Michael Steiner stellt in Locarno seinen neuen Film «Das Missen Massaker» vor. Im Interview spricht er über seine Liebe für Horrorfilme und Mundart, über ein Angebot aus Amerika – und kritisiert die Schweizer Filmpolitik.
«Das Missen-Massaker» polarisiert bereits vor der Premiere auf der Piazza Grande. So blieb nach der Pressevorführung am Filmfestival Locarno der Applaus aus. Bei den anschliessenden Gesprächen im kleinen Kreis wurde klar, dass sich die Kritikergilde uneinig ist: Während manche Michael Steiners neusten Streich als gelungene Hommage ans Genrekino sehen, taten andere ihre Meinung in Form von Wortspielereien kund, wie sie ähnlich auch im Film vorkommen: «Miss Raten» oder «Miss Lungen».
Tatsächlich wagt der erfolgreiche Zürcher Filmemacher nach «Mein Name ist Eugen», «Grounding» und «Sennentuntschi» eine heikle Gratwanderung: Horror trifft auf Humor, möchte einerseits Spannung erzeugen und zugleich Pointen platzieren. Dafür schickt Steiner eine Armada an Miss-Kandidatinnen auf eine einsame Insel, zwecks Fotoshooting für Hochglanzmedien. Die Idylle wird rasch getrübt: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen. Ob Steiner damit an die bisherigen Erfolge anknüpfen kann? Das haben wir ihn in Locarno gleich selber gefragt.
Michael Steiner, 2006 erhielten Sie den Schweizer Filmpreis für die Komödie «Mein Name ist Eugen», zuletzt sorgten Sie mit dem Horrorfilm «Sennentuntschi» für Gesprächsstoff. Logische Konsequenz, dass sie nun diese zwei Genres fusionieren?
Michael Steiner: Das hat was, ja. «Das Missen Massaker» ist eine Horrorkomödie mit einer durchgängigen Story und einem «Final Girl». Als Inspiration dienten mir dafür amerikanische Horrorklassiker, aber auch unzählige italienische Giallo-Filme, die wir alle durch den Schredder liessen und unsere Geschichte zeitgemäss umsetzten. Olivier Père, der Direktor des Filmfestivals Locarno, hat in einer Szene sofort meine Hommage an Dario Argento erkannt, was mich enorm gefreut hat.
Von allen Horrorfilmen dieser Welt: Welcher ist zuoberst auf Ihrer Bestenliste?
«The Shining» von Stanley Kubrick. Ganz creepy finde ich aber auch noch «The Grudge».
Es ist ein heikles Unterfangen, Horror mit Humor zu kombinieren, ohne dass eines der Genres darunter leidet.
Stimmt. Wir haben das so gelöst, indem wir den Film über den Humor immer stärker in den Horror gleiten lassen. Klar, es ist schwierig, Humor einzubauen wenn die Dramaturgie des Horrors mal gegriffen hat, aber ich bin sehr glücklich, wie es herausgekommen ist. Wir, also Drehbuchautor Michael Sauter und ich, sagten uns: Egal wie absurd die Geschichte auch wird, sie muss am Ende einen roten Faden haben, im Unterschied zu einem Episodenfilm wie «Scary Movie».
Sie erwähnen «Scary Movie»: Planen Sie bereits ein Sequel des «Missen-Massakers»?
Nein, jetzt sind erst mal alle tot. Für eine Fortsetzung müssten wir die Figuren wiederauferstehen und als Zombies herumirren lassen. (lacht) Erst der Erfolg wird zeigen, ob es einen zweiten Teil gibt.
Sie reichern das Ganze mit zahlreichen Cameo-Auftritten an, von Gilbert Gress bis Mike Shiva …
(lacht) … meine Frau schenkte mir zum 40. Geburtstag ein persönliches Horoskop von Mike Shiva. Seither habe ich Kontakt zu ihm – und kam auf die Idee, ihn in aller Freundschaft anzufragen, ob er für eine kurze Sequenz zu haben wäre. Er war sofort dabei …
… auch Nicole Berchtold von «Glanz & Gloria» spielt sich selbst. Als Moderatorin einer Promi-Sendung macht sie das Tamtam um die Schweizer Missen auch in Wirklichkeit mit. Mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten, Ihr Vertrauen gewinnen?
Nein, sie verstand rasch, dass es sich um eine Rolle in einem Film handelte und es wichtig ist, dass solche Sequenzen einen Bezug zur Realität haben. Sonst funktionieren die nicht.
Haben Sie deshalb auch Nadine Vinzens, eine veritable ex-Miss Schweiz, ins Boot geholt?
Das ist ein Glücksfall. Sie arbeitet ja mittlerweile als Schauspielerin und ich habe sie für die Rolle der Miss Ostschweiz gecastet. Als Bündnerin musste sie in die Haut einer Ostschweizerin schlüpfen, Anita Buri diente dabei als reales Vorbild, und Nadine machte ihre Sache beim Casting so gut und überzeugend, dass sie die Rolle erhielt.
Lief es bei der Finanzierung diesmal besser als bei «Sennentuntschi», Ihrem letzten Film, der beinahe gegroundet wäre?
Leider verläuft die Finanzierung meiner Filme nie ganz reibungslos. Diesmal wurde unser Gesuch beim Bundesamt für Kultur zuerst abgelehnt, die erste Kommission hat inhaltliche Sachen, aber auch das Budget, das einen möglichen Gewinn auswies, beanstandet. Mir ist bis heute ein Rätsel, ob solche Entscheidungen politisch motiviert sind. Auf jeden Fall kamen wir ihnen entgegen und erhielten schliesslich 900’000 Franken.
Auf dem Papier aber eine stolze Summe.
Aber dieses Geld braucht man auch. Das Einzugsgebiet eines Dialektfilms – und ich liebe es, Mundartfilme zu drehen – ist stark beschränkt, ganz im Unterschied etwa zu einem Film aus der Romandie oder dem Tessin. Der Mundartmarkt ist der kleinste, der welsche der grösste Markt in der Schweiz, nur sehen das die Filmpolitiker leider nicht so. Falls da kein Umdenken stattfindet, werden die Mundartfilme verschwinden. Stattdessen sollte man sie doch schützen! Ohne Förderung müssten wir fast eine halbe Million Zuschauer ins Kino holen. Dieses Risiko ist doch niemand bereit einzugehen, es ist ja schon so viel Liebhaberei dabei, wenn eine Produktionsfirma sich aufs Abenteuer Mundartfilm einlässt! Einem Mundartfilm kommerzielle Absichten zu unterstellen, ist eine Frechheit. Am Ende schaut in der Schweiz nie «big money» raus. «Das Missen Massaker» ist ein Low-Budget-Film.
Lowbudget? Obschon er 3,2 Millionen Franken gekostet hat?
Schon, aber auf diese Summe kommt man schnell. «Eugen» kostete 6,8, «Grounding» 4,4 und Sennentuntschi» 5,8 Millionen Franken. Das «Missen-Massaker» ist der günstigste Film, den ich in den letzten Jahren gedreht habe. Das tiefere Budget bedeutete, dass wir die 40 Drehtage in Thailand auf 30 runterdrücken mussten. Und das bei einer Tagestemperatur von 35 Grad. Es war ganz schön anstrengend – aber dennoch auch einfach ganz schön.
Stimmt das Gerücht, dass Sie dem Publikum auf der Piazza Grande davon abraten möchten, sich den Film im Kino anschauen zu gehen – weil Sie bei einem weiteren Erfolg künftig gar keine Fördergelder mehr erhalten würden?
(schmunzelt) Nein, das habe ich nur im Scherz gesagt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich freue mich ja auch, wenn ein Arthouse-Film international Erfolg hat, wenn Ursula Meier an der Berlinale eine Trophäe erhält oder ein Schweizer Film im Wettbewerb von Cannes läuft. Aber solch ein internationaler Erfolg kommt sehr selten vor, da muss man doch mal realistisch sein und die Filmpolitik hinterfragen. «Sennentuntschi» lief auf 30 Genre-Festivals, von Austin bis Brüssel, dennoch musste ich erneut um Fördergelder kämpfen. Ich verstehe einfach nicht, ob solche Entscheidungen jeweils politisch motiviert sind. «Sennentuntschi» war ganz klar ein Arthouse-Film, komplexe Struktur, unbekannter Hauptdarsteller, abgefahrenes, düsteres Setting und gewalttätig. Dennoch warf man mir plötzlich vor, ich mache kommerzielle Filme, nur weil «Sennentuntschi» 150’000 Kinoeintritte zählte. Das kanns doch nicht sein!
Der Erfolg ist nicht kalkulierbar?
Nein. Ich weiss noch überhaupt nicht, ob «Das Missen-Massaker» einschlagen wird. Und wenn ich kommerziell denken würde, dann hätte ich doch Melanie Winiger und Christa Rigozzi für die Hauptrollen gewonnen. Stattdessen präsentieren wir mit Meryl Valerie eine unbekannte Hauptdarstellerin, die wie fast alle «Missen» erstmals überhaupt in einem abendfüllenden Film mitgespielt hat.
Brachte Ihnen die internationale Beachtung von «Sennentuntschi» auch eine Anfrage von Übersee?
Ja, aus Amerika, für ein Remake eines brasilianischen Horrorfilm-Klassikers, worin Vincent Gallo die Hauptrolle spielen sollte. Doch fehlte mir jetzt dafür die Zeit.
- «Das Missen-Massaker» wird am Freitag, 10.8., 21.30 Uhr am Filmfestival Locarno erstmals öffentlich gezeigt.
- Der Film läuft am 23. August in den Deutschschweizer Kinos an.