Mit der Ausstellung «Redplot» ging die Kuratorin Alexandra Schüssler an ihre eigenen Grenzen. Im Interview erzählt sie, warum.
Frau Schüssler, wie kamen Sie auf die Idee, Waffen und Sextoys in einen Kontext zu bringen?
Das geht auf zwei Initialerfahrungen zurück. Erstens bin ich in den Niederlanden an einem Laden vorbeigelaufen, der im Schaufenster Objekte ausgestellt hatte, von denen ich nicht wusste, um was es sich handelte. Ich bin dann rein und hab mich in einem Sexshop wiedergefunden, der so aussah wie ein Apple-Store. Die Dame, die den Shop leitete, zeigte mir verschiedene Objekte, zum Beispiel einen Apfel-Vibrator, der auch eine Eieruhr hätte sein können oder einfach ein dekoratives Objekt. Ich war also sehr erstaunt, in welcher Camouflage diese Sextoys heutzutage erscheinen. Die zweite Erfahrung war eine Ausstellung mit Fotografien von Raphaël Dallaporta, die im Studio abfotografierte Personenminen zeigen. Auch da wusste ich nicht, was die Fotos zeigten. Ich hätte diese als Laie gar nicht identifizieren können. Weil ich ja hier an der Schule für Gestaltung arbeite, war es mir ein Anliegen, das Thema gestalterischer Strategien mit meinen Studenten aufzugreifen. Und in diesem Prozess fielen die beiden Themen irgendwann zusammen.
«Form follows Function» heisst ein Grundsatz des Produktedesigns. Gilt das auch für Waffen und Sextoys? Die Ausstellung «Redplot» geht dieser Frage nach. Und findet raus, dass die beiden Produktegruppen mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick denkt.
Die Ausstellungskritik können finden Sie hier: «Dildos und Patronenhülsen: Die Kehrseite des schönen Scheins»
Sie kamen vom Visuellen her, in der Zusammenführung aber stiessen sie bald auf Sigmund Freud und auf seine Triebtheorie – Eros und Thanatos, Lebenstrieb und Todestrieb. Wie wichtig war das Ästhetische am Ende noch?
Es rückte zwar vor dem Inhaltlichen in den Hintergrund, ist aber natürlich doch immer noch vorhanden, da es gerade jener Aspekt ist, der die Produktion des Imaginären vorantreibt. Dazu kommt, dass die Psychoanalyse in meinem Denken eine Rolle spielt, seit ich mich mit kulturanthropologischen Themen befasse.
Man sieht aber trotzdem Formanalogien, wenn man sich nun die Ausstellung ansieht. Ich gehe davon aus, dass die Objekte von Ihnen bewusst gruppiert wurden.
Absolut. Es ist eine sehr kontrollierte Inszenierung.
«Durch die so geschaffene Distanz wird das Attackierende, das die Objekte innehaben, gemildert.»
Glauben Sie, dass die Besucher auch über den ästhetischen Aspekt hinaussehen?
Wir sprechen davon, dass Dinge einen Charakter, eine Eigenschaft haben. Aber im Prinzip ist diese Eigenschaft sehr manipulierbar durch den Kontext, in dem ich ein Objekt platziere. Es gab in der Planung der Ausstellung beispielsweise den Moment, als ein Kollege meinte, einige Waffen und vor allem spezifische Vibratoren wären von einer angreifenden Ästhetik, die nicht wirklich dem öffentlichen Auge preisgegeben werden sollte. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum wir auf den Ausstellungsplakaten keine Objekte, sondern nur Hände dem Blick ausliefern: sie zeigen die Geste, die etwas präsentiert, aber das präsentierte Objekt ist im öffentlichen Raum abwesend. Nur wenn man in die Ausstellung kommt, kann man die Gegenstände sehen. Hier sind sie auf roten Samtkissen in Szene gesetzt, fast wie Preziosen oder naturkundliche Sammlungen. Damit verlieren sie an Sprengkraft. Durch die so geschaffene Distanz wird das Attackierende, das sie innehaben, gemildert.
Damit spielen Sie ja auch in der Ausstellung, mit dem Öffentlichen und dem Privaten.
Ja, die szenographische Struktur von «Redplot» greift diese Dichotomie auf. Beim Eintreten nimmt der Besucher das für die Öffentlichkeit bestimmte Bild wahr. Am Ende der Ausstellung wendet man die Gehrichtung, um zum Ausgang zurückzukehren. Dann ist man im Inneren der Ausstellung. Während meiner Praxis als Ausstellungskuratorin und -gestalterin ist mir aufgefallen, welch ein extremes Bedürfnis nach öffentlichen Räumen beim Publikum besteht. So als wäre man auf der Suche nach Orten, an denen man sich austauschen kann. Das war mir hier ganz wichtig. Ich möchte gerne Menschen aus den verschiedensten Berufssparten und sozialen Schichten zusammenbringen und über gewisse Phänomene, die ich bereitlege, einen Austausch führen lassen. Die Menschen sollen diskutieren. Ob man nun mit mir einer Meinung ist, das ist mir egal – ich möchte einfach mit meinen inhaltlichen und gestalterischen Positionierungen eine Debatte auslösen.
Was Ihnen hiermit wohl gelingt. Waffen wie auch Lovetoys sind ja beides auch Produkte, die bei den Leuten extreme Schwellenangst hervorrufen. Hatten Sie diese auch?
Extrem. Ich kann mich erinnern, als ich mit den Minen und Granaten aus Thun ankam, standen wir alle davor und wussten nicht, wie wir diese Dinge anfassen sollen. Obwohl ich mir mehrmals habe versichern lassen, dass diese absolut ungefährlich seien, hatten wir einen Riesenrespekt.
«Das hier nun ist so ein brenzliges, heikles Thema, wir konnten uns dem nur nähern wie Chirurgen: Sauber, distanziert und wirklich steril.»
Hat sich das geändert?
Ja. Ich habe mich sehr verändert, glaub ich, in den letzten Wochen und Monaten. Ich befasse mich als Anthropologin aber immer mit Themen, die mir Angst machen, die ich unheimlich finde, und nähere mich diesen an – darin bin ich sehr untypisch, wie man mir sagt. Ich will diese Themen mir so verständlich und zu eigen machen, will diese Spannung, die ich etwas gegenüber empfinde, lösen. Das hier nun ist so ein brenzliges, heikles Thema, wir konnten uns dem nur nähern wie Chirurgen: Sauber, distanziert und wirklich steril. Anders geht es nicht. Ich habe bei mir gemerkt, dass – vor allem, was die Waffen angeht – ich langsam zu verstehen versucht habe, was eigentlich die Faszination ist – obwohl ich Vegetarierin bin und mich als Pazifistin bezeichne. Am Ende bin ich tatsächlich mit den Waffen umgegangen wie mit vollkommen alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Ich weiss nicht, wie ich das finden soll. Einerseits kann man natürlich sagen, dass sich eine Aneignung vollzogen hätte, andererseits sollte man wohl zu gewissen Dingen eine Distanz bewahren.
Das ist ein Prozess, den man sicher auch kennt, wenn man berufsmässig mit Waffen zu tun hat.
Vollkommen. Ich hab auch versucht, mich dagegen zu wehren, indem ich mich immer wieder auf die Form gestürzt habe. Auf ein Detail fokussiert, um den Zusammenhang auszublenden. Was mich bei den Waffen befremdet, ist, dass man beim Objekt nicht konstant im Bewusstsein trägt, welche Konsequenzen diese in sich tragen.
«Ich wollte keine spezifischen Subkulturen hervorheben.»
Sie haben in der Ausstellung auch eine Grenze eingehalten. Wenn man sich mit Waffen und Sextoys beschäftigt, kommt man doch irgendwann zwingend zum Punkt, wo man sieht, dass diese Produkte einen Schnittpunkt haben, zum Beispiel im Bereich des Sadomasochismus. Das klammern Sie komplett aus. Bewusst?
Dieser Punkt wurde im Prozess des Machens ganz oft angesprochen. Und es gibt natürlich diese Objekte, die man in beiden Bereichen findet. Handschellen beispielsweise, verschiedenste Peitschen. Es gibt vieles, was man noch in die Ausstellung hätte integrieren können. Ich habe mich dann dagegen entschieden, zum einen, weil ich die Übereinkünfte von BDSM-Paraphernalien und Waffen als Objektkategorie als zu offensichtlich empfand, zum anderen wollte ich keine spezifischen Subkulturen hervorheben – dann wäre die Ausstellung grenzenlos geworden. Ich wollte im Sinn eines 08/15-Durchschnitts die Bandbreite von Fusssoldat bis Aristokrat zeigen.
Sie haben gerade gesagt, Sie seien im 08/15-Bereich geblieben. Die Objekte, die Sie zeigen – sind diese speziellen Designs etwa bei den Lovetoys wirklich 08/15?
Ja, man findet sie vielleicht nicht in den gängigen Läden, aber das Internet bietet eine Bandbreite an, das ist unglaublich. Viele Hersteller konnten sich interessanterweise bei unserer Anfrage gar nichts unter unserem Ansatz vorstellen; dass jemand kommt und sich für das Design und den Designprozess interessiert, war für diese abwegig.
Das Design spielt bei den Herstellern gar keine Rolle?
Das Design ergibt sich scheinbar vor allem aus Verkaufsargumenten: Unscheinbarkeit, unschädliche Lacke, unkomplizierte Pflege etc. Alles, was den Menschen überzeugt, dass er das brauchen würde. Designaspekte bleiben meist hinter einem verkaufsstrategischen Diskurs verborgen. Auch wenn das Design eine dominante Rolle für das Imaginäre spielt, das die Menschen zum Habenwollen treibt, habe ich relativ wenig über Designstrategien herausbekommen. Vielleicht hat man Angst, dass die Enthüllung des Schaffensprozesses den Zauber der Dinge verblassen lässt. Es gab jedenfalls nur wenige Designer, von denen ich überhaupt die Namen herausbekommen habe. Dabei wäre mir das sehr wichtig gewesen, weil ich ja auch wissen wollte, was man sich überlegt, wenn man so ein Produkt kreiiert. Darum habe ich zur Eröffnung auch die Designer Sophie Birkmayer and Tammo Claassen eingeladen, die einen Dildo aus Eis kreiert haben, der im Prozess der Anwendung schmilzt, also verschwindet, und sie nach dem Schaffensprozess gefragt.
Und was war die Antwort?
Dass das Entwerfen eines Lovetoys eine extreme Herausforderung war wie jede andere. Vor allem sei es schwierig gewesen, etwas zu schaffen, das nicht mechanisch, sondern organisch aussah.