Mister Tattoo wird Anarchist

Erik Julliard, Produzent des Basel Tattoo und leidenschaftlicher Fasnächtler, spielt mit seiner Clique Naarebaschi an der Fasnacht ein Sujet aus, das für Gesprächsstoff sorgen dürfte.

Erik Julliard posiert auf Wunsch der TagesWoche mit einem Helm der königlichen Garde von England. In der Tattoo-Geschäftsstelle stehen lauter Hüte und Helme. (Bild: Nils Fisch)

Erik Julliard, Produzent des Basel Tattoo und leidenschaftlicher Fasnächtler, spielt mit seiner Clique Naarebaschi an der Fasnacht ein Sujet aus, das für Gesprächsstoff sorgen dürfte.

Beim Namen Erik Julliard denkt jeder an das Basel Tattoo, das der 37-Jährige gegründet hat und mit dem er immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Jüngst wegen eines Entscheides der Baurekurskommission zugunsten von Anwohnern. Natürlich prägen solche Geschichten den Alltag des «Mister Tattoo», doch derzeit hat selbst für ihn etwas anderes Priorität: Tambour Julliard erfindet kommende Woche die Fasnacht neu.

Herr Julliard, im Fasnachtsführer «Rädäbäng» ist das Basel Tattoo sieben Mal namentlich als Sujet aufgeführt …

… nur sieben Mal?

Sieben Mal wird aus der Sujetbeschreibung klar ersichtlich, dass es um das Tattoo geht. Und auch, dass stets Ihre Gegenspielerin, die grüne Grossrätin und Anwohnerin Anita Lachenmeier, ihr Fett abbekommt – nicht Sie.

Die Einsprachen von Frau Lachenmeier und ihren Mitstreitern sind derzeit halt sehr aktuell. Eigentlich haben die Einsprecher geschickt gehandelt, indem sie einen juristischen Knackpunkt gegen das Tattoo gefunden haben. Mit Erfolg: Die Baurekurskommission hat nun festgestellt, dass eine Bewilligung der Allmendverwaltung wie bisher nicht mehr reicht, sondern wir auch eine Baubewilligung brauchen. Nun müssen wir mit zusätzlichen Auflagen rechnen, was mühsam ist und alles erschwert.

Wo liegt das Problem? Kaum machte die Baurekurskommis­sion ihren Entscheid vor zwei Wochen publik, gab das Baudepartement grünes Licht für das diesjährige Tattoo – trotz neuen Voraussetzungen. Sie müssen sich keine Sorgen machen.

Doch, ich mache mir grosse Sorgen! Ich würde mich gern auf das Tattoo vorbereiten, statt mich mit solchen Formalitäten auseinandersetzen zu müssen. Hinzu kommt, dass es nun Rückschritte gibt. Möglicherweise werden wir wieder Toilettenhäuschen aus Plastik aufstellen müssen, nachdem wir uns im Sinne der Verbesserung auf fixe Toiletten-Anlagen geeinigt haben. Die Idee für den Wechsel kam übrigens vom Staat.

Eine einzige Farce also.

Nein, da muss ich den Staat in Schutz nehmen. Die Verantwortlichen hatten das Gefühl, das Richtige zu tun, indem sie das Kasernenareal als Allmend betrachteten. Das funktionierte jahrelang gut. Die Baurekurskommission hat aber entschieden, dass die Allmendverwaltung nicht zuständig ist für das Areal.

Das Tattoo ist dennoch nicht gefährdet. Warum eigentlich nicht? Andere Anlässe sind wegen kleineren Dingen gefährdet.

Das Tattoo ist breit abgestützt durch die Bevölkerung. Es gibt nicht viele Veranstaltungen in Basel, für die 120’000 Tickets verkauft werden. Oder kommt Ihnen eine in den Sinn?

Hm, die Fasnacht ist gratis …

Und die Swiss Indoors haben mit 60’000 Live-Gästen halb so viele Zuschauer. Was ich sagen will: Das Tattoo ist populär – und bringt entsprechend Geld nach Basel. Der Staat verdient daran, die Wirtschaft sowieso. Die Wertschöpfung ist gross.

Es gibt aber auch Tattoo-Gegner. Und zwar nicht nur Anwohner, die Grünflächen auf der Kaserne vermissen und sich über die Musik nerven. Sondern auch Leute, die gegen Militärmusik sind.

Natürlich treten Militärformationen auf, doch das Basel Tattoo ist keine traditionelle Militärmusik-Veranstaltung. Keine einzige Gruppe marschiert einfach nur auf und ab, jede bietet eine Show. Und das Wort «Militär» kommt auch im Titel nicht vor.

Eigentlich sollten also «Militärköpfe» gegen das Tattoo sein.

Die bedauern möglicherweise, dass die Veranstaltung nicht so militärisch ist, wie sie sein könnte – sagen aber nichts. Zum Glück sind nicht alle Menschen begeistert vom Tattoo und wollen es sehen, sonst hätten wir ein ernsthaftes Problem.

In Berlin, wo Sie ebenfalls ein Tattoo organisieren, wären Sie froh um mehr Publikum.

Das stimmt. In Basel wünsche ich mir das aber nicht. Der Andrang um die Tickets hier ist jedes Jahr ein kleines Drama, es wäre viel gemütlicher, wenn wir den Ticketvorverkauf langsamer angehen könnten.

Wie in Berlin, wo es an der Abendkasse jeweils noch Hunderte Tickets zu kaufen gibt?

Nicht übertreiben! (lacht)

Dort bräuchten Sie allenfalls einen «Plan B», das diesjährige Sujets Ihrer Clique Naarebaschi. Was hat es damit auf sich?

Es geht um die Welt, die entgegen den Prophezeihungen der Maya nun doch nicht untergegangen ist. Meine Clique ist so glücklich darüber – und zwar so glücklich, dass wir beschlossen haben, an der Fasnacht bei Null anzufangen und uns nicht an Traditionen zu halten. Jeder in der Clique darf so Fasnacht machen, wie er es eigentlich gern machen würde.

Anarchie an der Basler Fasnacht? Ausgerechnet mit Erik Julliard? Das ist ein Skandal!

Von mir aus, schreiben Sie das so.

Darf sich ein Erik Julliard in dieser Stadt alles erlauben?

Ja … Oh, das war wahrscheinlich keine geschickte Antwort. Ernsthaft: Ich erlaube mir manchmal mehr, als man sich erlauben dürfte, nur so komme ich weiter. Sobald ich aber merke, dass etwas nicht gut ankommt, gehe ich einen Schritt zurück. Gegen einen Volksentscheid würde ich zum Beispiel nie kämpfen.

Angenommen, das Stimmvolk dürfte über einen Abriss der Kaserne entscheiden – und würde Ja sagen. Was würden Sie tun?

(Überlegt). Dann würde ich einen anderen Ort für das Tattoo suchen.

Sie würden nicht mit juristischen Mitteln, sofern es diese gäbe, gegen den Abriss kämpfen?

Ich würde vorher alles, was möglich ist, ausschöpfen – das ist klar.

Das liegt offenbar in den Genen. Ihr Vater, Anwalt Thierry Julliard, kämpft als Fümoar-Sekretär unermüdlich für das Weiterbestehen des Raucher-Vereins.

Aufpassen! Den Verein Fümoar kann man nicht mit einer kulturellen Veranstaltung vergleichen. Aber ich kann einen anderen Vergleich machen: Das Tattoo begeistert viele Menschen, gleichzeitig gibt es in Basel auch viele kulturelle Produktionen, die nur wenige Menschen interessieren – und die im schlimmsten Fall trotzdem subventioniert werden, ganz im Gegensatz zum Tattoo.

Zum Beispiel?

Die Kaserne Basel oder das Theater Basel. Unser System sieht aber vor, diese Form der Kultur durch Quersubventionierung zu erhalten.

Sie sind also der Meinung, dass die Kaserne stehen bleiben muss, weil das Tattoo – wohlbemerkt eine neuntägige Veranstaltung – so erfolgreich ist?

Das habe ich nie gesagt!

Darum frage ich.

Es wäre falsch, zu verlangen, dass der Kopfbau der Kaserne wegen des Tattoos stehen bleiben muss. Gleichzeitig kann das Tattoo dort nur stattfinden, wenn der Bau als Kulisse dient. Die Veranstaltung ist mit ihrem Austragungsort gewachsen, würde die Fassade fehlen, wäre das Tattoo nicht mehr dieselbe Veranstaltung. Und dann müsste ich wie gesagt den Ort wechseln. Das soll aber keine Drohung sein.

Es gibt auch Alternativen: In Berlin funktioniert das Tattoo ja auch mit einer nachgebauten Styropor-Kaserne als Kulisse.

Aha. Und deshalb ist das Tattoo in Berlin wohl auch so erfolgreich …

Die Basler würden kaum auf das Tattoo verzichten, bloss weil die Umgebung anders aussieht.

Aber die ganze Atmosphäre wäre weg. Ausserdem gäbe es keine Wände als Lärmschutz mehr.

Die Diskussion um einen möglichen Teil-Abriss der Kaserne wurde im vergangenen Jahr heftig geführt – und hat es trotzdem nicht auf die Sujetliste geschafft. Sind Einsprachen wegen ein wenig Rasen als Sujet attraktiver?

Es ist eben etwas lächerlich, es ist ein Kampf David gegen Goliath. Es geht um Toiletten-Häuschen! Und so etwas funktioniert gut als Sujet.

Die Kaserne als Politikum würde doch auch gut funktionieren.

Es geht auch um Darstellungsmöglichkeiten. Anita Lachenmeier mit ihrem Namen ist einfacher umzusetzen als ein Bau wie die Kaserne.

Viel beliebter als Frau Lachenmeier und das Tattoo ist das eingestrickte Geländer der Wettsteinbrücke – das Thema hat es mit 31 Nennungen auf Platz eins der Liste geschafft. Ist dieses Sujet besonders gut darstellbar?

Das kann ich schlicht nicht sagen.

Wie finden Sie denn das Thema?

Hm. Ich hätte eine solche Sujetkommission bestimmt nicht mehr vorgeschlagen für das kommende Jahr …

Auch mit dem Waaghof-Ausbruch, dem Vegi-Essen in der Uni-Mensa und der Schlafstadt haben es lokale Themen auf die ersten Ränge geschafft. Das ist erfreulich, oder etwa nicht?

Es ist schwer, internationale Themen so auszuspielen, dass sie eine grosse Wirkung erzielen. Das schaffen meist nur grosse Cliquen wie beispielsweise die Alti Stainlemer.

Ihre Clique spielt mit dem Weltuntergang ein mehr als internationales Thema aus – und wird mit dem Anarchie-Ansatz bestimmt auffallen. Verraten Sie uns schon ein bisschen: Wie wird Ihre Clique daherkommen?

Viel sagen darf ich natürlich nicht. Nur das: Ein Tambour könnte zum Beispiel statt auf der Basler Trommel bei einer Guggemuusig mitspielen.

Ein Jammer! Schliesslich gelten die Tambouren der Naarebaschi als Crème de la Crème.

Absolut! (lacht)

Wie ist das, wenn man so erfolgreich ist wie Sie: Müssen Sie die Grenzen immer weiter ausloten?

Eher im Gegenteil. Ausserdem passieren manche Dinge einfach.

«Es wird behauptet, die Welt drehe sich ausserhalb der Fasnacht weiter – für mich aber existiert die Realität drei Tage lang nicht mehr. Und das ist wahnsinnig schön.»

Für die Vorfasnachtsveranstaltung Charivari. haben Sie internationale Gäste angekündigt, um dann an der Premiere zu sagen, die Queen habe leider doch nicht kommen können. Ist das auch einfach passiert?

Das ist ein gutes Beispiel: Die Idee mit der Queen ist tatsächlich aus der Entwicklung heraus entstanden. Wir wollten eigentlich nationale Stars einladen, das klappte aber nicht. Natürlich haben wir die Queen nicht wirklich eingeladen. Im Gegensatz zum Basel Tattoo – dafür erhielt sie bereits einmal eine Einladung.

Und, ist sie gekommen?

Ich glaube, das hätten Sie mitbekommen. Natürlich kam sie nicht!

Während andere Vorfasnachtsveranstaltungen auf Bewährtes setzen, fallen Sie mit solchen Ideen auf. Sie sind ein Kämpfer.

Sind wir nicht alle Kämpfer?

Nein.

(Schweigt) Gut, dann sage ich es so: Ich bin insofern kein Kämpfer, als dass ich nicht konfliktfähig bin.

Und darum kämpfen Sie öffentlich für den Erhalt der Kaserne?

Ja, gut, das mag ein Kampf sein. Grundsätzlich nehme ich die Dinge aber lieber so, wie sie sind. Und wenn es nicht mehr weitergeht, schlage ich einen anderen Weg ein.

Sämtliche Ihrer Jobs hängen im weitesten Sinne mit Fasnacht, immer aber mit Trommeln und Musik zusammen. Brauchen Sie manchmal nicht einfach Ruhe?

Doch. Manchmal ist es schon viel.

Sie könnten eine Aufgabe abgeben, das Amt als Charivari-Programmchef zum Beispiel.

Ja, das wäre möglich, es ist aber nicht meine Art, einfach etwas abzugeben. Es geht eher darum, die eigenen Belastungen abzubauen.

Erschwerend kommt wohl dazu, dass Sie in Basel keinen Schritt machen können, ohne erkannt zu werden. Da kommt die Anonymität unter der Larve während der Fasnacht gerade recht.

An der Fasnacht bin ich ein Fasnächtler wie jeder andere auch. Das macht viel Spass, zumal ich immer sehr abwechslungsreiche Tage erlebe, einerseits mit meiner Clique, anderseits mit den Ruessern.

Sie bezeichnen die Ruesser als «mit Abstand weltbeste Trommelgruppe im traditionellen Basler Trommeln». Was ist sonst so speziell an dieser Gruppe?

Im Gegensatz zu den Naarebaschi sind keine Frauen dabei. Damit will ich nicht sagen, dass es toller ist ohne Frauen – aber es ist, ich sag mal, kindischer. Das liegt wohl auch am Alter: Bei den Ruessern sind die ältesten erst 45 Jahre alt, benehmen sich aber wie 22-Jährige. Und eben: Das Trommelniveau ist sehr hoch. Trotzdem haben die Leute recht, die sagen, Fasnacht sei nicht lustig.

Wie bitte?

Natürlich kann man in der Beiz lachen, während des Cortège und auch sonst, unter der Larve aber lacht man nicht, da ist man eher konzentriert.

Der Naarebaschi-Cliquen­keller befindet sich an der Rebgasse im Kleinbasel. Und Sie sind, trotz Wohnort im Grossbasel, eine Art Berufskleinbasler. Was sagen Sie zur Debatte um das angeblich benachteiligte Kleinbasel der vergangenen Wochen?

Es spielt für mich keine Rolle, ob jemand im Gross- oder Kleinbasel lebt und wo etwas passiert. Damit meine ich nicht Traditionen wie den Vogel Gryff, sondern das Leben im Allgemeinen. Ich gehe vier Mal pro Tag ins Kleinbasel und zurück. Die Stadtteile gehören zusammen.

Tun Sie das mit dem Auto?

Manchmal, ja.

Wenn die Mittlere Brücke wie geplant für den Autoverkehr gesperrt wird, geht das nicht mehr.

Die Autos stören doch niemanden! Ich hoffe, die Brücke bleibt offen.

Lassen wir das – und sprechen nochmals über etwas Aktuelleres: In drei Tagen ist Morgestraich, was tun Sie bis dahin?

Für mich beginnt die Fasnacht am Montag um punkt vier Uhr und ­endet am Donnerstagmorgen um dieselbe Zeit. Die Zeit vor dem ­Morgestraich ist für mich nicht wahnsinnig fasnächtlich, ich gehe nicht festen.

Sie bleiben daheim und warten?

So meine ich das nicht. Am Samstag steht die Marschübung mit den Ruessern auf dem Programm, am Sonntag treffe ich daheim die letzten Vorbereitungen für die Fasnacht. Das Laterneneinpfeifen aber, an dem sehr viele Fasnächtler teilnehmen, empfinde ich als eine Art Zeitab­sitzen. Da mache ich nicht mit.

Nach 30 Jahren als aktiver Fasnächtler können Sie bestimmt gut auf den Punkt bringen, was in einem vorgeht, wenn es am Montag vier Uhr schlägt.

(Überlegt) Im Moment, in dem die Lichter ausgehen, lasse ich die Wirklichkeit hinter mir und trommle mich in eine andere Welt. Natürlich habe ich dann auch Gänsehaut, das Schönste aber ist dieser spezielle Zustand, der genau dann beginnt – und für eine lange Zeit bleibt. Zwar wird immer wieder behauptet, die Welt ausserhalb der Fasnacht drehe sich weiter, für mich aber ist diese reale Welt drei Tage lang nicht mehr existent. Und das ist wahnsinnig schön!

Erik Julliard

Trommeln ist sein Beruf. Trommeln ist sein Hobby. Trommeln ist seine Leidenschaft – und sein Leben. Damit ist eigentlich alles gesagt über Erik Julliard (37). Denn alles, was er an die Hand nimmt, hat mit Trommeln zu tun: Julliard rief vor neun Jahren das Basel Tattoo ins Leben, das seither jeden Sommer während neun Tagen auf dem Kasernenareal im Kleinbasel stattfindet und von 120’000 Zuschauern gesehen wird. Mit dabei sind jeweils über 1000 Mitwirkende aus aller Welt, womit das Basel Tattoo hinter dem Pendant im Schottischen Edinburgh das grösste Tattoo der Welt ist.

Julliard organisiert zudem das Tattoo in Berlin und ist Programmchef der Basler Vorfasnachtsveranstaltung Charivari. Als Tambour trommelt er bei der Clique Naarebaschi und bei der Trommlergruppe Ruesser. Ursprünglich ist er Jurist, seit der Gründung der Basel Tattoo Productions GmbH mit 22 Mitarbeitenden übt er den Beruf aber nicht mehr aus. Julliard ist verheiratet und lebt in Basel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13

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