«Moralisch gesehen ist der Fall klar»

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann zu den «einmaligen Vorgängen» in der Nationalbank.

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann. (Bild: Keystone)

Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann zu den «einmaligen Vorgängen» in der Nationalbank.

Tobias Straumann ist der Experte für Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Der Zürcher Historiker, der auch an der Uni Basel lehrt, kann sich an keinen vergleichbaren Vorfall in der Nationalbank erinnern. Sollte sich bewahrheiten, dass Philipp Hildebrand Insidergeschäfte getätigt hat, müsse der Nationalbank-Präsident sofort zurücktreten, sagt der Historiker.

Herr Straumann, das ist eine verzwickte Geschichte. Zuerst sah es danach aus, als ob Christoph Blocher der Bösewicht sei, nun stellt sich heraus (Redak­tionsschluss dieser Nummer war Mittwochabend), dass auch Philipp Hildebrand keine gute Figur macht. Wenden wir uns zuerst Blocher zu: Er hat das Bankgeheimnis geritzt.

Wir haben es hier anscheinend mit einem Whistleblower zu tun, der Hilfe bei einem Politiker gesucht hat. Und in einem solchen Fall muss die Politik Hilfe bieten. Ich würde den Fokus weg von Blocher und hin zu Hildebrand schwenken. Ich kann nicht verstehen, warum Hildebrand die Geschichte den Sonntagsmedien gesteckt hat. Es kann ja nur aus dem Umfeld der Nationalbank kommen – und das wird nun zum Bumerang für Hildebrand.

Mit welchen Konsequenzen für den obersten Notenbanker?

Wenn das stimmt, wenn er diese Geschäfte selber angeordnet hat, dann muss er sofort gehen. Mich erinnert die Geschichte an den Rücktritt von Bundesrätin Elisabeth Kopp. Sie wurde juristisch nie verurteilt und trotzdem war allen klar, dass sie nach dem Telefonat an ihren Ehemann gehen musste. Beim Ehepaar Hildebrand ist eine ähnliche Konstellation vorhanden: Vielleicht lässt sich das Vorgehen mit irgendeinem Reglement juristisch rechtfertigen. Moralisch gesehen ist der Fall aber klar.

Gab es in der Geschichte der Nationalbank einen vergleichbaren Fall?

Nein, noch nie ist ein Nationalbank-Präsident unter einen solchen Verdacht geraten. Früher waren auch die Rahmenbedingungen anders, Insidergeschäfte waren bis in die 70er-Jahre gang und gäbe. In Biografien von ehemaligen Nationalbank-Präsidenten ist nachzulesen, wie sie einen Tag vor einem Zinsentscheid Anweisungen an ihre private Bank gaben. Heute ist so etwas nicht mehr denkbar. Und ehrlich gesagt auch schwierig nachzuvollziehen: Hildebrand verdient im Jahr eine Million Franken – da muss er doch nicht leichte Kursschwankungen ausnützen.

Warum tut er es trotzdem?

Das ist diesen Kreisen normal, jeder handelt noch ein bisschen. Das sind Multimillionäre, die haben einen ganz anderen Bezug zum Geld.

Wie gross wäre der Schaden für die Institution Nationalbank, sollte Philipp Hildebrand zurücktreten müssen?

Klein. Dann würde Thomas Jordan als Präsident nachrücken, eine moralisch absolut integere Person, ein typischer Notenbanker. Der hätte das Problem schnell im Griff.

Und wie gross wäre der Schaden für die politischen Aufsichtsorgane?

Der wäre beträchtlich. Sollte sich erhärten, dass Hildebrand selber diese Transaktionen getätigt hat, dann wäre das für den Bankrat und die Finanzkontrolle äusserst peinlich.

Steht nicht auch der Bundesrat in der Pflicht?

Wir wissen nicht, wie stark der Druck des Bundesrates auf die Finanzkontrolle war. Bis heute macht es den Anschein, der Bundesrat habe korrekt gehandelt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 06/01/12

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