«Schwarz-Rot dreht kleine Räder»

Deutschland steuert zum dritten Mal in seiner Geschichte auf eine Koalition von CDU/CSU und SPD zu. Grosse Würfe sind nicht
zu erwarten, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster.

«Wer träumt nicht davon, in den Bundestag zu dürfen?» Armin Schuster ist seit 2009 CDU-Abgeordneter in Berlin. (Bild: Basile Bornand)

Deutschland steuert zum dritten Mal in seiner Geschichte auf eine Koalition von CDU/CSU und SPD zu. Grosse Würfe sind nicht
zu erwarten, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster.

Nach langen Verhandlungen und vielen Gehässigkeiten haben sich die Spitzen von Union und SPD Ende ­November auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Das neue schwarz-rote Bündnis unter Kanzlerin Angela ­Merkel (CDU) kommt allerdings nur zustande, wenn die insgesamt 475 000 SPD-Mitglieder grünes Licht dafür geben. Das Ergebnis soll am 14. Dezember feststehen. Momentan wirbt der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel intensiv bei der frustrierten Basis um Zustimmung für die grosse Koalition.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster (Wahlkreis Lörrach-Müllheim) zeigt sich in seinem Büro in Weil am Rhein zuversichtlich, dass die SPD-Mitglieder die «Zweckgemeinschaft» absegnen und Merkel ­somit am 17. Dezember im Bundestag als Kanzlerin wiedergewählt wird. Von der grossen Koalition hält ­Armin Schuster allerdings nicht viel. Im Gespräch erzählt der 52-Jährige, was ihn an der SPD stört und was Deutschland in den nächsten vier Jahren mit Schwarz-Rot erwartet. Ausserdem verrät er, wieso das Politikerdasein im Haifischbecken Berlin anstrengend sein kann, und weshalb er Angela Merkel bewundert.

Herr Schuster, gemäss dem «Spiegel» haben Sie mit 685 Kilometern Luftlinie von allen Abgeordneten die längste Anreise bis zum Reichstagsgebäude. Viel zu tun gibt es in Berlin derzeit wohl nicht, zumal die Regierung noch nicht steht. Geniessen Sie Ihre Freizeit?

Ich bin momentan sogar ziemlich oft in Berlin, wenn auch in einem ungewöhnlichen Rhythmus. Wir werden immer wieder zu Sondersitzungen nach Berlin gerufen. Die Schwierigkeit ist aber, dass wir im Moment wenige Regierungsmitglieder finden, die Entscheide fällen dürfen. Ich bin aber trotzdem gut beschäftigt. Die Sorgen der Leute in meinem Wahlkreis hören ja nicht auf, nur weil die Regierung in Berlin noch nicht steht.

Nach langen Verhandlungen haben sich die Union und die SPD auf einen Koalitionsvertrag ge­einigt. Sind Sie erleichtert?

Nein. Ich bin über die ganze Situation nicht glücklich. Union und SPD war nicht meine Wunschkonstel­lation. Ich bevorzugte an erster ­Stelle eine Koalition mit der FDP, an zweiter Stelle eine mit den Grünen. Die FDP flog aber aus dem Bundestag raus und die Grünen getrauten sich leider nicht. Wir von der Union hätten es gerne anders gehabt.

«Es werden zwei Dinge passend gemacht, die nicht richtig zusammenpassen wollen.»

Was spricht denn gegen die SPD?

Es werden zwei Dinge passend gemacht, die nicht richtig zusammenpassen wollen. Eine grosse Koalition mag für viele Deutsche sinnvoll erscheinen, aber in der Praxis dürfte sie wegen der unterschiedlichen Kulturen nur schwer tauglich sein.

Auch vor acht Jahren wurde Deutschland mehr oder weniger erfolgreich von Schwarz-Rot ­regiert.

Aber damals waren mit Franz Müntefering, Peter Struck, Peer Steinbrück oder Frank-Walter Steinmeier noch vernünftige SPD-Leute in der grossen Koalition dabei, die stark den Kurs von Gerhard Schröder fortsetzen wollten.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier ist immer noch ­dabei. Er wird offenbar Aussenminister.

Schon. Aber das Problem der SPD ­heute ist, dass sie sich seit Langem auf Identitätssuche und im Dilemma befindet. Eigentlich will sie aus der von Gerhard Schröder eingeleiteten Agenda-2010-Politik raus, weiss aber, dass diese Politik volkswirtschaftlich gar nicht so falsch war. Vom Parteiprogramm her ist die SPD auf Schlingerkurs. Sie hat sich jahrelang eingeredet, wir seien der Grund, warum sie mit 24 Prozent schlecht dasteht. Nach vier Jahren in der Opposition kommt sie aber immer noch nur auf 25 Prozent. Die Partei muss verstehen, dass ihr Dilemma auf ihren politischen Inhalt zurückzuführen ist – und nicht auf den Koalitionspartner. Auch ein Problem der SPD ist, dass sie sich permanent einredet, dem Land gehe es schlecht und es bräuchte deshalb ­einen Politikwechsel.

Das gehört doch zum Wahlkampf.

Aber das Schlechtzeichnen Deutschlands war ein Riesenfehler der SPD. Wenn es den Leuten gut geht, dann entfernt man sich mit dieser Darstellung vom Volk. Deutschland geht es nicht schlecht – und die Leute ­haben auch so gewählt.

Wer geht nun als Sieger aus den Koalitionsverhandlungen hervor, SPD oder Union?

Mit Sieger und Verlierer möchte ich nicht argumentieren. Dann wäre es kein guter Vertrag. Ich sehe zwei Gewinner.

Die grosse Koalition kommt ohne Zustimmung der SPD-Basis in den nächsten Tagen nicht zustande …

Die SPD-Mitglieder werden zustimmen. Sie riskieren ansonsten zu viel. Wenn sie ein Nein zum Koalitionsvertrag ankreuzen, sprechen sie sich somit auch für den Rücktritt des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und des Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier aus. Mit ­einem Nein würden sie ihre Parteiführung demontieren.

Was wäre der Plan B bei einem Nein?

Dann müssten wir nochmals mit den Grünen sprechen. Mit ihnen hätten wir auch genügend Probleme, aber immerhin stehen sie nicht derart vor einer Zerreissprobe wie die SPD. Was beim Bundesparteitag der SPD aufgeführt wurde, hat viele in der CDU schwer gereizt.

Sie meinen, dass die SPD ­während der Koalitionsverhandlungen zu verstehen gab, dass sie 2017 keine Koalition mehr mit den Linken ausschliesst?

Es ist diplomatisch gesehen eine Ungehörigkeit, während der ­Brautschau jemand anderem den Hof zu machen! Mit solchen Aktionen der SPD wird die Vertrauens­decke ­dünner. Das ist keine ideale Voraussetzung für eine gute Zu­sammenarbeit.

Was darf man von der deutschen Regierung in den nächsten vier Jahren erwarten?

Das wird keine Regierung werden, in der die ganz grossen Themen neu bewegt werden. Dafür verstehen wir uns nicht gut genug. Aber es werden viele kleine Räder gedreht. Es wird eine ordentliche Zweckgemeinschaft, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

«Mit den Grünen hätten wir auch genügend Probleme, aber immerhin stehen sie nicht derart vor einer Zerreissprobe wie die SPD.»

Das werden vier langweilige und lange Jahre in Deutschland.

Für uns Parlamentarier wird es ein bisschen langweilig, weil die Mehrheit ja übermächtig ist. Bei 60 Minuten Redezeit werden 48 Minuten an die Regierungskoalition fallen, das ist natürlich nicht so spannend. Ich glaube, dass wir eine solide, handwerklich saubere Arbeit machen werden. Aber etwas Visionäres – beispielsweise eine ganz neue Steuerreform – wird es mit Schwarz-Rot nicht geben. Dafür sind die Schnittmengen zu klein.

Sie haben es bereits erwähnt: Nicht mehr im Bundestag ist die FDP. Ein grosser Verlust?

Sehr. Ich kann mir ein Parlament ohne die Freien Demokraten gar nicht vorstellen, obwohl ich als Innenpolitiker eigentlich eine ziemlich grosse Ferne zur FDP habe. Aber das ist eine parteiprogrammatische Linie, die nun fehlt im Bundestag – ob man die FDP mag oder nicht. Die FDP hat allerdings auch in der ­Vergangenheit in Personalfragen gravierende Fehler gemacht.

Und die wären?

Ich habe beispielsweise nicht verstanden, wieso man Philipp Rösler zum Wirtschaftsminister gemacht hat. Ich bin auch dafür, dass die Jungen in einer Partei gefördert werden. Doch an der FDP-Spitze waren nur noch junge Leute. Man kann natürlich die Jungen auf Sternenfunktionen setzen, aber sie überall zu platzieren, halte ich für falsch. Das kam im Volk nicht gut an, wie ich immer wieder zu hören bekam. Denn das weisse Haar spielt in der Politik immer noch eine grosse Rolle. Das ist überall so – auch in Deutschland.

Bekommen Sie eigentlich viel von Angela Merkel mit?

Wir treffen uns als Fraktion mindestens wöchentlich mit ihr. Sie ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Man muss sie einfach mögen. Sie ist ­besser, als man es sich überhaupt vorstellen kann.

Sie wirkt kühl.

Ich kann mir nicht erklären, wieso Angela Merkel so rüberkommt. Ich erlebe sie nicht so. Sie ist witzig und kann auch über sich selber lachen. Und sie ist sehr offen.

Wie attraktiv ist das Politiker­dasein eigentlich in Berlin?

Oje!

Wie bitte?

Für einen ehemaligen Teamplayer ist es nicht einfach. Ich komme ja von der Polizei und bringe deshalb jetzt dieses Beispiel: Wenn man schon im Streifenwagen anfängt, den anderen zu bekämpfen, ist das natürlich sehr schlecht.

Berlin muss ein grosses Haifischbecken sein. Wie aggressiv geht es dort zu und her?

Na ja. Sie haben Haifische bestimmt schon beobachtet: Die schwimmen eigentlich ziemlich ruhig umher und gucken nur ein bisschen unfreundlich (lacht). Nein, im Ernst: Haifischbecken ist nicht unbedingt die richtige Bezeichnung für den Bundestag, obwohl der Bundestagspräsident Norbert Lammert manchmal zu uns sagt: «Schwimmen Sie nicht zu weit raus.»

Sondern?

Ich bezeichne den Bundestag als Raumschiff. Ich erzähle immer: Ich fliege da morgens hin, wenn ich am Flughafen Berlin-Schönefeld bin, geht die Raumschifftüre auf und dann bin ich in einer Welt unterwegs, die einfach nicht mit normalen Massstäben zu messen ist.

«Die Spielregeln sind ungünstig. ­Jeder Abgeordnete kommt weitgehend nur alleine zum Erfolg.»

Und wie sieht diese Welt aus?

Die Spielregeln sind ungünstig. ­Jeder Abgeordnete kommt weitgehend nur alleine zum Erfolg. Und ­jeder Erfolg, den du einfährst, wird irgendwo zum Nachteil eines anderen. Der Wettbewerb unter den Abgeordneten ist gross. Unter dieser Bedingung ein Team zu schmieden, ist deshalb ganz schwer. Wenn man zudem Erfolg mit einem Berliner Thema hat, geht dieser auch mal gegen die eigene Regierung. Dann hat man also wieder eine Front. Und dann spielen die Medien noch eine grosse Rolle. Abgeordnete werden nur gewählt, wenn sie medial gut rüberkommen.

Es braucht gerade als Politiker in Deutschland viel Showtalent. Sind Sie ein guter Verkäufer?

Ich sags mal so: Ich habe das nicht gelernt. Ich komme aus einem Beruf, in dem man das auch gar nicht darf.

Also waren Sie am Anfang überfordert in Berlin?

Mit dem Aspekt der medialen Vermarktung: ja. Mit der Sacharbeit gar nicht, und auch das Reden in Berlin machte mir keine Mühe. Es hat eine Weile gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass sachlich arbeiten alleine gar nichts bringt. Ich musste lernen, dass es zum Beruf gehört, Sacherfolge zu vermarkten. Wenn man das nicht tut, wird man schnell zum Aschenputtel.

Wie meinen Sie das?

Du arbeitest enorm viel, du kriegst auch etwas hin. Aber niemand nimmt das wahr. Das ist eine Schwierigkeit. Die Abgeordneten, die mit den Medien umgehen ­können, sind erfolgreicher. Ich habe nur Chancen, wenn «Focus», der «Spiegel» oder die «Badische Zeitung» über mich berichten. Die Berichterstattung messen die Wähler da draussen. Ich habe mal an einem Thema ein Jahr lang gearbeitet, dann kamen Promis hierher, es kam zu Lösungen vor Ort …

Und?

Am nächsten Tag waren meine ­Kollegen mit dem grossen Bild in der Zeitung, nicht ich. Ich hab nicht mal kapiert, dass die ganze Arbeit nichts bringt, wenn ich nicht auf dem Bild bin. Das war eine Belastung für mich und mein Team. Solche Storys gibt es eine Menge in und wegen Berlin. Ich hab das eigene Vermarkten nicht so gelernt und musste es trainieren. Als Polizist war man immer froh, nichts mit den Medien zu tun zu haben. Es macht mir heute auch noch keinen Spass, mich in Bilder zu drängen, ich bin auch ein bisschen zu stolz dafür. Aber es nützt nichts, wenn der ­Kollege im Bild ist und ich mit dem Ofenrohr ins Gebirge gucke. Das macht die Arbeit schwierig.

Als Abgeordneter steht man ­unter Dauerdruck.

Das ist so. Man ist im permanenten Wettbewerb, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Deshalb kriegt man schwer ein Teamgefühl hin. Denn der Wettbewerb kommt aus so vielen unterschiedlichen Richtungen, aus der Opposition, aus den Medien oder in der Sache. Es gibt keine Minute in diesem Beruf, in der man nicht in ­einer Wettbewerbssituation steckt – und das mit unglaublich vielen Facetten. Das Wasser, das uns umgibt, verursacht in jedem von uns Reaktionen. Es ist nicht so, dass man als Haifisch geboren wird.

Also doch ein Haifischbecken?

Eben nicht. Ich möchte damit ­vielmehr sagen, dass man das Ganze sportlich sehen muss: Auch bei ­einem Proficlub wie dem FC Basel, der fit für die Champions League sein will und auch ist, ist jede Position im Minimum doppelt besetzt. Das heisst nun mal, dass Wettbewerb herrscht. Wenn du nicht gut bist, steht eine andere Person für deine Position bereit, und du erlebst auch die Brutalität, in der 70. Minute ausgetauscht zu werden. Und diese Person zeigt in den 20 Minuten dann auch, dass sie die bessere Wahl ist. So läuft es auch für Politiker.

«Angela Merkel ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Man muss sie einfach mögen. Sie ist ­besser, als man es sich überhaupt vorstellen kann.»

Findet der Landkreis Lörrach-Müllheim überhaupt Gehör in Berlin?

Ja, insbesondere wenn es um das Thema Verkehr geht – Rheintalbahn oder A98. Ich habe es mir viel schwieriger vorgestellt, die Anliegen meines Wahlkreises in Berlin zu vertreten. Das klappt gut.

Sie bekommen in Weil am Rhein viel mit vom Einkaufstourismus. Nervt dieser das Volk?

Nur in der konkreten Situation. Meine Frau beispielsweise nervt es hin und wieder. Wenn etwa 17.30 Uhr ist, sie an der Theke steht, den 132. Kunden bedient und dann kommt vielleicht noch ein unfreundlicher Schweizer mit dem grünen Zettel – und das wegen 98 Cent (lacht). Der Einkaufstourismus ist kein echtes Problem.

Haben Sie viel zu tun mit Basel?

Ich habe noch relativ wenig Berührungspunkte. Das liegt aber an mir und meiner Prioritätensetzung. Ich wollte erst mal in meinem Wahlkreis und in Berlin frei schwimmen.

Und wie lange werden Sie das noch machen?

Das werden wir dann sehen. Wenn ich im Lotto gewänne, würde ich ­irgendwann aussteigen und nochmals etwas ganz anderes ­machen: Gastronomie, Auto oder Motorrad, auf jeden Fall etwas Handwerkliches.

Sie scheinen nicht gerade begeistert zu sein von Ihrem aktuellen Job.

Und wie ich es bin! Es ist der Hammer. Wer träumt schon nicht davon, mit 48 noch etwas ganz anderes zu machen und in den Bundestag zu dürfen? Berlin und die Politik sind eine irre Lebenserfahrung und eine gewaltige persönliche Weiterentwicklung für mich.

Armin Schuster

Armin Schuster (1961) sitzt seit vier Jahren für den ­Wahlkreis Lörrach-Müllheim im Deutschen Bundestag. In Berlin ist er vor allem als Innenpolitiker aktiv (Innere Sicherheit, Arbeit der Bundespolizei). Zudem ist er ­beamtenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Schuster begann seine berufliche Karriere 1983 bei der Bundespolizei, studierte parallel an der Fernuniversität Hagen Wirtschaftswissenschaft und ­anschliessend an der Hochschule der Polizei in Münster. 2004 wurde er Leiter der damaligen Bundespolizei-­Inspektion Weil. Schuster ist zwar seit 1987 Mitglied bei der CDU, dennoch ist er ein politischer Quereinsteiger. Bei der Bundestagswahl 2009 holte er im ersten Anlauf das Direktmandat in seinem Wahlkreis. Armin Schuster ist verheiratet und ­Vater einer erwachsenen Tochter. Er lebt in Weil am Rhein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 06.12.13

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