«Kann sein, dass ich manchmal schräg wirke»

Der scheidende Regierungspräsident über das Gewicht des Amtes, die Erleichterung nach der Rücktrittsankündigung und eine mögliche Nachfolgerin.

Guy Morin will nicht mehr: «Amtsmüde bin ich nicht. Aber es gibt Dinge, die mich Kraft kosten», sagt er.

(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Der scheidende Regierungspräsident über das Gewicht des Amtes, die Erleichterung nach der Rücktrittsankündigung und eine mögliche Nachfolgerin.

Guy Morin präsentiert sich am Mittwochnachmittag in seinem Büro in bester Laune. Die Bekanntgabe seines Entscheides, bei den Gesamterneuerungswahlen am 23. Oktober nicht wieder anzutreten, wirkt wie ein Befreiungsschlag. Der grüne Regierungspräsident  lacht viel, macht Witze und redet offen wie selten. Im Interview sagt er, weshalb er zurücktritt, inwiefern das Amt ihn verändert hat und wie ihn die permanente Kritik an seiner Person getroffen hat. 

Herr Morin, sind Sie erleichtert, dass Ihr Entscheid nun bekannt ist?

Ja, natürlich. In letzter Zeit wurde jede Gemütsäusserung von mir irgendwie als Rücktritt oder Wiederantritt interpretiert. Deshalb bin ich froh, dass mein Entscheid jetzt öffentlich ist. Erleichtert war ich aber auch schon, als der Entschluss für mich selber feststand. 


Wann war das?

Das spielt keine Rolle. Irgendwann spürte ich einfach, dass ich nicht nochmals antreten möchte. Aber der Entscheid ist mir nicht leicht gefallen.

«Nur zum ‹Machterhalt› am Amt kleben zu bleiben, wäre keine Lösung.»

Was sprach für den Rücktritt?

Es sind vor allem persönliche Gründe: Ich bin gesund und noch in einem Alter, in dem ich etwas völlig Neues anfangen kann, auch will ich wieder mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Kommt hinzu: Ich hatte die Ehre, das Präsidialdepartement acht Jahre zu führen. Der Zeitpunkt für einen Rücktritt ist günstig. Das Departement ist gut aufgestellt – alles hat sich eingespielt, was es mir einfacher macht, es meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger zu übergeben.

Ihr Rücktritt kommt für Ihre Partei zu einem ungünstigen Zeitpunkt.

Jeder Wechsel löst Unsicherheit aus, ob jetzt oder in einigen Jahren. Nur zum «Machterhalt» am Amt kleben zu bleiben, wäre keine Lösung. Ich bin überzeugt, dass die Chancen gross sind, dass Basel-Stadt auch ab Februar 2017 einen grünen Regierungsrat oder eine grüne Regierungsrätin hat. Die Partei hat valable Kandidatinnen und Kandidaten für das Amt.

Und die wären?

Elisabeth Ackermann, die noch zehn Tage als Grossratspräsidentin im Amt ist und ihren Job hervorragend gemacht hat. Aber es gibt auch andere Personen aus dem Grossen Rat, die sich eignen würden. Letztlich muss die Partei entscheiden, wen sie ins Rennen schicken möchte.

«Repräsentieren hat auch mit Verantwortung zu tun. Man muss sich deshalb ein bisschen anpassen.»

Wie gehts ab Februar 2017 für Sie weiter?

Keine Ahnung. Ich werde sicher nicht zu Hause sitzen und Trübsal blasen. Das entspricht mir nicht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, mich in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, Asyl/Migration zu engagieren. Das hat mich schon immer interessiert. Mal schauen, was sich da ergibt.

Haben Sie bei sich eine Amtsmüdigkeit festgestellt? Irgendwann wiederholt sich doch alles.

Das ist in jedem Job so. Das gab es auch, als ich noch Hausarzt war. Nein: Amtsmüde bin ich nicht. Aber es gibt Dinge, die mich Kraft kosten.

Zum Beispiel?

Einerseits, dass ich sehr wenig Zeit habe für mich selber und für meine Familie. Das hat mich am meisten belastet. Andererseits ist man in einem solchen Amt immer der öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt. Das zehrt schon an einem.

Die Anfangszeit war nicht leicht für Sie. Inwiefern nahm es Sie mit, dass Sie dauernd unter Beschuss standen?

Ich gebe zu: Es war nicht immer ganz einfach, mit Kritik umzugehen – vor allem, wenn sie respektlos geäussert wurde. Aber eigentlich bin ich eine gefestigte Person: Ich weiss, wer ich bin, was ich möchte und was meine Werte sind. Deshalb hat mich die Kritik nie in meinen Grundwerten erschüttert – ich habe weiterhin meine Linie verfolgt. Das ist auch ganz wichtig. Wer immer die Funktion als Regierungsrat oder Regierungspräsident hat: Wichtig ist, dass man authentisch ist. Das erwartet die Bevölkerung von einem. Man darf keine Rolle einnehmen.

«Ich bin zwölf Jahre älter geworden und habe zum Glück kein Kilo zugenommen.»

Ist Ihnen das gelungen?

Ich glaube, ich bin authentisch geblieben. Repräsentieren hat auch mit einer gewissen Verantwortung zu tun. Man darf nicht leichtfertig damit umgehen und muss sich deshalb auch ein bisschen anpassen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich in eine Rolle schlüpfe. Denken Sie doch mal an Boris Johnson, Bürgermeister von London: Er ist immer noch so wie bei seinem Amtsantritt. Er wirkt schräg nach aussen – aber das ist doch auch gut so!

Reden Sie gerade von sich? Auch Sie sind ab und zu komisch.

Kann sein, dass ich auf Menschen manchmal schräg wirken kann. Aber wichtig ist, dass es hier stimmt (legt seine Hand aufs Herz).

Inwiefern hat das Amt Sie verändert?

Ich trage nicht mehr die gleichen Kleider wie früher (lacht). Ich bin zwölf Jahre älter geworden und habe zum Glück kein Kilo zugenommen.

Bei so vielen Apéros können wir das nur schwer glauben.

Wirklich! Ich habe fünf Kilos abgenommen.

«Es bleibt viel zu tun – ich werde bis zum letzten Tag krampfen.»

Sie sind auch selbstsicherer und lockerer geworden.

Ist das so?

Wenn wir fünf Jahre zurückschauen, ja. Hat das damit zu tun, dass Sie sich nun wohler fühlen im Amt?  

Wissen Sie, in ein solches Amt wächst man auch rein. Natürlich hilft da auch eine gewisse Routine. Der Anfang war sicher ein grosser Schritt: Vom Hausarzt zum Regierungsrat. Das war eine grosse Umstellung.

Wie geht das letzte Jahr im Amt für Sie nun weiter?

Das Jahr wird extrem dicht und spannend. So müssen wir unter anderem als Gesamtregierungsrat mit Baselland den Uni- und Kulturvertrag neu aufgleisen und die Spitäler zusammenführen. Ausserdem möchte ich den Kredit für den Kasernen-Umbau durchs Parlament bringen und den Neubau des Naturhistorischen Museums und des Staatsarchivs beim Bahnhof St. Johann voranbringen. Es bleibt viel zu tun – ich werde bis zum letzten Tag krampfen. Das kann ich Ihnen versichern.

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