«Opernsänger sind glücklicher als Schauspieler»

Wie sieht ein Schauspielregisseur die Opernwelt? Wir fragten den Regisseur David Bösch, dessen Inszenierung von Mozarts Oper «Idomeneo» am 12. April am Theater Basel Premiere hat.

Inszeniert zum ersten Mal am Theater Basel: David Bösch (Bild: Dirk Wetzel)

Wie sieht ein Schauspielregisseur die Opernwelt? Wir fragten den Regisseur David Bösch, dessen Inszenierung von Mozarts Oper «Idomeneo» am 12. April am Theater Basel Premiere hat.

Manchen gilt «Idomeneo» als Mozarts schönste Oper. Die Geschichte hat es jedoch in sich: Ein heimkehrender König, kriegsgebeutelt, soll seinen eigenen Sohn opfern; die Liebe spielt, wie immer, auch noch mit. Es ist kein Leichtes, die oft verworrenen Opernsujets gradlinig zu inszenieren. Doch immer wieder sind es Schauspielregisseure, denen gerade dies gelingt. David Bösch (35) ist einer von ihnen. Mit Mozarts «Idomeneo» arbeitet er zum ersten Mal am Theater Basel. Der Welt der Oper kann er fast nur Gutes abgewinnen, wie er im Gespräch erzählt.

David Bösch, Sie sind ein junger Regisseur, der nach dem Schauspiel nun auch die Oper erobert. Ist das ein Trend?

Es ist kein neuer Trend. Viele derzeitige Opernregisseure kommen vom Theater: Hans Neuenfels, Jossi Wieler, Christof Loy. Es war schon immer so, dass sich die Künste befruchtet haben.

Wie stehen Opern- und Theaterszene zueinander?

Im Schauspielbereich kursieren viele Vorurteile über die Oper: Die Leute könnten nicht spielen, der Apparat sei langsam und träge. Das hat sich für mich nicht bestätigt. An den Häusern, an denen ich arbeiten durfte, brachten die Sänger ein sehr offenes Interesse und auch Talent fürs Spielen mit.

Was unterscheidet Schauspiel- und Opernregie?

Die Musik gibt einen festen Rahmen vor: Ich weiss, wie lang eine Arie, ein Rezitativ ist, welche Figur wann auftreten oder abgehen muss. Im Schauspiel muss dieser Rahmen erst geschaffen werden.

Und in der Probenarbeit?

Im Schauspiel redet man viel mehr. Bis ein Schauspieler seine Angst überwunden hat und seinen Monolog auf der Bühne spricht, braucht er erst einmal eine grosse emotionale Zuwendung, um Vertrauen zu fassen.

Und wenn er auf der Bühne steht?

Dann gibt es oft eine grosse Scheu vor Emotionen. Im Schauspiel steht immer das Wort im Zentrum. Das Wort ist erst einmal etwas Intellektuelles, findet nur über den Kopf den Weg zum Herzen. Häufig muss man Metaebenen konstruieren, um zur Emotion zu gelangen. Schauspieler sind manchmal viel verkopfter als man denkt.

Und die Opernsänger?

Sie haben keine Scheu vor Emotionalität. Es ist ganz klar: Die Arie ist ein Emotionsausdruck, da schauen wir in das Herz des Menschen hinein, das soll der Sänger ausdrücken. Beim Schauspiel muss man diesen Moment, wo man die Emotion raus lässt, immer erst suchen. – Es gibt übrigens ein Cliché, das in meinen Augen wahr ist.

Welches?

Dass Opernsänger ein bisschen glücklicher sind als Schauspieler. Weil sie die Musik immer um sich haben, weil die Musik den Menschen seelisch und körperlich verändert. Schauen Sie sich nur in der Kantine um: Oft sitzen die Schauspieler in sich versunken, kramend, suchend. Und die Sänger kommt aufrecht, positiv gestimmt, egal, ob die Probe gut war oder schlecht – einfach weil sie die Lust der Musik eingeatmet haben.

Gefällt Ihnen die Musik zu Mozarts «Idomeneo»?

Ja. Mozarts Musik enthält alle Farben, die ein menschliches Leben, ja schon ein menschlicher Tag, in sich trägt.

Würde es Sie reizen, eine zeitgenössische Oper zu inszenieren?

Oh ja. Ich hatte das Glück, schon einige Komponisten kennenlernen zu dürfen. Da ist eine ganz andere Verbundenheit da – man trägt die gleiche Zeit in sich, die gleichen Bilder, die gleichen Filme…

Weshalb sind Filme so wichtig?

Vielleicht sollte ich das als Theaterregisseur nicht sagen, aber: Meine tiefsten, emotionalsten Erinnerungen sind Filmmomente. In meiner Jugend war es extrem wichtig, ins Kino zu gehen. Und Schach zu spielen. Bei beidem taucht man in eine eigene Welt ab und vergisst die Probleme der Pubertät.

Was waren Ihre Probleme in der Pubertät?

Die beiden gleichbedeutenden Probleme in der Pubertät sind doch: Wird es Krieg geben, müssen wir alle sterben? Hat das alles einen Sinn? Und: Wird Antje Arens mit mir ins Kino gehen und mich küssen? – Beides kann man beim Schach vergessen, weil es nur darum geht, ob ich den Turm auf E1 spielen soll oder woanders hin. Das ist überschaubar, wohingegen die atomare Abrüstung oder die Kinoeinladung sehr unübersichtliche Problematiken in der Pubertät sind.

War es einmal eine Option für Sie, Filmregisseur zu werden?

Ja, ich habe anfangs beides studiert, aber der technische Aspekt beim Film hat mich weniger interessiert als die Arbeit mit den Schauspielern.

Aber die Sujets sind die gleichen – im Grunde genommen dreht sich doch immer alles um die Liebe?

Um die Liebe, aber auch um Väter und Söhne…

…wie bei Mozarts «Idomeneo». Was kann uns diese Geschichte heute noch sagen?

Die Situation, dass man seinen Sohn opfern muss, gibt es heute nicht mehr. Und ich finde es auch falsch, die Oper einfach in ein anderes Land zu versetzen, wo dies noch im Bereich des Möglichen wäre. Nein, ich lege den Fokus auf die inneren Konflikte der Personen, denn die sind enorm. Da muss sich jemand entscheiden, auf sein persönliches Glück zu verzichten, und eine Entscheidung treffen zugunsten des Volkes. Diesen Konflikt muss man erstmal aushalten. Und lösen.

Sind das Konflikte, die wir heute verstehen können?

Ja – denn letztlich geht es immer um die grossen Fragen des Menschseins. Die haben im Alltag keinen Platz. Deshalb ist es die Aufgabe von Kultur, Räume zu schaffen, in denen die Beschäftigung mit diesen Fragen möglich ist. Wenn man ins Theater geht und sich vier Stunden lang eine Oper anhört, dann gibt es da einen Raum, sich emotional mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Warum sollte man heute ins Theater, in die Oper gehen?

Weil man anders rausgeht als man hereingegangen ist. Und wenn es nur Trost ist, den man bekommen hat. Man sieht die Welt danach mit anderen Augen.

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