Ob dieser kreischende Boulevard-Titel funktioniert? Keine Ahnung. Tatsache ist: Boy George trat mit seinem Culture Club in der Schweiz auf. Und wir konnten ihn kurz vor seinem Konzert an der Baloise Session abfangen: Was brauchte es, dass er zum Comeback einwilligte? Was sagt er zum Tod von Pete Burns? Seine Antworten im Videointerview.
Culture Club, ja gibts die noch? Wieder, meine Lieben, wieder!
Die Band um Boy George, die so heisst, weil sie in den 1980er-Jahren Musiker verschiedener Kulturen vereinte und Herkunfts- sowie Geschlechtergrenzen aufhob, diese Band ist zurück. Zum zweiten Mal mit ihrem flamboyanten Frontmann.
Wir erinnern uns (direkt zum Interview): In den 1980er-Jahren sorgten Culture Club für Schlagzeilen und Hits: mit dem sanften Reggae von «Do You Really Want To Hurt Me» oder dem Partykracher «Karma Chameleon». Eine heimliche Beziehung in der Band wirkte zugleich inspirierend und belastend (der epische Song «Victims» erzählt davon): Boy George und Drummer Jon Moss teilten sich einige Jahre mehr als nur die Bühne. Als ihre Liebesbeziehung zerbrach, ging auch die Band in die Brüche: Boy George kämpfte mit einer schweren Drogensucht, machte solo weiter, als Sänger und als House-DJ. Die alte Band schien er jahrelang zu meiden. Tempi passati!
Gefeierter Auftritt in Basel
Am Mittwochabend gaben Culture Club ein gefeiertes Konzert in Basel, das einzige überhaupt in Europa. Die Gruppe konzentriert sich primär auf Nordamerika. Und auch wenn Sänger Boy George zu Beginn des Konzerts dem Publikum kokett mitteilte, dass dies der Start des neuen Tourabschnitts sei und sie deshalb Fehler machen würden: Es war eine praktisch fehlerfreie Darbietung.
Der Kern der Band – alles Mittfünfziger – wirkte alles andere als eingerostet, sondern versiert und routiniert. Und auch wenn mal ein Schlusston verhauen wurde (im «War Song»): Der Auftritt war ziemlich makellos – nicht aber make-up-los.
Boy George wusste genau, was man von ihm erwartete: seinen eigenen Stil, den androgynen Star, stark geschminkt, mit kurzen Haaren und langen Ansagen. Seine Stimme hat zwar ihre pure Unschuld verloren, er klingt jetzt manchmal wie Holly Johnson, aber da ist noch immer dieser weisse Soul, diese Unverwechselbarkeit in seinem Gesang.
Und auch wenn Culture Club nicht die gleich hohe Anzahl grosser Songs vorzuweisen hat wie etwa Wham! (wann feiern die eigentlich Reunion?): Ihr Auftritt blieb kurzweilig, und das Line-up konnte sich sehen und hören lassen: 13 Musiker auf der Bühne, volle Horn Section und drei wunderbare Backgroundsängerinnen.
Nicht lumpen liess sich auch Boy George, der seine charmanten Entertainer-Qualitäten demonstrierte. Und sich nicht nur dem Publikum, sondern auch uns stellte. Zehn Minuten Zeit für ein Interview, erfuhren wir vor dem Konzert. Ein Quickie mit Boy George also.
Boy George, im Unterschied zu anderen Frontsängern haben Sie lange der Versuchung einer Band-Reunion widerstanden. Was machte die Rückkehr so schwierig?
Als die Idee aufkam, hatte die Band noch das alte Management. Und für mich war klar, dass wir zuerst jemand Neues finden mussten, auch, weil mich nicht begeisterte, was wir da als Tour angeboten bekamen. Zudem fühlte ich mich nicht wohl, wollte einen neuen Manager, der auf mich schaute und mich fit machte für die Tour, sodass ich physisch, mental und emotional bereit sein würde. Und das war ich nicht, jedenfalls nicht vor 2015… Sie müssen sehen: Touren ist ziemlich anspruchsvoll, wir sind jetzt fünf Monate unterwegs, das ist eine lange Zeit, dafür muss man bereit sein.
«Das ist lächerlich! Das lächerlichste, was Sie überhaupt sagen können… Das ist so lange her!»
Hatten Sie die Wiedervereinigung auch wegen alter Beziehungen und Gefühle gemieden?
Welche meinen Sie? Sie meinen doch nicht etwa die alte Geschichte zwischen mir und Jon (der Schlagzeuger, mit dem er einst eine Beziehung hatte, die Red.)? Jesus Christus! Das ist lächerlich! Das lächerlichste, was Sie überhaupt sagen können… Das ist so lange her! Wir sind wie Dinosaurier, noch immer unterwegs, weil wir es gut haben. Aber unsere Leben sind komplett verschieden, er hat drei Kinder, so weit sind wir voneinander entfernt. Unsere Beziehung ist wie ein mythisches Biest! Aber, was ich dazu auch noch sagen möchte: Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich vor 30 Jahren war, sondern jemand anderes. Ich bin kein Opfer mehr. «Do You Really Want To Hurt Me? Möchtest du mich wirklich verletzen? Du kannst nicht, ich werde es nicht zulassen!» So ist es heute. Lustig, dass die Leute immer wieder die Sache mit Jon ansprechen. Denn da ist nichts mehr.
Was man als Aussenstehender nicht wissen kann… es ist schwer, in eine Band reinzusehen, denn deren Chemie ist etwas sehr eigenes.
Ja, selbst wenn man einige Zeit mit uns verbringen würde, könnte man die Dynamik nicht verstehen. Wir sind eine Band. Nur auf der Bühne macht das ganze Sinn. Den Rest der Zeit denke ich: Was mache ich mit diesen Typen? Wer sind sie, was wollen sie? Das ist die Natur von Bands. Musiker, die aus kosmisch-osmotischen Zufällen zusammengefunden haben. Wir sind Culture Club, das können wir nicht ändern. Es geht darum zuzulassen, dass jeder seine Persönlichkeit lebt. Es geht um Erwachsenwerden, was ein furchteinflössendes Konzept ist bei Musikern (lacht). Es geht darum, was zählt.
«Auf der Bühne macht das Ganze Sinn. Den Rest der Zeit denke ich: Was mache ich mit diesen Typen?»
Nichts ist für die Ewigkeit. 2016 sind grosse Musiker wie David Bowie und Prince gestorben. Diese Woche kam Pete Burns von Dead or Alive («You Spin Me Round») ums Leben. Können Sie uns eine Anekdote zu ihm erzählen?
Oh, ich habe so viele lustige Erinnerungen an ihn. Als ich Pete Burns erstmals traf, in den 70ern, kam er auf mich zu und sagte: Du hast meinen Look kopiert!
War das im legendären Blitz Club, wo Sie und viele andere New Romantics verkehrten?
Nein, in einem anderen Londoner Club, dem Camden Palace. Als ich zur Toilette ging, stellte er sich mir in den Weg, zusammen mit seiner Frau Lynne und seinem Drummer Steve Coy. Ich hatte Dreadlocks, er ebenfalls. Das warf er mir vor. Damals war der Look alles – und wenn man einen ähnlichen hatte, riskierte man Prügel.
«Als ich Pete Burns erstmals traf, in den 70ern, kam er auf mich zu und sagte: Du hast meinen Look kopiert!»
Das Spannende an den 70ern nach dem Punk war ja auch, dass man voneinander wusste, obschon es noch kein Internet gab, nur Fanzines. Da war Pete Burns in Liverpool, Martin Degville in Birmingham, der später Sänger bei Sigue Sigue Sputnik wurde, und da waren Steve Strange (Visage, die Red.) und ich in London. Ich erinnere mich noch, wie es in den 70ern hiess, dass Eric’s, ein Club in Liverpool, der «Place to be» sei. Also wollten wir da hingehen. Aber gleichzeitig fürchteten wir uns, weil uns zu Ohren gekommen war, dass man uns verhauen wollte, wenn wir es zu ihnen in den Norden wagen würden. Pete und ich waren am Anfang also verfeindet. Auch in den 80er-Jahren warfen wir uns noch gehässige Sachen an den Kopf.
Sie mochten sich aber irgendwie auch?
Ja, ich liebte ihn. Er war eine faszinierende Figur. Wie er sich verwandelte, war ziemlich aussergewöhnlich, schockierend auch… (Burns hat sich unzähligen Schönheitsoperationen unterzogen, die Red.) Aber ich, als ähnlich Verrückter, mochte ihn. Wo immer er auftauchte, konnte man ihn nicht ignorieren. Er lebte im Rampenlicht, konnte sich nicht verstecken. Ich schon, ich kann jederzeit untertauchen.
Tatsächlich?
Ja. Ohne Hut und Make-up, aber mit Hoodie und Brille nimmt mich niemand zur Kenntnis. Wenn Pete Burns aber sein Haus verliess, blieb er immer Pete Burns.
«Ich kann jederzeit untertauchen. Mit Hoodie und Brille nimmt mich niemand zur Kenntnis.»
Wie geht es bei Ihnen und Culture Club weiter? Stimmt es, dass Sie an einem neuen Album arbeiten?
Wir haben ein paar neue Songs aufgenommen, ja, sind aber nicht mit allem zufrieden und schreiben neue Songs. Vergangene Woche haben wir gerade wieder einen fertiggestellt. Die neuen Lieder spielen wir auch auf dieser Tour, testen sie vor dem Publikum, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht…
Handzeichen im Hintergrund, unsere 10 Minuten sind längst überschritten.
Boy George verrät noch, dass in Basel drei neue Songs gespielt werden, sein Favorit (und das zurecht!) ist «Different Man», ein Song über die Woodstock-Legende Sly Stone («Higher», «Everyday People»). Dieser lebt völlig mittellos in einem Auto, auf den Strassen von Los Angeles.
«Es ist ein Lied über … Abhängigkeit, vermute ich», sagt Boy George, ehe wir trotz dieses grossen Stichworts das Gespräch beenden müssen. Schade, aber danke. Fragen über Sucht, Transgender und Diskriminierungen müssen wir uns aufsparen. Für ein anderes Mal. Wäre schön, wenn es dazu kommen würde.