Der isländische Anarcho Jón Gnarr hat vier Jahre lang die Geschicke seiner Heimatstadt Reykjavík gelenkt und galt als coolster Bürgermeister der Welt. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Im Skype-Interview erzählt er von billigen Kugelschreibern, politischen Geheimwaffen, superintelligenten Ratten und was dieser ganze Zirkus eigentlich soll.
Es war Juni 2010, und Reykjavík traute seinen Ohren kaum: Jón Gnarr war gerade zum Bürgermeister gewählt worden. Ein tätowierter Komiker mit trockenem Humor und Punk-Vergangenheit, der eine anarchosurrealistische Partei namens «Beste Partei» gegründet hatte, die aus Rockmusikern, ehemaligen Punks, Künstlern und keinem einzigen Politiker bestand. Die Premierministerin sprach von einem Schock, die Konservativen schwiegen entsetzt und die Linken jubelten betrunken. Und Gnarr – Gnarr tat seine Pflicht: Er wurde Bürgermeister der Hauptstadt eines Landes, das drei Jahre zuvor einen der heftigsten Bankencrashs erlitten hatte und sich am Rande des Bankrotts befand. Mit einer Partei, die als Witz begonnen hatte.
Was folgte, war das schönste Beispiel eines ernstgewordenen Scherzes, das die Welt je gesehen hat: Die «Beste Partei» räumte auf. Sie entliess Menschen aus dem Verwaltungsrat, sie schuf einen Zonenplan für den chaotischen Busverkehr, förderte junge Kunst und sanierte die Finanzen. Und mittendrin Jón Gnarr, der mit seiner schlauen Ahnungslosigkeit die Opposition in den Wahnsinn und den Rest der Welt in den Jubel trieb (auch hierzulande, nachzulesen in Constantin Seibts grossartigem Artikel im Tages-Anzeiger). Gnarr wusste nicht, wie sich ein Bürgermeister zu verhalten hat, und wahrscheinlich war es ihm auch piepegal. Er kürzte, wenn es zu kürzen gab, redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war und kam von Zeit zu Zeit in Frauenkleidern zu Sitzungen, als Akt der «Rebellion gegen das Patriarchat».
Nach vier Jahren endete seine Amtszeit, und obwohl ihn viele Leute gern als den nächsten Präsidenten Islands gesehen hätten, löste Gnarr die «Beste Partei» auf, überliess dem Sozialdemokraten Dagur Eggertson das Ruder und schrieb ein Buch. An der diesjährigen Buch Basel wird er daraus lesen – endlich ein Grund, den charismatischen Isländer vor den Bildschirm zu kriegen. Ein höchst vergnügliches Unterfangen, wie sich zeigen sollte.
Jón Gnarr, bevor Sie zum Bürgermeister Reykjavíks ernannt wurden, waren Sie ein mittelloser Taxifahrer, Punk und Comedian mit wenig Interesse an Politik – wie kam es zum plötzlichen Sinneswandel?
Nach der grossen Bankkrise 2007 hatte mich das städtische Theater als Autor engagiert, um ein Stück zu schreiben. Ich verfolgte – wie alle anderen zu der Zeit auch – regelmässig, was im Land passierte. Und ich überlegte mir, etwas zur Situation zu machen, ein Stück über Kapitalismus oder Geld. Inspiriert von André Bretons Surrealistischem Manifest, begann ich über ein Theater im «richtigen» Leben nachzudenken – ich wollte ein Stück schreiben, das nicht auf einer Bühne, sondern in den Medien aufgeführt werden sollte. Genau mit diesem Vorhaben hat alles angefangen: Ich wollte ein riesiges Spektakel kreieren.
Das Spektakel begann mit Ihrem Alter Ego, einem Politiker namens Jón Gnarr und dessen Partei, die Sie «Beste Partei» nannten. Nicht gerade unbescheiden.
Eigentlich wollte ich die Partei ja erst die «coole Partei» nennen. Du weisst schon, alle anderen Politiker sind bekloppt und vorhersehbar, nur wir sind cool. Und wir hätten ein «Cool-Komitee» gehabt, das entschieden hätte, was cool ist und was nicht, und alle paar Wochen hätten wir eine Pressekonferenz abgehalten, um coole Sachen zu verkünden (lacht). Ich kam damals ja aus der Werbung und wollte etwas von der Werbewelt in die politische Welt tragen. Also überlegte ich mir: Was ist die beste Strategie, um etwas zu verkaufen? Wahrscheinlich, indem man sagt, es sei das Beste. Das Beste, was du kriegen wirst. Best buy. Eine politische Partei, von einer Werbefirma in die Welt gesetzt. Lächerlich, oder? Genau das war meine Absicht. Ich wollte, dass alles so blöd rüberkommt wie möglich.
Zum Ende Ihrer Amtszeit 2014 lösten Sie die «Beste Partei» auf. Warum?
Mich faszinierte schon immer die Kreuzigung Jesu: Dieser kommerzielle Selbstmord ist die Pointe der Passion, mit ihm fängt die grosse Geschichte erst wirklich an. Und so verhielt es sich auch mit der «Besten Partei». Indem ich sie auflöste, versuchte ich, sie ewig zu machen. Wertvoller, ungewöhnlicher. Es ist wie bei einer Überraschungsparty: Du organisierst eine Überraschungsparty, und alle sind überrascht und erfreut und finden sie «amazing!» und «great!», und eigentlich ist es ja nur eine Party, wie jede andere auch. Aber du wirst sie nie wieder so feiern können, denn dann wird sie zur langweiligen Party. Die Menschen brauchen neue Überraschungen, um die Langeweile zu überwinden.
Zum Beispiel mit Ihnen als Präsidenten. Haben Sie nie mit diesem Gedanken gespielt?
Ich habe es mir tatsächlich überlegt. Passend dazu hatte ich mir auch schon die perfekten Plakate ausgemalt: Ich, als riesiger Wikinger über irren Sprüchen wie «Der Sohn Islands ist zurückgekehrt, um sein Land zu retten!». Aber dann dachte ich: genug jetzt. Ich habe ein…
… Monster geschaffen!
(lacht)
Wie sehen Ihre Pläne post-Monster aus?
Ich arbeite fürs isländische Fernsehen und habe soeben eine TV-Serie zu Ende geschrieben, in der es um den Bürgermeister von Reykjavík geht, der von mir gespielt werden wird. Ein hervorragendes Konzept, wie ich finde. Ich hoffe, dass es künftige Quizshows aufgreifen werden, indem sie Filmmaterial aus meiner Zeit als Bürgermeister und aus der Serie zeigen und dann fragen, was echt und was Fiktion ist (lacht). Das ist mein Traum.
__
Jón Gnarr ist am Sonntag, 8. November, im Rahmen von «Culturescapes» während der Buch Basel im Volkshaus zu Gast und liest aus seinem Buch «Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!».
Wir halten Sie während der BuchBasel mit unserem Live-Blog auf dem Laufenden.