«Kritik lässt mich nie kalt»

Adrian Sieber von den Lovebugs spricht über seinen Gesang, seine Rolle als Frontmann und seine Frustrationstoleranz.

Adrian Sieber gibt seit 19 Jahren bei den Lovebugs den Ton an. (Bild: Tabea Hüberli)

Adrian Sieber von den Lovebugs spricht über seinen Gesang, seine Rolle als Frontmann und seine Frustrationstoleranz.

Adrian Sieber war fünfzehnjährig, als er erstmals vor grösserem Publikum auf die Pauke haute: In der Aula der Bezirksschule Möhlin gab er 1987 als Schlagzeuger der Exgüsi-Band den Takt an. «Wir nannten uns so, weil wir uns bei den Mitschülern von vornherein für die Fehler entschuldigen wollten», er­innert sich Sieber. Seinen Traum, für die Musik leben zu können, verwirk­lichte er ab 1993 mit den Lovebugs. Am 20. April erscheint das elfte Album der Basler Band.

Adrian Sieber, mögen Sie Ihre Stimme?

Es ist die Einzige, die ich habe.

Gute Antwort. Aber war es Ihr Traum, Sänger zu werden?

Nein, mein Traum war es immer, Songs zu schreiben. Ich fühlte mich lange Zeit unsicher als Leadsänger.

Was man Ihnen auf der Bühne in den Anfangsjahren anmerkte: ­Unsicherheit, gepaart mit Schüchternheit. Warum haben Sie sich das überhaupt angetan?

Weil ich zur Einsicht kam, dass man seine Texte selbst am besten umsetzen kann. Musiker, die ihre eigenen Songs nicht singen, sind feige. Nehmen wir Bob Dylan: Er ist technisch nicht brillant. Aber er singt seine Lieder selbst und verleiht ihnen so Charakter. Ich musste mich jahrelang überwinden, auf einer Bühne zu singen. Konzerte waren für mich ein Kampf, ich war wahnsinnig nervös. Aber im Nachhinein hatte ich immer ein gutes Gefühl.

Stolz?

Zufriedenheit. Dass ich Songs sang, ­hatte viel mit mir zu tun. Hinstehen, für mich einstehen, meine Ideen präsentieren. Wie ich sang, spielte dabei keine Rolle. Was ich aber lernen musste, als die Konzerte länger und die Pausen ­dazwischen kürzer wurden: ein gewisses Mass an Technik, damit ich nicht ständig heiser wurde. Ich lernte genau so viel über Gesangstechnik, dass ich über die Runden kam, ohne meine Stimme zu verlieren.

Und jetzt sind Sie Sänger.

Und Songwriter. Ich weiss, worauf Sie hinauswollen: Ich übe einen Beruf aus, den ich nie gelernt habe. Schon irgendwie komisch. Aber auch schön. Ich möchte es jedenfalls nicht missen.

Was schmeichelt dem Ego mehr: 2500 begeisterte Leute vor der ­Bühne oder vier Musiker im Proberaum, die über ein neues Lied jubeln?­

Letzteres geschieht selten (lacht). Aber es gibt im Proberaum diese Momente, wenn ein Song gespielt wird und ich merke: Der wird gross, viel grösser, als ich gedacht hätte. Das ist wunderbar.

Sie sind der Unersetzlichste in ­dieser Band. Eine grosse Bürde?

Bei Genesis stieg Peter Gabriel ja auch irgendwann aus – und die Band feierte danach noch grössere Erfolge.

Das stimmt. Aber die Songs kommen von Ihnen. Sie sind der Frontmann, tragen die Verantwortung für die Existenz aller Bandmit­glieder. Eine Belastung?

Ja, das kann vorkommen.

Wann?

Wenn ich den Druck verspüre, dass ich einen Knaller bringen muss, aber weiss, dass das nicht auf Abruf geht. Umso härter trifft es mich, wenn ich an ein neues Lied glaube und im Proberaum merke, dass es zweien nicht gefällt. Dann liegt der Ball wieder bei mir.

Zudem vertreten Sie die Band als Frontmann in der Öffentlichkeit. Eine schwierige Rolle?

Manchmal, ja. Es ist nicht immer leicht, mir selber treu zu sein und gleichzeitig die Meinung der Band zu verkörpern.

Kommt es vor, dass Sie sich wie ein Bundesrat fühlen, der eine ­Konsenslösung gegen aussen vertreten muss?

Ja. Aber ich stecke nie in der Situation, dass ich den Kopf für etwas hinhalten muss, was mir komplett gegen den Strich geht.

Warum nicht?

Ich nehme mir das Recht heraus, gut zu finden, was wir mit den Lovebugs machen.

Ein Satz, der von einem PR-Berater stammen könnte. Nun mal ehrlich.

Ehrlich. Die grossen Diskussionen führen wir, bevor wir einen Entscheid fällen. Und ich mache nichts, wohinter ich nicht auch stehen kann.

Wie gut können Sie das Hitpoten­zial eines Liedes einschätzen?

Was ist ein Hit? Bei uns sind nur Alben ganz vorne in den Charts gelandet. Als Single schaffte es einzig «Avalon» in die Top 10, ein Duett mit der norwegischen Sängerin Lene Marlin.

Aber die Lovebugs haben einige Airplay-Hits zu verzeichnen. Songs, die von den Radios rauf- und ­runtergespielt wurden, von «Bitter Moon» bis «The Key».

Das stimmt, ja. Das ist manchmal dem Zufall zu verdanken. Als wir im Jahr 2000 mit den Aufnahmen zu «Awaydays» begannen, hatte ich «MusicMakes My World Go Round» noch gar nicht geschrieben. Das Lied schaffte es erst am Schluss aufs Album. Die Plattenfirma hörte es und zeigte sofort mit dem Finger darauf: «Das gibt eine Single!» Das hatten wir so gar nicht vorhergesehen – so wie Züri West, die «I schänke dir mis Härz» ursprünglich auch nicht auf der Platte haben wollten, soweit ich weiss. Und dann: siehe da.

Gibt es ein Erfolgsrezept?

Ich glaube nicht. Ein Song kann nur ein Hit werden, wenn er zum Interpreten passt. Darum ist es auch wichtig, dass die Lovebugs jene Songs spielen, die zur Band passen. «Good Life» auf «The Highest Heights» hätte Hitpotenzial, aber womöglich eben nicht, wenn er von den Lovebugs gespielt wird. Umgekehrt hätte ich nie gedacht, dass «Listen to the Silence» so wachsen würde durch diese Band.

Bei Ihrem Output: Haben Sie noch nie daran gedacht, sich finanziell abzusichern, indem Sie Songideen an einen Verlag verschachern?

Ja, doch. Habe ich auch schon versucht. Nur war das Resultat nie so befriedigend, wie wenn ich die Ideen selber ­umgesetzt hätte. Weshalb ich das ­wieder aufgegeben habe. Vor dem Eurovision Song Contest 2011 suchte man neue Lieder für Lena Meyer-Landrut. Auch ich wurde kontaktiert und eingeladen, Material einzuschicken. Ich habs nicht getan.

Warum nicht?

Weil ich möchte, dass meine Band die besten Songs spielt. Im Moment ist das für mich das Einzige, was zählt. Es ­würde mich wahnsinnig nerven, einen Song anderswo zu verbraten und zu merken, dass genau dieser auf dem nächsten Lovebugs-Album fehlt. Bono hat mal gesagt, U2 sei das Erfolgsmodell, also die Band, denn nur zusammen hätten sie all das erreichen können. So ist es auch bei den Lovebugs.

Sie haben Songs aber auch schon anderweitig verwendet: Für den Soundtrack zum Film «Stations­piraten», für Ihr Soloalbum oder für die junge Baselbieter Sängerin Gioia, die durch die Sendung «MusicStar» bekannt wurde.

Ja. Für Gioia schrieb ich Lieder, weil ich das Album auch gleich produzieren und so grossen Einfluss nehmen konnte. Und das mit dem Soloalbum, das hat sich so ergeben, weil wir mit den Lovebugs nach «In Every Waking ­Moment» nicht gleich wieder zusammen ins Studio steigen mochten. Ich hatte einige Songs übrig und konnte mir mit «Adrian Solo» einen alten Traum erfüllen, indem ich alle Instrumente ­darauf selber einspielte.

Kamen Sie nie an den Punkt, wo Sie sich sagten: Ach, leckt mich doch alle?

Doch. Immer wieder. Wird eine Idee abgeschossen, kackt mich das an. Aber die Enttäuschung legt sich jeweils ­wieder. Wenn man sich als Musiklehrer eine berufliche Veränderung wünscht, kann man den Job kündigen, die Schule oder die Schüler wechseln. Bei den ­Lovebugs geht das nicht. Darauf bin ich auch stolz.

Haben Sie eine dickere Haut als früher?

Ein bisschen, ja. Aber Kritik lässt mich nie kalt. Vielleicht kann ich meine Enttäuschung heute besser verbergen (lacht).

Wann waren Sie zuletzt richtig enttäuscht?

Als wir im Sommer 2011 bei unserer Plattenfirma waren, zwölf neue Lieder vorspielten und das Feedback lautete: «Wo bleibt die Hit-Single»? Das zu ­hören nach einem halben Jahr Arbeit, ist hart. Oder wenn die Band ein Lied abschiesst, von dessen Qualitäten ich ­eigentlich überzeugt bin. Dann kommt es vor, dass ich nach Hause komme, alte Aufnahmen anhöre und mir denke: Scheisse, nie wieder wird mir ein so gutes Stück einfallen.

Wie holen Sie sich aus diesen Zweifeln raus?

Indem ich weiterschreibe.

Die anderen setzen sich selten mit Songideen durch. Sind Sie zu dominant?

Ich weiss es nicht. Es kommen selten Songs von den anderen rein. Vielleicht, weil sie wissen, dass ich ständig Lieder schreibe. Vielleicht schüchtert es ein bisschen ein, dass ich ihre Ideen gleich streng beurteile wie meine eigenen.

Gehen Sie mit fremden Ideen nicht härter ins Gericht, weil Sie zu diesen mehr Distanz haben?

Nein, ich denke, ein guter Song ist ein guter Song. Fertig, Schluss! «Everybody Knows I Love You» stammt aus Stefan Wagners Feder, und an diesem Lied gab es nie etwas auszusetzen. Das hat nichts mit Geschmack zu tun. Es ist aber sicher schwieriger für die ­anderen, sich durchzusetzen. Wenn ich fünfzig Ideen bringe und jemand ­anderes nur eine, braucht es ordentlich viel Initiative und eben einen brillanten, ­einen runden Song, um mich überzeugen zu können.

Wann ist ein Song für Sie rund? Wenn er keine Ecken und Kanten hat?

Nein, Ecken und Kanten haben nichts mit dem Song zu tun, sondern vielmehr mit der Performance und dem Arrangement. Das Lied muss in sich stimmig sein, vom Text bis zur Musik eine Einheit bilden.

Ihre grösste Befriedigung ist es, Songs zu schreiben. Kommt das noch vor dem Wunsch, in einer Band zu spielen?

Ja, das ist richtig.

Verletzt das die anderen nicht?

Ich sage ihnen das ja nicht so.

Aber sie werden es erfahren.

Dann sollen sie aber auch wissen, dass ich ohne sie meine Karriere als Profimusiker vermutlich längst an den Nagel gehängt hätte. Sie sind meine ältesten Freunde. Man unterstützt sich gegen­seitig, ganz besonders dann, wenn mal nicht alles rund läuft. Ausserdem möchte ich das Gefühl nicht missen, gemeinsam mit ihnen auf einer Bühne zu stehen. Auch nach 18 Jahren nicht.

Zu wissen, dass das Songwriting Ihre grösste Leidenschaft ist, ­könnte bei den anderen vier Mitgliedern Ängste auslösen. Sie ­könnten ja auch mit vier anderen Musik machen.

Aber dann würden die Lieder nicht so klingen. Ich finde, die Lovebugs haben ihren eigenen Sound, und manche meiner Songs entfalten genau in dieser Konstellation ihre maximale Wirkung.

Was auffällt, wenn man die Love­bugs über längere Zeit begleitet: Abseits der Bühne seid ihr ein enorm lustiger Haufen. Da wird viel gefrotzelt, da existiert ein wunderbares Humorverständnis. Wieso merkt man das der Musik weniger an?

Eine sehr gute Frage. Wir haben bei jedem Album ein, zwei witzige Songideen im Köcher. Nur sind das immer jene Lieder, die zuallererst rausfliegen, was ich jammerschade finde. Wir finden ­immer einen Konsens bei den mono­lithischen, grossen Songs, im Stil von «Back to Life». Natürlich mag ich diese auch sehr, aber ich finde, das ist gar nicht unsere grösste Stärke. Chris von Rohr hat immer gesagt, diese Songs ­seien so graublau. «Coffee and Ciga-rettes» hingegen hat etwas Scherzhaftes, einen gewissen Witz, den ich mir öfter wünschte. Ich hoffe, dass das auf dem neuen Album Platz hat.

Warum fallen witzige Ideen schneller raus? Wegen des Erfolgsdrucks?

Nein. Humor ist gerade in der Musik ­etwas sehr Subjektives. Es erfordert manchmal den Mut, sich eine Blösse zu geben, etwas auf eine Platte zu tun, ­wofür man sich ein bisschen schämen muss, gleichzeitig aber riesigen Spass daran hat. Einen cheesy Synthesizersound etwa. Oder sonst einen Effekt oder Lauf. Diese Lockerheit haben wir auf der Bühne immer mal wieder. 2010 trugen wir unseren Humor auch auf die grossen Bühnen, indem wir nach den bekannten Songs ein Spassrepertoire einbauten. Einer spielte Cowbell, ein anderer bediente einen Kassettenplayer. Wir lebten unseren Spielwitz komplett aus. Wenn es aber ernst gilt, im Studio, dann setzen sich solche Ideen selten durch. Ich hoffe sehr, dass wir diese Hemmungen noch stärker abbauen können. Wenn ich da nur schon an die Lieder einer meiner Lieblingsbands denke, The Cure. Die hatten so viel Witz in ­ihrer Musik und bewiesen, dass etwas nicht unbedingt ernsthaft und gross sein muss, um auch erfolgreich zu sein.

Und auf Ihrem Grabstein, was soll da dereinst geschrieben stehen?

Adrian Sieber.
Strophe, Bridge, Refrain.

 

  • Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch «Lovebugs – Coffee and Cigarettes». 200 Seiten, 220 Bilder, DVD mit Videoclips. Christoph Merian Verlag, Basel, 2012.
  • Das neue, elfte Album der Lovebugs, «Life Is Today», erscheint am 20. April.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12

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