Matias Delgado: «Du darfst nicht spielen, du musst gewinnen – ich finde das schrecklich»

Mit einer riesigen Erwartungshaltung ist er beim FC Basel empfangen worden. Die grossen Träume konnte Matias Emilio Delgado bislang allerdings nicht wahr werden lassen. Im Interview erklärt er, warum er in dieser Saison nie richtig fit werden konnte, weshalb er sich selbst nicht als Magier sieht – und wieso Eden Hazard besser bei Arsenal spielen sollte.

Matias Delgado: «Ich mag vielleicht persönlich kein gutes Jahr gespielt haben. Aber da die Mannschaft den Titel geholt hat, war es für mich doch eine gute Saison.» (Bild: Keystone/Georgios Kefalas)

Mit einer riesigen Erwartungshaltung ist er beim FC Basel empfangen worden. Die grossen Träume konnte Matias Emilio Delgado bislang allerdings nicht wahr werden lassen. Im Interview erklärt er, warum er in dieser Saison nie richtig fit werden konnte, weshalb er sich selbst nicht als Magier sieht – und wieso Eden Hazard besser bei Arsenal spielen sollte.

Es war die Erfüllung eines riesigen Traums vieler Fans des FC Basel, als vor dem ersten Saisonspiel gegen den FC Aarau ein damals 30-jähriger Argentinier auf einem leicht verwackelten Handy-Video die Menge begrüsste. Matias Emilio Delgado gab seine Rückkehr zum FCB bekannt. Zu jenem Club in dem er von 2003 bis 2006 die Massen verzaubert hatte, ehe er für rund 7,5 Millionen Franken in die Türkei zu Besiktas Istanbul weiterzog.

In der am Sonntag endenden Saison allerdings konnte der heute 31-jährige Spielmacher das Versprechen nicht einlösen, als das viele der rotblauen Anhänger seine Rückkehr betrachteten. Delgado wurde unter dem baldigen Ex-FCB-Trainer Murat Yakin nie zum Stammspieler und setzte, wenn er mal spielen durfte, nur selten Akzente. Der 2:1-Sieg beim Chelsea FC, das war so ein magischer Moment, von dem sich die Basler gerne noch ein paar mehr angeschaut hätten.

Matias Delgado, wie lebt es sich, wenn man die Fantasie der Leute anregt? Wenn man die Menschen zum träumen bringen kann?

Wenn die Leute dich mögen, ist das doch das Beste auf der Welt. Nicht nur als Fussballer. Wenn jemand deinen Namen hört und positiv von dir denkt, dann ist das wunderbar. Das ist wirklich ein Teil dieses Sports, den ich grossartig finde: Die Liebe, die ich von den Fans erhalte. Ich habe gar nicht die Worte, um mich dafür zu bedanken.

Ist es denn nicht auch schwierig? Träume sind immer grösser als die Realität, Sie können den hohen Erwartungen doch kaum gerecht werden, die nach Ihrer Rückkehr mit Ihnen verbunden waren.

Ja, sicher. Aber ich selber habe nie bloss in der Welt der Fussballspieler gelebt. Darum glaube ich es auch gar nicht, wenn jemand mich «Fantasista» oder «Magier» nennt. Weil ich weiss, dass ich das nicht bin, das ist nicht in mir drin. Wenn mich jemand so nennt, gut. Dann bedanke ich mich dafür. Aber ich selber glaube nicht daran. Ich lebe wie ein normaler Mensch und glaube nicht, dass ich etwas Spezielles bin.

«Ich selber hatte das Gefühl, dass ich nicht oft genug gespielt habe.»

Und auf dem Feld, verspüren Sie da nicht den Druck, dass Sie unbedingt einen schwierigen Ball spielen müssen, dass Sie dem Publikum etwas geben müssen, das es verzaubert?

Nein, gar nicht. Ich spiele immer meinen Fussball, meinen Stil. Vielleicht ist er es, der die Leute dazu anregt, in mit etwas zu sehen, das ich eigentlich gar nicht bin? Aber auf dem Feld denke ich nicht daran, dass ich unbedingt etwas Spezielles abliefern muss. Ich will mit Freude spielen und meinen Job machen. Wenn ich den Ball bekomme, dann mache ich einfach, was ich mache, weil es mein Stil ist.

Wenn man schaut, auf wie viele Einsätze die Spieler des FC Basel in dieser Saison kommen, sind sie die Nummer 6 des Teams. Überrascht Sie das?

Es ist lustig, ich habe die Zahl vor der Begegnung mit den Young Boys angeschaut. Und ich war total überrascht, weil ich selber das Gefühl hatte, dass ich nicht oft genug gespielt habe (lacht).

Ihr Gefühl trügt Sie nicht. Denn wenn man nach den effektiven Einsatzminuten geht, dann fallen Sie in der Rangliste auf Platz 15 zurück. Und Sie haben bloss vier Partien komplett durchgespielt. Woran liegt das?

Das ist die Entscheidung des Trainers. Im Fussball ist jedes Spiel anders. Vielleicht hat der Trainer das Gefühl, dass du müde bist oder dass du deinen Job nicht machst und nimmt dich raus. Oder du bist Einwechselspieler. Es gibt immer spezielle Situationen, Entscheidungen, die der Trainer treffen muss. Und als Spieler musst du das einfach akzeptieren.

Und wenn Sie über Ihre Einsätze bestimmen könnten?

Dann würde ich jedes Spiel über 90 Minuten bestreiten. Sogar wenn ich müde bin (lacht).

«Wenn du nicht regelmässig spielst, kannst du nicht fit werden.»

Das wollten wir eben fragen: Wenn Sie nie über 90 Minuten spielen, heisst das dann, dass Sie nicht fit genug sind?

Natürlich, ja. Das ist einer der Punkte, der es für mich in dieser Saison so schwierig gemacht hat, überhaupt fit zu werden. Du kannst jeden Tag trainieren, du kannst Doppelschichten schieben – aber wenn du keine Spiele bestreitest, wirst du nie richtig fit.

Das heisst, Ihnen hat eigentlich während der gesamten Saison der Matchrhythmus gefehlt?

Wenn du viele Spiele hast, bist du nach vier, fünf Spielen in einem Monat vielleicht müde. Aber im Endeffekt ist das das beste Training. Spieler, die häufig spielen, werden physisch besser. Nicht schlechter. Wenn du aber ein Match 60 Minuten spielst, dann bist du wieder auf der Bank, spielst vielleicht zehn Minuten, dann wieder ein Spiel auf der Bank, dann wieder eines für eine Stunde, dann fehlt dir die Kontinuität, um physisch besser zu werden.

Sie konnten also gar nie richtig fit werden?

Ja, ich spiele zu wenig, um fit zu werden. Aber ich habe viel mit Murat Yakin geredet, und er hatte das Gefühl, dass ich nicht die Kraft habe, zwei oder drei Spiele hintereinander zu spielen. Darum war der Plan, dass er mir Ruhepausen gibt. Aber ich würde es vorziehen, vier Spiele in einem Monat zu bestreiten. Vielleicht wäre ich in zweien nicht so gut. Aber in den anderen beiden würde ich mich vielleicht gut fühlen und gut spielen.

Wie haben Sie sich verändert, seit Sie 2006 den FCB in Richtung Besiktas Istanbul verlassen haben?

Ich bin älter (lacht). Die Ruhezeiten sind ganz anders. Ich hatte Verletzungen, der Körper ist nicht derselbe wie damals. Und im Kopf bin ich durch meine Erfahrungen, die ich gemacht habe, ruhiger geworden. Ich überlege mehr als früher. Und meine Erfahrungen helfen mir in schwierigen Zeiten. Wenn du jung bist und du wirst kritisiert, dann denkst du, das sei das Ende der Welt. Heute kann ich mit Kritik viel besser umgehen.

Hat sich der FCB seit damals ebenfalls verändert?

Stark. Er ist unglaublich gewachsen. Wenn du jetzt in der Garderobe bist, dann hast du das Gefühl, dass du in einem wirklich grossen europäischen Club bist. Du siehst auch, mit welchem Respekt die Leute in Europa über den FCB sprechen. Das war früher nicht so. Ich habe viele Freunde rund um den Erdball, die mir sagen, dass sie Spiele des FCB verfolgen, dass sie unsere Spiele mögen.

Und wie hat sich der Fussball gewandelt?

Das ist ja jeweils die Entscheidung des Trainers. Ich spüre aber den Druck, den die Fans ausüben. Es ist klar, sie haben die Spiele gegen Chelsea, Tottenham oder Manchester United miterlebt. Natürlich möchten sie jetzt, dass der FCB in jeder Partie auf diesem Level spielt. Und natürlich ist das nicht ganz so einfach. Also sind sie manchmal unzufrieden damit, wie wir spielen. Was ich auch verstehen kann.

Hat denn nicht auch der Fussball als gesamter Sport in diesen acht Jahren starke Umwälzungen erlebt?

Ich schaue nicht zu viel Fussball. Ich mag es, jenen Teams zuzuschauen, die spielen um zu gewinnen. Aber 60 Prozent aller Mannschaften spielen, um nicht zu verlieren. Gewisse Trainer zerstören den Fussball. Aber so funktioniert es halt. Leute, Firmen stecken Geld in Clubs und wollen dafür Erfolge sehen. Es ist ihnen egal, wie die Erfolge zustande kommen. Und darum ist es wirklich langweilig, gewissen grossen Mannschaften zuzuschauen.

«Was für ein Fussball diese Saison in Basel gespielt wurde? Das ist eine gute Frage.»

Hat sich das nicht etwas zum Positiven verändert? Mit dem Stil, den der FC Barcelona, den das spanische Nationalteam eingeführt haben, schienen zuletzt wieder eher jene Mannschaften zu gewinnen, die sich dem Angriffsfussball verschrieben haben.

Am Ende muss jeder wissen, was er will. Willst du mit Freude Fussball spielen und vielleicht den Halbfinal verlieren? Oder willst du unattraktiven Fussball zeigen – und dafür in den Final kommen? Warum hat jemand das Recht zu sagen: Ich spiele lieber unattraktiv und komme dafür in den Final? Ein Fussballer muss doch spielen.

Und welcher Fussball wurde in dieser Saison in Basel gespielt?

Das ist eine gute Frage. Über die gesamte Saison gesehen, war das Level unseres Spiels gut. Wir hatten sehr gute Spiele, wir hatten aber auch unsere Krisen. Ich habe viele Spiele gesehen, in denen wir richtig guten Fussball gespielt haben – und auch einige, in denen das nicht der Fall war. Aber da kommt dann eben wieder der Druck, dass wir gewinnen müssen, gewinnen müssen, gewinnen müssen. Das ist die erste Botschaft des Fussballs heute: Du darfst nicht spielen, du musst gewinnen. Ich weiss nicht, wie Sie das sehen, aber ich finde es schrecklich.

Nun, es muss ja nicht unbedingt schrecklich aussehen …

… schauen Sie sich doch das Hinspiel im Halbfinal der Champions League zwischen Atletico Madrid und Chelsea an! Keiner wollte das Spiel gewinnen, weil sie beide in den Final kommen wollten. Sie hätten den Ball genau so gut während 90 Minuten auf dem Mittelpunkt liegen lassen können. Aber gut, beide wollten in den Final, also legen sie sich einen Plan zurecht, schnitzen sich eine Taktik – und so sieht der Fussball dann aus.

«Eden Hazard wäre wahrscheinlich glücklicher, wäre er bei Arsenal.»

Das ist nichts für Sie?

Nein, das ist nichts für mich. Was soll ein Spieler wie Eden Hazard sagen, der bei Chelsea unter Vertrag ist? Das ist doch ein Typ, der Fussball spielen will. Hazard wäre wahrscheinlich glücklicher, wenn er bei Arsenal wäre. Er würde vielleicht nicht im Halbfinal der Champions League spielen, aber am Ende wäre er glücklicher, da bin ich sicher.

Sind Sie sich da sicher? Spieler wollen doch auch Erfolge?

Glauben Sie mir: Spieler wie Hazard sind nicht glücklich, wenn sie zwar in einem Final stehen, aber dafür unattraktiven Fussball spielen müssen. Da bin ich mir absolut sicher. Einigen Spielern sind Erfolge wichtiger als das Spiel. Aber viele gehen nach Hause und denken sich: Wir stehen zwar im Final der Champions League – aber was ist das, was wir hier spielen?

Und mit welchem Gefühl gehen Sie nach den Spielen des FC Basel nach Hause?

Wir mögen nicht immer schönen Fussball gespielt haben. Aber glauben Sie mir, wir haben es versucht. Wir trainieren, den Ball zu halten, uns in der Offensive viele Optionen zu erspielen, den Gegner mit hohem Pressing unter Druck zu setzen. Und immer mit dem Ball. Manchmal schaffen wir es nicht, das umzusetzen. Aber die Idee, die ist da. Und das ist das Wichtigste, dass wir an dieser Idee arbeiten.

Aber der FCB hatte in dieser Saison weit weniger Ballbesitz, als in den letzten vier Jahren. Damals war der Basler Ballbesitz in der Liga bei rund sechzig Prozent. Heute sind es …

… vierzig, fünfzig. Aber das ist das Problem von uns Spielern. Murat hat uns immer gesagt, dass wir den Ball halten sollen. Dass wir auch mal rückwärts spielen sollen, um den Ball zu halten. Die Grundidee war, den Ball zu behalten und hoch zu pressen.

Ist hohes Pressing denn etwas, das Ihnen zusagt?

Ja, für mich ist es das Beste. Die Intensität ist zwar hoch, aber du rennst als Spieler weniger Kilometer. Und wenn du den Ball gewinnst, hast du nur noch vielleicht dreissig Meter bis zum gegnerischen Tor – und nicht sechzig. Und du hast viele eigene Spieler in der Angriffszone.

 

 

Welche Ziele haben Sie sich noch gesteckt für Ihre Zeit in Basel?

Ich persönlich? Das wichtigste war, dass wir diesen Meistertitel gewonnen haben. Ich bin wirklich nicht mehr so hundertprozentig auf mich selbst fokussiert, wie ich das früher war.

Das waren Sie in Ihrer ersten Zeit in Basel?

Ja, das war ich. Heute denke ich vielleicht zu siebzig Prozent an das Wohl des Clubs und noch dreissig Prozent an mich. Ich mag vielleicht persönlich kein gutes Jahr gespielt haben. Aber da die Mannschaft den Titel geholt hat, war es für mich doch eine gute Saison. Weil ich jetzt denke, dass der Club und die Mannschaft wichtiger sind als ich selber.

Aber Sie werden sich für die kommende Saison schon auch ein persönliches Ziel stecken?

Mein Ziel muss es sein, mehr zu spielen. Ich muss es schaffen, dass der Trainer mir vertraut. Dass er weiss, dass er mich auch spielen lassen, wenn ich vielleicht etwas müde bin. Weil er das Gefühl hat, dass ich in jedem Spiel der Mannschaft etwas bringen kann.

Überragende Partie: Matias Delgado (links, daneben Alain Schultz) erzielte den Führungstreffer zum 2:1 in Aarau – eine grosse Befriedigung für ihn zum Abschluss einer schweren ersten Saison nach der Rückkehr zum FCB.

Überragende Partie: Matias Delgado (links, daneben Alain Schultz) erzielte den Führungstreffer zum 2:1 in Aarau – eine grosse Befriedigung für ihn zum Abschluss einer schweren ersten Saison nach der Rückkehr zum FCB. (Bild: Keystone/PATRICK B. KRAEMER)

Es gab das Hinspiel gegen Valencia, als sie mit zwei Toren der Mannschaft etwas gebracht haben. Aber nach dem 0:5 im Rückspiel hat Murat Yakin Ihnen und Marcelo Diaz vorgeschlagen, die Walliser Berge zu geniessen …

… das habe ich selber so nie gehört. Und ich denke auch nicht, dass Murat je etwas Schlechtes über mich sagen würde. Ich meine, ich habe in Valencia Stürmer gespielt. Wenn wir fünf Tore erhalten, kann es nicht alleine mein Fehler gewesen sein, oder? Ich war die Nummer 9 (lacht). Ich weiss nicht. Gut, ich habe mir dann die Berge angeschaut …

… die Sie ja schon gekannt haben. Sie waren ja früher auch schon in Sion.

Ja, aber jetzt habe ich sie viel besser gesehen (lacht). Nein im Ernst, es war die Entscheidung von Murat, mich nicht spielen zu lassen. Vielleicht hatte er das Gefühl, ich sei müde. Ich denke nicht gross darüber nach.

Während der Basler Sommerpause läuft die Weltmeisterschaft. Werden Sie die Spiele der argentinischen Nationalmannschaft mit einer Träne im Auge anschauen, weil Sie nie für Ihr Land spielen durften?

Nein. Mir sind immer grossartige Spieler vorgezogen worden. Auf meiner Position spielten Riquelme, Aimar, jetzt Messi … Also bin ich zufrieden Zuhause vor dem Fernseher. Schlimm ist es, wenn ein schlechter Spieler deinen Platz einnimmt und du musst zuschauen. Aber Argentiniens Nummer 10 war immer von einem fantastischen Spieler besetzt. Also bin ich glücklich Zuhause. Okay, vielleicht nicht glücklich – aber ich bin zufrieden. Weil ich weiss: Der, der spielt, ist besser als ich. Ohne jeden Zweifel.

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