«Sammeln ist huere cool»

Rapper Greis sagt, was sein Brillenfetisch mit Hip-Hop zu tun hat, warum er bei «1 City 1 Song» nicht mitwirken wollte – und überrascht zudem mit seiner Annäherung an das Chanson.

Hat den Durchblick, was Brillen und ihre Geschichte angeht: Grégoire Vuilleumier alias Greis. (Bild: Stefan Bohrer)

Rapper Greis sagt, was sein Brillenfetisch mit Hip-Hop zu tun hat, warum er bei «1 City 1 Song» nicht mitwirken wollte – und überrascht zudem mit seiner Annäherung an das Chanson.

Ein Greis ist er schon lange, nun ist er sogar reif fürs Museum – zumindest mit seiner Sammlung von Sonnenbrillen. In der neuen Ausstellung «Bewahre!» präsentiert das Museum Baselland «50 Shades of Greis». Hat der 35-jährige Berner wirklich den Durchblick? Wir laden ihn zu einem Bier im Basler Roten Engel ein, mit der festen Absicht, seine Faszination für Brillen aus ihm herauszukitzeln. Das ist gar nicht nötig: Ein Stichwort und Greis spricht über Brillen, schneller als er rappt.

Brillen sammeln und ausstellen, das klingt nicht nach Rapstar-Dasein.

Ich bin in der Quarterlife-Crisis. Mit 35 gehöre ich langsam zu den Älteren im Schweizer Rap und suche mir Aufgaben, bei denen ich wieder zu den jüngeren Leuten gehöre: Unter Sammlern ist das der Fall.

Sie scherzen?

Ein bisschen vielleicht. Aber ich finde das Sammeln etwas «huere cools»: Zugleich aufregend und beruhigend. Absolut kontemplativ.

Kontemplativ? Heisst das, Sie setzen sich an einem freien Abend vor Ihre Sonnenbrillensammlung und sagen sich «Om»?

Genau. Wenn ich eine Zigi rauchen gehe auf meinem Balkon, nehme ich zwei Sonnenbrillen mit, höckle mit diesen ein bisschen draussen und ergötze mich daran.

Erklären Sie uns das genauer.

Als Musiker schiebe ich die ganze Zeit Neurosen, frage mich: «Worüber könnte ich in meinen Liedern noch reden, was habe ich noch Spannendes zu erzählen?» Das langweiligste am Musikerberuf ist, dass man gezwungen wird, sich ständig mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die Brillen hingegen sind Objekte, die nichts mit mir selbst zu tun haben. Das ist für mich unglaublich wertvoll. Zudem sammle ich nicht nur Objekte, sondern auch das Wissen darüber. Das ganze Aufspüren und Horten hat etwas Kindliches, wie bei einer Schatzsuche.

Sie sind Musiker, für viele andere ist die Musik reine Freizeitbeschäftigung. Mussten Sie sich ein eigenes Hobby suchen, einen eigenen Zufluchtsort fernab der Musik?

Ja, absolut! Ich sage vielen anderen Musikern, die sich kreativ im Kreis drehen: Such Dir ein Hobby! Sammle etwas! Und zwar etwas, das nichts mit deiner Person zu tun hat. Das ist für mich ein weiterer wichtiger Faktor: Ich kann keine Brille bauen, nicht einmal justieren. Ich kann sie nur polieren und anschauen.

Wann hat das angefangen?

Als Kind war ich Brillenträger, wurde deswegen gehänselt. Vor ein paar Jahren aber kam der Zürcher Rapper Tinguely dä Chnächt von einem Aufenthalt in New York zurück und trug eine auffällige Korrekturbrille. Ich fragte, was für eine das sei. Er sagte: «Cazal. Kennst du die etwa nicht?». Als ich merkte, dass mir da Insiderwissen fehlt, begann ich mich dafür zu interessieren. Später, auf einer eigenen Reise nach New York, sah ich in einem Laden eine gefälschte Cazal. Der Verkäufer erzählte mir, wie begehrt auch diese Fälschungen früher waren, und dass man dafür sogar ausgeraubt wurde. Dieser offensichtliche Kultstatus machte mich noch neugieriger.

Jetzt müssen Sie uns einweihen, was es mit diesen Cazals auf sich hat.  

Der Name steht für eine Abkürzung: Cari Zalloni war ein italienisch-deutscher Designer, seine Cazal-Brillen schmückten poshe, deutsche Frauen, die sich an Pferderennen und Tennis Opens vergnügten und auffallen wollten. In den 80er-Jahren wurden diese Brillen dann von den Hip-Hoppern entdeckt.

Wie fanden die Brillen zum Hip-Hop?

Dazu gibt es mehrere Theorien. Meine lautet: Beim berühmten Stromausfall von New York, dem Black Out 1977, eigneten sich zahlreiche ärmere Einwohner während den Plünderungen Luxusprodukte an. Und kamen danach wie die Village People daher, bunt, selbstbewusst. Die jungen Afroamerikaner hatten zwar nicht viel, aber sie hatten ihren Stolz – und die Brille war ein Accessoire der Zugehörigkeit, womit sie ihren Stolz nach aussen trugen. Die ersten ikonischen Brillenträger tauchten dann in den 80er-Jahren auf, Run DMC oder die Fat Boys. In den 90er-Jahren fiel Notorious B.I.G. mit einer Versace-Brille auf, übrigens auch ein Frauenmodell. Die Rapper eigneten sich diese Mode einfach an. Das finde ich ein geiles, faszinierendes Kulturphänomen, das zum Hip-Hop passt. Denn auch die Plattenspieler waren ja ursprünglich nicht dafür gedacht, zum «Scratchen» benutzt zu werden. Heute sind wir soweit, dass Rapper wie Rick Ross sich sogar das Cazal-Logo aufs Gesicht tätowieren lassen.

Womit begründeten Sie Ihre Sammlung?

Mit zwei Cazal-Brillen, die ich auf dem Basler Petersplatz fand. Da dachte ich mir: Okay, wenn ich solche Modelle auf dem Flohmi finde, dann ist alles möglich.

Kannten die Flohmi-Verkäufer den Sammlerwert dieser alten Sonnenbrillen?

Ähm. Nein. Zehn Franken zahlte ich für ein solches Stück. Heute undenkbar.

Was würden Sie denn heute dafür zahlen?

Auf jeden Fall mehr.

Wie gross ist Ihre Sammlung?

400 bis 500 Stück.

Gibt es viele Sonnenbrillen-Sammler in der Schweiz?

Ich kenne drei, vier Leute, die grössere Sammlungen haben als ich. Dann gibt es auch solche, die sich nur auf eine Marke konzentrieren. Nur Versace. Nur Porsche. Als ich keine mehr auf dem Flohmi fand, merkte ich, dass es da auch andere gab. Inzwischen sind wir eine eingeschworene Gemeinschaft.

Wo trifft man sich?

Im Internet, in Facebook-Gruppen. Wir «Cazal-Phanatics» zählen uns zur Elite. Eine geschlossene Gruppe, Zugang erhält man nur auf Einladung. Wir haben alle einen Hip-Hop-Ursprung. Brillen sind für mich heute, was früher Graffiti war. Früher ging man nach Basel wegen der Bahnlinie und freute sich an den Graffiti. Und heute klappere ich Optikerläden ab, treffe Freaks und bin Teil einer Community. Die richtig Krassen sammeln nur Cazal. Ich dachte anfangs auch, ich bleibe dabei. Dann sagte ein anderer: Du wirst sehen, irgendwann findest du deine erste Dior und dann gibt es kein Zurück mehr. Und so ist es mir auch ergangen. Ich fand meine erste Dior in Biel. Inzwischen sammle ich Brillen, die zwischen 1970 und 1992 auf den Markt gekommen sind. Innerhalb dieser zeitlichen Eingrenzung habe ich meine Spezialgebiete: Brillen mit Nasenstücken beispielsweise. Oder Zollitsch, eine kleine deutsche Marke, die es nur zwei Jahre lang gab. Ab 1992 kam das CE-Zeichen auf Sonnenbrillen – das hilft bei der Abgrenzung.

Eigentlich läge es einem Hip-Hopper doch näher, Turnschuhe zu sammeln: War Ihnen dieser Pfad zu ausgetreten?

So negativ würde ich es nicht formulieren. Ich besitze auch ein paar klassische Turnschuhmodelle. Aber die Sneakerfreaks haben viel früher angefangen – und mich reizte das Fremde: die Brillen. Diesbezüglich waren uns die Japaner einen Schritt voraus.

Inwiefern?

In Japan bildete sich Jahre vor den USA oder Europa eine Szene von Sonnenbrillen-Sammlern. Ich erkläre mir das damit, dass die Japaner viel schneller einen historischen Blick auf die westliche Popkultur haben. Nach zehn Jahren ist etwas für sie bereits kulturhistorisch interessant. Bei uns dauerts hingegen 20 oder 30 Jahre.

Sind Sie auch ein Chronist?

Ja, aber nicht aktiv. Ich schreibe nichts auf, sondern sammle das Wissen für mich. Einfach, weil ich gerne Zusammenhänge verstehen und erkennen möchte.

Kommt irgendwann statt einer neuen Platte ein Buch über Sonnenbrillen von Ihnen auf den Markt?

Das wäre natürlich geil. Aber noch wäre es zu früh dafür.

Warum?

Vor zwei Jahren kamen wir in eine Phase der schwankenden Preise. Die Hersteller brachten Reissues heraus, also alte Modelle in neuer Produktion. Dadurch fielen die Preise der Originale. Zudem kamen Fälschungen auf den Markt, der dadurch geflutet wurde. In einem nächsten Zyklus erst wird wieder eine Stabilisierung eintreten. Wir erleben das, was Turnschuhsammler viele Jahre zuvor schon erlebten.

In Ihrem Lied «Gröné» schildern Sie, wie Sie Brillen zu verkaufen versuchen, um Ferien zu buchen. Am Ende behalten Sie doch alle für den Eigengebrauch. Ist das Tatsache?

Das ist eine Anspielung auf ein Strassengebot bei Dealern: «Never Get High on Your Own Supply». Und was Brillen betrifft, geht es mir gleich: Eigentlich müsste ich damit handeln, um mir meine Sammlung finanzieren zu können. Das schaffe ich aber nicht. Ich habe 100 Stück, die ich nie verkaufen würde. Zudem schaffe ich es nie, von jemandem mehr Geld zu verlangen, als ich selbst dafür bezahlt habe. An einzelne Läden verkaufe ich. Und dass ein reicher Russe käme und mir 700 Franken für ein Exemplar bieten würde, ist leider noch nicht eingetroffen. Schon als Kind träumte ich davon, mich in die High Society einzuschleichen und richtig fett Business zu machen. Vergiss das. Ich bin 35 und weit davon entfernt.

Sie sind ein richtig schlechter Kapitalist.

Absolut.

Aber die Sammlung könnte Ihre Vorsorge werden.

Ja, das stimmt. Ich habe weder eine zweite noch eine dritte Säule. Die Brillen sind meine einzige reale Altersvorsorge.

Früher gabs die Töfflifahrer-Typologien. Du Ciao? Ich Puch! Ist es bei den Brillen ähnlich? Können Sie es sich als Elitesammler erlauben, sich zu uns zu setzen, obschon wir eine allgegenwärtige Marke wie Ray-Ban tragen?

Sie können das ja nicht wissen! Zudem ist die Story dahinter keine schlechte. Ein Italiener gründete eine kleine Brillenmanufaktur namens Luxottica und hatte das Ziel, eines Tages die amerikanische Marke Ray-Ban zu kaufen. Was ihm auch tatsächlich gelang. Leonardo Del Vecchio hat eine ganze Branche gerettet und stieg zum Weltmarktführer im Brillenbereich auf. Während die übrige italienische Industrie zugrundegeht, geht es den Brillenherstellern im Norden blendend. Und solange auf Persol, Ray-Ban oder Versace «Made in Italy» steht, unterstützt man diese traditionsreichen Manufakturen auch. In anderen europäischen Ländern leidet die Branche hingegen sehr, in Frankreich ist sie völlig am Boden.

Das heisst, was Uhren für die Schweiz, sind Sonnenbrillen für Italien?

Absolut. Und was Hayek für uns, ist Leonardo Del Vecchio, der Chef von Luxottica, für Italien.

«Die Begierde des Objekts erfüllt mich stärker als die Erfüllung der Begierde.»

Was ist Ihr wertvollstes Stück?

Ganz objektiv beurteilt: eine Persol 714t. Schauspieler Steve McQueen trug diese 1968 im Film «The Thomas Crown Affair» mit blauen Mineralgläsern. Die Italiener und Engländer fahren total auf diese Marke ab, bei Sotheby’s wurde diese Brille einmal für 70’000 Pfund versteigert. Meine hat wohl einen Wert von 1’500 bis 3’000 Franken.

Sie sind Sammler. Aber auch Jäger?

Oh ja. Die Begierde des Objekts erfüllt mich stärker als die Erfüllung der Begierde. Ich kann mich zwar auf dem Balkon daran ergötzen, aber eigentlich geht es nur um die Jagd.

Befriedigen Sie Ihren Jagdinstinkt auch im Internet?

Auktionsseiten wie Ebay und Ricardo interessieren mich nicht. Dort erzielt man auch kaum gute Preise. Ich spüre Schnäppchen auf einem Markt auf – oder in einem Fachladen. Nichts lässt mein Herz höher schlagen als der Kontakt mit einem alten Optiker, der sich anfänglich gar weigert, eine alte Brille aus der Schublade zu holen. Der überredet werden und die wahre Leidenschaft spüren will. Das ist unersetzbar. Man spricht ja immer von Sammlerpreisen: Das ist eine verfälschte Aussenbetrachtung. Ein Sammler ist einer, der einen tiefen, fairen Preis zahlen will. Unter Sammlern zahlt man tiefere Preise als unter Interessierten, die sich einfach eine dieser coolen Brillen leisten wollen. Wenn in der Community einer ein bestimmtes Modell sucht, raufen wir uns alle zusammen und helfen ihm beim Suchen. Man unterstützt sich – und warnt auch vor komischen Verkäufern.

Sind Sie nicht auch als Rapper ein Sammler? Ein Sammler von Wörtern, Wortkreationen, die sich bei Freestyles eignen?

Das darf man ja nicht.

Das sagen alle, haben aber trotzdem insgeheim ihre eingespielten Formulierungen.

Ich weiss. Wobei ich eher recycle ich sammle. Beim Versuch, Wörter, die ich cool finde, zu etablieren, bin ich immer gescheitert.

Apropos etabliert: Mit wem reden wir hier eigentlich, mit Greis oder mit Grégoire Vuilleumier?

Ich trenne das heute nicht mehr. Wenn man anfängt, ist das Alter Ego eine Möglichkeit, sich selbst besser zu machen. Die Figur soll es dir ermöglichen, Selbstvertrauen aufzubauen bis du dich von ihr emanzipieren kannst.

Diese Fiktion ist doch mit ein Grund, weshalb Hip-Hop soviel Spass macht?

Ja klar, uns Rappern macht es so auch viel mehr Spass. Hip-Hop war am Anfang eine einzige Party. Da hat der MC ins Mikrofon gerufen «Schaut mal, Ruedi ist im Haus. Macht mal alle Lärm.»

Mit 35 sind Sie aus der Jugendkultur hinausgewachsen. Fühlen Sie eine Entfremdung, wenn Sie modernen Hip-Hop hören?

Überhaupt nicht. Hip-Hop war derart wichtig für meine persönliche Selbstkonstruktion, dass er inzwischen ein integraler Teil von mir ist. Das kann sich niemand aneignen und verbiegen.

Sie arbeiten sehr genreübergreifend, haben auch passend dazu ein Lied geschrieben: «Bastarde».

Ich definiere mich immer weniger durch regionale oder kulturelle Zugehörigkeit, sondern durch eine gezielte, individuelle Auswahl von Gleichgesinnten. Die jedoch keineswegs in allen Punkten mit mir einiggehen müssen. Wir alle sind Bastarde aus hundert verschiedenen Gründen.

Aktuell nehmen Sie gerade ein Album in Basel auf. Was wird darauf zu hören sein?

«Madeleine» wird eine Chanson-EP, produziert von Beni Noti, den man in Basel von der Band Penta-Tonic her kennt, von Thomas Rechberger von Alterna Records/Lovebugs und mir.

Chansons? Sind wir schon wieder bei der Altersvorsorge?

Chansons haben mich schon immer gereizt. Aber ich hatte Angst vor dem Songwriting, das viel komplexer ist als beim Rap. Es ist Beni Notis Verdienst, dass ich mich daran gewagt habe, denn er hat mich sanft ans Chanson herangeführt und einen Kontext geschaffen, in dem ich mich wohlgefühlt habe.

«Auf Tour sind wir eine Art KMU, an dem alle mitverdienen.»

Sind auch ökonomische Überlegungen mit im Spiel? Im Sinne einer Ausweitung des Künstlerprofils.

Ökonomische Überlegungen sind bei mir als Selbständigerwerbender immer mit im Spiel, und wenn Beni und ich mit «Noti Wümié» ein neues Publikum ansprechen könnten, wäre das natürlich eine feine Sache. Ich gehöre einer Generation an, die sich wahnsinnig flexibel auf dem Arbeitsmarkt bewegt und immer dorthin geht, wo es Geld zu verdienen gibt. So funktioniere ich. Auf Tour sind wir eine Art KMU, an dem alle mitverdienen. Danach muss jeder wieder für sich selber schauen.

Sie bringen im bereits erwähnten, übrigens sehr witzigen Track «Gröné» ein Problem, oder nennen wir es ein Lebensgefühl, unserer Generation zum Ausdruck. «Ich bi über 30 und ha immerno kei richtige Job.» Sind wir die Unentschlossenen?

Die Generation vor uns hat gekämpft für das Recht, zu wählen. Wir können jetzt die Früchte dieses Kampfes ernten. Allerdings wird die Freiheit für uns zum Handicap. Sich zu entscheiden ist für manche Leute ein Problem, während die Generation vor uns dies als erstrebenswertes Ziel betrachtet hat. Es geht um eine Gelassenheit gegenüber den Folgen unserer Entscheide.

Haben Sie zur grossen Gelassenheit gefunden?

Geändert hat sich vor allem mein Zeitbewusststein. Ein Tag, eine Woche, ein Monat sind heute von geringerer Bedeutung. Ich freue mich, dass ich jetzt schon ein recht genaues Bild davon habe, was ich die nächsten Jahre machen werde. Nächstes Jahr gehe ich sechs Monate nach New York, dann kommt ein neues Album, dann die Tour und dann haben wir schon 2016.

Sechs Monate New York?

Es ist ein Stipendium der Stadt Bern. Meine Berharrlichkeit hat sich ausbezahlt, bei der fünften Bewerbung hats endlich geklappt. Ich kann ein halbes Jahr lang in New York Musik machen.

Welche Projekte sind sonst aktuell?

Eben diese Chanson-EP mit Beni Noti, die im November erscheint. Da freue ich mich drauf, sie ist sehr unprätentiös geworden. Dann habe ich noch an einer Oper mitgeschrieben im Theater Biel/Solothurn. Sie heisst «Figaro?» und wird eine Ode an die Komödie sein. Die Premiere ist im Februar. Es ist eine Version von Figaro, geschrieben von Raphael Urweider und mir und Musik von Christian Henking, der zeitgenössische Klassik macht. Der Rapbezug wird sich auch schauspielerisch ergeben, wir suchen aktuell nach einem geeigneten Darsteller, der aus der Schweizer Rapszene kommen soll.

Sie haben einige Jahre in Basel gelebt, die Stadt war stolz, den bekanntesten Berner Rapper hier zu haben. Warum waren Sie trotzdem nicht auf dem Basler Rap-Mega-Projekt «1 City 1 Song» vertreten?

Basel war gut zu mir, die Stadt hat mich aufgenommen wie einen Sohn. Ich fühle mich auch als Basler. Als die Anfrage kam, habe ich dennoch überlegt, ob es schlau ist, bei dem Projekt mitzumachen. Und im Nachhinein war es gut, mich dagegen zu entscheiden. Das hätte Ärger gegeben in Bern.

Es gibt ihn also doch noch, den Lokalchauvinismus im Schweizer Rap?

Überhaupt nicht, die beiden Szenen in Bern und Basel haben es sehr gut miteinander. Aber in Bern hätte man mich dann schon gefragt, ob ich jetzt ein Basler oder ein Berner bin.

Es ging also um den Hausfrieden?

Ja. Und ausserdem hätte es mich gar nicht gebraucht bei diesen vielen Rappern.

Sie rappen in Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch. Ist es Zufall oder Kalkül, welche Sprache Sie verwenden?

Es geschieht natürlich kalkuliert. Das wird mir übrigens auch vorgeworfen von den Romands. Der Musikchef von Couleur 3 hat mir vorgeworfen, der Sprache unrecht zu tun, indem ich sie nur für Balladen und melodiöse Lieder benutze. Mich hat es künstlerisch weitergebracht, in anderen Sprachen zu rappen. Ich versuche nun die Rhythmik des Schweizerdeutschen auch im Französischen zu suchen, umgekehrt achte ich bei Dialekttexten verstärkt auf die Melodie. Ich gehe bewusster mit Sprache um.

Und nebenbei können Sie den französischsprachigen Markt erschliessen?

Natürlich. Interessant ist ja, dass beispielsweise Stress überhaupt keine Platten verkauft in der Romandie. Dort schimpft man über ihn und sagt, er habe sich verkauft. Ich wiederum bin und bleibe ein Berner, das zählt auch nicht viel in der Romandie.

Als politischer Künstler sieht man sich bestimmt Versuchen ausgesetzt, von Organisationen vereinnahmt zu werden. Wie grenzen Sie sich ab?

Es gab eine Zeit, in der ich täglich um Auftritte an karitativen Anlässen gebeten wurde. Das hat dann irgendwann nichts mehr gebracht und ich habe den Leuten jeweils gesagt, dass sie doch jemanden anders fragen sollen. Ich war sozusagen eine Vermittlungagentur für politisch aktive Berner Künstler. Inzwischen hat sich das beruhigt und ich kann genau dort hingehen, wo ich wirklich will.

Wird von Ihnen erwartet, bei jedem Auftritt gegen Blocher zu schimpfen oder die Faust in die Luft zu strecken?

Ja natürlich. Als Künstler bist du das, was du aussendest. Ich habe mich aber nie instrumentalisiert gefühlt.

In einigen Liedern zelebrieren Sie einen inneren Widerspruch, eine Inkonsequenz.

Das ist auch eine Art Selbstschutz, um Kritik vorzubeugen. Und überdies auch ein Merkmal unserer Generation. Anstatt mit radikalen Massnahmen wollen wir die Welt in kleinen Schritten und langfristig verbessern.

«Therapeutisch ist höchstens der Prozess des Schreibens.»

Sie schreiben sehr persönliche Texte, über gescheiterte Beziehungen, innere Konflikte. Erspart das den Gang zum Therapeuten?

Ganz und gar nicht. Therapeutisch ist höchstens der Prozess des Schreibens, nicht jedoch das Endprodukt. Heute denke ich beim Schreiben viel mehr auch ans Publikum, indem ich mich frage, wie oder ob etwas verstanden werden könnte. Können meine Gedanken nachvollzogen werden oder ist es einfach nur kryptisch? Manche meiner alten Texte verstehe ich heute selbst nicht mehr.

Grégoire Vuilleumier aka Greis

Er kam 1978 in Lausanne zur Welt – und wurde in Bern gross: Grégoire Vuilleumier alias Greis liess erstmals in den 90er-Jahren aufhorchen, als Rapper der Hip-Hop-Gruppe PVP.
2003 brachte er sein erstes Soloalbum heraus («Eis») und gehört seither mit seinen sozial- aber auch selbstkritischen Texten zur Speerspitze des Schweizer Rap.
Als Künstler ist er mehrsprachig und vielseitig unterwegs: Greis ging Kooperationen mit Stiller Has, Züri West aber auch Autoren wie Guy Krneta ein.
Sein letztes Album, «Greis Anatomy», erschien Anfang 2013 und enthielt ausschliesslich französische Texte. Aktuell arbeitet er mit dem Basler Gitarristen Benjamin Noti an Chansons. Damit werden sie ab Ende Jahr auch live und akustisch auftreten.

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