«Man muss aufhören, solange noch ein paar Leute klatschen»

Jörg Schild hält die olympischen Reformbemühungen für den richtigen Weg und bedauert die verpassten Chancen des Weltfussballverbandes Fifa. Schild, der 2016 nach elf Jahren als Präsident der Dachorganisation des Schweizer Sports und damit auch des Nationalen Olympischen Komitees abtreten wird, begrüsst die Altersguillotine für Sportfunktionäre und sorgt sich um das Image des Sports allgemein.

(Bild: Basile Bornand)

Jörg Schild hält die olympischen Reformbemühungen für den richtigen Weg und bedauert die verpassten Chancen des Weltfussballverbandes Fifa. Schild, der 2016 nach elf Jahren als Präsident der Dachorganisation des Schweizer Sports und damit auch des Nationalen Olympischen Komitees abtreten wird, begrüsst die Altersguillotine für Sportfunktionäre und sorgt sich um das Image des Sports allgemein.

Jörg Schild, bei allen Verdiensten, die man Jacques Rogge zuschreibt, ist er als IOC-Präsident an der Eindämmung des Gigantismus der Spiele gescheitert. Mit Sotschi als negativem Höhepunkt. Hat sein Nachfolger Thomas Bach mit seiner Reformagenda eine Chance?
Man darf nicht die Illusion haben, dass nun alles sofort umgesetzt wird. Wenn ich an den Kongress der Nationalen Olympischen Komitees im November in Bangkok zurückdenke, wie da Sachen mit Applaus und zum Teil ohne Abstimmung durchgewinkt wurden – das ist schon ein eigenes Völkchen. Bevor ich klatsche, will ich jetzt erst einmal sehen, dass etwas läuft.

Weil Sie nach der Abstimmungsniederlage über Olympische Winterspiele in Graubünden ein gebranntes Kind sind?
Sotschi und der Gigantismus haben uns natürlich unheimlich geschadet durch die Angst vor einem zweiten Sotschi. Und dann der Ruf der grossen internationalen Verbände. Wenn man unser Konzept anschaut, dann sind wir zwei Jahre zu früh gekommen. Aber das Ganze hat etwas ausgelöst. Wir haben uns in Sotschi, in den Bergen von Roza Khutor, zusammengetan, die vier Verlierer demokratischer Abstimmungen aus Österreich, Deutschland, Schweden und der Schweiz. Wir waren der Ansicht: Wenn man Spiele noch will in einem Land, in dem Volksabstimmungen kein Fremdwort sind, dann muss man über die Bücher gehen. Deshalb ist eine gewisse Befriedigung da, dass alles, was wir in unserem Papier aufgeführt haben, übernommen worden ist.

Wie lange machen Sie denn noch als Präsident von Swiss Olympic weiter?
Am Ende des Jahres, in dem man 70 wird, hört man auf. Und ich bin noch einmal gewählt bis Ende 2016. Nach Rio ist Schluss, dann habe ich das elf Jahre lang gemacht.

Wie beurteilen Sie als Jurist das Gesetz, das im Herbst in der Schweiz verabschiedet wurde und mit dem den Geldströmen in den Verbänden und der Protagonisten an der Spitze nachgegangen werden kann? Dringend nötig oder auch eine Gefahr für die Schweiz als Standort vieler internationaler Verbände?
Ja gut, wenn die Schweiz bemüht ist um ein besseres Image, was ja notwendig war nach gewissen Vorkommnissen im Bankensektor, dann muss man Verständnis haben. Ob man nun PEP (politisch exponierte Person; Anm. d. Red.) ist oder nicht – wenn man sauber geschafft hat, dann hat man nichts zu befürchten.

Auf der Weltkarte des Sports ist einiges in Bewegung. Der Einfluss von Europa und Nordamerika ist nicht mehr vergleichbar mit früher. Die Strippenzieher kommen jetzt aus Asien oder dem arabischen Raum. Was verändert sich da?
Sicher verliert Europa an Bedeutung. Das hängt auch an den politischen Systemen. Die Rollen haben sich verschoben, nicht zuletzt wegen des Geldes. Ein Mann wie Putin kann seinem Land Olympische Spiele, salopp ausgedrückt, verordnen. Und wir müssen oder dürfen über jeden Franken abstimmen. Das ist mittlerweile nicht mehr nur in der Schweiz so und selbstverständlich eine gute Sache. So wie es bislang gelaufen ist, haben wir keine Chance mehr, in einem demokratisch geführten Land Olympische Spiele durchzukriegen bei der Bevölkerung. Und solange es Leute beim IOC gibt, die sagen: Was willst du denn? Wir haben doch andere Kandidaten – ja gut. Jetzt haben wir für die Winterspiele 2022 noch Almaty in Kasachstan und Peking. In Basel gab es als 1.-April-Scherz auch schon mal einen Slalom am Spalenberg.

Ist Joseph Blatters Abgang an der Spitze der Fifa überfällig?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich finde es schade, dass die Fifa nicht den Mumm gehabt hat, die Gelegenheit mit Mark Pieth, mit dem ich in Basel studiert habe, beim Schopf zu packen. Ich bewundere Pieth (Basler Strafrechtsprofessor und von der Fifa mit einer Reform beauftragt; Anm. d. Red.) dafür, was er an Veränderungen in der Fifa angestossen hat.

Wir bedauern ihn eher dafür, dass er als Feigenblatt benutzt wurde.
So habe ich es nicht wahrgenommen. Er hat den Finger auf wunde Punkte gelegt. Es ist wahnsinnig schade, dass die Fifa im Zusammenhang mit der WM-Vergabe nach Katar den Untersuchungsbericht nicht offengelegt hat. Das wäre ein grosser Schritt gewesen. Und ich verstehe nicht, warum es die Fifa als einer der letzten Verbände verpasst hat, in der der Altersfrage einen Schritt weiter zu gehen. Ich freue mich jedenfalls, dass ich mit siebzig wieder etwas anderes machen kann.

Der Grund liegt bei der Fifa doch auf der Hand: Ansonsten könnte Blatter mit seinen bald 79 Jahren nicht mehr wiedergewählt werden. Können Sie sich eigentlich ausser dem Machterhaltungstrieb erklären, warum der Mann nicht beiseite tritt?
Ich kenne ihn zwar, aber ich kann nicht in ihn hineinsehen. Er hat viel für den Weltfussballverband gemacht, vor allem auch im finanziellen Sektor. Nach so vielen Jahren an der Spitze wäre es für mich ein Grund mehr, zu sagen, jetzt ist es genug. Aber das muss der Sepp selbst wissen. Und wenn die Delegierten ihn halt wählen … (zuckt mit den Schultern).

Man weiss es gar nicht genau, wer das schlechtere Image hat: die Fifa oder das IOC. Gleichwohl hat man das Gefühl, dass sich die olympische Bewegung mit ihren Reformanstrengungen auf einem besseren Weg befindet – oder wird das IOC weiter unter dem Ruf des anderen grossen Weltverbandes leiden?
Ein Image-Ranking möchte ich nicht machen. Zuerst sollte man vor der eigenen Haustüre kehren. Wenn von Korruption geredet wird, dann betrifft das Einzelne, aber in jedem Verband, auf den mit Fingern gezeigt wird, hat es auch gute, fähige Leute. Nur erwarte ich, dass diese guten Leute ein bisschen mehr Einfluss nehmen.

Lassen Sie uns raten: von Christian Constantin im Wallis. Der Präsident des FC Sion hat ja vollmundig angekündigt, die Spiele ins Wallis holen zu wollen.
Nicht nur von ihm. Aber ich habe das Gefühl: Wenn man heute eine Volksabstimmung in der Schweiz durchbringt, dann am ehesten im Wallis.

Ist denn das Sion-Trauma von 1999 überwunden?
Trauma! Ich kann es nicht mehr hören.

Fragen Sie mal alt Bundesrat Adolf Ogi.
Wir schauen nach vorne und sind offen. Und ich finde, wir haben mehrere Regionen in der Schweiz, die für Winterspiele eine sehr gute Kandidatur aufstellen könnten. Es gibt ein paar interessante Dinge, die das IOC ändern will. Bobbahnen sind mit das Teuerste und werden hinterher nicht mehr gebraucht. Jetzt kann man auch in Nachbarländern auf bestehende Bahnen gehen. Das ist doch schon mal ein Fortschritt. In der Bewerbung für die Youth-Spiele 2020 in Lausanne haben wir die Biathlon-Wettbewerbe ein paar Meter weiter über der Grenze in Frankreich vorgesehen.

Machen Jugendspiele, 2010 zum ersten Mal in Singapur, 2012 dann in Innsbruck ausgetragen, wirklich Sinn?
Die weltweiten Youth Olympic Games sind das Vermächtnis von Jacques Rogge. Hinter vorgehaltener Hand ist man noch nicht restlos überzeugt. Es gibt ja alle zwei Jahre auch europäische Jugendspiele im Sommer und im Winter, jüngst in Malbun und im Montafon …

… die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden. Wie stehen denn die Chancen für Lausanne gegen die rumänische Stadt Brasov?
Sicher hat Lausanne Chancen, aber man darf es nicht auf die leichte Schulter nehmen, nur weil das IOC seinen Sitz in Lausanne hat.

«Europäische Spiele in Baku? Wir sind dagegen gewesen. Mir ist das Ganze zu wenig koordiniert.»

Zur Unübersichtlichkeit im Kalender tragen künftig die europäischen Spiele bei, die in diesem Jahr erstmals in Aserbaidschans Hauptstadt Baku ausgetragen werden. Hat es das auch noch gebraucht?
Wir sind dagegen gewesen. Aber es sind nur sieben, acht Länder gewesen, die dagegen gestimmt haben. Die Idee ist toll, weil sie nicht-olympische Sportarten einbezieht, und wir sind der letzte Kontinent, der solche Spiele nicht kennt. Sie ziehen es auch nicht ungeschickt auf, weil man sich in Baku für Olympia in Rio 2016 qualifizieren kann. Und die Schweiz hat, so wie es aussieht, eine grössere Delegation als bei Olympischen Spielen. Aber es führt zu einer Verwässerung, und es ist eine Selektion mehr, nicht nur für Swiss Olympic, sondern auch für unsere Verbände. Und solange man nicht fähig ist, den Termin der Youth Olympic Games für andere Veranstaltungen zu sperren, solange gleichzeitig noch U17- oder U19-Weltmeisterschaften stattfinden, macht das einfach keinen Sinn. Mir ist das Ganze zu wenig koordiniert.

Diese europäischen Spiele wurden doch nur erfunden, um einem durch Erdöl und Erdgas reich gewordenen Land wie Aserbaidschan eine Bühne zu bereiten. Mit der Kandidatur für Olympische Spiele ist Baku abgeblitzt, und für diese Europaspiele gab es nur diese eine Bewerbung.
Es hätten sich auch andere bewerben können. Ich war im November vergangenen Jahres in Baku und war positiv überrascht von der Stadt. Aber da sind wir wieder an dem Punkt: Wer macht solche Spiele noch? In Baku hat es keine Volksabstimmung gebraucht.

Wenn Sie sagen, die Ethik-Charta sollte mehr Bedeutung haben, ist dann das IOC nicht in einer schwachen Position, weil es fast zum Bittsteller geworden ist?
Es wäre doch einfach, wenn das IOC den nationalen Organisationen eine Frist setzt, bis zu der jedes Land eine olympische Charta vorweisen muss, die mit jener des IOC übereinstimmt. Und wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es entweder weniger Geld vom IOC oder es droht der Ausschluss. Es gemahnt mich an meine frühere politische Zeit: Es braucht häufig kein neues Gesetz. Man muss die bestehenden anwenden.

Jörg Schild

Am 31. März diesen Jahres feiert der Basler Alt Regierungsrat Jörg Schild seinen 69. Geburtstag und im Spätjahr 2016, nach dem Olympischen Spielen von Rio de Janeiro, wird er als Präsident von Swiss Olympic abtreten. Der Dachorganisation der Schweizer Sportverbände, die gleichzeitig das Nationale Olympische Komitee darstellt, steht «Jögge» Schild seit 2005 vor. In die Amtszeit des früheren Handball-Nationalspielerns und FDP-Politikers mit zweitem Wohnsitz in Flims fällt unter anderem die Abstimmung in Graubünden vor zwei Jahren, als das Volk der Kandidatur für die Winterspiele 2022 den Garaus machte.
» Das Profil von Jörg Schild

Jörg Schild am 14. Januar 2015 bei der Neueröffnung des Begehlagers im Sportmusem in Basel. (Bild: Basile Bornand)

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