«Man gibt einen Teil der Verantwortung ab»

Für den ehemaligen Basler Co-Ombudsmann Dieter von Blarer war schon vor Monaten klar, dass die BVB-Spitze einen schweren Stand haben wird. Überrascht ist er aber darüber, wie schnell es ging, bis die Köpfe rollten.

«Es zählen nicht nur klare Regeln, sondern auch der menschliche Kontakt»: Co-Ombudsmann Dietervon Blarer trat Ende Jahr zurück. (Bild: Stefan Bohrer)

Für den ehemaligen Basler Co-Ombudsmann Dieter von Blarer war schon vor Monaten klar, dass die BVB-Spitze einen schweren Stand haben wird. Überrascht ist er aber darüber, wie schnell es ging, bis die Köpfe rollten.

Acht Jahre lang inter­venierte und vermittelte Dieter von ­Blarer als Co-Ombudsmann zwischen der Bevölkerung und der Verwaltung des Kantons Basel-Stadt. Ende 2013 war Schluss damit. Der 57-Jährige will nun sein Engagement in internationalen Konfliktgebieten im Auftrag des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angele­gen­hei­ten (EDA) ausbauen.

Dieter von Blarer war eine der ­ersten Personen in Basel, die von den Unruhen bei den Basler Verkehrs-­Betrieben (BVB) Wind bekamen. Bereits vor einem halben Jahr musste er sich mit der BVB-Affäre auseinandersetzen. Es stelle sich nun schon die Frage, ob die Auslagerung der BVB politisch richtig gewesen sei, sagt er im Interview. Zudem verrät von Blarer, wieso er einmal im Gefängnis war, und er spricht über seine adligen Vorfahren.

Herr von Blarer, bei den BVB geht es momentan übel zu und her. Überrascht Sie das?

Nein, zumal sich zuvor mehrere BVB-Mitarbeitende an die Ombudsstelle gewandt hatten und es sich für mich abzeichnete, dass es schwierig werden würde für die Führung der BVB.

Über was haben sich diese Personen beschwert?

Die Mitarbeitenden haben sich darüber beklagt, wie mit ihnen umgegangen wird bei den BVB. Zudem haben sie uns Hinweise gegeben, die dann von der Finanzkontrolle überprüft wurden.

Der inzwischen entlassene BVB-Direktor Jürg Baumgartner ­belästigte mehrere Mitarbeiterinnen mit obszönen Fotos und SMS. Wurde dies ebenfalls bei der Ombudsstelle beanstandet?

Nein, davon haben wir nichts mitbekommen.

Wann mussten Sie sich erstmals mit der BVB-Affäre auseinandersetzen?

Im Sommer, also vor einem halben Jahr, fing es mit den ersten Beschwerden an. Seither hatten wir ­immer wieder Personen bei uns, die sich über die BVB beklagten.

Wurde rasch genug reagiert?

Ich bin einigermassen erstaunt, wie schnell alles über die Bühne ging. Von der ersten Beschwerde bis zu den ersten Personalentscheidungen vergingen knapp sechs Monate. Das ist aus meiner Sicht relativ zackig. Die Finanzkontrolle hat rasch und effektiv gearbeitet.

«Die Wahl von Politikerinnen und Politikern in die Kontrollgremien ist offenbar auch keine Garantie für eine effektive Kontrolle»

Die vom Kanton ausgelagerten Betriebe machen Probleme. ­Verzeichnet die Ombudsstelle seit den Auslagerungen mehr ­Beschwerden?

Nicht wirklich. Wir haben jährlich rund 500 Fälle, diese Zahl ist seit 2009 stabil. Beschwerden von Mitarbeitenden wie bei den BVB sind sonst eher selten. Dass es bei den BVB so weit gekommen ist, hat nicht nur mit der Auslagerung zu tun. Aber diese schwächt die direkte ­demokratische Kontrolle über verselbstständigte Betriebe. Die Wahl von Politikerinnen und Politikern – oder von den politischen Parteien vorgeschlagenen Personen – in die Kontrollgremien ist offenbar auch keine Garantie für eine effektive Kontrolle. Der Faktor Mensch lässt sich leider nicht immer kontrollieren. Deshalb ist von Anfang an die Glaubwürdigkeit der Kontrollmechanismen zentral – ­sozusagen, um der Versuchung vorzubeugen.

Die Politiker haben also versagt?

Das würde ich so nicht sagen. Ob eine reine Professionalisierung eine glaubwürdigere Kontrolle bewirkt, ist nicht sicher. Sowohl der Verwaltungsratspräsident als auch der Direktor der BVB waren ja Profis. Je weiter ein Unternehmen von den Verwaltungsstrukturen weg ist, desto schwieriger wird die Kontrolle. Die demokratische Kontrolle besteht momentan nur noch daraus, dass der Grosse Rat und die Regierung ihre Vertreter in den Verwaltungsrat wählen. Strukturell mag dies richtig sein, jedoch gibt man einen grossen Teil der Verantwortung ab. Wir ­sehen dies im Falle der BVB: Am Schluss müssen erneut die demo­kratischen Kontrollorgane «auf­räumen». ­Warum soll denn für so­genannte selbstständige Kontroll­organe – wie beispielsweise BVB-Verwaltungs­räte – Geld ausgegeben werden, wenn diese nicht in der Lage sind, die Kontrolle wahrzunehmen und von einem Präsidenten manipuliert werden? Mit Manipulieren meine ich vor allem das Vorenthalten von Informationen, die für eine effektive Kontrolle unabdingbar sind.

Sie sind also gegen solche Auslagerungen?

Es stellt sich schon die Frage, ob die Auslagerung der BVB und anderer Betriebe politisch richtig war. Denn bei einer Auslagerung scheint doch ein mentales Umdenken stattzufinden.

Wie?

So, dass sich Führungsgremien so verhalten, als wäre dies ihr Betrieb. Aber Tatsache ist, dass diese Betriebe öffentlich-rechtlich sind und nicht privatrechtlich. Deshalb braucht es die demokratische Kontrolle und Transparenz. Hier spielt die Finanzkontrolle, aber auch die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates eine wichtige Rolle. Ich bezweifle im Übrigen, dass eine Auslagerung auch immer zu wirtschaftlichem Erfolg führt. Die Verwaltung kann meines Erachtens ebenso wirtschaftlich erfolgreich agieren.

Bekommen Sie eigentlich ab und zu Hinweise, dass sich Verwaltungsmitarbeitende daneben verhalten?

Es geht. Wir hatten auch schon Beschwerden wegen Arbeitszeiten. Der Hinweis lautete, dass in einer Abteilung gewisse Vorgesetzte ihre Arbeitszeit manipulieren würden. Wir haben angeregt, die Kontrollmechanismen betreffend Arbeits­zeiten im gesamten Betrieb zu überprüfen. Die Probleme waren teilweise strukturell bedingt: Gewisse Kader hatten die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten selbst zu kontrollieren. Dies konnte über die Änderung von Kontrollmechanismen behoben werden.

Um welche Abteilung handelt es sich da?

Das kann ich Ihnen leider nicht ­sagen (lacht).

«Heute ist alles klarer geregelt. Das macht es aber schwieriger, den Individualfall mit Augenmass zu beurteilen.»

Schade. Was beschäftigt die ­Leute sonst noch, die an die ­Ombudsstelle gelangen?

In letzter Zeit stellen wir einen Schwerpunktwechsel fest. Als wir 2006 anfingen, hatten wir relativ viele Fälle wegen der Sozialhilfe und dem Verhalten der Polizei. Das sind zwar immer noch wichtige Themen, aber die Steuerverwaltung beschäftigt uns zurzeit am meisten.

Und wieso nervt man sich über die Steuerverwaltung?

Es geht meistens um verpasste Fristen oder Steuererlasse. Vor ein paar Jahren wurde vom Grossen Rat das Steuergesetz geändert. Die Änderung führte dazu, dass es für Leute nun schwieriger ist, einen Steuer­erlass zu bekommen.

Ein Problem?

Im einzelnen Fall kann dies sehr dramatisch sein. Es macht für ­gewisse Menschen viel aus, ob sie 100 Franken mehr oder weniger haben im Monat. Früher konnten sich beispielsweise Personen, die Ergänzungsleistungen beziehen, darauf verlassen, dass sie einen Erlass bekommen. Heute ist dies nicht mehr so. Es ist aus Sicht der Betroffenen bürokratischer geworden. Früher war der Steuererlass eine Art Gnadenakt. Man zeigte sich auf der ­Steuerverwaltung, erklärte seine ­Situation, und die zuständige Person entschied mit relativ viel Spielraum, ob sie die Steuern erlässt oder nicht. Jetzt hat man zwar eine klare gesetzliche Grundlage, was zu weniger Willkür und zu mehr Rechtsstaatlichkeit führt. Trotzdem gibt es interessanterweise nach meiner Wahrnehmung mehr Konflikte.

Dennoch läuft es heute korrekter ab.

Rechtlich schon. Aber wir merken, dass es mehr Reibungsflächen zwischen den Betroffenen und der Steuerverwaltung gibt. Eine Verbesserung des Rechtsstaats heisst nicht immer, dass die Situation automatisch auch besser wird für die Menschen. Denn eine Formalisierung und Bürokratisierung führt auch dazu, dass der Zugang für die Bevölkerung erschwert wird.

Die Bürokratisierung scheint ­gerade in Basel immer grössere Dimensionen anzunehmen.

Ich würde nicht sagen, dass dies nur ein Basler Phänomen ist. Es besteht doch in der ganzen Schweiz die Tendenz, die Beziehung zwischen dem Staat und dem Einzelnen zu verrechtlichen oder eben zu bürokra­tisieren. Früher spielte der gesunde Menschenverstand noch eine Rolle, der auch mal in Willkür enden konnte. Heute ist alles klarer geregelt. Das macht es aber auch schwieriger, den Individualfall mit Augenmass zu beurteilen.

Sie haben es bereits erwähnt: Beanstandungen wegen der Polizei gehen zurück. An was liegt das?

Vor und nach der Anti-WEF-Demo 2008, als die Polizei mehrere Personen bis zu 12 Stunden festhielt, hatten wir viele Beschwerden wegen der Polizei – gerade von jungen Männern. Das Sicherheitsdepartement unter Hanspeter Gass hat nach diesen Vorkommnissen dann eine interne Untersuchung eingeleitet. Es wurden Richtlinien angepasst, was das Verhalten der Polizisten ­beeinflusste. Das führte zu einer merklichen Verbesserung. Seither haben wir weniger Reklamationen diesbezüglich.

Macht die Basler Verwaltung ­allgemein einen guten Job?

Ja, zweifellos.

Und wieso braucht es die Ombudsstelle dann noch?

Sie ist eine sehr wichtige, niederschwellige Anlaufstelle. Wir zeigen, wie man mit der Verwaltung umgehen sollte, und wirken vermittelnd zwischen Betroffenen und der Verwaltung. Es ist auch wichtig, dass die Verwaltung weiss, dass es eine Ombudsstelle gibt, zumal das einen Einfluss auf ihr Verhalten haben kann.

«Ich finde es faszinierend, etwas auf verschiedenen Ebenen auszuloten und die Menschen zusammenzubringen, damit sie miteinander kommunizieren.»

Gibt es denn nirgendwo Verbesserungspotenzial bei der Basler Verwaltung?

Das ist schwierig zu sagen. Aber ich glaube, man muss aufpassen, dass nicht das Gefühl entsteht, eine Bürokratisierung oder Verrechtlichung würde auch das Verhältnis zwischen Einwohnern und Verwaltung automatisch verbessern. Denn letztendlich zählen nicht nur klare Regeln, sondern auch der direkte, menschliche Kontakt.

Sie hören Ende Jahr als Ombudsmann auf. Wurde es Ihnen langweilig, weil die Verwaltung offenbar so sauber arbeitet?

Das ist jetzt eine etwas saloppe Zusammenfassung (lacht). Ich habe mich in meinem Berufsleben 24 Jahre um Individualfälle gekümmert. Ich habe wieder mehr Lust, mich mit Projekten auseinanderzusetzen. Und mit 58 ist dies noch eher möglich – ein paar Jahre später würde es wohl schwieriger.

Wissen Sie schon, wie es ab ­Januar weitergeht?

Ich betreue neben der Ombudsstelle hin und wieder Projekte für das ­Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten. So leitete ich von 2002 bis 2005 Projekte in Zentralasien. Schwerpunkt ­meiner dortigen Arbeit waren Menschenrechtsprojekte und Konfliktmanagement. Ich habe vor, diese Tätigkeit wieder auszuweiten.

Sie waren ebenfalls im Irak und im Kosovo. In diesen Ländern haben Sie bestimmt schlimme Situationen angetroffen.

Im Kosovo war ich 1999 für die OSZE tätig, unmittelbar nach dem Krieg. Ich war dort unter anderem für das Monitoring und Reporting von Menschenrechtsfragen verantwortlich und leitete ein Team von 15 internationalen und kosovarischen Menschenrechtsbeobachtern. Zu der Zeit wurden auch Gräber mit Kriegsopfern gefunden, das war sehr bedrückend – aber auch aussergewöhnlich.

Was fasziniert Sie an dieser ­Arbeit?

Dass man Ideen entwickeln kann mit den betroffenen Menschen und den staatlichen Akteuren. Ich finde es faszinierend, etwas auf verschiedenen Ebenen auszuloten und die Menschen zusammenzubringen, damit sie miteinander kommunizieren. In Kirgistan beispielsweise ging es um Gewalt bei Demonstrationen. Dort war die Zivilgesellschaft, aber auch die Polizei mit der Situation überfordert. Wir haben versucht, die verschiedenen Akteure an einen Tisch zu bringen und mit ihnen minimale Verhaltensregeln zu verhandeln und einzuüben.

Diese Aufgabe kann aber auch sehr frustrierend sein.

Wir sind hier privilegiert, weil es uns wirtschaftlich gut geht und der Rechtsstaat funktioniert. In manchen Ländern ist dies nur teilweise oder nur zu einem kleinen Teil der Fall. Natürlich kann es frustrierend sein, die Freude ist aber umso grös­ser, wenn es mal in kleinen Schritten vorwärtsgeht.

Sie stammen aus einer adligen Familie. Ihr Vater war im Militär Hauptmann, ebenso war er für die CVP Gemeindepräsident von Aesch. Sie gelten aber eher als Linker und haben den Dienst verweigert. Wie kam es dazu?

Meine Familie kam nach Basel, weil der Bruder meines direkten Vorfahren Fürstbischof von Basel wurde. Sie haben mal im Pfeffinger Schloss gewohnt, später in Aesch in der heutigen Gemeindeverwaltung. Meine Vorfahren waren Vögte bis zur Französischen Revolution. Dann ­verloren sie viel Land und gingen ­gelegentlich auch Konkurs. Ja, meine ganze Familie war im Militär, mein Ur-Ur-Grossonkel hat das Baselbiet bei der Hülftenschanz sogar angeführt. Die Rekrutenschule habe ich noch besucht, 1978 war ich in Brasilien während der Militärdiktatur. Da hat es mir so abgelöscht, dass ich ­danach den Dienst verweigert habe.

«1978 war ich in Brasilien während der Militärdiktatur. Da hat es mir so abgelöscht, dass ich ­danach den Dienst verweigert habe.»

Wohl sehr zum Entsetzen Ihres Vaters?

Schon. Ich hatte vorher immer wieder Auseinandersetzungen mit ihm deswegen. Er hat meinen Entscheid irgendwann akzeptiert und besuchte mich auch mal im Knast. Ich musste wegen meines Entscheids ja dreieinhalb Monate ins Gefängnis. Immerhin wurde mir mit der Zeit auch klar, dass ich in den 1930er- und 1940er-Jahren wohl Offizier geworden wäre. Das konnte ich ja meinem Vater auch erklären.

Und in die Politik wollten Sie nie?

Bei uns zu Hause wurde relativ offen politisiert. Die politischen Aktivitäten meines Vaters und meines Grossvaters haben auch noch für mich ­gereicht. Ich verspürte nie wirklich Lust dazu. Aber natürlich interessiert mich Politik und ich empfinde mich als politisch denkenden Zeitgenossen.

In einem Interview sagten Sie einst, dass Sie wegen Ihrer adliger Herkunft gelitten hätten. Wieso?

Das war mehr als Kind der Fall, wenn ich in Konflikten gehänselt wurde mit Sätzen wie: «Musst nicht meinen, du seist etwas Besseres weil …», und so weiter. Aber das hallt nicht nach.

Sie haben ein Rebgut in Aesch. Wieso haben Sie sich gerade für dieses Hobby entschieden?

Hobby würde ich das nicht gerade nennen. Es ist ein Teil der früheren Lehen der Familie, der trotz der ­Wirren der Zeiten in der Familie ­geblieben ist.

Der Kreis schliesst sich.

Genau. Ich könnte mir so etwas nicht leisten, das sind 3,5 Hektaren Reben – ein professioneller Betrieb. Das ist nicht wirklich ein Hobby, sondern eine Mischung aus familiärer Tradition, Freude am Gestalten und dem Willen oder Wunsch, das Erbe dann weitergeben zu können.

Dieter von Blarer
Dieter von Blarer (Jahrgang 1956) arbeitet seit Januar 2006 als Basler Co-Ombudsmann, Ende Dezember gibt er diese Tätigkeit auf. Nach seinem Jus-Studium an der Universität Freiburg im Üechtland war von Blarer während 15 Jahren Partner in einer Anwaltskanzlei in Aesch. 1991 war er für das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) im Irak. Von 1999 bis 2002 war er im Kosovo. Als Leiter der Untersuchungsabteilung der Ombudsperson im Kosovo behandelte er unter anderem Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Vernachlässigung von Strafuntersuchungen gegen die UNO-Polizei. Anschliessend leitete er bis 2005 für die EDA innerstaatliche und regionale Projekte in Zentralasien.Dieter von Blarer ist verheiratet und lebt in Aesch. Dort führt er auch ein Familien-Weingut.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.12.13

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