Ist die SP nicht viel zu bürgerlich geworden, Herr Brassel?

100 Jahre – und immer noch fit und munter? Oder macht die SP, gerade im Baselbiet, schon längst niemandem mehr weh? Hat sie ihre Basis verloren? Diese Fragen beantwortet Parteisekretär Ruedi Brassel. Dann geht er ans Jubiläum.

Reformerisch, nicht revolutionär: Die Baselbieter SP und ihre Wurzeln im Bauern- und Arbeiterbund. (Bild: SP Baselland)

100 Jahre – und immer noch fit und munter? Oder macht die SP, gerade im Baselbiet, schon längst niemandem mehr weh? Hat sie ihre Basis verloren? Diese Fragen beantwortet Parteisekretär Ruedi Brassel. Dann geht er ans Jubiläum.

(Bild: ruedibrassel.ch)

Herr Brassel, was ist in den vergangenen hundert Jahren bloss passiert mit der SP Baselland?

Wir haben uns in den vergangenen hundert Jahren zu einer wirklich starken Partei entwickelt, zu einer festen Grösse in der Regierung und im Landrat.

Die Frage zielte eigentlich eher darauf ab, dass sich die SP 1913 noch als revolutionäre Kraft verstand – und sich seither sehr gut eingerichtet hat im bürgerlichen Baselbiet.

Revolutionär? Die SP Baselland hat starke genossenschaftliche Wurzeln, sie stand bei ihrer Gründung in der Tradition des solid politisierenden Arbeiter- und Bauernbundes und damit für sinnvolle Reformen, nicht für Revolution.

Immerhin übernahm die SP Baselland bei ihrer Gründung das marxistische Programm der Mutterpartei.

Rhetorik ist das eine, das Wesen der SP etwas anderes – nicht nur im Baselbiet.

Trotzdem muss es Sie schmerzen, wenn die Baselbieter SPler schon so weit sind, dass ein strammer Bürgerlicher wie Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser sie als «recht vernünftig» taxiert.

Warum? Den Anspruch auf Vernunft würde ich nie aufgeben. Die Frage ist, wie sie definiert wird. In dieser Hinsicht fühlen wir uns ganz klar unseren Grundwerten verpflichtet. Wenn auf dieser Basis eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien möglich ist, kommt man sehr viel weiter als mit Polemik.

Was Buser doch zum Ausdruck brachte: Die Baselbieter SP ist schon so bürgerlich, dass sie niemandem mehr weh macht.

Wir setzen uns konsequent für eine sozialere, gerechtere und ökologischere Gesellschaft ein. Seit 100 Jahren mit einigem Erfolg – trotz Widerstand der Bürgerlichen.

Während des Generalstreiks 1918 organisierte die Baselbieter SP mehrere Streikaktionen. Sie haben einen interessanten Artikel darüber geschrieben, in dem Sie zum Schluss kommen, die heutige SP müsse wieder lernen, besser zu mobilisieren. Mit Streik?

Es gibt verschiedene Mittel, um die Menschen zu mobilisieren: mit Wahlkämpfen,  Initiativen, Demonstrationen – oder eben Streik. Das ist aber eher ein gewerkschaftliches Mittel. Feststeht, dass wir durchaus kämpferischer wieder werden müssen.

Bei den beiden Ersatzwahlen in die Regierung 2013 konnte das linksgrüne Lager nicht von vielen Fehlern profitieren, die in der Baselbieter Politik offensichtlich begangen wurden. Ist das nicht ein Zeichen, dass das Volk Ihre Partei als Teil des bürgerlichen Establishments wahrnimmt und für die Probleme mitverantwortlich macht?

Das sehe ich nicht so, nein. Wir hatten mit Eric Nussbaumer einen sehr guten, klar links positionierten Kandidaten, der auch gut abgeschnitten hat. Er holte seine Stimmen bis weit ins bürgerliche Lager. Dafür haben wir gekämpft. Und das ist ein Erfolg. Mehr lag leider einfach nicht drin, bei den bestehenden Mehrheitsverhältnissen. Das müssen wir akzeptieren.

Müsste es nicht der Anspruch Ihrer Partei sein, die Machtverhältnisse zu ändern?

Genau das haben wir ja versucht! Aber das ist nicht so einfach. Die vorhandenen Mittel sind beschränkt, in finanzieller wie in personeller Hinsicht.

«Ja, wir haben verloren. Das ändert aber nichts an unseren Anspruch auf die Regierungsmehrheit»

Der Erfolg der SVP in den vergangenen Jahren ist unter anderem auf die Einsatzfreude ihrer Parteivertreter zurückzuführen. Sind die SPler vielleicht etwas zu bequem geworden?

Überhaupt nicht. Im Abstimmungskampf waren wir auf der Strasse sehr viel präsenter als die SVP und die anderen Bürgerlichen. In unserer Partei gibt es viele, die wirklich alles gegeben haben. Dennoch hat es nicht gereicht für eine linksgrüne Mehrheit – das ist eine Niederlage, sicher, heisst aber noch lange nicht, dass wir unseren Anspruch preisgeben nach diesem Achtungserfolg.

Vor 100 Jahren verlangte die SP unter anderem eine geregelte Altersvorsorge, die 48-Stundenwoche oder das Frauenstimmrecht, was damals in breiten Kreisen noch als Spintisierei galt. Gibt es Ihrer Meinung nach auch heute Forderungen, die massiv bekämpft werden – und in ein paar Jahren wie selbstverständlich umgesetzt sind.

Davon bin ich überzeugt. Die 2000-Watt-Gesellschaft, die Lohngerechtigkeit, der Mindestlohn, die Einheitskasse, all das wird von den Bürgerlichen als wirtschaftsfeindlich abgetan und bekämpft. Bis in ein paar Jahren werden diese Forderungen aber umgesetzt sein, weil sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass sie nötig sind für die soziale Gerechtigkeit und die Umwelt.

Warum tut sich Ihre Partei denn so schwer, Dinge durchzusetzen, die tatsächlich eine Selbstverständlichkeit sind oder zumindest von Ihnen als solche dargestellt werden?

Es ist fast immer der gleiche Kampf. Einerseits gibt es da jene Kräfte, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen und den Markt steuern wollen, um Auswüchse zu verhindern. Andererseits die neoliberalen Wirtschaftsvertreter, die Eingriffe in den Markt strikt ablehnen. Und dahinter stehen natürlich auch handfeste Interessen und sehr viel Geld – vor allem auf der Gegenseite.

Wer war eigentlich der beste Baselbieter SP-Politiker in den vergangenen 100 Jahren?

Schwierige Frage. (Überlegt lange). Ich würde sagen: Stephan Gschwind ist für mich der eindrücklichste. Er war ein Pionier, nicht nur politisch, sondern auch im Bereich der Genossenschaften, bei der Elektra Birseck. Er erkannte die Chancen neuer Technologien, er sah voraus, welchen Nutzen sie der Gesellschaft bringen werden und hatte gleichzeitig ein soziales Gewissen.

Oha. Wenn Sie jetzt mit diesem Nationalrat kommen, hat Ihre Partei ihre besten Zeiten aber auch schon lange hinter sich.  Stephan Gschwind wurde 1899 nach Bern gewählt. Und das erst noch als Vertreter des Arbeiter- und Bauernbundes. Die Baselbieter SP gab es damals noch gar nicht.

Das ist jetzt etwas spitzfindig. Die SP entstand unter anderem aus dem Arbeiter- und Bauernbund. Insofern war Gschwind ein SPler. Er politisierte in Bern auch in der sozialdemokratischen Fraktion.

In dem Fall feiern Sie das Jubiläum aber nicht unbedingt im richtigen Jahr.

Na ja, das ist ja immer so eine Sache bei den Jubiläen. In der Geschichte ist immer alles im Fluss, im Rückblick muss man sich dann aber an irgendein Ereignis und ein bestimmtes Jahr halten. Bei uns ist das 1913. Damals verbanden sich die Grütli- und Arbeitervereine im Kanton offiziell zur Baselbieter SP. Auf nationaler Ebene war es schon früher zu diesem Zusammenschluss gekommen. Und übrigens gab es auch nach der offiziellen Gründung sehr viele sehr gute Baselbieter SP-Politiker.

«Einen Bauern haben wir sogar in der Landratsfraktion»

Wer war denn der beste SP-Regierungsrat?

Da gab es auch in jüngerer Vergangenheit eine ganze Reihe von SP-Regierungsräten, die sich im Bereich der Bildung, dem Bau oder der Gesundheit sehr verdient gemacht haben.

Bau? Gesundheit?

Selbstverständlich: Edi Belser!

Gut, aber gerade der ist ja schon fast mehr rechts als links.

Überhaupt nicht. Edi Belser tritt zwar nicht unbedingt mit rot durchtränkter Wolle auf, er steht aber voll und ganz für die SP und ihre Werte. Und er war möglicherweise gerade deshalb erfolgreich, weil er so gut auch über die Parteigrenzen hinweg politisieren konnte.

Ist Ihre Partei nicht schon viel zu sehr verbürgerlicht?

Verbürgerlicht? Was soll das heissen? Wir machen nicht auf Konflikt, nur um des Konflikts willens. Das bringt nichts und entspricht auch nicht unserer Art. Soziologisch betrachtet, kommen die meisten von uns aus der bildungsstarken Schicht, führen ein eher bürgerliches Leben, klar. Aber das Ziel ist immer noch das Gleiche wie vor hundert Jahren: Wir kämpfen für die soziale Gerechtigkeit.

Wo sind die Bauern und Arbeiter in Ihrer Partei geblieben?

Einen Bauern haben wir sogar in der Landratsfraktion.

Und die Arbeiter?

Es ist so: Unsere Wählerschaft hat sich verändert. Spätestens seit den 80er Jahren stammen unsere Wähler aus der gesellschaftlichen Mitte. Aber wir machen nach wir vor anwaltschaftlich Politik für die sozial Benachteiligten,

Die einfachen Leute selbst sehen in der SP aber nicht mehr unbedingt ihre Vertretung, sondern zum Beispiel in der SVP – aus Angst vor der so genannten «Überfremdung», vor Kriminalität, vor Jobverlust.

Das macht uns natürlich keine Freude. Populistische Parolen mit einfach gestrickten Feindbildern verfangen häufig, bringen aber auch keine wirklichen Lösungen. Darum sind wir überzeugt, mit unserer sachlichen Politik auf dem richtigen Weg zu sein.

Erstmal wird aber nicht politisiert, sondern gefeiert. Am Samstag in Pratteln: 100 Jahre SP Baselland. Mit Reden, prominenten Gästen wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga und einem schönen Apéro-Buffet. Auch das ein eher gesetzteres Programm.

Überhaupt nicht. Am 18 Uhr spielt Schwellheim. Dann wird es abgehen. Wir sind zwar 100 – aber immer noch jung. Das wird sich auch am Samstag zeigen.

Das Fest. Anfangs September hat die SP Schweiz in Bern ihr 125-Jahr-Jubiläum gefeiert. Nun gibt es bereits das nächste Fest – 100 Jahre SP Baselland. Stattfinden wird es am Samstag, 21. September, in Muttenz. Im ersten Teil der Veranstaltung bleiben die SPler unter sich. Auftreten werden unter anderem Parteipräsident Christian Levrat und die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog. Nach dem Apéro Riche ist dann auch das Volk eigeladen – um 17 Uhr beim Festakt im Coop Bildungszentrum mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Danach spielt um 18 Uhr die Basler Band «Schwellheim» auf.

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