«Manchmal nervt der Computer»

Der Schweizer Meister Yannick Pelletier über die Faszination Schach, harte Selbsterkenntnis und Betrug.

«Für die Schweiz ist es recht gut, was ich erreicht habe – weltweit ist es nichts Ausserordentliches.» Yannick Pelletier, Schweizer Meister im Schach. (Bild: Stefan Bohrer)

Der Schweizer Meister Yannick Pelletier über die Faszination Schach, harte Selbsterkenntnis und Betrug.

Mit Rang 274 der Weltrangliste ist Yannick Pelletier derzeit der zweitbeste Schweizer Schachspieler. Seit 1996 verdient er sein Geld als Profi. In Basel weilte der 35-jährige Westschweizer, um seinen Titel am 14. Internationalen Schach­festival zu verteidigen – vergeblich. Hinter dem russischen Grossmeister Boris Grachev wurde er in der Endabrechnung Vierter.

Yannick Pelletier, wie erklären Sie einem Laien, was Schach ist?

Es ist ein extrem faszinierendes Spiel mit enorm vielen Möglichkeiten. Wahrscheinlich zusammen mit «Go» das komplexeste Spiel der Welt. Sogar mit sehr mächtigen Computern ist es noch nicht möglich, für alle Probleme im Spiel Lösungen zu finden. Also ist es wirklich mehr als reines Kalkulieren. Diese Tiefe macht das Schach aus.

Ist Schach denn nun ein Spiel – oder ein Sport?

Ein bisschen alles. Es kann ein Spiel sein. Für mich als Profi ist es ein Sport. Wenn du hart am Schach arbeitest, kann es eine Wissenschaft sein. Und bei den stärksten Spielern der Welt kann man sagen, es ist eine Kunst.

Haben Sie die Stufe erreicht, in der Schach zur Kunst wird?

Nein! Dafür braucht es ein extrem ausgeprägtes Feeling. Es müssen Wissen, Gefühl und Berechnung gemischt werden. Und dazu bringt der Spieler einen Teil von sich selbst ein. Ich habe Fähigkeiten in der Berechnung und im Wissen – aber der Rest geht mir ab.

Welches Niveau können Sie denn noch erreichen?

Ich bin jetzt 35 Jahre alt, das ist das Alter, in dem Schachspieler üblicherweise ihren Zenit erreichen. Und ich spiele nun leider schon seit sieben, acht Jahren auf demselben Niveau. Wenn ich es objektiv betrachte, dann habe ich mein Potenzial wohl ausgeschöpft. Mir fehlt es an Talent, so einfach ist das. Als Ausgleich habe ich hart gearbeitet. Für die Schweiz ist recht gut, was ich erreicht habe – weltweit ist es nichts Ausserordentliches.

Ist dieses Wissen frustrierend?

Wenn es einem bewusst wird, dass es nicht weitergeht, ist es schon ein bisschen ärgerlich (lacht). Aber nachdem ich es realisiert hatte, gab es mir auch eine gewisse Ruhe.

Schach ist wohl die einzige Sportart, in der der Computer den Menschen schlägt. Schmerzt es, einer Maschine unterlegen zu sein?

Nein. Im Schach ist das Kalkulieren nun einmal sehr wichtig, darum ist der Computer sehr stark. Als Mensch muss man im Schach sehr vieles mischen: die Intuition, das Gefühl und das Berechnen. Okay, manchmal nervt der Computer, wenn du eine deiner Partien mit ihm nachspielst, und er zeigt dir einen Fehler, den du gemacht hast. Aber gut, das ist ja seine Stärke – der Computer rechnet. Also ist es normal, dass er bei uns Fehler findet.

Haben die Computer die Art verändert, wie Schach gespielt wird?

Ja, vor allem, was die Spieleröffnung betrifft. Weil man hier viel effizienter arbeiten kann. Nicht nur wegen der Rechenpower des Computers, sondern auch, weil alle Partien gespeichert und abrufbar sind – mehrere Mil­lionen Partien. Vor einigen Jahren war man auf Bücher oder Schach-Hefte angewiesen. Da bestand ein Teil der Arbeit daraus, die Partien überhaupt zu finden. Heute sind beinahe zu viele Daten verfügbar.

Und wie wirkt sich diese Datenfülle auf die Spiele aus?

Jetzt arbeiten alle an der Spieleröffnung, und das hat das Spiel wirklich beeinflusst. Man ist viel stärker auf die Eröffnung konzentriert als auf die Mitte des Spiels oder das Finale. Was schade ist, denn diese beiden Phasen sind eigentlich am interessantesten. Immerhin haben die Computer die besten Spieler auch in der Mitte des Spiels beeinflusst. Weil der Computer bewiesen hat, dass Positionen verteidigt werden können, die man früher als hoffnungslos betrachtet hat.

Ist es trotz des Einflusses der Computer noch immer möglich, den Gegner mit unerwarteten Zügen aus dem Konzept zu bringen?

Ja. Und das ist es, was Schach wirklich spannend macht. Der Computer rechnet nur. Aber der Mensch kann manchmal einen Zug machen, der spekulativ ist, der vielleicht nicht der beste ist, dafür aber den Gegner verwirrt.

Und dann gibt es auch Schachspieler, die betrügen. Sie selbst haben 2011 in Biel wohl gegen jemanden gespielt, der mit Helfern und Mobiltelefonen gemogelt hat.

Ja, das habe ich wohl. Ich wusste, dass man mogeln kann. Aber während der Partie hatte ich keinen Verdacht.

Ist Betrug weiterhin möglich?

Natürlich. Denn die Regeln sind nur theoretisch strenger geworden. Wenn bei jemandem das Telefon klingelt, verliert er die Partie jetzt forfait. Aber kein Betrüger wird sich doch wohl während einer Partie anrufen lassen. Ich bin dafür, dass vor jedem Spiel das Telefon abgegeben werden muss. An die Ma­turprüfung darf man ja auch kein Telefon mitnehmen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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