«Nach der Operation hatte ich das seltsame Gefühl: Das ist nicht mehr dein Bein»

Selbst ein Meniskusriss kann Roger Federer die Freude am Tennis nicht verderben. Doping-Skandale schon eher. Im Interview verrät der 34-Jährige, warum er Zwangspausen nicht schlimm findet, was die Oscars und Eiskunstlauf gemeinsam haben, und wo er für sich als Letztes eine Zukunft sieht.

Roger Federer kehrt mit alter Entschlossenheit von seiner Verletzung zurück. In Monte Carlo gibt er sein Comeback.

(Bild: Valerio Pennicino/Getty Images)

Selbst ein Meniskusriss kann Roger Federer die Freude am Tennis nicht verderben. Doping-Skandale schon eher. Im Interview verrät der 34-Jährige, warum er Zwangspausen nicht schlimm findet, was die Oscars und Eiskunstlauf gemeinsam haben, und wo er für sich als Letztes eine Zukunft sieht.

Roger Federer, Sie haben gerade eine Ihrer seltenen Verletzungspausen hinter sich, nach einem Meniskusriss. Sie wurden Anfang Februar sogar erstmals in Ihrem Leben operiert.

Das war schon eine emotionale Herausforderung. Die Diagnose nahm ich noch ziemlich gelassen hin. Aber als ich in den Operationsraum kam, dachte ich für mich: In einer Stunde bist du ein operierter Mensch. Das hat mir Angst gemacht, da wurde es mir mulmig zumute. Als es vorbei war und ich mein Bein anschaute, hatte ich das seltsame Gefühl: Das ist gar nicht mehr dein Bein, du kannst ja die Zehen gar nicht bewegen. Es war schon eine gedrückte Stimmung, die ersten Stunden nach der OP. Das wurde erst besser, als ich rasch wieder auf Krücken herumlaufen konnte.

Roger Federer (34) ist der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten. Er gewann 17 Grand Slam-Titel, siegte allein acht Mal in Wimbledon. Der Schweizer beendete fünf Jahre als Nummer 1 der Weltrangliste und holte bisher 88 Turniersiege. Federer ist mit der ehemaligen Profispielerin Mirka Vavrinec verheiratet und ist Vater von Zwillingstöchtern und Zwillingssöhnen. Aktuell feiert er sein Verletzungs-Comeback beim Masters in Monte Carlo.

Hatten Sie Befürchtungen, die Verletzung könnte ernstere Konsequenzen haben?

Nein. Da haben mich die Ärzte schnell beruhigt, schon vor der OP. Ich war überrascht, welche Fortschritte es bald nach dem Eingriff gab. Wie schnell ich wieder laufen und springen konnte. Also, im Training denke ich schon länger nicht mehr an das Knie. Ich fühle mich körperlich hundert Prozent fit.

Wie haben Sie diese tennisfreie Zeit erlebt?

Durchaus angenehm. Klingt ein wenig seltsam. Aber Pausen sind nicht schlimm. Auch wenn ich nach gewollten Pausen auf die Tour zurückkomme, spüre ich immer diese Lust aufs Tennis ganz anders. Da hast du richtig Mumm und Motivation in den Knochen, fühlst dich frisch, wie neu. Jetzt brenne ich richtig auf die Rückkehr.

Sie hatten plötzlich auch mehr Zeit für die Familie.

Klar. Ich war mit den Kindern in den Bergen, bei der Basler Fasnacht. Mir ging´s wirklich gut. Es ist auch schön, mal keinen Plan zu haben. Sonst ist alles getaktet, durchstrukturiert, in einem engen Zeitplan. Und plötzlich weisst du mal nicht, was der Tag so alles bringt.

In diesem Jahr werden Sie 35 Jahre alt. Gibt es Gedanken an das Ende der Karriere?

Nein, überhaupt nicht. Da hat auch die Verletzung nichts dran geändert. Ich trainiere und arbeite so, dass es weitergeht.

Stellen Sie sich gedanklich den perfekten Abschied vor?

Ich weiss nicht, wie das Ende aussehen wird. Ganz ehrlich. Es kann sein, dass ich mal morgens aufwache und spüre: Ich habe keine Lust mehr. Oder der Körper will nicht mehr, es gibt monatelang Verletzungsprobleme. Ich bin selbst gespannt, wie ich mich da mal entscheiden werde.

«Für mich ist es wichtig, sich ständig für andere Dinge zu interessieren. Das hält den Kopf in Schwung.»

Viele wundern sich, mit welcher Leidenschaft und Begeisterung Sie nach fast zwei Jahrzehnten auf der Tour noch unterwegs sind.

Ich hatte immer Freude an dem, was ich gemacht habe. Es gab noch keinen Tag, an dem ich keine Lust aufs Tennis hatte. Klar, die ersten Jahre auf der Tour waren nicht leicht. Im Gegenteil: Der Aufstieg in der Rangliste war hart, das Reisen war hart. Es war schwere Arbeit, aber ich habe es nie als Arbeit aufgefasst. Etwas, woran ich Riesenspass hatte, war und ist mein Beruf. Das muss man sich auch immer klar machen: Was für ein Privileg das ist.

Sie haben selbst gesagt: Heute ist mein Glück anders im Tennis. Was meinen Sie damit?

Dass ich mit meiner Familie um die Welt reisen kann, dass wir dabei eine glückliche Familie sind. Dass ich so viele Fans habe, so viel Wertschätzung kriege. Das beflügelt mich auch jeden Tag neu: Ich fahre ja nicht einfach zu einem Turnier hin und spiele Larifari. Ich gebe immer mein Bestes. Das bin ich den Zuschauern schuldig.

Noch einmal: Was genau motiviert Roger Federer jetzt und hier. Einen Mann, der alles schon gewonnen hat, was es im Tennis zu gewinnen gibt?

Du wirst nicht satt durch diese grossen Erfolge. Du willst mehr. Du willst diese Gänsehaut-Momente noch mal erleben. Noch mal Wimbledon gewinnen vielleicht, noch mal die Lieblingsturniere, etwa in Halle oder daheim in Basel. Dann ist da der Reiz dieser grossen Matches, dieser Thrill, die Emotionen, die man erlebt.

Diese Spannung und Anspannung lässt einen nie los, das Lampenfieber auch vor dem Match.

Nein, nie. Das brauchst du einfach, um Grosses zu leisten. Du musst nur lernen, es in positive Energie umzusetzen. Kürzlich sprach ich mit einem jungen Spieler, der sagte zu mir: Du bist doch bestimmt nicht mehr nervös in einem Match. Da lächelte ich nur, sagte: Schön wär´s.

«Trainer werden? Das wäre das Letzte, was ich im Moment anstreben würde.»

Viele Sportler, aber auch viele Künstler werden mit der Aussage zitiert: Roger Federer ist eine Inspiration für mich. Wie sieht es umgekehrt aus?

Ich hatte früher nie diese grossen Idole, wo ich gesagt hätte: Ich will mal so werden wie sie. Ich schaute sehr auf mich selbst. Natürlich wünschte ich mir, in einem Sport so dominant zu werden wie Tiger Woods, wie Michael Schumacher oder Valentino Rossi. Aber das war´s schon.

Und das hat sich geändert?

Natürlich. Das Leben ändert einen ja. Ich treffe heute so viele Menschen, die interessant sind. Ich kriege Einblicke in andere Branchen, so wie zuletzt bei den Oscars. Ich bin neugierig, was Filmstars oder Modeleute zu sagen haben. Oder ich bin neugierig auf eine Performance. Das kann aber auch in einem anderen Sport sein. Ich war total begeistert, als ich kürzlich die Eiskunstlauf-WM sah. Welche Eleganz, welche Kreativität die aufs Eis bringen. Ich glaube, es ist eine gegenseitige Inspiration. Für mich ist es wichtig, sich ständig für andere Dinge zu interessieren. Das hält den Kopf in Schwung.

Zum Tennis zurück. Sie haben in den letzten Jahren oft bemängelt, dass nicht genügend junge Spieler nachrückten. Nun aber machen Spieler gerade der übernächsten Generation Schlagzeilen.

Ja, da ist etwas im Kommen, da passiert etwas. Und doch brauchen diese Spieler noch ein, zwei Jahre Zeit, um sich zu etablieren. Diese Jahre muss man auch ausnutzen, weil einen die erfahrenen Leute noch nicht kennen. Man muss Punkte holen, man muss besser werden. Es ist die Zeit, in der die Weichen für die Karriere gestellt werden.

Wird es einmal einen Trainer Federer geben?

Das wäre das Letzte, was ich im Moment anstreben würde. Nach all den Jahren auf der Tour wieder auf die Tour gehen als Trainer. Nein, wenn ich umherreisen möchte, dann mit meiner Frau. Mit der Familie.

Und in späterer Zukunft?

Gut, es könnte anders aussehen, wenn meine Kinder in 15, 20 Jahren aus dem Haus sind. Dann könnte es vielleicht mal ein Thema werden.

«Doping muss vielleicht noch härter bestraft werden. Diese Leute müssen Angst haben.»

Früher redeten im Herrentennis alle von den Grossen Vier. Aber im Moment ist es eher ein Alleingang von Novak Djokovic, eine beinahe unheimliche Dominanz. Wer soll ihn aufhalten?

Es braucht verdammt viel, um ihn zu bremsen. Novak erlebt eine wunderbare Zeit seiner Karriere, er hat es auch geschafft, als Familienvater erfolgreich zu bleiben. Ich kenne das Gefühl, dass einen nichts stören kann – wenn man einmal die Welle reitet. Alle probieren, ihn zu schlagen. Aber es ist wirklich sehr schwer. Zumal er auch eine Nummer 1 ist, die sich auf allen Belägen wohl fühlt. So wie es bei Nadal und mir früher auch war.

Also keine Wachablösung in Sicht?

Es wird nicht ewig so weitergehen mit dieser Dominanz, das ist normal. Man wird älter, man hat andere Pläne vielleicht, man ist mal verletzt. Oder man hört dann auch auf. Banal, aber wahr: Nichts ist für immer.

Tennis hat zuletzt nicht gerade angenehme Schlagzeilen geschrieben. Vorwürfe wegen Wettabsprachen, die Dopingaffäre um Maria Scharapowa, zuletzt die Preisgelddebatte.

Das hat schon einen Schatten geworfen auf unsere Sportart. Die Wettsache, die in Melbourne bekannt wurde? Viele Vorwürfe, aber nichts Konkretes. Hätte man mehr erwartet eigentlich. Da war die Befürchtung grösser bei mir, nach den Ankündigungen. Bei Scharapowa warten wir alle gespannt, was genau als nächstes passieren wird. Ich sehe da noch nicht ganz klar, bin noch dabei, mir meine Meinung zu bilden. Generell ist klar: Ich will keine Leute mit Doping auf der Tour sehen. Ich will auch mehr Tests.

Sie haben oft gesagt. Mich wundert, dass ich nicht häufiger getestet werde.

Ja, wir brauchen diese regelmässigen, häufigen Tests. Und wichtig ist auch, dass die Dopingproben lange genug aufbewahrt werden. So, dass man rückwirkend noch mal sperren kann, wenn etwas herauskommt. Man muss vielleicht auch noch härtere Strafen aussprechen. Es muss weh tun, das ist klar. Diese Leute müssen Angst haben.

«Es ist mir völlig egal, ob wir bei Grand Slams über drei Gewinnsätze und die Damen über zwei Gewinnsätze spielen – und identisch bezahlt werden.»

Und die neue Debatte darüber, wie sinnvoll gleiche Preisgelder für Herren und Damen sind?

Diese Diskussion ist für mich total fehl am Platz, gerade mit Blick auf die Grand Slams oder die kombinierten Damen/Herren-Wettbewerbe. Es ist mir völlig egal, ob wir bei Grand Slams über drei Gewinnsätze und die Damen über zwei Gewinnsätze spielen – und identisch bezahlt werden. Wir spielen zusammen bei diesen Turnieren, auf den gleichen Plätzen, vor den gleichen Fans. Für mich ist es wunderbar so, dass wir da einheitlich bezahlt werden.

2016 ist noch einmal ein Olympiajahr für Sie, Rio nimmt einen besonderen Platz in Ihrer Jahresplanung ein. Was macht Olympische Spiele für Sie so besonders?

Ich habe schon als Kind vor dem Fernseher gesessen und die grossen Olympia-Wettkämpfe bewundert. Die 100-Meter-Läufe, das Basketball-Dream Team bei den Spielen 1992. Und dann fuhr ich als Teenager selbst schon 2000 nach Sydney, kämpfte um eine Medaille. Lernte dort meine Frau kennen. Eine unglaublich aufregende Zeit war das, sehr prägend für mein späteres Leben. Später war ich noch zwei Mal Fahnenträger bei den Eröffnungsfeiern in Athen und Peking. Gewann Olympiagold im Doppel, Silber im Einzel.

In welchen Disziplinen treten Sie in Sydney an?

Im Einzel, im Mixed mit Martina Hingis. Und vielleicht im Doppel mit Stan Wawrinka. Das wird sich in den nächsten Wochen endgültig entscheiden. Die Vorfreude auf Rio ist sehr gross.

Nächstes Wochenende tritt die Schweiz im Fed Cup gegen Tschechien an. Was erwarten Sie?

Ein hochspannendes Match. Sehr umkämpft, vermutlich Dramatik bis zum Doppel. Ich habe begeistert vor dem Fernsehen gesessen, als wir gegen Deutschland gewannen. Das ist ein starkes Team jetzt.

Am 24. April weihen Sie in Biel die Roger-Federer-Allee offiziell ein.

Das ist schon ein toller Moment. Wenn man sich vorstellt, dass die Post von Swiss Tennis in die Federer-Allee geht. Und dass die Strasse auch in 50 oder 100 Jahren noch diesen Namen trägt. Das macht mich schon stolz.

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