktiver und kompromissfähiger Politik. Ich bin froh um die Resultate der BDP und der Mitte. Das wird aber niemanden daran hindern, immer wieder die Frage zu stellen, welche Partei mit wie vielen Sitzen im Bundesrat vertreten sein soll.

Es wäre einfacher, müsste ich nicht jedes Interview mit der Legitimation meiner Person beginnen.

Sie müssten für die Volkswahl des Bundesrates sein.

Bin ich nicht. Wenn man sieht, was für Schlachten im Nationalratswahlkampf ausgetragen werden, mit all den Plakaten und dem vielen Geld, kann man nicht ernsthaft für eine Volkswahl des Bundesrats sein. Ich stehe zu unserem System mit all seinen Vor- und Nachteilen. Und das unabhängig von meiner Situation.

Nicht nur Ihre Wiederwahl wird Sie in den kommenden Wochen beschäftigen. Mit den Verhandlungen über Steuerprobleme mit den USA wird das Bankgeheimnis weiter aufgeweicht. Wollen Sie das Bankgeheimnis ganz abschaffen?

Der Schutz der Privatsphäre gilt weiterhin, aber nur für ehrliche Kunden. Mit unserer Weissgeldstrategie verfolgen wir seit 2009 das Ziel, keine unversteuerten Gelder mehr auf Schweizer Banken liegen zu haben. Das ist kein verwerfliches Anliegen. Unsere Strategie – und davon bin ich überzeugt – wird für das Renommee des Finanzplatzes Schweiz einen grossen Vorteil bringen. Wir werden mit der Qualität unserer Dienstleistungen und der Rechtssicherheit in der Schweiz punkten können. Natürlich wird es eine etwas schwierige Übergangsphase bei der Umstellung auf das neue System geben. Aber dazu muss ich sagen: Der Bankenplatz steht hinter unserer Strategie. Das hat nichts mit dem Bankkundengeheimnis zu tun, wir wollen einfach keine unversteuerten Gelder auf unseren Banken.

Seit Sonntag gibt es eine stabile Mitte, die durchaus mal etwas entscheiden kann. Das ist wichtig.

Noch sind die Steuerlösungen mit Deutschland, Grossbritannien und den USA nicht unter Dach und Fach, und schon kommt ein neues Problem: Auch reiche Griechen sollen Gelder auf Schweizer Banken haben – rund 200 Milliarden Franken.

Das sind erstens Fantasiezahlen und zweitens ist das Geld zum Teil legal angelegt. Aber es ist so: Es hat auch nicht versteuerte Gelder darunter. Das ist auch der Grund, warum wir nun mit Griechenland ein Steuerabkommen anstreben. Damit könnte der griechische Staat seine ihm zustehenden Steuerbeträge erhalten und die Kunden blieben weiterhin geschützt.

Wie ist die Zahl von 200 Milliarden entstanden?

Ich weiss es nicht. Diese Summe kam aus Kreisen der EU-Kommission oder vielleicht auch von den Griechen. Allerdings wurde der Betrag unterdessen relativiert. Das griechische Finanzdepartement hat uns mitgeteilt, man wisse auch nicht genau, um welche Summe es sich handle. Auch wir kennen den Betrag erst, wenn die Banken die Abgeltungssteuer erheben.

Griechenland steckt tief in der Krise, andere EU-Länder schwanken auch. Haben EU und Währungsunion Ihrer Ansicht nach überhaupt eine Zukunft?

Ich gehe davon aus, dass sowohl EU als auch Euro weiter bestehen bleiben. Wenn der Euro in sich zusammenfällt, wäre das für die europäische Bewegung und die EU eine sehr schwierige Situation. Die Länder müssten dann praktisch wieder von vorn anfangen. Darum gehe ich davon aus, dass die EU-Staaten alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um die Situation zu stabilisieren. Davon gehen die europäischen Staaten ja ebenfalls aus.

Die Rettung wird sehr teuer und es wird nicht zum ersten Mal sein, dass die Staaten vor kommerziellen Zusammenbrüchen stützend eingreifen müssen. Ist das überhaupt noch finanzierbar?

Es ist noch schwieriger als im Jahr 2008. Die Verschuldung der Staaten ist seither noch gestiegen, weil man sich damals bei der Rettung der Banken noch tiefer verschuldet hat. Die Handlungsfähigkeit der Staaten ist nicht mehr die gleiche. Einige haben auch in ihrem Rating an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Das Gleiche wie 2008 kann man nicht mehr machen. Aber man wird etwas probieren müssen.

Als Schweizer Finanzministerin müssen Sie eigentlich froh sein, abseits stehen zu können.

Wir sind schon etwas abseits, stehen aber auch mittendrin. Unsere Wirtschaft ist stark verflochten mit dem europäischen Markt. Etwa 60 Prozent der Exporte gehen in den EU-Raum. Zudem sind wir an der Rettung auch als Mitglied des Internationalen Währungsfonds beteiligt. Ein Drittel des europäischen Rettungsschirmes wird über diesen Fonds finanziert. Da sind wir betroffen. Wir zahlen mit.

Haben Sie Verständnis für die Leute, die auf die Strasse gehen und gegen das Banken- und Finanzsystem protestieren?

Ich habe Verständnis, dass man sich über die Masslosigkeit gewisser Banker empören kann. Und auch gegen die Entwicklung, die dazu führt, dass ganze Staaten an den Rand des Abgrunds manövriert werden, weil gewisse Kräfte sich nicht an Grenzen halten. Aber man kann nicht sagen, dass das ganze Finanzsystem als solches nicht funktioniert. Alles in allem haben wir ein gesundes und gutes Finanzsystem.

Sie selber haben sich auch schon kritisch zu den Banken geäussert. Sie seien «frustriert», sagten Sie in einem Interview.

Diese Aussage wird immer wieder zitiert. Ich habe damals gesagt, ich sei frustriert, dass es Banker gebe, die sich nach der Rettung der UBS durch Staatsgelder von dieser Bank verabschiedeten, um bei einer anderen Bank mit dem gleichen Kundenstamm die gleichen Geschäfte weiter zu betreiben. Das ist frustrierend. Generelles Banken-Bashing betreibe ich nicht. Dazu besteht kein Grund.

Ist es nicht auch frustrierend, dass sogar unspektakuläre Institute wie etwa eine Kantonalbank in unsaubere Geschäfte mit Steuerflüchtlingen involviert sind?

Man muss immer schauen, in welchem Rahmen was passiert ist und was man hätte verhindern können. Man darf nicht so tun, als ob sich 90 Prozent der Banken falsch verhalten würden. Es sind wenige. Aber deren Fehlverhalten kann schwerwiegende Auswirkungen haben.

Zum Unmut vieler Leute trägt auch bei, dass trotz aller Krisen eine kleine Schicht von Wohlhabenden immer reicher wird. Die Einkommensunterschiede werden immer grösser. Betrachten Sie das als Gefahr für die Gesellschaft?

Es ist so, dass sich die Einkommen von Schlechtverdienenden, Mittelstand und Wohlhabenden auseinanderentwickeln. Man sieht auch, dass der Mittelstand weniger breit ist, als er es früher war. Die Situation des Mittelstandes hat sich verschlechtert. Darum muss man sich bewusst werden, dass er gefördert werden sollte – mit steuerlichen Massnahmen in erster Linie.

Eine Erbschaftssteuer für sehr Wohlhabende könnte da ausgleichend wirken, sagt die SP.

Ich will mich zur Erbschaftssteuer nicht äussern. Der Bundesrat wird sich mit der entsprechenden Volksini-tiative auseinandersetzen. Tatsache ist, dass die Kantone die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen und Ehepartner abgeschafft haben, und Tatsache ist auch, dass wir im Gegensatz zu anderen Ländern teilweise hohe Vermögenssteuern in den Kantonen haben. Da wird via Vermögenssteuer abgeschöpft, was andere via Erbschaftssteuer einziehen.

Wie gehen Sie nun die Wochen bis zur Bundesratswahl an?

Wie die letzten drei Jahre und zehn Monate.

Mit einem guten Gefühl?

Wir haben schwierige Geschäfte vor uns. Beispielsweise die Steuergespräche mit den USA.

Sie haben genug zu tun, um nicht über andere Fragen wie über Ihre politische Zukunft nachzudenken. Wollen Sie das sagen?

Ja, ich habe mich immer bemüht, mich in meiner Arbeit zu engagieren. Am Anfang war das schwierig, weil es eine neue Situation war. Irgendwann habe ich es geschafft, mich so zu befreien, dass ich mich voll und ganz den Amtsgeschäften widmen konnte.

Wie spannen Sie aus?

Ich spaziere an der Aare, besuche mit meinem Sohn, der Musiker ist, ein Konzert. Oder ich gehe mit meinem Mann in die Berge.

Und lassen das Natel zu Hause?

Ja, das ist das Beste.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28/10/11

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