«Ruhe wird nicht von einem Tag auf den anderen einkehren»

Der neue BVB-Verwaltungsratspräsident Paul Blumenthal will bis Mitte 2014 für Verbesserungen bei den BVB sorgen. Angefangen hat er schon mal mit dem Verhältnis zur BLT.

Paul Blumenthal, der neue starke Mann bei den BVB: «Natürlich mache ich mir auch Vorwürfe.» (Bild: Nils Fisch)

Der neue BVB-Verwaltungsratspräsident Paul Blumenthal will bis Mitte 2014 für Verbesserungen bei den BVB sorgen. Angefangen hat er schon mal mit dem Verhältnis zur BLT.

Es wartet bei den BVB viel Arbeit auf den neuen Verwaltungsratspräsidenten Paul Blumenthal. Sein Vorgänger Martin Gudenrath, der Anfang Woche nicht ganz freiwillig zurückgetreten ist, hat dem 58-Jährigen einen Scherbenhaufen hinterlassen. Nun braucht er nach der Demission von Jürg Baumgartner auch noch einen neuen Direktor. Im Interview erklärt der frühere SBB-Personenverkehrschef, wie er all die schwierigen Aufgaben meistern will.

Herr Blumenthal, das waren heftige Tage für die BVB. Erst der Bericht der Finanzkontrolle, dann Martin Gudenraths Rücktritt und dann geht auch noch Direktor Jürg Baumgartner, der mehrere Mitarbeiternnen mit SMS und anzüglichen Handy-Fotos bedrängt hat.

Ja, das waren in der Tat turbulente Tage. Ich bin schon lange im Geschäft, aber so etwas habe auch ich noch nie erlebt.

Und wie geht es Ihnen nach all diesen Geschehnissen?

Schlecht. Ich kann die Sache mit Jürg Baumgartner nicht fassen. Es ist unverzeihlich, was er getan hat. Ich bin schockiert und kann nicht in Worte fassen, wie ich mich fühle.

Sie haben sich im Verwaltungsrat für sein Bleiben stark gemacht. Ein Fehler?

Ich wusste damals nichts über diese Bilder und über diese SMS. Ich ging davon aus, dass er die Kurve noch hätte nehmen können. Aber offensichtlich habe ich mich getäuscht. Man kann nun mal nicht in einen Menschen hineinsehen. Auch die Geschäftsleitung der BVB ist total schockiert über diesen Vorfall. Man hätte ihm so ein Fehlverhalten nicht zugetraut. 

Wie gross ist der Schaden für die BVB nach diesem Vorfall?

Der Imageschaden ist enorm, klar. Und für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es sehr schwierig, mit den Entwicklungen der letzten Monate umzugehen. Das tut mir sehr leid.

Haben Sie ihm einen Rücktritt nahe gelegt?

Ich habe ihn vor ein paar Tagen gefragt, ob er sich das noch antun will. Ich glaube, dann hat es auch bei ihm Klick gemacht. 

Sie wollen die BVB aus der Krise führen. Sind Sie abenteuerlustig?

Als ich mich dafür entschieden habe, Verwaltungspräsident der BVB werden zu wollen, sagte auch meine Frau, dass ich von allen guten Geistern verlassen worden sei. Sie hat die ganze Geschichte mit den BVB ja auch mitbekommen. Ich mag aber Herausforderungen.

Als Leiter Personenverkehr bei den SBB betonten Sie immer wieder, wie wichtig Ihnen «Top-Service» an den Kunden sei. Wie zufrieden sind Sie mit dem momentanen Service der BVB?

Ich finde, dass die BVB mit ihrem Service absolut bei den Leuten ist. Auch die Perspektive gefällt mir. Mit der schrittweisen Einführung der neuen Flexity-Trams von Bombardier ab 2014 wird ein Quantensprung in der Qualität passieren. In den nächsten paar Jahren werden wir 60 neue 100-Prozent-Niederflur-Trams bekommen – und somit eine topmoderne Flotte. Ältere Menschen und Mütter oder Väter mit Kinderwagen können dann problemlos in die Trams einsteigen. Es wird auch breitere Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten geben. Das ist ein Quantensprung, den man sich noch nicht vorstellen kann, weil die Trams noch nicht sicht- und erlebbar sind. Aber das ist ein Riesenfortschritt für uns und unsere Kunden.

Also sehen Sie punkto Service kein Verbesserungspotenzial?

Doch. Im täglichen Betrieb gibt es immer Verbesserungsmöglichkeiten. Ich bin gespannt, wie die Kunden das sehen. Demnächst werden die Resultate der Kundenbefragung vorliegen. Die grösste Herausforderung für uns sind momentan aber die Anzeigetafeln. Wir müssen endlich 99,9 Prozent Zuverlässigkeit erreichen – 99,0 Prozent reichen uns nicht. Da nehmen wir den Lieferanten der Anzeigetafeln auch sehr stark in die Pflicht.

Wie sieht es nun mit WLAN in allen Bussen und Trams aus? Die BLT ist da schon viel weiter.

Wenn sich in der Umfrage zeigt, dass die Kunden das wollen, werden wir uns mit Sicherheit nochmals eine Entwicklung gönnen. Einiges ist ja bereits aufgegleist. So werden die neuen Trams und Busse ab Werk mit WLAN ausgerüstet sein. Damit machen wir erst Erfahrungen, bevor es an nächste Schritte geht.

Wie genau wollen Sie die BVB aus der Krise führen?

Es ist insbesondere in der Führung des Unternehmens – von oben bis unten – mehr Stabilität notwendig. Wir haben als ziemlich neu aufgestellter Verwaltungsrat nun die Chance, das Ruder zu übernehmen und klare Regeln und Instrumente aufzustellen. Von den acht Personen im Verwaltungsrat sind ab 2014 nur noch drei Bisherige dabei.

Bis wann soll endlich Ruhe in die BVB einkehren?

Von einem Tag auf den anderen wird dies nicht möglich sein. Meine klare Erwartung ist es, dass wir bis spätestens Mitte 2014 spürbare und sichtbare Verbesserungen eingeführt haben. Wir werden uns als Verwaltungsrat deshalb ab Januar häufiger treffen müssen als vorgesehen.

Wo liegt denn das grösste Problem bei den BVB?

Dass im Unternehmen Regeln bestehen, die sich in der Grauzone bewegen oder nicht klar sind. Das ist für alle Beteiligten immer sehr schwierig. Dieses Problem muss gelöst werden. Es braucht klarere Strukturen. Es ist aber nicht das Ziel, dass wir alles veradministrieren und somit Entwicklungen abwürgen. Es müssen jedoch Grundlagen geschaffen werden, damit alle wissen, woran sie sind. Mir ist es ein grosses Anliegen, dass die BVB auch wieder für positive Schlagzeilen sorgen kann. Denn die veröffentlichte Meinung der Presse wird zur öffentlichen Meinung in der Bevölkerung – und diese prägt auch sehr stark die Meinung von innen.

Ist die veröffentlichte Meinung denn Ihre grösste Sorge?

Am meisten tut mir leid, dass die Krise sehr stark auf die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abfärbt. Das ist sehr belastend. Deshalb ist die Dringlichkeit auch für mich derart hoch, dass wir das Problem sehr schnell in den Griff bekommen. Es geht ja nicht darum, dass wir die Medien zum Schweigen bringen wollen. Sondern darum, dass der Stolz und die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter nicht leidet. Das ist für mich das oberste Ziel, das wir durch glaubwürdige, transparente Tatbeweise erreichen wollen.

Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Martin Gudenrath?

Das ist sehr einfach: Wir haben am Schluss im Verwaltungsrat eine Arbeitsweise gehabt, die nur in zwei Lagern funktioniert hat. Das ist für ein Gremium, das Verantwortung tragen muss, einfach schlecht.

«Hätte der Verwaltungsrat funktioniert, hätte es die Finanzkontrolle nicht gebraucht.»

Was meinen Sie mit zwei Lagern?

Da war der VR-Präsident, der mit der Geschäftsleitung vorausmarschierte, und der übrige Verwaltungsrat hinkte hinterher. Das führte schliesslich zur Untersuchung durch die Finanzkontrolle. Seien wir ehrlich: Hätte der Verwaltungsrat funktioniert, hätte es die Finanzkontrolle nicht gebraucht. Leider war es so, dass es einen Whistleblower brauchte, bis der Rest der Verwaltungsräte sich einklinken konnte.

Das ist auch Ihre Schuld. Sie sind seit 2009 im BVB-Verwaltungsrat dabei.

Natürlich mache ich mir auch Vorwürfe. Es ist aber keine Situation, die in den letzten paar Monaten so entstanden ist, sondern sie hat sich über die letzten dreieinhalb Jahre so entwickelt. Ich hätte auch mit den Kollegen dafür sorgen können, dass wir als Restverwaltungsrat klare Forderungen an den Eigentümer stellen. Im Nachhinein ist man immer gescheiter.

Sie müssen nun einen neue Direktorin oder einen neuen Direktor suchen. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Grundsätzlich als partizipativ und vertrauensvoll. Wenn ich das Vertrauen zu jemanden haben, führe ich grundsätzlich an der langen Leinen. Vertrauen muss man sich aber verdienen. Solange ich nicht vertraue, kann ich auch sehr autoritär und interventionistisch sein.

Was erwarten Sie von Ihrem Personal?

Vom Kader erwarte ich, dass sie sorgfältig arbeiten, dass sie ehrlich und verlässlich sind und dass man einen respektvollen Umgang miteinander pflegt. Damit möchte ich aber nicht sagen, dass dies heute nicht so ist. Das sind einfach Werte, die auch für mich sehr prägend sind – und diese erwarte ich ebenso von der Führungsmannschaft.

Gemäss der «NZZ am Sonntag» sind Sie eine «schroffe» Person.

Das kommt auf die Situation an. Normalerweise bin ich ein umgänglicher Mensch. Wenn ich jedoch das Gefühl habe, dass ich nicht ehrlich behandelt oder manipulativ umgangen werde, dann werde ich sehr schroff und unter Umständen sogar wütend. Denn das Gefühl, umgangen zu werden, verleide ich zum Teufel nicht! Dann werde ich unangenehm.

In einem Interview vor zwölf Jahren sagten Sie, dass Sie nichts mehr hassen als Arroganz. Stimmt das auch heute noch?

Das gilt nach wie vor. Denn auch ich will nicht so rüberkommen. Ich will greifbar sein, nicht abgehoben.

Die BVB befinden sich seit geraumer Zeit im Clinch mit der BLT. Wie geht es nun weiter?

Wir haben einen Termin mit der BLT für den Januar abgemacht. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich bevorzuge es, in der Direktbegegnung mit der BLT zu kommunizieren und nicht via Medien.

Aber mit dem Verhalten von BLT-Verwaltungsratspräsident Dosé hatten offenbar auch Sie Ihre Mühe.

Ich hatte nicht Mühe mit der Art von André Dosé, sondern damit, wie die beiden Verwaltungsratspräsidenten miteinander umgegangen sind. Denn ich verstand nicht, weshalb man sich Briefe schreibt und sich via Medien attackiert. Das ist nicht der Stil, den ich pflegen möchte. Ich bevorzuge es, Personen in die Augen zu schauen und gehe das sehr unvoreingenommen an.

Grund für den Zwist mit der BLT ist auch der Margarethenstich. Wer soll die Strecke fahren, BVB oder BLT?

Es gibt zwei Botschaften, die ich heute nochmals über die Medien mitteile und danach möchte ich mich nicht mehr via Presse dazu äussern. Erstens: Wichtig für unsere Kunden ist, dass der Margarethenstich realisiert wird. BLT und BVB müssen die Realisierung pushen, um den Service den Kunden zeitgerecht anbieten zu können. Zweitens: Ich habe ein entspanntes Verhältnis dazu, wer die Strecke fahren soll. Ich finde es falsch, wenn zwei verschwisterte Unternehmen über den Margarethenstich streiten. Am Schluss ist es ohnehin ein politischer Entscheid – und das ist auch okay für mich. Ich sehe die ganze Sache entspannt.

Sauer war die BLT auch, weil die BVB aus der gemeinsamen Tango-Beschaffung bei Stadler Rail ausstieg. War dies ein weiser Entscheid von Martin Gudenrath, auf Bombardier zu setzen?

Wenn man sich das sich das Ganze preislich anschaut: Die Trambeschaffung der BVB war eines der professionellsten Beschaffungsvorhaben, das ich bis jetzt erlebt habe. Ich habe bei den SBB für Milliarden Rollmaterial bestellt und kann das beurteilen. Die BVB-Geschäftsleitung unter Jürg Baumgartner hat dies sehr gut gemacht. Was ich betonen möchte: Die neuen BVB-Trams werden zu 100 Prozent Niederflur-Anteil haben. Bei den alternativen Trams von Stadler Rail, die wir ohne Ausschreibung gehabt hätten, ist dies damals noch nicht der Fall gewesen. Welches der beiden Trams das bessere ist, entscheiden am Schluss die Kunden und die Praxis. Da will ich keinen Graben auftun.  

Sie galten als Shooting Star bei den SBB. Wieso haben Sie sich ausgerechnet für die kleine BVB entschieden?

Ich bin nicht der Ansicht, dass ich ein Shooting Star war. Ich bin über den Ausdruck nicht sonderlich glücklich.

Wieso?

Weil ich das Gefühl habe, dass er nicht stimmt. Ich habe einfach meinen Job gemacht als Personenverkehrsspezialist bei den SBB. Und ich war auch in einer Phase bei den SBB, in der wir sehr expansiv tätig sein konnten. Heute ist dies aufgrund des Finanzkorsetts bei den SBB schwieriger.

Aber zurück zur Frage: Was führt Sie denn zu den kleinen BVB?

Nach meinem Austritt bei den SBB 2009 wollte ich in der strategischen Führung von kleineren und mittleren Unternehmen tätig sein. Solche Unternehmen sind überschaubarer. Es ist einfacher, hier etwas zu gestalten und zu bewirken. Das ist einer der Gründe, wieso ich zu den BVB wollte – nebst dem Produkt, das ich sensationell finde. Ich finde auch die Liebesbeziehung, die zwischen den Baslern und ihren Drämmli besteht, sehr faszinierend. Eine solche Liebesgeschichte hätte ich mir auch immer für die SBB gewünscht. Zu den BVB ist eine grosse emotionale Bindung vorhanden, auf der man strategisch sehr gut aufbauen kann. Diese Beziehung gilt es zu pflegen.

Sie galten als Topfavorit für die Nachfolge von SBB-Chef Benedikt Weibel. Entschieden hat man sich dann für Andreas Meyer. War dies sehr enttäuschend für Sie?

Das Schicksal hat es gut gemeint mit mir. Ich bin der Meinung, dass dies gut herausgekommen ist für mich. Der Entscheid für Andreas Meyer war richtig.

2009 erfuhren Sie, dass Sie einen Hirntumor haben. Inzwischen sind Sie wieder gesund. Mögen Sie darüber sprechen?

Es gibt zwei Vorfälle, die mich sehr geprägt haben. Der Hirntumor war einer davon. Ich erinnere mich noch sehr gut an den 26. Januar 2009, als ich diese Nachricht bekommen habe. Plötzlich waren sämtliche Kabel durchgeschnitten. Man ist fertig. Für einen wie mich, der relativ gerne arbeitet und im operativen Geschäft der SBB sehr mitgewirkt hat, war dies ein harter Schlag. Rückblickend betrachtet hat mich der Hirntumor stärker gemacht.

Und was war das zweite eindrücklichste Erlebnis?

Das war in diesem Jahr: die Geburt meines ersten Enkelkindes. Es war für mich nach meiner Krankheit sehr emotional, das gesunde Baby mit einem Lächeln zu sehen. Ein wundervoller Moment.

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