«Mich berühren Leute, die ein Problem haben»

In Dani Levys neuem Film «Die Welt der Wunderlichs» sind alle etwas irre. Hats was mit dem Regisseur zu tun? Ein Gespräch über psychische Krankheiten, Mutterfiguren und Levys Faszination für Castingshows.

«Wieso können bei dir keine normalen Menschen vorkommen?», wollte Dani Levys Mutter stets wissen. Sie hat alle seine Drehbücher gelesen.

(Bild: Hans-Joerg Walter)

In Dani Levys neuem Film «Die Welt der Wunderlichs» sind alle etwas irre. Hats was mit dem Regisseur zu tun? Ein Gespräch über psychische Krankheiten, Mutterfiguren und Levys Faszination für Castingshows.

Es ist Hochsommer in Basel, und Dani Levy kommt direkt aus dem Rhein. Schwimmsack auf den Sitz neben sich, kurz einen Teller Fusilli und ein Mineralwasser bestellt, und schon fängt er an zu plaudern: über seine Wahlheimat Berlin und seine alte Heimat Basel, seine Familie, die Kindheit im Neubad, neben der Old-Boys-Matte, wo er aufgewachsen ist. Dani Levy macht sofort auf, ist genauso interessiert an seinem Gegenüber wie dieses an ihm.

«Ein Schatz», nannte ihn Simone Meier von «watson», und man verdrehte kurz die Augen. Aber wenn er jetzt so vor einem sitzt, muss man ihr recht geben: Dani Levy ist sehr sympathisch. Er kann in seinen Filmen Lebensgeschichten erzählen, weil er sich ernsthaft für sie interessiert. Egal ob es nun sein eigenes Leben oder das der Journalistin ist oder ob es die paar irren Lebensgeschichten in seinem neuen Film «Die Welt der Wunderlichs» sind. Levy, der Menschenversteher? Ja, aber nicht dick aufgetragen. Unser Gespräch beginnt ganz konventionell.

Herr Levy, wie fühlt es sich an, wieder in Basel zu sein?

Schön. Ich war die letzten Jahre immer wieder hier, um meine Mutter zu besuchen. 2007 starb mein Vater, und wenn man nur noch einen Elternteil in der Stadt hat, kommt man schon öfters zu Besuch. Jetzt ist sie leider verstorben, genau zwölf Stunden nach der Premiere von «Die Welt der Wunderlichs». Sie hat den Film nie gesehen.

Hätte er ihr gefallen?

Sie hätte ihn sicher gemocht, ja. Es ist traurig, dass sie ihn nicht mehr gesehen hat. Schliesslich hat sie das Drehbuch gelesen, so wie bei all meinen Filmen. «Wieso müssen die alle so verrückt sein?», fragte sie dann jeweils (lacht). «Wieso können bei dir keine normalen Menschen vorkommen?» Da meinte ich, normale Menschen seien doch nicht interessant. Das sah sie dann ein. Sie hatte eine sehr unbedarfte Art, über Filme zu reden.

War sie streng?

Sie konnte sehr kritisch sein. Sie fragte immer: «Was soll das werden?» Ausserdem hatte sie Angst, mir würde jemand zuvorkommen, und fragte stets, ob ich die Story patentiert hätte. Meine Filme gefielen ihr aber. Nur mit dem Tempo hatte sie immer mehr Mühe, je älter sie wurde. Meine Filme sind ja doch sehr rasant, es geht immer zur Sache, kein Frame ist zu viel. Damit war sie oft etwas überfordert.

«Mit meinen Mutterfiguren bin ich immer relativ hart umgegangen.»

Die Mutter in «Die Welt der Wunderlichs» ist auch nicht gerade einfach. Sie ist die einzig wirklich unsympathische Figur.

Ich finde sie nicht unsympathisch, aber im Gegensatz zu den anderen Figuren gibt es bei ihr wenig Selbsterkenntnis und dadurch wenig Hoffnung. Dieses Nackte, Durchlässige, das die anderen Figuren so menschlich macht, das hat sie nicht. Trotzdem oder vielleicht deswegen hat sie die meisten Lacher.

Sehen Sie da eine Verbindung?

Mit meinen Mutterfiguren bin ich immer relativ hart umgegangen. Da glaube ich schon, dass ich in all den Jahren, in denen ich Mütter inszeniert habe, etwas mit meiner eigenen Mutter aufgearbeitet habe. Da könnte man eine ganze Dissertation drüber schreiben: «Verarbeitung der Mutterfigur in Dani Levys Filmen» (lacht). Meine Mutterfiguren sind meistens resistent gegen Veränderung. Sie haben immer etwas …

… Selbstgerechtes?

Etwas Borderline-mässiges. Im schnellen Wechsel, wo man nie genau weiss, welche Gefühle gerade im Spiel sind. Insgesamt sehr schwer lesbar. 

Bei den Wunderlichs ist das ähnlich: Es geht eindeutig um unangenehme psychische Krankheiten, die aber sehr fein inszeniert werden. Sie sind sehr präsent, aber schwer lesbar. Sie drängen sich nicht in den Vordergrund.

Naja, der Vater von Mimi ist in der Psychiatrie. Wenn man sieht, wie er sich während einer Vorstellung seiner Tochter mit Medikamenten vollpumpt, ist die Krankheit schon offensichtlich.

Aber sie wird nicht traumatisch inszeniert.

Das stimmt, dafür ist der Film dann zu sehr eine Komödie. Wobei ich die Grenze zwischen Tragödie und Komödie fliessend empfinde. Der Film sollte kein Psycho- oder Sozialdrama werden. Da hätte ich mich für eine andere Struktur entschieden.

Wieso wurde es eine Komödie?

So ist es aus mir rausgekommen. Ich habe eine Idee, empfinde eine Tonalität dazu, und dann mache ich den Film. Ohne mir zu überlegen, wie viel Komödie oder Drama es wird.




«Ich habe am meisten Humor für Geschichten, die um mich herum sind, die ich wirklich verstehe.»

Wie finden diese Ideen zu Ihnen?

Das ist sehr komplex. Es ist leider nicht so, dass nachts ein göttlicher Funke überspringt und ich den Film plötzlich in meinem Kopf habe. Er ist ein vieljähriges Sammeln von Erfahrungen, von Geschichten, die man hört oder sieht, von Menschen, die man kennenlernt, in diesem Fall alleinerziehende Mütter oder Familien mit psychisch gestörten Verhältnissen. Dazu gehört auch die ganze Generation meiner Mutter, die über viele Jahrzehnte mit Antidepressiva gelebt hat, als wären es Magentabletten.

Heute wird jede noch so kleine Abweichung von der Norm mit Medikamenten bekämpft – wie beim Sohn der Protagonistin Mimi, dem man Ritalin verschreiben will, weil er angeblich ADHS-gefährdet ist.

Das stimmt, psychische Störungen sind heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bei uns, bei Leuten, die wir kennen. Wir wissen, dass Menschen mit dem Leben, das sie führen, nicht klarkommen, dass sie daran verzweifeln, Angst haben und Erschöpfungen erleiden. Dass sie zwanghafte Psychosen kriegen, überstrukturiert leben und so weiter. Das wird ja erst seit etwa zehn Jahren wirklich thematisiert. Mich hat das Thema fasziniert, und dann hatte ich ja schon immer eine Vorliebe für komplizierte Familien.

Weil Ihre eigene auch kompliziert war? 

Das ist ein zu einfacher Schluss. Ich habe schon sehr früh gesehen, beispielsweise in Filmen von Woody Allen, dass Familien mit nicht ganz einfachen Verhältnissen sehr spannend sind. Die haben mich immer berührt. Das war einfach so.

Der Vergleich mit Woody Allen wird bei Ihnen oft gezogen. Stört er Sie?

Nein, da gibts bestimmt Parallelen. Dieses Neurotische gab es bei meinen Figuren immer. Eine bestimmte Art von Aufgeregtheit, ein bisschen pathologisch, nervös verunsichert, gestresst, übergriffig – aber fast immer liebenswert.

Was finden Sie daran interessant?

Ich finds einfach lustig. Mich berühren Leute, die ein Problem haben. Leute, die kein Problem haben, muss ich nicht zeigen. Der jüdische Witz hatte schon immer eine Vorliebe für Menschen, die an sich selber verzweifeln. Klar: Leute, die etwa in Darfur sitzen, haben viel schlimmere Probleme. Probleme, die man auch zeigen muss. Aber das sind dann wirklich keine Komödienstoffe. Ich habe am meisten Humor für Geschichten, die um mich herum sind, die ich wirklich verstehe.

«Castingshows sind besser als ihr Ruf.»

Sie filmen, was Sie kennen.

Ich kann schon recherchieren für bestimmte Stoffe, so ist es nicht. Aber ich brauche etwas, womit ich mich identifizieren kann. Ich muss die Gesellschaft verstehen, die ich zeige. 

In der «Welt der Wunderlichs» spielt die fiktive Castingshow «Second Chance» eine grosse Rolle. Verstehen Sie diese Welt?

Ich glaube schon.

Sie zeigen sie aber ganz anders, als man sie sich vorstellt.

Realistisch halt.

Wer heute «Castingshow» hört, denkt sofort: Urgh, Bohlen.

Das ist Unsinn. Castingshows sind besser als ihr Ruf. Am Anfang habe ich aber auch überlegt, ob die Castingshow ein Antagonist sein muss. Dann hab ich mich umgeschaut und gemerkt, dass es diese Shows in der Form ihres Rufes kaum mehr gibt. Das ist bei den beiden «Voice of …»-Formaten so oder auch bei «Mein Song» auf Kika, eine Sendung, die meine Kinder immer gerne schauen.

Und Sie schauen mit.

Ja, in solchen Sendungen passieren manchmal Dinge, die mich sehr erreichen, da kann ich richtig flennen. Ich habe ein Herz für Leute, die von der Strasse in eine Show stolpern und plötzlich die Chance haben, ihr Talent zu zeigen. 

Das merkt man. Die Protagonistin Mimi wächst einem richtig ans Herz.

In den ersten Drehbuchfassungen war Mimi eine klassische Bratschistin, die sich bei einem Orchester bewirbt. Aber ich kenne mich in der Klassik zu wenig aus, zudem ist meine Liebe für Singer Songwriter sehr gross. Und da passten Sängerin und Castingshow einfach besser. Ich kenne extrem viele Musiker, die richtig gut sind, aber es nie geschafft haben. 

Gab es in Ihrem Leben auch Momente, in denen Sie froh um eine zweite Chance waren?

(Lange Pause.) Nein, in der Form nicht.

Kein einziger?

Nein. Also klar, es gab Beziehungen, aber da hat die zweite Chance oft auch nicht gezündet. Es gibt in den meisten Fällen einen guten Grund, wieso man sich getrennt hat. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass ich meine Möglichkeiten immer gut nutze oder genutzt habe. Aber ich liebe Filme, die Paaren oder Beziehungen eine zweite Chance geben. Irgendwie finde ich die viel romantischer.

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Und wie ist jetzt der neue Film? Hier gehts zur Besprechung.

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