Katrin Eckert: «Polarisierung interessiert mich in der Regel nicht»

Das Literaturhaus Basel feiert seinen 15. Geburtstag. Schöpft es seine Möglichkeiten aus? Finden relevante Debatten statt? Ein Gespräch mit der Leiterin Katrin Eckert.

«Ich brauche viele Mitarbeiterinnen und Kräfte von aussen, um die jungen Erwachsenen zu erreichen», sagt Katrin Eckert über die grösste Aufgabe der kommenden Jahre. (Bild: Hans Joerg Walter)

Das Literaturhaus Basel feiert seinen 15. Geburtstag. Schöpft es seine Möglichkeiten aus? Finden relevante Debatten statt? Ein Gespräch mit der Leiterin Katrin Eckert.

Dem Literaturhaus Basel geht es gut. Dreimal so viele Besucher kommen heute, verglichen mit der Anfangsphase ab dem Jahr 2000. Der Verein LiteraturBasel, der auch hinter der BuchBasel steht, hat sich schon länger von seiner finanziellen Krise erholt. Das Haus ist etabliert und hat regelmässig interessante und berühmte Namen auf dem Programm.

Streiten lässt sich aber darüber, ob hier gesellschaftliche und ästhetische Debatten aus Sicht der Literatur geführt werden, kurz: ob es im intellektuellen Stadtleben eine Rolle spielt. Wir haben dazu die Leiterin Katrin Eckert befragt, die an diesem Wochenende mit vielen Veranstaltungen den 15. Geburtstag des Hauses feiert. Die 52-jährige Zürcherin, die aus dem Verlagswesen kommt, hat die Leitung im Jahr 2008 übernommen.

Frau Eckert, was sind wesentliche Fragen, die man einem Autor stellen kann?



Das hängt vom Buch ab, ich kann es nicht generell sagen. Aber mich interessiert sicherlich, wie ein Autor zu seinem Stoff kommt und warum das Thema für ihn relevant ist. – Gut, meistens teilt sich das ja im Buch mit. Heinz Helle zum Beispiel, dessen Lesung ich letzten Sonntag gehört habe, findet es furchtbar, wie die Philosophie über das Bewusstsein schreibt. Und deswegen wollte er einen Roman darüber machen. Hätte ich das vor der Lektüre gehört, hätte ich gedacht: Das kann kein gutes Buch werden. Viel zu kopflastig. Deshalb wollte ich von ihm wissen, wie eine Geschichte entsteht, die sich gut liest.

Das sind die Fragen nach Antrieb und Form, die beiden Klassiker in jedem Lesungsgespräch. Wie gehen Sie damit um, dass die Autoren diese Fragen schon zigmal beantwortet haben?



Das ist eine Krux. Manchmal merkt man den Autoren an, dass sie die Fragen schon oft beantwortet haben. Aber öfter finde ich die Antworten erstaunlich erfrischend. Das liegt entweder an der sehr guten Moderation, oder daran, dass es die Autoren schaffen, sich neu auf das Gespräch einzulassen. Ich glaube, es ist eher eine Krux für die Autoren als für mich, denn die müssen ja damit umgehen.



Aber Fragen ist schwieriger als Antworten.



Ich frage nur selten, das überlasse ich hübsch den Moderatoren.

Aber als Leiterin des Literaturhauses liegt es doch in ihrem Interesse?



Klar. Ich bemühe mich, die Moderatoren entsprechend auszuwählen. Zum Beispiel, wenn Rafik Schami kommt, der 120 Lesungen gibt.



Wird zu viel geredet im Literaturbetrieb?



Nein. Es wird viel geklatscht, aber das gehört zu jedem Betrieb. Und das Gespräch ist ja gerade der Mehrwert von Lesungen gegenüber dem Lesen allein zu Hause. Das ist unsere Daseinsberechtigung. 



Ein Autor könnte auch sagen: Ich habe mich in meinem Werk geäussert, was sollen wir noch reden.

Im Literaturhaus wird nicht nur über das Buch geredet, es wird auch durch die Lesung vorgestellt. Aber sehen Sie: Wir reden doch auch über Bücher, wenn wir uns treffen. Man will drüber reden und tut es aus Leidenschaft. Ich finde das einen völlig normalen Vorgang.

15 Jahre Literaturhaus
Die Lesung am 17. April mit Peter Bichsel ist bereits ausverkauft, am 18. gibt es ab 16 Uhr verschiedene Programmpunkte, darunter ein Gespräch zwischen den Gründungsmitgliedern. Zur Website

Zwischen den Leuten, die das Literaturhaus Ende der Neunziger initiiert haben, etwa Martin Dean und Matthyas Jenny, gab es bald heftige Verwerfungen. War dieser Streit ein Erbe, als Sie 2008 das Haus übernommen haben?



Für mich war sicher von Vorteil, dass ich von aussen kam, aus Zürich. Ich wusste einiges darüber, dass die Szene zerstritten war. Aber ich habe darauf beharrt, dass ich davon nicht wirklich etwas weiss. Und in dem Moment, als ich kam, war der Streit auch nicht mehr virulent. Kommt dazu, dass ich das Literaturhaus natürlich in Basel und für Basel sehe, aber unbedingt auch über die Stadtgrenze hinaus. Ich bin jedoch gespannt, was am Samstag beim Podiumsgespräch über die Anfänge des Literaturhauses zu hören sein wird, zu dem Leute eingeladen sind, die damals dabei waren.

«Die Gesprächskultur hat sich seit den 90er Jahren geändert.»



Wo wir vom Streiten sprechen: Die Veranstaltungen im Literaturhaus sind fast nie auf Kontroverse angelegt.



Das stimmt. Da kann man verschiedener Ansicht sein. Bei Podiumsgesprächen lege ich es gerade nicht auf Konfrontation an, sondern auf Vertiefung. Die Polarisierung haben wir in den Medien rauf und runter, das interessiert mich in der Regel nicht. Oft bleiben diese Diskussionen bei Schlagworten, ich finde es spannender, wenn man auf eine vertiefte Ebene kommt. Und wenn ich eine Autorin einlade, werde ich ihr natürlich nie einen Moderator zur Seite setzen, der sie frontal angreift. Er oder sie ist eingeladen, weil mich das Buch interessiert.



Aber was ist mit ästhetischen Streitgesprächen? Zum Beispiel, als vor einiger Zeit debattiert wurde, ob sich die Bücher der Abgänger von Literaturinstituten auf brave Weise gleichen. Oder allgemeiner: Was einen Text interessant macht, was nicht.



Ja, das könnte man in der Tat machen.



Sehen Sie es als Aufgabe des Literaturhauses, eine gesellschaftliche Debatte zu führen?



Ja, das sehe ich so. Ich denke auch, dass ich immer wieder einzelne Abende anbiete, die diesen Anspruch erfüllen. Auf der anderen Seite ist es eine Frage des Masses. Über künstliche Befruchtung würde ich im Literaturhaus nicht diskutieren wollen (wenn nicht gerade ein guter Roman dazu erschienen ist). Mich interessieren gesellschafts- und kulturpolitische Themen. 



Man erzählt sich, dass die Basler Intellektuellen-Szene in den Neunzigern lebendiger war als heute. Was denken Sie dazu?



Schwer zu sagen, ich war selber nicht dabei. Ich denke aber, dass es auch ein Zeitphänomen ist: Auch in Zürich und in Deutschland wurde in dieser Zeit mehr gestritten, ästhetisch und politisch-ideologisch. Die Gesprächskultur hat sich geändert.



Ist Basel heute eine kontroverse Stadt?



Nicht wahnsinning, nein. Mit Ausnahme der «Basler Zeitung», die sich ideologisiert hat, was bei vielen auf Widerspruch stösst. Ich erlebe Basel extrem weltoffen und durchlässig. Überhaupt: Ich finde die Stadt sehr angenehm zum Arbeiten, namentlich in einer Kulturinstitution. Die Atmosphäre ist unkompliziert und kreativ. Die Leute sind nicht primär darauf bedacht, sich zu inszenieren und die anderen wegzubeissen.



Finden Sie die Basler Literaturszene lebhaft?



Was heisst lebhaft – ich finde, es gibt etliche interessante Autorinnen und Autoren. Auch jüngere Stimmen. Doch, es ist einiges los.



Junge Literatur findet hier vor allem in der Slam Poetry statt, oder nicht?



Ja, das ist ein wichtiger Teil. Es gibt aber auch etliche andere Veranstaltungen: in Buchhandlungen, im Literarischen Forum oder im Café Frühling. Für die Grösse der Stadt gibt es ein ziemlich breites Angebot. 



«Eine alte Stadtvilla für das Literaturhaus würde ich sofort nehmen»

Das Publikum des Literaturhauses ist alt. Wird es nachwachsen oder stirbt es aus?



Das ist ein Thema, das uns täglich beschäftigt: Wie erreichen wir die jungen Erwachsenen? Auch wenn ich froh über das Publikum bin, das wir haben, es ist ein tolles Publikum. Wir bekommen aber durch unser Angebot inzwischen Kinder und Schüler recht gut ins Literaturhaus. Studierende – je nach Seminar. Aber die jungen Erwachsenen… 



Ist das nicht eine Frage des Impacts? Alternative Formate schön und gut, die Frage ist doch letztlich, ob man relevante Themen berührt. 



Wir sind intensiv dabei zu überlegen, mit welchen Themen wir diese Generation abholen können – die mit Literatur zu tun haben. Partys veranstalten will ich nicht.


Wie gehen Sie vor?



Schrittweise (lacht). Wir haben langsam angefangen und die letzten Jahre waren stark geprägt von unserer finanziellen Krise und der Neuaufstellung des Festivals. Am Festival haben wir bereits mehrere experimentelle Formen, und wir schauen, wie wir deren Besucherinnen und Besucher nun auch ans Literaturhaus binden können. Ich bin dafür angewiesen auf junge Mitarbeiterinnen und Kräfte von aussen.



Haben Sie die Leute, die Sie brauchen?



Teils, teils.



Das Literaturhaus hatte lange Zeit Schwierigkeiten, einen geeigneten Raum zu finden. Sind Sie glücklich mit dem jetzigen Saal, der schon ein wenig kellerig ist?



Ich bin glücklich über die Lage und über das Café im Erdgeschoss. Aber wenn ich das mit den Anfangsvorstellungen vergleiche von einem Haus, in dem auch Platz für einen Writer in Residence ist, mit verschiedenen Räumen und einem Garten – die alte Stadtvilla würde ich sofort nehmen (lacht). 



Sind Sie am Schauen?



Im Moment nicht. 



Wie würden Sie das Haus in fünf Jahren gern sehen?



Lebendigkeit, noch durchmischteres Publikum. Was ich unbedingt beibehalten will, sind die klassischen Lesungen. Und ein Netzwerk will ich stärken, mit verschiedenen Gruppen, die das Programm des Hauses selber mitgestalten.


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