Quälgeist für die gute Sache

Beat Leuthardt ist keiner, der klein beigibt. Er verhandelt hartnäckig und argumentiert scharf – einst als Journalist, heute als Co-Geschäftsleiter des Basler Mieterverbands.

«Das Wohnraumförder­gesetz der Basler Regierung ist eine Mogelpackung. Die Wirtschaftsförderung geniesst da deutlich höhere Priorität»: Mieterschützer Beat Leuthardt. (Bild: Basile Bornand)

Beat Leuthardt ist keiner, der klein beigibt. Er verhandelt hartnäckig und argumentiert scharf – einst als Journalist, heute als Co-Geschäftsleiter des Basler Mieterverbands.

Er hat gerne die Kontrolle über ­alles – auch über fragende Journalisten und knipsende Fotografen. Beat Leuthardt ist misstrauisch ­ge­worden in seinem langen Kampf ­gegen die ­Ungerechtigkeit in der Welt. Ob pro­fitgierige Immobilien­besitzer oder mächtige Obrigkeiten, Leuthardt scheut keinen Feind. Der Co-Geschäftsleiter des Basler Mieterinnen- und Mieterverband (MV Basel) formuliert gewählt und vertritt seine ­Anliegen kompromisslos. Er ist kein angenehmer Verhandlungspartner. Angesichts einer Fotokamera aber wirkt er eher ver­unsichert. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn er den Auslöser selbst ­bedienen könnte.

Herr Leuthardt, wie lange ­wohnen Sie schon am Basler Blumenrain?

Seit 20 Jahren.

Sie mussten bestimmt lange nach einer Wohnung suchen. Wer Ihnen eine Wohnung ­vermietet, holt sich schliesslich den Ärger direkt ins Haus.

Nein, gar nicht. Auf dem Arbeitsweg verteilte ich Flugblätter. Eine ältere Dame bot mir dann eine mit Sperrmüll übersäte Bruchbude an. Die Lage war aber so genial, dass ich die Wohnung unbedingt wollte und einiges selber renovierte. Sie ist auch heute noch nicht in einem sehr guten Zustand und deshalb dank Eigen­investitionen bezahlbar.

Sie hegen also keine Umzugs­pläne?

Zum Glück nicht. Müsste ich suchen, wäre es verheerend. Die Situation auf dem Basler Wohnungsmarkt ist schwierig. Das zeigt allein schon die ­Tatsache, dass der MV Basel mittlerweile 10 000 Mitglieder hat. Wir wachsen seit 15 Jahren kontinuierlich, obwohl wir das nicht anstreben. Uns wäre es lieber, wir könnten uns überflüssig machen – und es würde keine Mietprobleme geben.

Das bleibt wohl eine Illusion. Zumindest ist die Wohnungs­situation in Basel nicht so ­dramatisch wie zum Beispiel in Zürich.

Keineswegs. Sogar von offizieller Seite wird heute anerkannt, dass Wohnungsnot herrscht in Basel. Die Regierung hat dies über Jahre hinweg be­stritten. Der Leerwohnungsbestand liegt mittlerweile bei 0,46 Prozent. Das ist dramatisch und bedeutet, dass es praktisch ­keine leere Wohnung mehr gibt und die ­Wohnungen nur noch unter der Hand weggehen.

Bedeutet denn die Wohnungs­suche ein grosses Problem für Ihre Mitglieder?

Die Wohnungssuche ist immer ein grosses Thema. Gerade heute hat der breite Mittelstand grosse Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Dies nicht zuletzt auch dann, wenn Wohnungen aufgrund von Sanierungen überteuert sind. Hinzu kommt ein neues Phänomen: Mieter, die sich gerade in einer schwierigen ­Lebenslage befinden. Früher hat man Leute, die ihren Job verloren hatten oder das Geld für den Mietzins nur mühsam aufbringen konnten, eher noch behalten. Heute agieren viele Vermieter skrupellos und sprechen Kündigungen aus. Man will offenbar nur noch nette und adrette Mieter haben. Vor vier Jahren hatten wir vielleicht ­jeden dritten Monat jemanden bei uns, dem es wirklich schlecht ging. Inzwischen gibt es solche Fälle wöchentlich.

Das heisst, Sie halten den ­Mieterschutz für ungenügend?

Das Problem ist, dass es keinen ­Kündigungsschutz gibt, der diesen Namen verdient. Das ist ein Skandal erster Güte. In Deutschland stehen ältere Menschen und langjährige Mietparteien immerhin unter Kündigungsschutz, hier ist es härter. Man kann 90 Jahre alt und noch ordentlich fit sein – und trotzdem aus der Wohnung geworfen werden.

Wo wurden in der Wohn­ungs­politik in der ­Ver­gangenheit die grössten ­Fehler gemacht?

Überall.

Das ist eine sehr pauschale ­Aussage.

Die Basler Regierung legte mit ihrer Wohnraumpolitik lange den Fokus auf sogenannte gute Steuerzahler. In den letzten drei Jahren ging es nicht zuletzt wegen vereinzelter Regierungsmitglieder und auch wegen Stadtentwickler Thomas Kessler in eine andere Richtung. So brachte die Regierung mit ihrem Wohnraum­fördergesetz zum Ausdruck, dass Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten geschaffen werden soll. Das nehmen wir ernst. Das Wohnraumfördergesetz ist ja der Gegenvorschlag zu unserer Verfassungs­initiative «Bezahlbares und sicheres Wohnen für alle!» …

«Sogar von offizieller Seite wird anerkannt, dass Wohnungsnot herrscht in Basel.»

… ein Gegenvorschlag, den Sie aber für un­genügend halten.

Genau, das Wohnraumfördergesetz genügt uns nicht. Dass die Regierung auf Druck des Genossenschafts­­dach­verbandes und von uns Genossenschaftswohnungen stärker fördern will, ist positiv. Es reicht aber nicht – weder für den Mittelstand noch für die sozial Benachteiligten, die sich die relativ teuren Genossenschaftsscheine nicht leisten können. Hier kommt nichts von der Regierung.

Das stimmt so nicht ganz. Die Regierung will eine öffentlich-rechtliche Stiftung schaffen, die einkommensschwachen und anderen benachteiligten Menschen kostengünstige Wohnungen zur Verfügung stellt. Das Stiftungskapital soll rund 15 Millionen Franken betragen.

Diese 15 Millionen Franken sind ein Klacks. Das Wohnraumfördergesetz der Basler Regierung ist eine Mogelpackung. Die Wirtschaftsförderung geniesst da deutlich höhere Priorität.

Ihr Verband schlägt Sonder­zonen für den sozialen Wohnungsbau vor. Damit würden Ghettos entstehen, sagt die ­Regierung.

Das finde ich einen extrem schwie­rigen Begriff, zumal ich weiss, wie Ghettos in fernen Ländern aussehen. Mit der hiesigen Wohnsituation hat das gar nichts zu tun. Aber eigentlich sollte ich solche Aussagen gar nicht kommentieren, solange die ­Regierung nach den Regeln der ­freien Marktwirtschaft handelt, wo jeder Eigentümer ein Maximum aus dem Portemonnaie seiner Mieter rausholen kann.

Sie scheinen ziemlich sauer ­auf die Regierung zu sein.

Unsere Verfassungsinitiative verlangt mit den «speziellen Zonen und Bauvorschriften» einerseits die Schaffung bezahlbarer Wohnungen für den Mittelstand, andererseits preisgünstigen Wohnraum für sozial Benachteiligte. Dies bedeutet doch noch lange nicht, dass es automatisch Konflikte geben wird.

Wie stellen Sie sich denn eine solche «Sonderzone» genau vor?

Wir fordern keine «gated commu­nity» für sozial Benachteiligte, wie es die Reichen haben – beispielsweise in den USA oder in Südafrika. Wir wollen einzig, dass nicht alle Wohnungen zum Maximalprofit-Mietzins vermietet werden, wenn ein Investor ­einen Neubau aus dem Boden stampft. Vielmehr soll ein kleiner Teil des Neubaus bezahlbaren Wohnraum beziehungsweise limitierte Mietzinsen beinhalten. Dieses Modell gibt es schon im Kanton Zug – und wenn das in Zug möglich ist, muss es in Basel doch erst recht möglich sein.

Ein Rückzug der Initiative kommt für Sie also unter keinen Umständen infrage?

Auf keinen Fall. Schon nur wegen der geplanten faktischen Abschaffung des Gesetzes über Abbruch und Zweckentfremdung gehen wir auf die Barrikaden. Es kann doch nicht sein, dass ein Spekulant ohne gesetzliche Hürde aus älteren Wohnungen Luxuswohnungen machen kann. Dieses Gesetz ist ein Grundpfeiler des sozialen Rechtsstaats und muss zwingend erhalten bleiben. Wenn sich wider Erwarten die Bürgerlichen im Grossen Rat bei der ­Debatte auf die Seite des Mittel­standes stellen sollten, dann ziehen wir ­einen Rückzug in Betracht. Aber die Signale stimmen uns nicht zuversichtlich.

Diese Abstimmung gewinnen Sie mit links.

Ein Abstimmungssieg wäre ein ­halbes Wunder.

Weshalb? Das Thema Wohnen ist doch nahe bei den Menschen. Schon bei der Abstimmung über die ­Familiengarten-Initiative 2011 hatte die Regierung Angst vor einer Niederlage. Und der Mieterverband kann auf eine grössere Lobby zurückgreifen, als es die Familien­gärtner konnten.

Es ist nicht unmöglich, eine solche Abstimmung zu gewinnen. Doch bedenken Sie: Wir sind eine Non-Profit-Organisation und können nur mit beschränkten Mitteln gegen die bürgerliche Politik und die Immo­bilienbranche antreten. Wir haben ein Budget von 20 000 Franken für den Abstimmungskampf – die an­dere Seite wohl 200 000 Franken oder ein Mehrfaches davon. Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Aber wir unternehmen alles, um ­diese Abstimmung zu gewinnen.

Vor Ihrem Engagement für die Basler Mieter waren Sie Jour­nalist. Ein erfolgreicher?

Wenn sich Erfolg daran misst, ob man gewissen Themen Publizität verschafft, dann schon. Beispielsweise damals, als ich aufdecken konnte, dass die Schweizer Armee an den Aussengrenzen gegen Flüchtlinge eingesetzt werden sollte. Nimmt man als Gradmesser die konkreten Auswirkungen des eigenen Schaffens, dann war mein Erfolg eher bescheiden. Als Weltverbesserer war ich als Journalist wohl nicht erfolgreich. Die Situation mit den Flüchtlingen ist heute ja nicht besser geworden.

Sie wollten also die Welt ver­bessern. Haben Sie deshalb den ­Beruf gewechselt, schienen ­Ihnen die Möglichkeiten als Mieter­schützer besser?

Das war kein abrupter Wechsel. Mit Rechtsberatungen für Mieter begann ich vor 34 Jahren. Beide Berufe habe ich aus dem Antrieb ausgeübt, Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Meine Tätigkeit für den Mieterverband nimmt jetzt einfach den grössten Teil ein. Ich befürchte auch, dass ein Journalismus, wie ich ihn mir vorstelle, heute nicht mehr möglich oder gefragt ist.

Sind Sie ein Gutmensch?

Ich denke schon, auch wenn ich die heutige Definition etwas schwierig finde.

Ihre Kampagnen haben alles, was eine gute Boulevard­geschichte ausmacht: arme ­Opfer, reiche Täter – ein Thema das nahe bei den Leuten ist. Sie bedienen das immergleiche Feindbild der profitmaximie­renden Hauseigentümer. Eigentlich ein leichtes Spiel.

Wir haben höchstens deshalb ein leichtes Spiel, weil wir glaubwürdig sind. Bei unseren Kampagnen sind wir auf das Engagement unserer Mitglieder angewiesen, aus ihrer ­Betroffenheit entspringt unsere Glaubwürdigkeit. Ein Teil meiner Arbeit als Kampagnenleiter ist es, Mitglieder dafür zu gewinnen, ­öffentlich hinzustehen und über ihre Probleme zu berichten.

«Als Weltverbesserer war ich als Journalist wohl nicht erfolgreich. Die Situation mit den Flüchtlingen ist heute ja nicht besser geworden.»

Aber Sie wissen doch genau, ­welche Geschichten Sie den ­Medien präsentieren müssen, damit ­diese aufgenommen werden.

Es ist sogar noch einfacher. Wir müssen lediglich die Realität ­ab­bilden. Dass unsere Anliegen ­berechtigt sind, sieht man auch ­daran, dass wir Mitglieder aus allen poli­tischen Kreisen haben, obwohl hier beim Mieterverband einige ­Engagierte dem rot-grünen Lager zuzuordnen sind. Die Leute kommen nicht zu uns, weil sie unsere politischen Ansichten teilen, sondern weil sie ein konkretes Problem haben und wir ihnen nach Kräften ­helfen, dieses zu lösen.

Ihre Kampagnen zielen oft auf die «Immo­bilien-Lobby». Ist das nicht ein zu stark ver­einfachtes Bild der ­hiesigen Hausbesitzer?

Doch natürlich. Kampagnen sind immer vereinfachend. Wir machen heute aber tatsächlich die Erfahrung, dass man mit privaten Immobilieneigentümern wenigstens noch das direkte Gespräch suchen kann. Meistens mit Erfolg. Institutionellen Anlegern hingegen ist schwer bei­zukommen, da diese über immense finanzielle und juristische Mittel verfügen. Zugegeben, wir wählen oft einen scharfen Ton in unseren Kampagnen. Fast immer aber laufen im Hintergrund Gespräche, in welchen nach konstruktiven Lösungen gesucht wird. Es gelingt uns relativ oft, zu ­einer aussergerichtlichen ­Einigung zu gelangen.

Sie haben im Vorgespräch ­versucht, Einfluss auf die In­halte dieses Interviews zu ­nehmen. Sie wollten zum Beispiel nicht über Ihre Arbeit als Tramchauffeur bei den BVB sprechen, und haben stattdessen Themen vorgeschlagen, die Ihnen genehmer sind. Hätten Sie als Journalist solche Bedingungen akzeptiert?

Nein.

Warum verlangen Sie dies dann von uns?

Ich habe gar nichts verlangt. Ich habe lediglich aufgezeigt, zu welchen Themen ich die Kompetenz habe, ­etwas zu sagen. Ich übe viele unterschiedliche Tätigkeiten aus. Einige davon selbstbestimmt, andere nicht. Bei Ersteren kann ich Auskunft ­geben, bei den anderen eben nicht. Über das Tramfahren kann ich nur sagen, dass es mir immer noch gros­sen Spass bereitet, auch wenn es ein anstrengender Beruf ist. Definitiv mein bisher härtester Job, härter als Postsäcke buckeln beim Bahnpostamt und härter als der Dienst auf Schweizer Dampfschiffen.

Sie haben den Ruf hartnäckig, gar verbissen zu sein. Halten Sie dies für eine Stärke oder eine Schwäche?

Beides würde ich sagen. Für einen Recherchierjournalisten ist diese Eigenschaft von Vorteil. Im Privat­leben kann sie aber zum Problem werden, wenn sie überhandnimmt, da müssen Sie aber andere fragen. Ich meine aber, in einer Welt, die so ungerecht ist wie die unsere, braucht man solche Eigenschaften unbedingt, um etwas zu erreichen. Deshalb empfinde ich diese Charakte­risierungen eher als Kompliment.

Beat Leuthardt
Der Jurist Beat Leuthardt begann 1978 als freiwilliger Rechts­berater beim Basler Mieterinnen- und Mieterverband (MV Basel). Seit 1998 ist er Co-Geschäftsleiter und Leiter der Rechtsabteilung. Vor seiner Tätigkeit beim MV Basel war er Journalist. Unter anderem war er für die «Basler AZ», die «Wochenzeitung» und den ­«Tages-Anzeiger» tätig. Zudem schrieb der 56-Jährige mehrere Bücher über Menschen- und Sozialrechte, den Überwachungsstaat, Datenschutz und die «Festung Europa». Neben seinem ­Engagement für die Basler Mieterinnen und Mieter arbeitet Leuthardt ab und zu als Tramführer bei den Basler Verkehrsbetrieben. Beat Leuthardt lebt mit Patrizia Bernasconi zusammen, die Geschäftsleiterin des MV Basel und BastA!-Grossrätin ist. Leuthardt ist Mitglied derselben Partei.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.04.13

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