Richard Rapport, vom Wunderkind zum ziemlich verrückten Schach-Profi

Mit 14 Jahren war er der damals jüngste Schachgrossmeister der Welt. Heute, mit 18 Jahren, steht Richard Rapport dazu, dass er Schach viel lieber spielt, als dafür zu arbeiten.

Schachfestival Basel vom 1. - 5. Januar 2015 im Hotel Hilton in Basel Schachgrossmeister Rapport,Richard Foto: Uwe Zinke (Bild: Uwe Zinke)

Mit 14 Jahren war er der damals jüngste Schachgrossmeister der Welt. Heute, mit 18 Jahren, steht Richard Rapport dazu, dass er Schach viel lieber spielt, als dafür zu arbeiten.

Zum Schach hat ihn ein Versehen gebracht. Als Neunjähriger übersah Richard Rapport, dass seine Mathematikprüfung in der Primarschule auch eine Rückseite gehabt hätte, was ihn die Höchstnote kostete. Für Vater Rapport ein klarer Fall von fehlender Konzentration. Also begann er, als Gegenmittel, mit seinem Sohn intensiv Schach zu spielen.

Und der wurde so schnell so gut, dass er mit 14 Jahren zum damals jüngsten Grossmeister der Welt wurde. Kein Zufall, schliesslich hatte Rapport bereits als Zehnjähriger ganz auf das Schachspielen gesetzt, hatte die Schule verlassen und bloss noch die Prüfungen abgelegt.

Heute ist Richard Rapport 18 Jahre alt und die Nummer 1 der Junioren. Im vergangenen März ist der Ungar zu seiner ebenfalls auf hohem Niveau spielenden Freundin Jovana Vojinovic nach Belgrad gezogen. Gemeinsam sind sie in Basel, um am Schachfestival teilzunehmen.

Nach Jahren der harten Arbeit scheint Rapport als Volljähriger die Prioritäten etwas anders zu setzen. Schach sei für ihn ein Spiel, sagt er im Interview, also wolle er auch spielen – und nicht so sehr arbeiten.

Richard Rapport, mit 14 Jahren wurden Sie zum damals jüngsten Grossmeister der Welt und waren eine Art Wunderkind. Sind Sie froh, dass Sie nun 18 Jahre alt und erwachsen sind?

Ja, darüber bin ich ziemlich froh (lacht). Wobei es im Schach eigentlich nichts Gutes ist, wenn du merkst, dass die Zeit vergeht. Es ist viel besser, wenn du jünger bist und gut. Wenn du mit dem Älterwerden bloss gleich gut bleibst, kann das schon etwas deprimierend sein. Aber auf mein Leben neben dem Brett bezogen: Natürlich bin ich froh.

Sie sagten, es sei frustrierend zu bemerken, dass man sich nicht mehr verbessert. Haben Sie also das Gefühl, dass Sie derzeit etwas feststecken?

Ich mache zwar noch immer kleine Fortschritte, aber ich strebe eben immer nach der Spitze. Und zum Ende des letzten Jahres hin habe ich viele Chancen ausgelassen. Es ist mir schon passiert, dass ich ein Spiel verhaue – und dann fällt alles in sich zusammen.

Aber Sie machen sich keine Sorgen, dass Sie Ihren Zenit erreicht haben könnten?

Nein, ich bin nicht wirklich beunruhigt, sondern ziemlich optimistisch (lacht).

Schach kann ein Spiel sein, ein Sport, eine Wissenschaft, eine Kunst …

… ach, es ist doch einfach ein Spiel. Wenn du es zu ernst nimmt, dann ist das nicht gut. Natürlich ist Schach ein wichtiger Teil meines Lebens, aber es ist eben immer noch ein Spiel. Es gibt wichtigere Dinge.

Zum Beispiel?

Nun, meine Verlobte spielt ebenfalls hier in Basel mit. Sie ist ganz sicher wichtiger. Ich stelle mein Privatleben immer über das Schachspiel.

«Du suchst nach einer Lösung – und es passiert nichts. Das ist schrecklich!»

Sie spielen nun schon so lange auf einem derart hohen Level Schach – wird es Ihnen da nie langweilig?

Das ist eine gute Frage. Natürlich langweile ich mich manchmal. Aber es ist nicht das Schachspielen, das langweilt, es ist mehr die tägliche Routine, die damit einhergeht. Du stehst auf, du arbeitest, du schaust etwas nach. Turniere dagegen sind für mich immer Spass. Da gibt es Spiele, du stehst unter Stress, du bist voller Adrenalin…

Sie mögen den Wettkampf?

Ja, dann ist es ein Spiel. Das ist der Teil, der Spass macht. Aber wenn du an etwas Spezifischem arbeitest, dann kann es wirklich mühsam werden. Vor allem, wenn du keine Fortschritte machst, wenn du deinem Ziel nicht näher kommst. Dann bist du nicht einmal gut darin, was du machst! Du suchst eine Lösung – und es passiert nichts. Das ist schrecklich! Dann muss ich manchmal einfach einen Tag Pause machen oder in die Ferien gehen, den Kopf wieder leeren und neu beginnen.

Yannick Pelletier, der 20 Jahre älter ist als Sie, hat mir erzählt, wie sehr die Computer das Schachspiel verändert haben. Sie sind mit dem PC aufgewachsen. Spielt Ihre Generation anders Schach als die vorhergehenden?

Also ich selbst spiele meistens eine andere Art von Schach als die Klassiker. Aber das ist weil… Ich weiss nicht warum (lacht). Wohl darum, weil man so spielt, wie es einem die Persönlichkeit vorgibt. Ein sehr gescheiter Mensch hat einmal gesagt, Schach sei ein Spiegel deiner Seele. Das ist ein sehr schöner Satz.

«Für einen Profi-Spieler bin ich ziemlich verrückt. Ich versuche, Abkürzungen zu nehmen.»

Und was sagt Ihr Spiel über Sie aus?

Eine sehr gute Frage. Ich denke, für einen Schach-Profi bin ich ziemlich verrückt. Ich versuche, Abkürzungen zu nehmen. Ich meine: Sie mögen denken, dass man mehrere Stunden am Tag an seinem Schachspiel arbeiten muss, um etwas herauszufinden. Ich sage: Nein, ich spiele! Auch wenn das vielleicht objektiv gesehen nicht der beste Weg sein mag. Wen kümmerts? Lasst uns spielen und es herausfinden. Ausserdem spiele ich normalerweise aggressiv. Das ist es eigentlich. Ich bin nichts Spezielles. Okay, ich habe noch immer Elo 2700 (die Wertungszahl der sogenannten Super-Grossmeister, Red.), also habe ich vielleicht doch etwas. Ich glaube, ich bin besser darin, Schach zu spielen, als darin, Schachwissen anzusammeln.

Gibt es Spieler, denen Sie nicht gerne zuschauen, weil sie Ihnen zu langweilig spielen?

Oh! Das ist ein bisschen wie im Fussball. Da schaut man auch lieber jener Mannschaft zu, die fünf Tore erzielt, als jener, die nur 0:0 spielt. Andererseits… Ich will hier nicht den perfekten Landsmann geben, aber der Ungar Peter Leko zum Beispiel spielt einerseits sehr langweilig, aber andererseits auf sehr hohem Niveau. Amateure mögen denken: «Was macht er da? Das gibt doch bloss wieder ein Unentschieden.» Ja schon. Aber schaut mal, was er genau macht. Ich schaue ihm gerne zu, weil ich Dinge lernen kann. Das ist schade am Schach, dass es in der Wahrnehmung nicht so sehr darauf ankommt, wer gut spielt, sondern wer am unterhaltsamsten spielt. Weil es so viele Amateure gibt, die nicht verstehen, worum es beim Schach eigentlich geht.

Und worum geht es?

Im Schach geht es normalerweise darum, die Wahrheit zu finden. Es geht auch ein wenig um Talent. Aber vor allem geht es darum, die objektiv richtige Lösung zu finden.

Suchen auch Sie nach dem objektiv besten Zug?

Ich selber bin nicht so sehr Teil von der Suche nach der Wahrheit. Ich bin der Typ, der eher das Spiel spielen will, anstatt nach der objektiv besten Lösung zu suchen. Aber das kann manchmal nach hinten losgehen. Ich würde den Leuten dazu raten, die richtige Lösung zu suchen, normale Züge zu spielen. Wenn dein Gegner auch normale Züge spielt und es gibt ein Remis – okay. Und wenn dein Gegner einen Fehler macht, dann hast du deine Chance.

Das heisst aber, dass Sie mit mehr Risiko spielen?

Ja, normalerweise. Seit ich klein bin, habe ich den Drang, auf Sieg zu spielen. Keine Ahnung, warum. Ich denke: Wenn es ein Spiel ist, dann lasst uns doch nach dem besten Weg suchen, es zu gewinnen.

Die Arbeit mit dem Computer dürfte Ihrem Drang nach Spiel nicht unbedingt entsprechen.

Die Computerunterstützung macht vor allem die durchschnittlichen Spieler stärker. Für mich ist es deswegen schwieriger, Spieler zu schlagen, die ein schlechteres Rating haben als ich, weil sie sich besser vorbereiten können. Der Computer hat das Spiel verändert – aber nicht in den Grundlagen. Es ist noch immer dasselbe coole Spiel. Ich denke, der Computer hilft jenen Spielern, die wirklich arbeiten.

«Ich bin eher der faule Typ. Ich habe in meinen ersten Jahren viel gearbeitet, jetzt geniesse ich das Leben.»

Sind Sie selbst dieser Typ, der Schach arbeitet? Bislang klingen Sie nicht so.

Nein, ich bin eher der faule Typ (lacht). Sicher, ich habe in meinen ersten Jahren sehr viel gearbeitet. Aber jetzt geniesse ich einfach das Leben.

Was heisst das? Wie viele Stunden am Tag beschäftigen Sie sich derzeit mit Schach?

Ich traue mich gar nicht, irgendwelche Zahlen zu nennen. So wenige sind es also (lacht). Es gibt Tage, an denen ich gar nichts mache, es gibt Tage, an denen ich mich total mit Schach beschäftige und meine Freundin um Mitternacht frage, ob sie noch über Schach diskutieren mag. Es ist recht chaotisch.

Sie sind also an einem Punkt im Leben angekommen, in dem das Schach nicht mehr ganz so wichtig ist?

Wissen Sie, ich habe sehr viel Schach gespielt in meinem Leben. Und wahrscheinlich bin ich noch immer in einer Phase, in der ich viel arbeiten muss, um mich zu verbessern. Aber es ist sehr schwierig, immer weiter zu arbeiten und auch die Leute zu organisieren, die mir dabei helfen. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, mich darauf zu konzentrieren, einfach aus meinen Spielen das Beste zu holen und daneben zu schauen, dass ich jeden Tag geniesse. Längerfristig gesehen wäre es wohl besser, mich immer auf die Partien vorzubereiten. Aber ich denke, ich kann auch aus den Spielen selbst so viel ziehen, dass ich profitiere. Wenn ich aber vor ganz grossen Turnieren stehe, bereite ich mich sicher darauf vor.

Schliesslich sagten Sie selbst zu Beginn des Gesprächs, dass Sie stets nach dem Höchsten streben. Und das wäre dann im Schach ja der Weltmeistertitel.

Ja, das ist ein wirklich hohes Ziel. Aber ich muss erst einmal in die Nähe davon kommen. Ich bin jetzt circa in den Top 30 der Welt. Also sollte ich erst einmal schauen, dass ich unter die ersten zehn komme, dann vielleicht auf die Position Nummer 1 (lacht)… Aber sicher, der Weltmeistertitel wäre ein sehr schönes Ende meiner Karriere. Derzeit stehe ich ja erst etwa in der Mitte.

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Schachfestival Basel: bis 5. Januar, Hotel Hilton.

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