«Kunstwerke sind Leihgaben auf Lebenszeit. Punkt und fertig!»

Für Ulla Dreyfus-Best ist das Sammeln von Kunst eine Art Lebenselixier. Im Interview erklärt die Basler Sammlerin und Mäzenin, warum ihre Werke nicht im Tresor versauern und spricht offen über ihren Umgang mit Museen.

In jeder Ecke Kunst: Im Haus von Ulla Dreyfus-Best gibt es keine leere Stelle.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Für Ulla Dreyfus-Best ist das Sammeln von Kunst eine Art Lebenselixier. Im Interview erklärt die Basler Sammlerin und Mäzenin, warum ihre Werke nicht im Tresor versauern und spricht über ihren Umgang mit Museen.

Wer das gediegene Haus am Stadtrand von Basel betritt, wird von der Fülle der Kunst, die einem entgegenschlägt, schier umgehauen: Der düstere Symbolismus eines Johann Heinrich Füssli trifft auf die bunt-fröhliche Welt von Jeff Koons. Der geheimnisvolle Surrealismus von Magritte und der überschwängliche Barock aus der Arcimboldo-Schule auf Andy Warhols Pop Art und religiöse Devotionalien aller Art. Ulla Dreyfus sammelt, was ihr gefällt. Und ihr gefällt vor allem, was manieristisch ist, was eine gewisse exzentrische Ausstrahlung hat. Und was zweifellos museale Bedeutung hat. So facettenreich sich ihre Kunst- und Wunderkammer präsentiert, so lebendig, unkonventionell charmant und witzig erweist sich die Sammlerin auch als Gesprächspartnerin.

Frau Dreyfus, ich möchte mit der stereotypen Frage beginnen …

… Sie wollen fragen: «Wer sind Sie eigentlich?»

Genau, Sie nehmen mir die Frage aus dem Mund …

Ich bin eine verrückte Person, ziemlich durchgeknallt, menschenfreundlich, offen in der Kommunikation –  das musste ich auch sein im Zusammenhang mit der Ausstellung meiner Sammlung im Kunstmuseum Basel und zuvor in der Peggy Guggenheim Collection in Venedig. Was soll ich sonst noch über mich sagen? Da gibt es diesen schönen Ausdruck, ich habe gewisse Standardsätze, die mich aber gut charakterisieren: Art is my passion, Art is my survival. Das ist tatsächlich so. Ich wollte gestern Abend mal früh ins Bett – früh heisst bei mir um zehn oder elf Uhr abends –, da entdeckte ich den nachgelieferten sechsten Œuvre-Katalog von Magritte, den ich von den Herausgebern geschenkt bekam, mir aber noch nicht angeschaut hatte. Ich vertiefte mich in dieses Buch und es wurde zwei Uhr morgens. Aber ich habe wieder einmal viel dazugelernt.

Kunst ist Ihr Lebenselixier …

… eines meiner Lebenselixiere. Ich treibe viel Sport und da gibt es noch meinen Hund, der hält mich auch auf Trab. Wo ist er denn? Ach, ich habe gehört, dass einer von Ihnen Angst vor dem Hund hat. Das müssen Sie nicht. Gar nicht. Der Hund ist lieb, er bellt zwar… Aber ich denke nicht, dass Sie über den Hund sprechen wollten.

Bleiben wir doch bei der Kunst. Sie sind Kunstliebhaberin, eine grosse Sammlerin, aber auch Mäzenin. Kann man das so sagen?

Ja, kann man. (Im Hintergrund bringt der Wind ein Glockenspiel zum Klingen.) Hör mal auf zu Klimpern da hinten! Kommt das mit aufs Band?

Das schon, aber ich werde es nicht abtippen. Zurück zu Ihnen: Warum sammeln Sie Kunst?

Ich bin mit Kunst gross geworden. Das wurde mir wie eine Religion von meinen Eltern in die Wiege gelegt und auch aus dem Umfeld meines Elternhauses, das sehr kunstsinnig war. Meine Eltern sammelten auch Kunst, was dann aber während des Krieges nicht mehr einfach war. Die Kunst war dann auch bei meiner Studienwahl und meiner Berufswahl massgebend. Das ging in mein Blut und meinen Geist über. Ich kam dann nach Basel, ans Museum, aber das wissen Sie bestimmt. Und ich lernte hier meinen Mann kennen…

… der ja ebenfalls ein passionierter Sammler war.

Ja, und ebenfalls aus einer Sammlerfamilie stammte.

Haben Sie und Ihr Mann über das Interesse am Sammeln zusammengefunden?

Wir haben uns im Kunstmuseum gefunden (lacht). Eine Rolle spielte, dass meine Eltern und meine ältere Schwester meinen späteren Mann Richard Dreyfus bereits kannten. Sie sagten mir, dass ich ihn unbedingt kennenlernen sollte, wenn ich nach Basel gehe. Und so ist es dann geschehen.

Johann Heinrich Füssli: «Der Nachtmahr».

Und Sie kaufen ja weiterhin Kunst, obwohl es keinen Platz mehr gibt in Ihrem Haus.

Ich muss aufpassen. Ich habe mir in Berlin, ich war gerade dort, fast etwas gekauft. Ich hätte es gerne gehabt, weil ich es gut finde, aber wo hätte ich das Werk hingehängt? Ich habe ein kleines Depot hier im Haus, einige Werke sind in der Bank, andere im Kunstmuseum als Dauerleihgaben. Aber sie sind nicht als solche zu erkennen, weil nirgendwo mein Name steht.

Ihre Sammlung und die Art, wie sie gehängt ist, erinnern an die Kunst- und Wunderkammern der Renaissance. Ist das ein Zufall?

Mein Mann hatte als Kunstsammler den König und Kaiser Rudolf II. von Habsburg als Vorbild. Der war ein grosser Sammler und auch etwas verrückt – Arcimboldo war übrigens an seinem Hof tätig. Auf seiner Burg in Prag hat Rudolf II. eine grosse Wunderkammer aufgebaut. Viele Werke gelangten später ins Kunsthistorische Museum in Wien. Dort findet sich übrigens auch ein Püsterich, wie ich einen habe, nur dass meiner viel bedeutender ist. Ich sage Ihnen auch gleich warum: Meiner hat eine Krone, auf der der Name des Schöpfers steht. Das ist sehr aussergewöhnlich für das frühe 12. Jahrhundert.

Sie geben Ihre Werke gerne als Leihgaben an Museen. Haben Sie da keinen Konflikt mit Ihrem Gewissen als Restauratorin, dass die Werke durch den Transport Schäden erleiden könnten?

Bis jetzt habe ich keine schlechten Erfahrungen mit dem Leihverkehr gemacht. Ich hatte vielleicht Glück bis jetzt.

Also geht man eigentlich oft zu vorsichtig mit Kunst um?

Man veranstaltet ein zu grosses Theater; daran ist auch die Preisexplosion des Kunstmarktes schuld. Natürlich muss man Sorge tragen, aber ich habe in meinem Haus keine besonders idealen klimatischen Bedingungen. Die Kunst hält das aus. Fast immer. Bei einem meiner Bilder, bei «Vulkan und Ceres» eines Meisters aus dem 16. Jahrhundert, entdeckte ich, dass die Farbe abzublättern begann – damals war ich noch am Kunstmuseum tätig. Wir haben das Bild zusammen restauriert, wobei herauskam, dass es da spätere Übermalungen gab. Als wir die entfernt hatten, entdeckten wir, dass die beiden Figuren mit vollständig entblösstem Unterleib dastehen.

Ein wahrhaft explizites Werk mit unzweideutig zweideutigem Inhalt. Das ist ein Beispiel. In Ihrer Sammlung finden sich ja noch weitere Werke mit eindeutig erotischen Motiven, bei Füssli zum Beispiel.

Ja, da müssten Sie erst einmal die Zeichnungen sehen, fast zum Erröten!



Deutscher (?) Meister des 16. Jahrhunderts: «Vulkan und Ceres».

Deutscher (?) Meister des 16. Jahrhunderts: «Vulkan und Ceres». (Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

Sie leihen nicht nur Bilder, sie verschenken auch Werke, zuletzt zwei hochkarätige Zeichnungen von Hans Baldung Grien und Pieter Bruegel d. Ä. ans Kunstmuseum Basel. Warum verschenken Sie Kunst?

Was soll ich damit bis in alle Ewigkeit anfangen? Ich habe keine direkten Erben. Die beiden Zeichnungen kann niemand bezahlen, selbst die Erbschaftssteuer nicht. Und ich bin der Meinung, dass diese beiden Zeichnungen in ein Museum gehören und für die Öffentlichkeit immer zugänglich sein sollen. Ein eigenes Museum möchte ich nicht aufbauen – ich will kein Mausoleum.

Sie haben auch schon die Fondation Beyeler und die Guggenheim Collection beschenkt. Sind das die drei Häuser, die Ihnen am nächsten stehen?

Die Guggenheim Collection hat noch nichts, möchte aber etwas haben. Ja, es sind die drei Museen, die mir am nächsten stehen.

Auch Ihr Stief-Schwiegervater Robert von Hirsch hat das Kunstmuseum reich beschenkt, mit Meisterwerken von Gauguin, Cézanne oder Lucas Cranach d. Ä, die heute zu den Höhepunkten der Sammlung gehören. Aber von Hirsch hatte keine gute Beziehung zum damaligen Kunstmuseumsdirektor Franz Meyer …

… ganz und gar nicht. Er war mit der Ankaufspolitik des Museums nicht einverstanden. Und enttäuscht, wie die damalige Museumskommission mit ihm umging.

Es kam zum Streit. Robert von Hirsch zog kurz vor seinem Tod 1977 ein namhaftes Schenkungsversprechen zurück. Sie waren damals unter Museumsdirektor Meyer als Restauratorin tätig. War das schwierig für Sie?

Es hat mich nicht sehr beeinflusst. Robert von Hirsch hat mit seiner Reaktion auch etwas übertrieben. Was ihm, wie man auf Schwyzerdütsch sagt, letztlich den Nuggi rausgehauen hat, war der Ankauf von Beuys‘ «Feuerstätte». Gleichzeitig bedauerte er, dass ein Werk von Brancusi, den von Hirsch sehr verehrte, nicht angekauft wurde.

Robert von Hirsch versuchte, sich in die Ankaufspolitik des Museums einzumischen

… am Anfang nicht! Die erste grosszügige Tat war die Schenkung des Gauguin-Bildes. Das geschah aus reiner Dankbarkeit, dass er in Basel heimisch werden konnte. Er hat oft Geld gegeben für Ankäufe, zum Beispiel von Cézanne-Zeichnungen. (Ich werde auch immer wieder angefragt, nur leider von drei Museen und nicht nur von einem.) Er hatte seine Probleme mit den zeitgenössischen Künstlern. Mein Mann war auch ein bisschen so. Wenn ich nicht gedrängt hätte, wären Matthew Barney, Jeff Koons und so weiter nicht in unsere Sammlung gelangt – Tinguely hätte er auch selber gekauft, weil er den Künstler so gut und sympathisch fand.

Sie haben ein Flair für zeitgenössische Kunst, also auch eine gute Beziehung zum Kunstmuseum, das ja Ihre Sammlung zeigte beziehungsweise zeigen durfte?

Die Beziehung ist sehr gut. Ich verstand mich mit Christian Geelhaar gut, mit Katharina Schmidt verstehe ich mich noch immer bestens, mit Bernhard Mendes Bürgi auch, und jetzt freue ich mich auf den neuen Direktor, Josef Helfenstein.

«Dass das Kunstmuseum mich in den Stiftungsrat nahm, war sicher nicht Zufall.»

Das Kunstmuseum pflegt die Beziehung zu Ihnen. Das geschieht wohl nicht ohne Hintergedanken?

Natürlich ist das nicht uneigennützig, das ist aber auch klar und völlig normal. Dass das Museum mich in den Stiftungsrat nahm, war sicher nicht Zufall. Ich würde als Museumsdirektor genau so handeln. Aber ich setze mich gerne für das Fundraising ein und mache hier auch viel. Aber die Museen müssen sich mit den Sammlern und Leihgebern gut verstehen. Es gäbe auch andere Museen, die sich wie verrückt über Schenkungen freuen würden.

Auch wenn es vor allem die Zuwendung eines hoffnungsfrohen zukünftigen Erben ist?

Ja. Das ist völlig legitim, denn das Kunstmuseum kann die Werke, die es braucht, schon lange nicht mehr alleine kaufen. Was übrigens soeben passiert ist mit zwei Rembrandt-Gemälden; sie wurden gemeinsam vom Louvre in Paris und vom Rijksmuseum in Amsterdam gekauft!

Nicht immer läuft es gut in der Beziehung zwischen Leihgebern und Museum. Die Nachrichten über den Abzug der Sammlung Staechelin und den Verkauf von Gauguins «Nafea» sind noch sehr präsent.

Ein bisschen kann ich verstehen, dass Rudolf Staechelin das Bild verkauft hat – er hat ja immer wieder Werke verkauft, obschon ich nicht glaube, dass es ihm an Geld mangelt. Und was will er mit dem ganzen Geld anfangen? Er muss ja erst einmal sehr, sehr viel an Steuern bezahlen. Man spricht von einer Verkaufssumme von 300 Millionen Dollar. Staechelin sagte mir allerdings, dass es nicht ganz so viel ist. Ich verstehe aber nicht so wirklich, warum er alle Werke aus Basel abzieht. Er hat mir gesagt, dass er der ständigen Diskussionen um seine Leihgaben müde sei.

In diesem Zusammenhang wurden Vorwürfe an die Politik, namentlich an die Adresse von Regierungspräsident Guy Morin und Kulturchef Philippe Bischof laut, sie hätten sich nicht genügend für den Verbleib der Sammlung stark gemacht. Hat die Basler Politik versagt?

Ich will nicht in das ständige Herumgemeckere einstimmen. Gerechterweise müsste man da zeitlich weit zurückgreifen; es sind nicht nur die heutigen Verantwortlichen, die man fragen muss. Aber die Kritiker sollen es erst einmal besser machen. Ich bin da grosszügiger.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

Bei der Ausstellung «For Your Eyes Only» war Ihre Sammlung als Sammlung zu bewundern. Wenn Sie nun Werke einzeln verschenken, tut es Ihnen nicht weh, wenn das Konvolut auseinandergerissen wird?

Ein bisschen. Aber auch wieder nicht. Ich bin wohl anders als andere Sammler. Ich freue mich über die Kunst, sie interessiert mich, ich möchte auch noch immer stetig etwas dazulernen. Aber ich bin nicht so besitzergreifend. Deshalb verschenke ich und leihe ich gerne aus. Es ist mir wichtig zu betonen: Eine Sammlung, Kunstwerke, sind Leihgaben auf Lebenszeit. Punkt und fertig! Gehen wir jetzt noch ein paar Bilder anschauen? 

Ulla Dreyfus ist in Köln in einer kunstaffinen Familie aufgewachsen. Das beeinflusste auch ihren beruflichen Werdegang. Sie studierte Kunstgeschichte und liess sich zur Restauratorin ausbilden. Dieser Beruf brachte sie schliesslich nach Basel ins Restaurierungs-Atelier des Kunstmuseums. Hier lernte sie ihren Mann kennen, den Privatbankier und Kunstsammler Richard Dreyfus. Nach dem Tod ihres Mannes frönte sie der Sammelleidenschaft weiter. Daneben engagiert sie sich auch für Museen, die sie grosszügig mit Leihgaben und Schenkungen beglückt. Sie ist auch Mitglied von Stiftungsräten, wie der Stiftung für das Kunstmuseum Basel sowie der renommierten Guggenheim Foundation in New York und Venedig.

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