Angefangen hat die Karriere des Seydou Doumbia mit einem Kulturschock in Japan. Dann hat der 28-Jährige die Sprache und sogar die Schrift gelernt, fand in Moskau beinahe einen Bruder, feierte zehn Tage lang mit dem ivorischen Staatspräsidenten, absolvierte in Rom Straftrainings – und trägt nun das Trikot des FC Basel.
Seydou Doumbia, erzählen Sie mal, wie Sie den Weg zum FC Basel gefunden haben.
Seydou Doumbia: Vor ein paar Wochen hat mein Agent mir die verschiedenen Optionen auf den Tisch gelegt. Es gab zwei Vereine aus China, und Agenten aus Qatar sind ebenfalls auf mich zugekommen. Da hätte ich viel mehr Geld verdienen können. Basel wollte mich aber auch. Und letztlich hat die sportliche Herausforderung das Rennen gemacht.
Es gibt wenige Spieler, die eine interessantere Karriere haben.
Stimmt. Alles hat im Ausbildungszentrum an der Elfenbeinküste angefangen, das Spieler trainiert, die später nach Europa sollen.
Sie gingen allerdings nach Japan. Warum?
Um ehrlich zu sein: Japan war das Letzte, woran ich gedacht habe. Denn ich hatte auch Angebote aus Frankreich, allen voran aus Lille, da war es am konkretesten. Und auch Guingamp, Nizza oder der holländische Verein Vitesse Arnheim waren Optionen. Die politische Situation damals zwischen Frankreich und der Elfenbeinküste war aber so, dass ich kein Visum erhielt. Dann kam ein Anruf aus Japan, man suche einen Stürmer. Ich habe ein Testtraining absolviert – und mich dann in das Abenteuer gestürzt.
Aber Frankreich wäre Ihre Traumdestination gewesen, oder?
Das war ein Traum! In der Elfenbeinküste verfolgen wir am Fernsehen vor allem die französische Liga.
Die japanische wahrscheinlich weniger.
(lacht) Als ich in Japan ankam, war es wirklich extrem. Ich sprach die Sprache nicht, und ich war der einzige Afrikaner in der obersten Liga. Ich musste mich nicht nur fussballerisch anpassen. Das Essen und so weiter, es war einfach eine Katastrophe. (lacht)
Wie lange hat diese Anpassungsphase gedauert?
Ganz ehrlich, das hat ungefährt acht Monate gedauert. Am Anfang fühlte ich mich natürlich einsam, ein junger Mann, der ohne Eltern und ohne Freunde von Afrika in ein neues Land mit einer unbekannten Kultur kommt, wo man kein Französisch spricht: Da fühlt man sich automatisch einsam. Aber irgendwann hat sich das Leben wie von selbst eingerenkt.
«Diese 0:2-Niederlage mit YB gegen Basel im letzten Spiel der Saison, das habe ich nie verdaut.»
Sie haben in Japan sogar die Sprache gelernt.
Ja, allerdings ist das jetzt auch schon über sechs Jahre her. Aber eine kleine Konversation könnte ich ohne Weiteres in Japanisch führen. Schliesslich habe ich sogar ein klein wenig begonnen, in japanischer Schrift zu schreiben.
Wirklich?
Ja. Am Ende hat alles so wunderbar funktioniert – und dann kam das Angebot von den Young Boys. Das hat mich deswegen traurig gemacht, weil ich mich wirklich wohlfühlte in Japan. Aber so läuft das Geschäft.
Sie mussten sich entscheiden zwischen Ihrem Wohlbefinden in Japan und der Möglichkeit, bei YB fussballerisch den nächsten Schritt zu machen.
Ich habe mich für den Fussball entschieden. Das mache ich immer in erster Linie. Damals wusste ich, dass die Schweiz eine Option ist, bei der ich nicht zögern sollte.
Es mag offensichtlich sein – aber warum zählt zuerst der Fussball? Schliesslich sind Sie in allererster Linie ein Mensch, da kann auch anderes wichtiger sein als der Beruf.
Klar, aber wenn man einen gewissen Lebensstandard erreicht, hat man alles, was man sich wünscht. Das Wichtigste für mich ist, glücklich zu sein, in der Nähe meiner Familie zu leben und meine Tochter aufwachsen zu sehen.
Wie alt ist Ihre Tochter?
Drei. Daneben gibt es aber auch meinen Beruf, den Fussball. Und wenn ich nicht auch darauf schauen würde, würde ich heute nicht hier sitzen. Dann wäre ich vielleicht in China oder Qatar…
… wo es mehr Geld zu verdienen gäbe als beispielsweise bei YB. Da lief es Ihnen hervorragend, aber dem Team nicht. Es gab diese 0:2-Niederlage im letzten Spiel der Saison 2009/10 gegen Basel.
Ich kann Ihnen sagen: Dieses Spiel habe ich nie verdaut. Es blieben damals zwei Partien. Dann verloren wir am Ende gegen Basel, nachdem wie in der zweitletzten Runde gegen Luzern mit 1:4 als Verlierer vom Platz gegangen waren, da habe ich immerhin das Tor geschossen.
«In Japan sind die Leute eher verschlossen, sie öffnen sich den Menschen nicht unbedingt, wenn du es nicht selbst versucht.»
Nach Ihren Toren bei YB wechselten Sie zu ZSKA Moskau. Nach Japan der nächste Kulturschock?
Es war einmal mehr nicht einfach am Anfang, ja. Wenn ich in einem neuen Land ankomme, dann will ich mit fast jedem zusammenarbeiten, mich mit jedem austauschen. Ich hatte schliesslich keine Mühe, mich anzupassen.
Wie ist denn Russland?
In Russland, wo übrigens meine Tochter zur Welt gekommen ist, ist jeder in seiner Welt. Die Leute schauen nicht unbedingt, was rundherum passiert, jeder schaut auf sich. Ich war meistens zu Hause, hatte deswegen keine Probleme mit niemandem. Auf den Strassen kamen schon Leute, die ein Foto wollten, aber Probleme hatte ich schliesslich nie.
Auch fussballerisch nicht: 150 Spiele, 95 Tore.
Das weiss ich ehrlich gesagt gar nicht.
Sie haben also irgendwann aufgehört zu zählen. Hatten Sie vor lauter Toreschiessen Zeit, Russisch zu lernen?
Nein, leider nicht. Ich hatte einen Übersetzer, der fast wie ein Bruder wurde. Wir machten fast alles zusammen. Deswegen habe ich die Sprache nicht gelernt, die zudem sehr schwierig war.
Schwierig? Entschuldigung, Sie haben immerhin Japanisch gelernt.
Stimmt, schwieriger als Japanisch wäre es nicht gewesen. Aber trotzdem nicht einfach.
Ist ein Übersetzer ein Hindernis bei der Integration?
Nein, das glaube ich nicht. Das hat mit der Person zu tun. Wenn du selbst nicht auf die Leute zugehst, dann wird es schwierig. Aber wenn du ständig in deiner eigenen Welt bleibst, dann wirst du vielleicht auch ein komisches Bild eines Landes haben. In Japan beispielsweise sind die Leute eher verschlossen, sie öffnen sich den Menschen nicht unbedingt, wenn du es nicht selbst versucht.
Sie sind in Afrika aufgewachsen, haben Asien erlebt, Russland, Zentraleuropa, Italien und zuletzt England.
Mich kann nichts mehr überraschen. Ich habe ja irgendwie fast alles gemacht, bin jemand, der das Abenteuer liebt und immer neue Horizonte entdecken will. Und ich habe immer versucht, mit den Leuten meine Freude zu teilen. In fast jedem Land hat es gut funktioniert.
Nur fussballerisch nicht. Da geriet Ihre Karriere bei der AS Roma etwas ins Stocken.
Ich hatte vor meinem Wechsel nach Italien zwei Clubs zu Auswahl: Bei Tottenham, das ein Angebot gemacht hatte, kannte ich niemanden. Und Rom. Da kannte ich den Trainer und Gervinho, den Spieler, den Freund, mit dem ich als Junger schon im Ausbildungszentrum in der Elfenbeinküste war. Da habe ich abgewogen – und mich für Rom entschieden.
Und dann kamen Sie direkt vom gewonnenen Afrika-Cup nach Rom.
Oh! Ich kam nach zehn Tagen Feiern nach Rom. Habe kaum geschlafen, wir haben mit dem Staatspräsidenten gefeiert (Alassane Ouattara, Red.), das Land hat schliesslich 22 Jahre keinen Titel mehr gewonnen.
Das ganze Land stand still?
Alle haben aufgehört zu arbeiten, es war unfassbar. Wir haben uns wirklich fantastisch amüsiert. Leider habe ich dabei vergessen, dass ich Berufsfussballer bin (lacht).
Das zu vergessen, muss doch der Wahnsinn sein.
Es war unglaublich. Nicht an den Fussball zu denken, wirklich alles zu vergessen und zu feiern, dass wir etwas Fabulöses erreicht haben. Fragen haben wir uns keine gestellt, ich habe alles gegeben beim Feiern, es war schliesslich verdient.
Haben alle Nationalspieler derart von den Feierlichkeiten profitiert?
Alle. Einige kamen dann sogar zu spät zu ihren Vereinen zurück. Ich war aber pünktlich.
Sie mussten zwei Tage nach Ihrem ersten Training in Rom gleich in einem Spiel ran, es war der Anfang einer schwierigen Zeit. Würden Sie trotzdem wieder so feiern?
Ich sage Ihnen das ganz ehrlich: Wenn ich nochmal in dieser Situation bin, ich würde das ganz genau so wiedermachen, nochmals alles geben an diesem Fest. Und wenn es noch länger dauern würde, ich wäre dabei. (lacht)
Das haben Sie alles erlebt, nachdem Sie ja eigentlich schon zurückgetreten waren aus der Nationalmannschaft.
Das war sehr speziell. Ich hatte Probleme mit dem Trainer, der Sachen gesagt hat, die waren nicht normal für mich. Wenn man einen Spieler nicht einsetzt, dann muss ein Trainer zu diesem Entscheid auch stehen. Aber hinter deinem Rücken sagst du dann nicht, dass du den Spieler nicht genommen hast, weil er verletzt gewesen sei. Das habe ich nicht hinnehmen können, und weil ich viel einstecken musste, habe ich gesagt, dass ich aufhöre in der Nationalmannschaft.
In Ihrer Zeit bei der AS Roma sind Sie nach Moskau ausgeliehen worden.
Das war super. Ich hatte den gleichen Übersetzer, wohnte im gleichen Apartment.
War der Kühlschrank noch voll?
(lacht) Nicht ganz, aber es hat alles wunderbar funktioniert. Wir haben in der Champions League gespielt, ich habe wieder getroffen. Eigentlich hätte ich gerne die Saison in Russland beendet, aber mit der Roma war das unmöglich. Sie haben kategorisch abgelehnt, weil sie unbedingt wollten, dass ich nach China gehe.
Die Roma wollte Sie nach China verkaufen?
Absolut. Nur das. Ich habe gesagt, dass ich nicht nach China wolle. Da haben sie mich dann dreimal pro Tag trainieren lassen: um 8.00, 12.00 und 16.00 Uhr.
Als Strafe?
Ja. Allerdings musste ich ohnehin trainieren, ich kam schliesslich vom Urlaub.
Rom hat letztendlich gesagt: Wenn nicht China, dann eben Newcastle?
Nein. Aber sie waren doch gezwungen, mich nochmals auszuleihen. Und da sagten sie: Überallhin, nur nicht zu ZSKA Moskau. Zwei Tage vor Transferschluss kam Newcastle auf den Plan.
Im Garten Egern – das Gesprächsumfeld auf der Wiese des Hotels Egerner Höfe. (Bild: Andy Mueller/freshfocus)
Sie gingen dann ein paar Monate nach England. Wie war es?
Das Land ist wunderbar, der Fussball auch. Ich habe gut trainiert, der Coach hat mich gemocht. Der Trainer hat mir den Grund nie wirklich genannt, warum ich nicht gespielt habe.
Ihre Frau und Tochter machen Ihr Leben als Nomade mit. Wie ist das für sie?
Nicht einfach. Meine Tochter muss in die Schule und wechselt fast jährlich das Land. Aber das ist mein Beruf, und wir versuchen in dieser Art zu leben immer, unsere Tochter so gut wie möglich auf die Zukunft vorzubereiten.
Welche Sprachen spricht sie?
Französisch. Und ein bisschen Englisch. Zwei Sprachen muss sie schon sprechen. Meine Frau ist Belgierin, noch leben sie in Belgien, sie werden aber in die Schweiz nachkommen.
Bleiben Sie denn eigentlich mehr als ein Jahr?
Ich hoffe es wirklich und werde versuchen, der Mannschaft und den Zuschauern viel Freude zu bereiten.