Gloria Estefan trat an der Baloise Session auf. Zuvor verriet sie im Interview, warum ihr neues Programm mit Klassikern des Great American Songbook für sie eine Herzensangelegenheit ist. Sie erklärte auch, wie sie Shakira zum internationalen Durchbruch verhalf – und wie sehr sie sich wünscht, dass die Leute in Kuba endlich ein freies Leben wählen könnten.
Sie ist seit einigen Tagen in Basel: Gloria Estefan. Hat sich die Zeit vertrieben mit dem Besuch der Swiss Indoors («I’m a big fan of Roger Federer»), sich die Stadt angesehen («the amazing cathedral») und sich auf ihr Konzert heute Dienstagabend an der Baloise Session vorbereitet. Die Konzerttickets sind ausverkauft.
Kein Wunder, denn Gloria Estefan ist ein seltener Gast in Europa, als grosse Dame des Latinpop aber auch hier unvergessen. Sie kam 1957 in Havanna zur Welt. Nach der Revolution flohen die Eltern mit ihr in die USA. Dort kämpfte sie sich hoch, studierte an der Uni, sang daneben in der Gruppe Miami Sound Machine. Und schaffte es Mitte der 80er-Jahre an die Spitze der Charts: «Conga», «Rhythm Is Gonna Get You», «Dr. Beat» oder «Oye Mi Canto» wurden zu Klassikern, Estefan zum ersten weiblichen Latin-Weltstar. 100 Millionen Alben hat sie seither verkauft, ebnete den Weg für jüngere Sängerinnen wie Jennifer Lopez oder Shakira.
Eigentlich gab sie vor zehn Jahren ihren Rücktritt vom Tourneeleben bekannt. Doch ganz zurückziehen mag sie sich nicht. 28 Auftritte, nebst der Baloise Session auch an der «Night of the Prom» in Belgien und Holland sowie in TV-Sendungen, führen die 56-Jährige nach Europa. In Basel präsentiert sie ihr neues Album «The Standards», das mit Liedern des grossen American Songbook bestückt ist. Zu diesem Zweck wird sie eigens vom Kammerorchester Basel begleitet.
Nach der Generalprobe gewährt sie uns ein Roundtable-Interview. Estefan taucht in Trainerhosen auf, ganz bequem angezogen, reicht die Hand, setzt sich auf die Couch im Backstagebereich der neuen Basler Messehalle. Und beantwortet alle Fragen, die für diesen bunten Haufen Journalisten – nebst unsereinem ist auch ein Vertreter der «Schweizer Illustrierten» und eine Redaktorin von Radio Basilisk zugegen, höflich und ohne mit der Wimper zu zucken. Sie spricht locker über ihre Outfits («Ich habe 33 auf dieser Tour dabei und entscheide jeweils vor Ort, was ich anziehe»), lässt aber auch politische Fragen über ihre zweite Heimat, Kuba, zu. Sehr professionell, die Dame.
Gloria Estefan, gefällt es Ihnen in Basel?
Ja, sehr gut. Ich hatte schon vor meiner Ankunft von Basel gehört, die Kunstmesse in Miami ist ja mittlerweile riesig geworden. Zudem bin ich ein grosser Fan von Roger Federer und wusste daher, dass das seine Heimatstadt ist.
Sie haben die Swiss Indoors besucht, das Münster auch. Waren Sie auch auf einer Bahn an der Herbstmesse?
Nein, diese Zeiten sind für mich vorbei. Als meine Kinder jünger waren, besuchten wir alle Vergnügungsparks dieser Welt. Das reicht. Zudem hätten meine Promoter keine Freude, wenn ich vor einem Konzert auf eine Bahn gehen würde. Wenn man singen muss, ist es besser, kein Risiko einzugehen.
Ein kleines Risiko gehen Sie dennoch ein: Sie treten mit dem hiesigen Kammerorchester auf, mit dem Sie am Montag erstmals zusammen geprobt haben.
Das ist eine Herausforderung, aber wir haben uns alle wunderbar vorbereitet. Shelly Berg schrieb die Arrangements, wir probten diese in Miami – und arbeiten nun jeweils vor Ort noch an kleinen Finessen. Letzte Woche spielten wir eine Show in der Londoner Royal Albert Hall, da lief alles wunderbar. Und die Proben hier in Basel waren ebenfalls prima, das Orchester macht seine Sache hervorragend. Das ganze Projekt ist ja auch eine Herzensangelegenheit für mich.
Inwiefern?
Ich werde zwar immer mit Stücken wie «Conga» in Verbindung gebracht, dem Latinsound. Aber ich wuchs mit der Musik von amerikanischen Sängern auf. Nat King Cole besuchte Kuba mehrmals, meine Mutter spielte mir seine Lieder vor als ich ein kleines Kind war. Es sind diese Stücke aus dem Great American Songbook, die mir aus meiner frühesten Kindheit in Erinnerung geblieben sind, von Nat King Cole, von Frank Sinatra oder Dean Martin. Singen, müssen Sie wissen, hatte für mich früh schon eine besondere Bedeutung. Die Musik war ein Ventil – besonders als mein Vater krank wurde und viel Verantwortung auf meinen Schultern lastete. (Der Vater kehrte aus dem Vietnamkrieg zurück und erkrankte an MS – die elfjährige Gloria musste die Pflege übernehmen, während die Mutter arbeiten ging, die Red.) Zu dieser Zeit schloss ich mich oft im Zimmer ein und liess meinen Emotionen beim Singen freien Lauf. So konnte ich den Druck ablegen – das tat ich im Zimmer, weil ich meiner Mutter gegenüber stark sein wollte.
Dann, in den 80er-Jahren, trugen Sie den Latinpop in die Welt hinaus, wurden selber zum Idol.
Für mich waren Carlos Santana und José Feliciano wichtige Vorbilder. Sie waren in den USA tätig, standen aber zu ihren Latino-Namen und zu ihren musikalischen Einflüssen. Als wir mit Miami Sound Machine starteten, versuchten uns die Entscheidungsträger im Musikgeschäft die Bläser und die Perkussion auszureden. Wir wollten aber nicht auf unsere Latin-Einflüsse verzichten, wollten uns treu bleiben und kämpften für diese Überzeugung.
Später verhalfen Sie auch Shakira zum internationalen Durchbruch. Wie das?
Ich konnte ihr einige Türen öffnen, hoffe ich. Mein Mann Emilio hatte ihr Album «¿Dónde están los ladrones?» produziert, das spanisch gesungen war. Ich übersetzte einige ihrer Lieder ins Amerikanische. Shakira war anfänglich unsicher, doch konnte ich sie überzeugen, dass ihre Lieder in dieser Sprache ebenfalls wunderbar funktionierten. Ich arbeitete mit ihr im Studio, trainierte die richtige Aussprache. Doch die Plattenfirma glaubte zu wenig daran. Bei einem Dinner sagte ich zu Tommy Mottola, dem Boss ihrer Plattenfirma, dass auf Shakiras US-Debüt mehr als nur zwei, drei englischsprachige Lieder drauf sein sollten. Denn ich wusste, dass die angloamerikanische Gemeinde nicht auf ein vorwiegend in spanisch gesungenes Album anspringen würde. Er beschied mir, dass sich das nicht verkaufen würde. Ich entgegnete: «Sehr wohl wird sich das verkaufen, bei Shakiras grossem Talent.» Und ich hatte Recht: Ihr US-Debüt verkaufte sich 13 Millionen Mal. Sie war bereit für die grosse Bühne und kann mittlerweile so gut englisch, dass sie ihren Weg alleine geht, ohne meine Hilfe.
Sie sagten mal, dass Sie von einem Gratiskonzert im freien Kuba träumen. Wie weit sind wir heute noch davon entfernt?
Die Übersetzung der Antwort: Ich weiss es nicht. Diese Typen (die Castros, die Red.) sind wie Dinosaurier, seit ewig da. Wie kann man nur so lange leben? Ich hoffe, dass sich das ändert für die Leute in Kuba, denn sie leiden. Uns geht es ja gut, wir leben hier in einer freien Welt, können unsere Kinder ernähren. Ich sprach aber kürzlich mit Yoani Sanchez, einer bekannten Bloggerin aus Kuba. Und sie sagte: Leute meinen immer, dass die kubanische Regierung Essen für alle bereithalte. «Wir leben hier nicht, wir überleben!» Die Kubaner haben keinen Zucker, keinen Kaffee mehr, ausgerechnet jene Sachen, für die Kuba berühmt wurde. Sie haben kein heisses Wasser, es mangelt an hygienischen Gütern. Man muss ständig erfinderisch sein, die Häuser fallen auseinander, es gibt keine Farben, um sie anzumalen, oft auch keine Fenster. Es ist wirklich schlecht. Die Touristen sehen all das nicht in ihren Resorts. Ich habe in einem Song mal gesungen: «The only one sure thing is change». Hoffen wir nur, dass diese Veränderung nach 55 Jahren bald eintritt. Zudem werden die Kubaner hoffentlich nicht erlauben, dass Castros Kinder einfach übernehmen und weitermachen werden. Die Veränderung muss von innen kommen.
Denken Sie, dass es in Kuba eine weitere Revolution geben wird?
Ich hoffe, dass es nicht gewalttätig sein wird. So lange das Militär im Schlepptau der Regierung ist, ist es schwierig. Ich wünsche mir keine Gewalt. Die Kubaner müssen ja nicht die gleiche Demokratie wie sie in der USA existiert anstreben, denn diese Umstellung wird sehr schwierig, sehr hart werden für die Leute. Aber sie müssen ihren Weg finden, ihren Weg wählen können. Jetzt haben sie gar keine Wahl.